Lene Rikke Bresson: Das Mädchen am Kreuz

 Ich muss gestehen, dass ich mit „Das Mädchen am Kreuz“ nicht so recht warm geworden bin. Anfangs dachte ich noch, dass das an einer akuten Leseunlust läge, aber inzwischen kann ich die Schuld auf den unglücklichen Klappentext des Verlags, sowie die Handlung und die Figuren schieben.

Während der Klappentext den Eindruck erweckt, dass dieser Roman ein Krimi sei, so spielt dieser Teil der Handlung nur eine untergeordnete Rolle. Außerdem erfolgt die Verwicklung von Mona in die Ermittlungen sehr spät und weniger gezielt als dort suggeriert wird. Stattdessen ist „Das Mädchen am Kreuz“ vor allem ein Familiendrama, was für mich akzeptabel wäre, wenn ich auch nur eine der handelnden Personen gemocht hätte. Na gut, ganz so hart sollte ich wohl nicht sein, denn den Polizisten Berg mochte ich – und das vielleicht auch nur, weil ich als Leser von ihm vor allem erfahren habe, dass er ein freundlicher Mann ist, der nicht so schnell aufgibt.

Doch von Anfang an: Im Prolog entdecken zwei Männer aus einem Flugzeug heraus eine Leiche inmitten einer brennenden Heidelandschaft. Die Tote ist die Künstlerin Helen und die Fotos, die einer der Männer von dem – wie ein Kunsthappening aufgemachten – Tatort macht, machen ihn berühmt. Umso schmerzhafter ist der Tod der jungen Frau für ihren Vater, der nicht nur aufgrund des Medienrummels um die Tat und die Verbreitung der Fotos seine Tochter nicht loslassen kann. Die Passagen, die aus seiner Perspektive geschrieben wurden, erwecken den Eindruck einer ungesunden Besessenheit.

Nach der ersten Szene im Flugzeug dreht sich die Handlung erst einmal einige Zeit lang um Mona. Die junge Frau ist Theologiestudentin, steht kurz vor ihrer Hochzeit mit ihrem Jugendfreund David und es wird schon im ersten Absatz deutlich, dass sie sich so gar nicht mit ihrer Familie versteht. Was kein Wunder ist, denn ihre Mutter ist eine bestimmende konservative Frau, die das Leben ihrer Familie beherrscht, während ihr Vater ein unauffälliger und antriebsloser Mann zu sein scheint, der alle Entscheidungen in die Hände seiner Frau legt. Monas ältere Schwester Theresa ist geistesgestört, lebt noch bei den Eltern und bekritzelt jede verfügbare Fläche, und die Großmutter hat eine übernatürliche „Gabe“ und verbindet heidnischen Aberglauben mit dem regelmäßigem Kirchgang.

Der Sonnenschein der Familie war Monas kleiner Bruder, doch der ist vor einigen Jahren umgekommen und alle scheinen Mona dafür die Schuld zu geben. Dieser Vorfall ist augenscheinlich auch die Ursache dafür, dass Mona sich zwar von ihren Eltern fernhält, aber ansonsten alle Erwartungen der Familie erfüllt, obwohl für den Leser auf den ersten Blick feststeht, dass die Studentin eigentlich nur noch ausbrechen will. So kommt es auf der Hochzeitsreise auch zu einem verhängnisvollen Unfall, der Mona behindert zurücklässt, ihr aber auch ermöglicht endlich ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Ich muss positiv anmerken, dass ich den Schreibstil von Lene Rikke Bresson sehr reizvoll fand, nachdem ich mich erst einmal damit „abgefunden“ hatte, dass ich keinen Kriminalroman las. Auch schildert die Autorin die kleinen Hürden in Monas Leben nach dem Unfall sehr plastisch und nachvollziehbar. Ich fand es interessant, wie die junge Frau mit ihren Einschränkungen umging und welche Lösungen sie für ihre Probleme fand. Und auch die verschiedenen Personen boten fast alle gute Ansätze, die aber dadurch zunichte gemacht wurden, dass mir keine der Figuren ans Herz wuchs. Jeder von ihnen hatte Charakterzüge, die ich unsympathisch oder sogar abstoßend fand, und so war es mir vollkommen egal, ob jemand ein potenzielles Opfer oder der eventuelle Mörder war.

Zusätzlich war Helens Mörder – trotz der verschiedenen Perspektiven und diverser weiterer Figuren, die ein Motiv gehabt hätten – sehr schnell zu erahnen, ebenso wie die Ereignisse, die wirklich zum Tod von Monas Bruder geführt haben. So fehlten mir bei diesem Roman nicht nur Charaktere, die mich mit ihren Ecken und Kanten interessierten, sondern auch ausreichend Spannung, um dem nächsten Kapitel entgegenzufiebern. Eine Tatsache, die mich vor allem deshalb ärgert, weil Lene Rikke Bresson eigentlich alle Grundvoraussetzungen bei der Hand gehabt hätte, um eine ungewöhnliche Familiengeschichte mit einer fesselnden Krimihandlung zu verbinden.

11 Kommentare

  1. "Und auch die verschiedenen Personen boten fast alle ….dass mir keine der Figuren ans Herz wuchs. Jeder von ihnen hatte Charakterzüge, die ich unsympathisch oder sogar abstoßend fand, und so war es mir vollkommen egal, ob jemand ein potenzielles Opfer oder der eventuelle Mörder war."

    Im Krimi/Thriller ist es, finde ich, nicht schlimm, wenn ich einen "ungeliebten" Akteur in einer guten Geschichte habe. Er kann für mich trotzdem emotionaler Bezugspunkt sein.

    Aber in Familiengeschichten möchte ich auch gern wenigstens einen Protagonisten haben, den ich mag und um den ich mich sozusagen besonders "kümmere". Aktuelles Extrembeispiel: Würde es in S&S nur Marianne und keine Elinor geben, ich bezweifle, dass mir der Roman so gut gefallen würde, selbst wenn Col. Brandon und Edward auftauchen würden (natürlich weil letztere Nebencharaktere sind). 😀

  2. Mit einem oder mehreren ungeliebten Akteuren kann ich leben, solange ich mich die Handlung bei einem Krimi fesselt. Das ist hier nicht der Fall, da es eben weniger Krimi als Familiengeschichte ist.

    Und bei einer Familiengeschichte wäre es mir schon wichtig, dass ich zumindest eine der Figuren interessant fände. Dein Beispiel mit S&S passt da sehr gut!

    Eigentlich beschreibt Lene Rikke Bresson ihre Figuren gar nicht so unrealistisch, aber das sorgt trotzdem nicht dafür, dass ich mich für ihr Ergehen interessiere …

  3. Das klingt – gelinde gesagt – grauenvoll! Ich hoffe, es besteht wenigstens ein Zusammenhang zwischen Helens Tod und Monas Familie?!

  4. @Irina: Äh … nö! *g* Oder zumindest nur insofern, dass Mona letztendlich wirklich die entscheidende Idee zur Aufklärung des Mordes hat.

  5. *g* Doch, das ist mein Ernst. 🙂

    Nach dem Unfall zieht Mona um und einer ihrer Nachbarn ist der Polizist, der in dem Mord ermittelt. Außerdem haben noch diverse andere Nachbarn eine Verbindung zu der Toten, den Männern im Flugzeug und anderen Leuten, die mehr oder weniger direkt mit dem Mord zu tun haben könnten.

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