Ich habe keine Ahnung, wo ich über Stefan Bachmanns Titel „Die Seltsamen“ gestolpert bin, aber wer auch immer über das Buch geschrieben hat, hat mich neugierig genug gemacht, dass ich den Roman in der Bibliothek vorgemerkt habe. Ausleihen konnte ich das Buch dann Anfang April und habe es auch zügig durchgelesen. Stefan Bachmann schreibt in einem flüssig zu lesenden Stil und obwohl ich normalerweise mit eher malerischen Formulierungen nichts anfangen kann, haben sie mir hier gefallen – auch weil sie passend und nicht zu übertrieben verwendet wurden. Die Geschichte wird vor allem aus zwei Perspektiven erzählt. Auf der einen Seite lernt man Bartholomew Kettle kennen, einen Jungen, der mit seiner jüngeren Schwester Hettie und seiner Mutter im Feenslum von Bath lebt, und auf der anderen Seite Arthur Jelliby, der Mitglied des Parlaments in London ist und dessen Leben das genaue Gegenteil von Bartholomews zu sein scheint.
Die Welt, die Stefan Bachmann für seine Geschichte entworfen hat, wurde vor vielen Jahren von einem Haufen Feen überrannt, deren Portal aus der Feenwelt damals Bath auslöschte. Nach einem kurzen und heftigen Krieg wurden die Feen besiegt und – da man sie nicht wieder zurückschicken konnte – notgedrungen in die Gesellschaft integriert. Wobei es tagtäglich viele, viele Versuche gibt, die Feen ihrer Magie zu berauben – was dafür sorgt, dass sie am unteren Ende der Gesellschaft leben und als Dienstboten oder in Fabriken für die Menschen arbeiten. Während es unter den Menschen eine gewisse Faszination für Feenmagie gibt (solange das Ganze unter Kontrolle und nicht zu gefährlich ist), gibt es keinerlei Interesse an den wenigen Mischlinge, die aus Beziehungen zwischen Menschen und Feen entstanden sind.
Diese Mischlinge – „Die Seltsamen“ genannt – werden von beiden Seiten als hässlich und wertlos empfunden und nicht selten werden diese Kinder getötet, ohne dass ihre Eltern (in der Regel sind es die Mütter, die sich um sie kümmern) sie schützen könnten. Auch Bartholomew und Hettie sind Mischlingskinder und da sie so gefährdet sind, lässt ihre Mutter die beiden kaum aus der Wohnung. Gerade Hettie, deren gemischte Herkunft unübersehbar ist, kennt nichts anderes als die kleine Wohnung und die Gesellschaft ihres Bruders, während Bartholomew immerhin ab und an vor die Tür oder zumindest auf den Dachboden des Miethauses schleichen kann, weil er nicht ganz so auffällig ist wie seine Schwester.
Da die Mischlingskinder so einen geringen Wert für die Gesellschaft haben, fällt es erst einmal auch gar nicht auf, dass immer wieder Kinder verschwinden und wenig später tot aufgefunden werden. Einzig die Art und Weise, wie die Kinder sterben, sorgt dafür, dass das Thema überhaupt im Parlament angesprochen wird. Für Bartholomew hingegen ist das Verschwinden der Kinder ein sehr beängstigendes Thema – vor allem, nachdem er mitbekommen hat, wie der Nachbarsjunge entführt wurde. Und als dann auch noch Hettie verschwindet, muss er sich auf die Suche nach seiner Schwester (und dem Mörder der anderen Kinder) machen.
Ich muss gestehen, dass ich etwas zwiegespalten bin. Auf der einen Seite finde ich die Welt, die Stefan Bachmann geschaffen hat, sehr spannend. Diese Mischung aus düsteren Feen samt ihrer Magie, einem britischen Reich, in dem die Industrialisierung radikale Spuren hinterlässt (und für so einige Steampunk-Elemente sorgt), und den gegensätzlichen Perspektiven von Bartholomew und Mr. Jelliby finde ich sehr reizvoll. Allerdings hätte ich mir gewünscht, dass nicht alles so schrecklich und düster und hoffnungslos ist. Auch fand ich die Charaktere zwar interessant, aber nicht wirklich sympathisch, obwohl sie sich im Laufe der Geschichte verändern und gerade Mr. Jelliby an seinen Aufgaben wächst.
Außerdem konnte ich zwar die fantastischen Elemente genießen, hatte aber stellenweise das Gefühl, dass der Autor es übertreibt. Ein Beispiel ist da eine Kutsche, die von zwei riesigen Grashüpfern gezogen wird – auch wenn das vielleicht eine skurrile Vorstellung ist, denkt ein Teil von mir, dass das niemand machen würde, weil Grashüpfer nun mal keinen Fortbewegungsrhythmus haben, der mit dem Ziehen einer Kutsche übereinstimmt. So bringen mich solche Elemente immer wieder raus, weil ich sie – selbst in einem so fantastischen und merkwürdigen Umfeld – als unstimmig und unglaubwürdig empfinde. Insgesamt habe ich einen netten Abend mit „Die Seltsamen“ verbracht, glaube aber nicht, dass ich auch noch zur Fortsetzung greifen werde, weil ich einfach nicht neugierig darauf bin, wie es mit Hettie, Bartholomew und Mr. Jelliby weitergeht.
Ach, das Buch hatte ich neulich erst im Buchladen in der Hand, habe mich dann aber doch für ein anderes entschieden.
Irgendwie klingt es doch interessant, auch wenn es dich nicht wirklich begeistert hat. Ich packe es mal auf die Büchereiliste. 😉
Als Bibliotheksbuch ist es super. Es lässt sich auch wirklich schnell lesen, so dass es mit den Ausleihzeiten definitiv kein Problem gibt. 😉 Aber ich habe bei dem Titel wieder gemerkt, dass mich irgendwas an einer Geschichte emotional ansprechen muss, wenn die Welt mich nicht zum Weiterspinnen reizt. Und hier fehlten mir diese beiden Punkte einfach …
Ich gehe nächste Woche mal zu Ossiander und dann schau ich mal.
Hab ein schönes Osterfest.
Lieben Gruß Eva
@Eva: Dir wünsche ich auch schöne Ostertage! 🙂
Hihi, ich muss mir grad die Grashüpfer bildlich vor der Kutsche vorstellen. Das klingt in der Tat nach unpraktischen Zugtieren (und nach etwas, das einfach nicht gut durchdacht wurde).
Wie sehen eigentlich deine Pläne wegen eines Lesetags aus? Ich überlege, ob ich schon am Freitag oder erst am Samstag zu meiner Familie fahre, aber das hängt natürlich auch davon ab, ob wir vielleicht morgen Nachmittag gemeinsam lesen wollen.
@Neyasha: Es wird zwar erwähnt, dass es keine sanfte Fahrt ist, aber ich denke wirklich, dass es zu viele Alternativen gäbe, als dass man auf Grashüpfer als Zugtiere zurückgreifen müsste. 😉
Was den Lesetag angeht: Ich konnte mich nicht entscheiden und Natira hatte eh vor das ganze lange Wochenende zum Lesen zu nutzen, also dachte ich, ich starte auch morgen Vormittag mit einem Blogbeitrag und lese bis Montagabend. 😉
Klingt gut mit dem Lesewochenende. Dann schaue ich einfach, wie es bei mir zeitlich passt. Vermutlich werde ich dann morgen ein wenig mitlesen und am Montag auch.
@Neyasha: Das freut mich! 🙂
Ich lese das Buch momentan auch und habe bereits auch schon "Bedenken": Einerseits gefallen mir viele der Einzelideen und der Stil ist flüssig, andererseits kommen diese Teile nicht richtig zusammen.
Hast du mal Jonathan Strange und Mr. Norrell gelesen? Daran musste ich nämlich von Anfang an denken. Dass im Klappentext C. S. Lewis als Inspirationsquelle genannt wird, finde ich dagegen eher nicht nachvollziehbar, Susanna Clarke liegt da eindeutig näher am Geschehen. Dass Dickens als Inspiration hergehalten hat, sehe ich sofort (wobei auch der in Clarkes Buch zu finden ist). Ich habe also bei Die Seltsamen oft den Eindruck, dass ich das so schon mal gelesen oder gesehen habe.
@Sam: Die Einzelideen konnte ich auch würdigen, aber am Ende war der Roman als Gesamtwerk einfach nicht überzeugend genug für mich.
"Jonathan Strange und Mr. Norrell" habe ich als englisches Hörbuch und bin bislang nicht sehr weit gekommen, da ich in den letzten Wochen kaum noch Ruhe für Hörbücher hatte. Inzwischen bin ich soweit raus, dass ich noch einmal von vorn anfangen müsste. Die Dickens-Element fand ich auch sehr offensichtlich, wobei Dickens Figuren mich mehr berühren (sowohl positiv als auch negativ), während ich den Verweis auf Lewis ebenfalls nicht so recht nachvollziehen kann.