(Da ich die Geschichte so lustig fand, hat mein Mann sie aufgeschrieben und mir erlaubt, sie auf dem Blog zu veröffentlichen.)
Kurz nach 17 Uhr ist die Straßenbahn, die „unsere“ Ansammlung von Bürohäusern mit dem S-Bahnhof verbindet, meistens richtig voll – so auch neulich. In letzter Sekunde stürzte noch ein Fahrgast (ein stämmig gebauter Mann etwa Anfang 50) an die Tür, konnte sich aber nur noch zur Hälfte hineinzwängen. Wenn der Zug mit der Abfahrt droht, kann man da schon einmal nervös werden, und so rief er in aufgebrachtem Ton in die Bahn: „Sie müssen jetzt aufrücken!“
Direkt neben dem Drängler stand einer meiner Kollegen, den ich hier aus Datenschutzgründen „Derek Chang“ nennen möchte – sein echter Name hat einen ähnlichen Aufbau, und wie der Nachname andeutet, hat er asiatische Wurzeln, die in seinem Gesicht auch klar erkennbar sind. Derek bemühte sich nun jedenfalls, tiefer in die Bahn vorzudringen, um dem Drängler Platz zu machen – aber wenn der Zug gerammelt voll ist, dauert es halt ein wenig, da die anderen Fahrgäste dahinter ja auch erst einmal zusammenrücken müssen. Beim Drängler kam nun langsam richtige Panik auf: „Sie MÜSSEN jetzt aufrücken!“
Derek hatte es inzwischen geschafft, seinen Rucksack abzunehmen und etwas mehr Platz zu machen, so dass der Drängler sich vollständig an Bord begeben konnte. Der Drängler war nun zufrieden, stand aber offenbar immer noch unter starkem Adrenalineinfluss, denn sein folgender Beschwichtigungsversuch wies einen sehr aggressiven, beinahe vorwurfsvollen Ton auf: „Entschuldigung! Ich dachte, Sie hätten mich nicht gehört!“
Derek entfuhr daraufhin ein leicht genervtes: „Scheiße …“
Drängler, ehrlich erstaunt: „Wie bitte, ‚Scheiße‘? Ich dachte, ihr Asiaten seid alle so höflich!?“
Derek wechselte nun ins ihm geläufigere Englisch: „Oh man, please leave me alone with this ‚Asian people‘ thing …“
Der Drängler war nun leicht verwirrt: Er hatte doch etwas Nettes über Asiaten gesagt – wieso reagierte sein Gesprächspartner darauf so beleidigt? Vielleicht lag er ja mit seiner Einschätzung der Herkunft falsch, und so vergewisserte er sich noch einmal (von jetzt an immerhin ebenfalls auf Englisch): „Oh, you are not Asian?“
Derek: „Of course I am“
Drängler: „Aha. And Asians are always friendly. Or not?“
Derek, seufzend und in der Hoffnung, dass sein Gegenüber sich nicht noch tiefer ins Fettnäpfchen der Vorurteile begeben möge: „Man, please. Just shut up.“
Drängler, empört: „Why do you say ’shut up‘ now? This is a democracy, and I can say what I want.“
Derek, inzwischen selbst recht verärgert: „Alright, we all can say whatever we want. And I just want to say ’shut up‘!“
Drängler: „No, no, no. It does not work like this. I come from a democracy, but you come from a dictatorship!“
Derek: „Dictatorship!? Man, I’m from fuckin‘ Australia!“
In diesem Moment erreichten wir den S-Bahnhof, und 90 % der Fahrgäste verließen die Straßenbahn, darunter auch die beiden Streithähne. Der Drängler verschwand dann mit einem nicht mehr vollständig verständlichen Kommentar über Kängurus auf den Lippen – zum Glück in die entgegengesetzte Richtung.
Das Bedauerlichste an diesem Vorfall ist wohl, dass der Drängler nach diesem Erlebnis sein Vorurteil über Asiaten nicht durch ein differenzierteres Bild ersetzen wird. Stattdessen hat er nun vermutlich das neue Vorurteil „Alle Australier sind unhöfliche Anti-Demokraten“ hinzugewonnen …
🙂
Deine/Eure Schlussfolgerung könnte sich bewahrheiten …
"No, no, no. It does not work like this. I come from a democracy, but you come from a dictatorship!"
loooooooool. Exakt, guter Mann. Genauso läuft das.
Oh Mann … Spinner gibts! *lach*
Schön, dass euch eines der täglichen Erlebnisse meines Mannes erheitern konnte. 😀
Aus solchen "alltäglichen" Begebenheiten könnte man ein Buch machen. Man glaubt ja gar nicht was man sich da so auf der Straße immer mal wieder anhören muss. Wie kommt der "Drängler" bitteschön auf so einen Dünnpfiff?? Grauenvoll…
@Andrea: Ich glaube, es gibt ganze Bücher über solche Situationen. 😉 Auf den ersten Blick finde ich die Szene sehr komisch, finde es aber auch arg bedenklich, wie bereitwillig dieser Mensch seine Vorurteile auspackt und verteidigt …