Eigentlich habe ich ja während der „7 Days – 7 Books“ schon genügend zu „Rot wie das Meer“ von Maggie Stiefvater gesagt, aber ich wollte doch noch eine etwas „konzentriertere“ Rezension zu dem Titel schreiben. „Rot wie das Meer“ hat zwei Protagonisten, die man als Leser im Laufe der Geschichte immer besser kennenlernt, je näher das Skorpio-Rennen rückt. Dieses traditionelle Rennen ist das größte Ereignis auf der Insel Thisby und wird von den jungen Männern der Insel mit Capaill Uisce bestritten. Die Capaill Uisce sind fleischfressende und überaus wilde Meerpferde, die in den Gewässern rund um die Insel leben. Sehr viel erfährt man über diese Wesen nicht, nur dass sie sich im Herbst in Strandnähe aufhalten und in stürmischen Nächten über die Insel streifen, um Beute zu machen.
Sean Kendrick hat zu einem dieser Wasserpferde eine besondere Beziehung. Der Hengst Corr hat schon seinem Vater gehört und wurde von diesem auch in dem Rennen geritten, in dem er ums Leben kam. Nun ist Corr das Einzige, was Sean von seiner Familie noch geblieben ist, auch wenn der Hengst nicht ihm, sondern seinem skrupellosem Arbeitgeber Benjamin Malvern gehört. Für Sean bedeutet das Skorpio-Rennen die Chance genügend Geld zu gewinne, um Corr endlich erwerben zu können und unabhängig von Malvern zu werden.
Noch nie hat eine Frau an diesem Rennen teilgenommen, doch in diesem Jahr meldet sich Puck Connolly zu Teilnahme an. Sie sieht in dem Scorpio-Rennen ihre einzige Chance, um ihr Zuhause und ihre Familie – die nach dem Tod der Eltern nur noch aus ihr und ihren beiden Brüdern besteht – zu retten. Puck ist durchaus bewusst, dass sie zu wenig Erfahrung mit den Capaill Uisce hat, um eine reale Chance beim Skorpio-Rennen zu haben. Doch sie ist verzweifelt (und dickköpfig) genug, um einen Versuch zu wagen – auch wenn ihr von allen Seiten Widerstand entgegen gesetzt wird, da ein solcher Bruch mit der Tradition für die meisten (männlichen) Inselbewohner undenkbar ist.
Schon auf den ersten Seiten fand ich die Atmosphäre in diesem Roman toll. Maggie Stiefvater hat für ihr Skorpio-Rennen eine Insel geschaffen, die karg und erbarmungslos inmitten des Meers liegt und die es den Menschen, die auf ihr Leben, nicht einfach macht. Der einzige größere Arbeitgeber ist Benjamin Malvern mit seiner Pferdezucht, aber nur wenige sind in der Lage mit seinen temperamentvollen Vollblütern und den von ihm für das Rennen gehaltene Capaill Uisce fertig zu werden. Der Großteil der Inselbewohner lebt vom Fischfang – doch das Fischen ist in den von Meerpferden bewohnten Gewässern noch gefährlicher als eh schon.
Das Leben auf dieser Insel und die Beschreibungen der Capaill Uisce (die sehr an die schottischen Kelpies erinnern) haben mir sehr gut gefallen, sie haben diese Erbarmungslosigkeit, die man in keltischen Sagen findet. Maggie Stiefvater beschreibt sehr schön die Faszination, die das herausfordernde und gefährliche Leben auf einer so kargen Insel mit sich bringt. Außerdem üben die Wasserpferde in all ihrer Fremdartigkeit und Gefährlichkeit einen spürbaren Reiz auf die Menschen aus, auch wenn nicht jeder diesen Kreaturen (oder dem Inselleben) verfällt. So ist „Rot wie das Meer“ auch ein Buch, das sich damit beschäftigt, was für ein Mensch man sein muss, um das Leben auf Thisby dem einfacheren Leben auf dem Festland vorzuziehen.
Es gibt auch eine sehr leise, sehr langsam aufkeimende Liebesgeschichte zwischen Sean und Puck, die vor allem auf dem gegenseitigen Respekt beruht, den die beiden für den jeweils anderen empfinden. Das ist ein Aspekt, den ich besonders mag. Diese Beziehung steht nicht so sehr im Vordergrund der Handlung und entsteht erst durch ein gegenseitiges Kennenlernen. Dazu kommen noch ein paar skurril wirkende Figuren, die vielleicht etwas überzogen wirken, aber für mich stimmig ins Inselumfeld passen. Extreme Lebensumstände formen eben auch extreme Charaktere.
Genauso finde ich den – zum Teil etwas heftigen – Umgang mit Mensch und Tier passend dargestellt. Traditionelle Ereignisse, bei denen auch Tiere eine Rolle spielen, haben sich noch nie um heutige Tierschutzgedanken gekümmert. Anzuprangern, dass es in diesem Buch zum Alltag der Insel gehört, dass Tiere sterben oder dass die Capaill Uisce für dieses Rennens benutzt werden, obwohl sie töten und getötet werden, scheint mir unpassend zu sein. Eine weniger direkte Darstellung wäre genauso, als ob man einen Roman rund um Stierkämpfe schreiben würde, bei dem Tier und Mensch einander mit Wattebällchen attackieren würden.
Bei der Miniaktion wollte ich schon schauen, ob der Titel bei skoobe zu leihen ist. Das habe ich jetzt nachgeholt und es in der Tat gefunden – und auf die Merkliste gesetzt. Jetzt brauche ich, wie üblich, nur den passenden Moment. 😀
Ich kann dir da in allem nur beipflichten – auch, was den Aspekt der "Grausamkeit" betrifft. Mich hat der Roman ja in vielen Punkten sehr an "Der Sieger von Siena" erinnert und ich habe das Gefühl, dass die beiden Bücher auch in einem vergleichbaren zeitlichen Hintergrund angesiedelt sind
Dieser recht zweifelhafte Umgang mit den Pferden findet sich auch darin und wie bei Stiefvaters Roman geht es auch darin um ein Rennen aus einer Tradition heraus und ich finde, dass man bei beiden Romanen spürt, dass es um Extremsituationen geht und so etwas nicht der "normale" Umgang sein sollte.
Viel problematischer finde ich es da, wenn in Kinder- oder Jugendbüchern die Hauptfiguren ein Haustier haben, das falsch gehalten wird (z.B. ein Meerschweinchen alleine – das kommt ja wirklich sehr oft vor in Büchern).
Die Freundschaft/Liebesgeschichte fand ich übrigens auch sehr schön umgesetzt. Das ist etwas, das mir schon bei "Shiver" sehr gefallen hat, hier aber noch mehr.
Mh, ich habe angefangen, das Buch zu lesen im Original, hab aber nach ca. einem Drittel abgebrochen. Evt. interessiert mich das Ganze nicht so, da ich noch nie ein "Pferdemädchen" war?
Sollte ich ihm noch eine zweite Chance geben?
Grüßchen von Aly mit den niesenden Kater und den zwei Katzendamen
@Natira: Dann hoffe ich, dass der passende Moment bald kommt. 🙂
@Neyasha: "Die Sieger von Siena" lässt bei mir auch was klingeln (ah, die Misty-/Stormy-Autorin – ja, dann habe ich den Titel vermutlich als Kind auch gelesen, die war in unserer Bibliothek sehr vertreten).
Oh ja, da reagiere ich auch viel empfindlicher drauf, wenn in aktuellen Büchern Haustiere kommentarlos in einer Haltung beschrieben werden, die doch eher der Tierquälerei entspricht.
@Aly: Man muss sich schon etwas auf das Buch einlassen, bevor es einen richtig gefangen nimmt. Es liegt meiner Meinung nach aber nicht daran, ob man ein "Pferdemädchen" ist oder nicht. Für mich war der "Pferdeanteil" gar nicht so relevant, im Vergleich zu den Passagen, in denen es um die Charaktere und das Inselleben ging. Vielleicht gibst du dem Buch noch eine Chance? 🙂
@Aly: Unbedingt! Ich bin auch kein Pferdemensch, zumindest nicht, was Geschichten angeht, aber dieses Buch habe ich verschlungen. Endlich (!) ein Buch, in dem sich die Figuren durch ihre Handlungsweise quasi selbst charakterisieren und nicht jedes Fitzelchen toterklärt und psychologisiert wird! Die Beschreibungen sind sehr atmosphärisch und was Maggie Stiefvater aus der Sagengestalt des Kelpie herausgeholt hat, hat mich sehr beeindruckt.
Siehst du, Aly, du musst "Rot wie das Meer" auf jeden Fall noch eine Chance geben! 😀