Ich muss gestehen, dass ein Titel wie „Nächste Ausfahrt Zukunft – Geschichten aus einer Welt im Wandel“ von Ranga Yogeshwar mich normalerweise nicht spontan gereizt hätte, weil mich die Themenwahl (obwohl sie weitgefächert ist) frustriert, wütend macht und ängstigt. Da aber Anette so angetan von dem Buch war, hat sie mit ihrer Rezension meine Neugier geweckt, was dazu geführt hat, dass ich es mir in der Bibliothek besorgt habe, um es zumindest mal anzulesen. Ich muss zugeben, dass Ranga Yogeshwar wirklich gut schreibt und man seine Begeisterung für seine Arbeit als Wissenschaftsjournalist und seine Faszination über (und auch seine Bedenken rund um) die verschiedenen Entwicklungen und die Theorien, die daraus abgeleitet werden können, deutlich spüren kann.
In elf verschiedenen Kapiteln spricht er über verschiedene Aspekte des Fortschritts, über die Hoffnungen, die in der Vergangenheit damit verbunden waren, über zerstörte Träume und über die Möglichkeiten, die sich neu auftun. In eigentlich jedem Unterkapitel kann man von persönlichen Erlebnissen des Autors lesen wie von den Dreharbeiten in Tschernobyl und Fukushima, dem vorbeifahrenden Ochsenwagen in Indien, der vollbeladen war mit den neuesten Computern, oder anderen Szenen, die Ranga Yogeshwars Zusammenfassungen zu den verschiedenen Themen untermalen. Auch betont der Autor in der Regel die Vor- und Nachteile einer neuen Entdeckung. So ermöglicht die genaue Erfassung von Augenbewegungen zum Beispiel auf der einen Seite die Steuerung von Geräten für Menschen, die aufgrund von körperlichen Einschränkungen dafür nicht ihre Hände verwenden können. Aber auf der anderen Seite wird genau die gleiche Technik verwendet, um Informationen über den Nutzer zu sammeln, um Werbung auf das Blickverhalten von Menschen zuzuschneiden, um die Stimmung, den Grad der Müdigkeit oder Ähnliches auszulesen – lauter Informationen, die missbraucht werden können, um den Menschen zu durchleuchten und zu manipulieren.
Allerdings gab es auch immer wieder Momente, in denen ich das Gefühl hatte, dass die Argumentation nicht stimmig war. So erwähnt Ranga Yogeshwar zum Beispiel beim Thema „Online-Partnersuche“, dass ganz viele zwischenmenschliche Aspekte bei der Partnerwahl wegfallen würden, wenn man sich auf ein Bild und einen Computer-Algorhythmus verlassen würde. Er schließt aber aus der Tatsache, dass sich solche Partneragenturen wachsener Beliebtheit erfreuen, dass das daran läge, dass die Partner-Suchenden auf diesen Plattformen wirklich einen Menschen für eine Beziehung finden würden. Meine Theorie lautet aber eher, dass so viele Menschen inzwischen verzweifelt auf der Suche nach einem Partner sind, dass sie auch solche Plattformen ausprobieren, obwohl darüber eben nicht die breite Palette des zwischenmenschlichen Austauschs (z.B. Stimme, Gestik, Mimik, Geruch) abgedeckt werden kann, die normalerweise notwendig ist, um einem Menschen für eine Partnerschaft in Betracht zu ziehen. In meinen Augen hängt der Erfolg also nicht am erfolgreichen Algorhythmus, sondern an der Einsamkeit der Nutzer. Es ist ein bisschen wie Lottospielen: Obwohl eigentlich jeder die Statistiken kennt, möchte doch niemand die Hoffnung aufgeben, dass so ein Lottoschein vielleicht für großen Reichtum sorgen könnte.
Vielleicht liegt es daran, dass es mir nach den vergangenen Jahren schwer fällt, optimistisch zu sein, aber wenn Ranga Yogeshwar erzählt, wie weit sich die Welt doch zum Beispiel seit Martin Luther Kings Rede im Jahr 1963 entwickelt hat und als Beispiel die Präsidentschaft von Barack Obama aufführt, dann muss ich automatisch daran denken, welche Folgen Donald Trumps Wahl zum Präsidenten gerade mit sich bringt und was für ein schrecklicher Rückschritt diese Präsidentschaft für all die Rechte von PoC oder LGBTQIA-Personen oder einfach nur arme oder kranke Menschen (natürlich inklusive aller Überschneidungen, die es da gibt) mit sich bringt. Ich glaube, dass es Ranga Yogeshwar in dieser Beziehung schwer fällt, die Sicht eines Wissenschaftlers – für den es nun mal logisch ist, auf Weiterentwicklungen und gewonnene Erkenntnisse auch angemessen zu reagieren – aufzugeben. Ein Großteil der Menschheit handelt aber nun mal nicht wissenschaftlich, sondern emotional, was dazu führt, dass bei einem zu großen Voranschreiten des Fortschritts Panik ausbricht. Und in Panik neigt der Mensch nun mal dazu, nach unten zu treten, um seine Position zu sichern und in vertraute Verhaltensweise zurückzuverfallen, selbst wenn diese ihm schaden.
Am Ende zählt Ranga Yogeshwar auf, was sich alles in den vergangenen Jahrzehnten verbessert hat, angefangen bei der Lebenserwartung, über die Zahl der Demokratien auf der Welt, die Zahl der Mord- und Totschlagzahlen in Deutschland, die Alphabetisierung bis zur Zahl der Menschen auf der Welt, die unter die extreme Armutsgrenze fallen. Und ja, die reinen Zahlen sehen gut aus, aber für mich sehen diese Zahlen vor allem nach „es ist seit so vielen Jahren möglich, eine größere Veränderung herbeizuführen, aber viel zu wenige arbeiten an dieser Veränderung, weil am Ende kein schneller Profit damit zu erreichen ist“ aus. Ranga Yogeshwar schließt hingegen aus diesen Zahlen, dass der Mensch an sich bereit ist, zu teilen, und dass die Suche nach Liebe und Zuwendung am Ende bestimmender für die Zukunft sein wird als das Streben nach Macht und Geld – ganz ehrlich, ich wünschte, ich könnte Ranga Yogeshwars optimistische Sicht auf die Zukunft teilen, aber anhand seiner Beispiele kann ich nicht nachvollziehen, wieso er mit so viel Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft blickt. Dabei fände ich es wunderbar, wenn ich miterleben könnte, wie all die Chancen, die der Autor in den erwähnten Entwicklungen findet, auch genutzt würden, statt weiterhin befürchten zu müssen, dass die Menschheit als Masse doch immer nur den einfachsten und/oder profitabelsten Weg gehen wird.
Ich weiß von einem Psychologen, dass viele jüngere Leute mittlerweile wirklich lieber online nach einem Partner suchen als sich im Real Life umzuschauen 😉 Ich habe das Buch lange nicht so optimistisch empfunden wie du, im Gegenteil, ich verstehe das Buch eher so, dass wir noch eine Chance haben, es richtig zu machen, und nicht aufgeben sollen, auch wenn's schlecht aussieht. Aber das liegt wohl in der individuellen Wahrnehmung 🙂
Aber ich bezweifel, dass die vermehrte Online-Partnersuche ein Beweis dafür ist, dass solche Plattformen mit erfolgreichen Algorhythmen arbeiten. Schließlich gibt es nur Zahlen zu den Suchenden und keine zu den erfolgreich Vermittelten. 😉
Und ja, das liegt gewiss an der individuellen Wahrnehmung. Ich bin gerade ein bisschen müde, wenn es um die Entwicklungen der letzten Jahre geht …
Ich kenne inzwischen fast mehr Leute, die online ihre Partner gefunden (und mittlerweile geheiratet haben). Allerdings weniger über die entsprechenden Plattformen und eher in Internetforen.
Das Buch klingt interessant, aber ich habe das Gefühl, dass mich das momentan echt zu sehr frustrieren würde. Ich bin in vielerlei Hinsicht auch gerade etwas müde, wenn es um die Entwicklungen der letzten Jahre geht.
@Neyasha: Mein Mann und ich haben uns auch online über das Comicforum kennengelernt (und das erste Mal bei der Comic Action/Spielemesse in Essen getroffen). Ich sage nicht, dass man online nicht jemanden kennenlernen kann, ich bezweifel nur, dass die Beliebtheit von Online-Partneragenturen der Beweis für ihre Erfolgsquote ist. 😉
Ich wäre so froh, wenn diese Frustration mal wieder nachlassen würde. Aber die aktuellen Entwicklungen sorgen nur dafür, dass ich das Gefühl habe, dass es einfach nicht besser wird.
Ja, da hast du natürlich recht, dass Beliebtheit und Erfolgsquote zwei Paar Schuhe sind.
Ich habe leider auch das Gefühl, dass es nicht so schnell besser wird. Hierzulande schon gar nicht mit der aktuellen Regierung …