Ich muss gestehen, dass „Mister Weniger“ von Andrew Sean Greer kein Buch ist, das ich von mir aus spontan in der Bibliothek ausgeliehen hätte. Aber Helma hatte so eine liebevolle Rezension zu dem Titel geschrieben, dass ich doch Lust bekam, die Geschichte zu lesen und deshalb den Roman in der Bibliothek vormerkte. Arthur Weniger ist ein liebenswerter, etwas chaotischer und häufig überraschend hilflos wirkender Autor, dessen Flucht vor der Hochzeit seines Geliebten Reise ich gern verfolgt habe. Neun Jahre lang hatten Arthur und Freddy eine lockere Beziehung, und erst als Freddy verkündet, dass er einen anderen Mann heiraten wird und Arthur deshalb nicht wiedersehen kann, wird Arthur bewusst, was für ein großer Verlust das für ihn sein wird. Um nicht auf der Hochzeit auftauchen und gute Miene zu dieser neuen Entwicklung machen zu müssen, nimmt Arthur lauter Reiseangebote an, die er normalerweise ablehnen würde.
So reist Arthur Weniger quer durch die Welt und moderiert eine Veranstaltung in New York, die zu Ehren anderer Autoren abgehalten wird, wird zu einer anderen Veranstaltung in Mexiko eingeladen, um über einen berühmten Autor zu reden, mit dem er viele Jahre zusammenlebte, und besucht eine Preisverleihung in Italien, von der er noch nie zuvor gehört hatte. Außerdem übernimmt Arthur eine Dozentenstelle in Berlin, macht Urlaub in Marokko, versucht in Indien einen Roman zu schreiben und bespricht ein traditionelles Menü in Kyoto. So vielfältig wie seine Reiseziele und Tätigkeiten sind auch die großen und kleinen Probleme, mit denen sich Arthur auf seiner Reise konfrontiert sieht, was zu einigen wunderbar amüsanten Szenen führt. Gleichzeitig bekommt man Stück für Stück Arthurs Erinnerungen rund um sein Liebesleben und seine Entwicklung als Autor präsentiert und lernt zu verstehen, was den Charme dieses unbeholfenen Mannes ausmacht und wieso er trotz all seiner Ängste bislang immer irgendwie seinen Weg durchs Leben gefunden hat.
Helma hatte auf jeden Fall recht, als sie den Roman als „Wohlfühlbuch“ bezeichnete, und ich fand das Lesen wirklich angenehm. Zwischendurch hatte ich sogar überlegt, warum ich nicht häufiger solche Bücher lese, kam dann aber zu der Erkenntnis, dass diese Variante – so unterhaltsam sie auch geschrieben sein mag – in der Regel von mittelalten weißen Männern erzählt, und das ist ein Thema, das ich nicht so häufig im Zentrum meiner Romane haben mag. Es ist schade, dass es keine vergleichbaren Geschichten aus weiblicher Sicht gibt – oder kennt einer von euch einen ähnlichen Roman von einer Autorin? Oder ist diese melancholisch-ironisch-intellektuelle Perspektive einzig Männern vorenthalten, während Frauen sich auf fluffig-amüsante Romane beschränken (müssen?), in denen die Protagonistin von einem Tag auf den anderen ihre erfolgreiche, aber ungeliebte Karriere oder ihr Leben als unerfülltes Hausmütterchen hinwirft und ihr belächeltes Hobby erfolgreich zum Beruf macht oder ein Café eröffnet?
Aber nun gut, ich möchte nicht an „Mister Weniger“ auslassen, dass in bestimmten Bereichen nur bestimmte Autoren veröffentlicht werden, denn Andrew Sean Greer kann ja nichts dafür, dass mir beim Lesen seines Romans und angesichts des auffälligen Mangels an weiblichen Figuren so viele Gedanken über den Buchmarkt durch den Kopf gingen. Genauso wenig kann man dem Autor vorwerfen, dass der deutsche Verlag beschlossen hat, den Namen des Protagonisten von „Less“ in Weniger zu ändern oder dass vermutlich einiges an Wortwitz durch die Übersetzung verloren ging. Zumindest fällt es mir anhand des deutschen Textes schwer zu verstehen, warum gerade diese Geschichte mit einem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Das alles ändert aber nichts daran, dass ich Arthur gern auf seiner Reise durch die Welt begleitet und seine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und der Gegenwart interessiert verfolgt habe.