Den Roman „Die kleine Souvenirverkäuferin“ von François Lelord hatte ich letztes Wochenende beim „Herbstlesen“ gelesen und sehr genossen. Eigentlich hatte ich in den dazugehörigen Beiträgen schon einiges über die Geschichte verraten, aber ich habe das Bedürfnis noch mehr zu dem Buch zu schreiben. Laut der Inhaltsangabe geht es in dem Roman um eine Liebesgeschichte zwischen einem französischen Arzt und einer vietnamesischen Souvenirverkäuferin, doch für mich war das Buch eher eine Liebeserklärung an Vietnam.
Der größte Teil der Handlung wird aus der Sicht von Julien erzählt. Julien ist ein relativ junger französischer Arzt, dessen Prinzipien verhindert haben, dass er in Paris Karriere in der Wissenschaft machte, und der deshalb einen Posten als Arzt in der französischen Botschaft in Hanoi angenommen hat. Jede Woche lernt er mit einer vietnamesischen Studentin die Landessprache und macht sich dabei nicht nur Gedanken über die gelernten Vokabeln, sondern auch darüber, was die Sprache und die Wörter über ein Volk aussagen.
Die titelgebende Souvenirverkäuferin Minh Thu (Herbstlicht) lernt Julien kennen, während sie illegalerweise am Ufer eines Sees in Hanoi Souvenirs verkauft, aber man bekommt auch ihre Sicht der Dinge mit, lernt ihre Familie kennen und die Umstände, die die junge Frau gezwungen haben in die Stadt zu gehen und Geld zu verdienen. Daneben gibt es auch noch Passagen aus der Perspektive eines schon älteren vietnamesischen Arztes und einer britischen Ärztin, die sich ebenso wie Julien in das Land (aber auch in den französischen Arzt) verliebt hat.
Den roten Faden bildet das Auftreten einer Virusinfektion, die zu Beginn der Geschichte zum Tod einer älteren Nonne führt. Schnell steht die Befürchtung im Raum, dass die Erkrankung der Nonne hochgradig ansteckend und tödlich wäre und man erlebt als Leser wie die vietnamesischen Entscheidungsträger diesen „Vorfall“ unter den Teppich kehren, während die Mediziner den Ursprung der Krankheit erforschen und natürlich eine weitere Ausbreitung verhindern wollen. Das Ganze klingt jetzt sehr dramatisch und es gibt auch weitere Todesfälle, aber eigentlich bildet es nur den Rahmen für Juliens Betrachtungen des Landes, seine Gedanken über die Personen, denen er begegnet, und auch sich selbst.
Julien selber ist mir nicht übermäßig sympathisch. François Lelord hat den Arzt so gestaltet, dass er anscheinend unwiderstehlich für Frauen ist, aber selber Probleme damit hat sich auf einen anderen Menschen einzulassen. Diese emotionalen Probleme werden mir etwas zu sehr thematisiert, aber immer auf eine sehr unaufgeregte Weise. Überhaupt ist der Roman sehr ruhig, sehr leise, sehr melancholisch, aber auch sehr liebevolle geschrieben. Man merkt, dass François Lelord Vietnam liebt und sich bemüht hat viele kleine atmosphärische Elemente in seine Geschichte einzubauen, die den Leser nicht unbeeinflusst lassen. Ich fand es sehr spannend nebenbei so viel über die Vergangenheit des Landes zu erfahren.
Einige Rezensenten haben kritisiert, dass Julien in dem Roman immer wieder auffällt, dass die Vietnamesen sehr in der Vergangenheit verhaftet sind und Ausländer bedauerlicherweise immer noch als „Kolonialherren“ wahrnehmen – während der Arzt selber regelmäßig eine Kolonialherrenmentalität durchschimmer lässt, obwohl er sich doch selber als so fortschrittlich und modern wahrnimmt. Ich persönlich sehe da keinen Widerspruch, sondern ein Spiel des Autors mit der Selbstwahrnehmung und dem eigentlichen Verhalten Juliens, aber eben auch einen Hinweise darauf, welche Probleme es gibt, wenn Menschen verschiedener Völker nach so vielen Jahren gemeinsamer, aber eben nicht gleichberechtigter Vergangenheit einen Umgang miteinander finden muss.
„Die kleine Souvenirverkäuferin“ gehört für mich zu den Romanen, bei denen die eigentliche Handlung fast irrelevant ist. Dafür habe ich es genossen all die kleinen und atmosphärischen Beschreibungen zu lesen, habe immer wieder innegehalten, um mir den See mit dem kleinen Teepavillon in Hanoi und die alten Kolonialbauten vorzustellen und mich über die vielen Nebenfiguren gefreut, die mir das Gefühl haben, ich könnte einen kleinen Blick in auf die vietnamesische Perspektive werfen.