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Astrid Lindgren und Louise Hartung: Ich habe auch gelebt – Briefe einer Freundschaft

Im vergangenen Jahr habe ich „Ich habe auch gelebt – Briefe einer Freundschaft“ zum Geburtstag bekommen. In diesem Buch wurde ein großer Teil der noch erhaltenen Briefe zwischen Astrid Lindgren und Louise Hartung (wenn auch zum Teil gekürzt) veröffentlicht, wobei die Briefe, die im Original zum Großteil auf Schwedisch (von Astrid Lindgren) und Deutsch (von Louise Hartung) geschrieben wurden, hier natürlich durchgehend übersetzt vorliegen. Kennengelernt haben sich Louise Hartung und Astrid Lindgren im Oktober 1953, als Louise Hartung im Rahmen ihrer Arbeit für das Berliner Jugendamt Astrid Lindgren für eine Rede einlud. Während der drei Tage, die Astrid Lindgren zu diesem Anlass in Berlin war, hat sie bei Louise Hartung gewohnt und die beiden Frauen haben – wenn man nach all den Verweisen in den Briefen auf diese Tage geht – eine intensive Zeit miteinander verbracht.

Ich fand die Briefe sehr faszinierend zu lesen – nicht nur, weil man durch sie sehr viel über Astrid Lindgren als Privatperson erfährt (deutlich mehr, als zum Beispiel durch ihre Tagebucheinträge), sondern auch, weil ich Louise Hartung als eine sehr spannende Person empfand, von der ich vor dem Lesen ihrer Briefe kaum etwas wusste. Es war sehr fesselnd, den Austausch diese beiden Frauen zu verfolgen, wobei die Themenvielfalt von ihrem Privatleben und ihren Gefühlen (Louise Hartung hat für Astrid Lindgren mehr als Freundschaft empfunden) über ihre Arbeit und Reisen bis zu den verschiedenen kulturellen Bereichen reichte. Immer wieder gibt es Verweise auf die damals aktuelle politische Lage, auf Bücher, die sich die beiden Frauen gegenseitig besorgt oder empfohlen haben, und auf die kleinen Alltäglichkeiten, die das Leben der Schreiberinnen ausmachten. Sehr lustig fand ich zum Beispiel mitzuverfolgen, wie die beiden eine Zeitlang fleißig Wein von Deutschland nach Schweden schmuggelten und welche Hindernisse das vor allem für Louise Hartung so mit sich brachte.

Interessant fand ich auch zu sehen, wie unterschiedlich die beiden Frauen waren. In Astrid Lindgrens Briefen kann man immer wieder von Melancholie lesen, von einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung angesichts der politischen Lage der Welt, von dem Bedürfnis, all den Anforderungen, die an ihre Person gestellt werden, gerecht zu werden und von ihrer Flucht in ihr Sommerhäuschen, wo sie Ruhe findet. Louise Hartung hingegen scheint sehr viel kämpferischer auf viele Widerstände reagiert zu haben als die Freundin, sehr viel fordernder gewesen zu sein, egal, ob es um ihr Privatleben oder ihren Beruf ging, und gerade deshalb hat sie wohl auch sehr viel in Bewegung setzen können. Auf der anderen Seite hat auch Louise Hartung eindeutig Zeiten gekannt, in denen sie verzweifelt war – weniger an der Welt, als an Astrid Lindgren, deren zurückhaltendes Verhalten sie wohl immer wieder als Abweisung ihrer Person interpretierte.

Für beide Frauen scheint diese Freundschaft zu Beginn nicht leicht gewesen zu. Während Astrid Lindgren mit den extremen Seiten der Freundin (die sich mal in einer Flut von Geschenken, mal in dem Vorwurf, ihre Gefühle für Louise wären nicht innig genug, äußerten) fertig werden musste, hatte Louise Hartung damit zu leben, dass ihre Liebe nicht auf die gleiche intensive Weise erwidert wurde und dass Astrid Lindgren ihre Freundschaft zwar sehr schätzte, aber nicht bereit war, die anderen Menschen in ihrem Leben zugunsten Louises zu vernachlässigen. Trotzdem haben beide Frauen ihre Freundschaft so sehr geschätzt, dass sie elf Jahre lang erstaunlich häufig und offenherzig Briefe ausgetauscht haben, und gerade in den letzten Jahren scheinen sie auch die Eigenheiten der anderen so weit akzeptiert zu haben, dass sie einander nur noch Unterstützung und Zuneigung entgegenbrachten. Und obwohl beide nicht gerade zurückhaltend in ihren Aussagen über andere Menschen waren, fand ich es auch spannend zu verfolgen, wie spitz einige Bemerkungen waren und wie viel schlagfertiger die Briefe wurden, je vertrauter sich die beiden Frauen waren.

Ich gebe zu, dass es sich auch ein wenig voyeuristisch anfühlt, die Briefe der beiden Frauen zu lesen. Auch wenn einige Schriftstücke von Louise Hartung nicht veröffentlicht wurden, um sie nach ihrem Tod nicht zu sehr bloßzustellen, so erfährt man doch so viel über das Leben, die Gedanken und Wünsche dieser vielseitigen und faszinierenden Frau. Es ist schon spannend, dass ich zu dem Buch griff, weil ich mehr über Astrid Lindgren – die ich aufgrund ihrer Bücher und der wenigen Reden und Artikel, die ich von ihr kenne, als kluge Frau empfinde – erfahren wollte und am Ende vor allem von der mir bis dahin fast unbekannten Louise Hartung so gefesselt war. Egal also, ob man sich für Astrid Lindgren an sich interessiert, Texte über eine ungewöhnliche Freundschaft verfolgen möchte oder grundsätzlich ein Interesse für die vielen Facetten des Lebens zweier Künstlerinnen hat, ich kann diese Briefe wirklich empfehlen. „Ich habe auch gelebt“ ist eine berührende, faszinierend, anregende und sehr fesselnde Lektüre, die mein ganz persönliches kleines Leben definitiv bereichert hat.

Noch etwas zur Aufbereitung der Briefe in der deutschen Ausgabe von Ullstein: Wie schon erwähnt, sind die Briefe ins Deutsche übersetzt, hier und da gibt es Verweise auf den originalen Wortlaut oder darauf, dass ein bestimmter Begriff aus einer zusammen erlebten privaten Situation (wie zum Beispiel einem gemeinsamen Urlaub) entstanden ist. Dazu kommt noch ein Vorwort von Jens Andersen und Jette Glargaard, die die Briefe ausgewählt und herausgegeben haben. Dieses Vorwort gewährt einem schon mal einen groben Überblick über das Leben der beiden Frauen und begründet, warum manche Passagen oder Schriftstücke ausgelassen wurden. Für mich war dies vor allem hilfreich, um Louise Hartungs Arbeit im „Amt“ einzuschätzen, weil ich nicht gerade viel Ahnung von dem Amtsaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und der Rolle des Berliner „Jugendamtes“ in Deutschland hatte.

Zwischen den Briefen findet man immer wieder Fotos von den beiden Frauen, Faksimiles von den Briefen oder Abbildungen von Dingen, die eine Rolle im Austausch zwischen Astrid Lindgren und Louise Hartung spielten, und in einem Nachwort von Antje Rávic Strubel wird noch einmal auf die Beziehung der beiden Frauen eingegangen. Während ich die Fotos sehr schön fand, kam mir das Nachwort ehrlich gesagt etwas überflüssig vor, da ich ja gerade erst diesen intensiven Briefwechsel gelesen und mir ein eigenes Bild gemacht hatte. Richtig geärgert habe ich mich allerdings über die „editorische Notiz“, in der unter anderem darauf verwiesen wird, dass die Fußnoten „für die bessere Lesbarkeit“ ans Ende des Buches gesetzt wurden. Was bitte ist an Endnoten besser lesbar? Keine dieser Anmerkungen war besonders lang (in der Regel gerade mal eine bis zwei schmale Zeilen), und ich hasse es, wenn ich mit zwei Lesezeichen arbeiten muss, um während des Lesens zu den Endnoten blättern zu können. Noch ärgerlicher wird es, wenn ich dann feststelle, dass die Fußnote nur auf eine frühere Anmerkung verweist, die ich noch gut in Erinnerung hatte, und ich deshalb ganz umsonst das Buch aus der Hand legen und blättern musste, während mich ein kurzer Blick zum Seitenende deutlich weniger gestört hätte.