Elizabeth Strout: Mit Blick aufs Meer

Ich habe keine Ahnung, wieso „Mit Blick aufs Meer“ von Elizabeth Strout auf meiner Vormerkliste gelandet ist. Vermutlich habe ich auf irgendeinem Blog eine Empfehlung gelesen, aber wo und wann das war, kann ich nicht mehr herausfinden (wenn jemand sich „schuldig“ fühlt, darf er sich gern melden). Die Autorin wurde für diesen Roman im Jahr 2009 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet, aber das hat mich definitiv nicht zum Lesen veranlasst. *g* „Mit Blick aufs Meer“ ist eine Sammlung von lose zusammenhängenden Kurzgeschichten, die kleine und oft eher alltägliche Begebenheiten schildern.

Verknüpft werden die Geschichten durch den Schauplatz Crosby, einen kleinen Ort an der Küste von Maine, und häufig kommt die pensionierte Mathematiklehrerin Olive Kitteridge in der Geschichte vor oder wird zumindest erwähnt. Neben der auf den ersten Blick eher alltäglich wirkenden Handlung ist allen Geschichten eine gewisse Melancholie gemein. Auch erscheinen nur wenige Charaktere wirklich sympathisch, aber dafür wirken sie stimmig und realistisch und in ihren – nicht gerade einfachen – Eigenarten sogar immer wieder liebenswert.

Olive zum Beispiel wird von den meisten Außenstehenden als furchteinflößend oder bestimmend wahrgenommen, und unrecht haben diese Personen mit ihrer Meinung bestimmt nicht. Oft genug steht die Frage im Raum, warum ihr sanfter und warmherziger Mann Henry sie überhaupt geheiratet und es all die Jahre mit ihr ausgehalten hat. Auf der anderen Seite kann man als Leser auch Olives Gedanken und Ängste miterleben – und so harsch sie auch über andere urteilt und so unhöflich sie auch in ihrem Benehmen ist, so kommt einem doch nicht selten der Gedanke, dass sie mit ihrem harten Urteil über andere vielleicht gar nicht so falsch liegt. Außerdem gibt es immer wieder die Momente, in denen sie überraschend aufmerksam handelt, in denen sie sich anderer Menschen annimmt und in denen einem klar wird, dass diese dicke alte Frau so gern gebraucht werden möchte.

Man erfährt viel von Olive und ihrem Henry, aber auch von ihrem Sohn Christopher (der Olive viele Vorwürfe über seine Kindheit zu machen hat) und vielen weiteren Bewohnern aus dem Ort. Doch Elizabeth Strout lässt bei all ihren Erzählungen – die voller genauer und atmosphärischer Beobachtungen sind – sehr viele Lücken, die vom Leser selbst geschlossen werden müssen. Wie es sich für eine klassische Kurzgeschichte gehört, überlässt die Autorin es einem selbst, die Geschichte weiterzuspinnen, sich zu fragen, ob eine junge Frau eine Arztpraxis in Brand setzen würde oder ob ein Paar bei aller Ungleichheit am Ende eine zufriedene Ehe führen wird. Diese kleinen Einblicke in das „ganz normale“ Leben dieser Charaktere erzählen von den verborgenen Sehnsüchten und Wünschen der Menschen, von den kleinen Sünden und schwarzen Gedanken, aber auch von der Liebe, die sie empfinden, und von den verschiedenen Momenten, durch die diese ausgelöst oder ins Bewusstsein gerückt wird.

Da der Roman aus so vielen Kurzgeschichten besteht, kann man zwischen den einzelnen Kapiteln gut eine Pause machen. Trotzdem habe ich das Buch innerhalb von zwei Tagen gelesen. Ich wollte wissen, wie es weitergeht, und auch wenn ich nun nicht mehr viele Namen auf die Reihe bekomme, so klingen in mir gerade so viele Figuren und Einzelschicksale nach. Durch die Fülle an Personen gibt es wohl für jeden Leser jemanden, mit dem man sich verbunden fühlen kann (solange man mit der unaufgeregten Erzählweise zurechtkommt) und leider muss ich anmerken, dass mir die erste Geschichte fast am wenigsten zugesagt hat, so dass ich den Einstieg etwas schwierig fand. Aber nach dem Beenden von „Mit Blick aufs Meer“ freue ich mich sehr darüber, dass ich irgendwie auf dieses Buch aufmerksam wurde und einige Stunden mit Olive und ihren Nachbarn, ihren kleinen und großen Geschichten und vor allem mit der Sprache und all den Beobachtungen von Elizabeth Strout verbringen konnte.

12 Kommentare

  1. hm, klingt nicht schlecht. Mal gucken, ob mir der Titel oder die Autorin mal über den Weg läuft.

  2. Ich würde das Buch nicht lesen, wenn ich gerade deprimiert bin. Und nachdem es heute eine nicht so schöne familiäre Nachricht gab, lag mir die letzte Geschichte etwas im Magen, aber ansonsten ist es wirklich ein lesenswerter Roman! 🙂

  3. Möglicherweise haben wir beide über das Buch gesprochen, ich habs lange gejagt und dich vielleicht mal danach gefragt? Inzwischen hab ichs auf dem Flohmarkt ergattert, aber noch nicht gelesen – und deine Rezension macht mir irgendwie auch nicht so wirklich Lust darauf …

  4. @Irina: Ne, ich glaube nicht, dass wir uns darüber unterhalten haben. Das Buch kam recht schnell nach dem Vormerken bei mir an und wir haben uns schon ein bisschen länger nicht mehr über Romane ausgetauscht. Oh, und ich glaube nicht, dass die Geschichten etwas für dich sind. Könnte mich natürlich auch täuschen, aber spontan würde ich dir davon abraten.

  5. Das Buch ist aber doch schon "uralt", von 2009 oder 2010 oder so? Wo auch immer du es entdeckt hast, ich freu mich, dass du es gelesen hast und ich es nun nicht mehr lesen muss. 😀

  6. Es gibt halt dann doch noch ein paar Blogger, die auch alte Bücher besprechen. 😉

    Hihi, so kann man es auch sehen! 😀

    P.S.: Mein Mann plant gerade sich den 14. frei zu nehmen, damit er am 13. nach der Arbeit mit mir ins Kino gehen kann. Jetzt müssen wir nur noch die Daumen drücken, dass VM auch wirklich hier vor Ort läuft. 😀

  7. Darum gings mir nicht, ob alte Bücher besprochen werden, sondern darum, dass bei einem ET 2010 durchaus möglich ist, dass wir drüber gesprochen haben. Denn DAMALS haben wir uns ja noch ständig über Bücher ausgetauscht. 😀

    Was Veronica Mars angeht: Ich hab noch nicht rausgefunden, ob der Film auch hier in Köln läuft. Ich bin aber auch total unbedarft, was das angeht … *eek*

  8. Wenn wir 2010 darüber gesprochen haben, dann habe ich das aber definitiv wieder vergessen und es war nicht der Grund für die Vormerkung. Denn die mache ich ja immer zeitnah. *g*

    Wir versuchen gerade das herauszufinden, es ist erstaunlich schwierig Informationen zum Kinoprogramm der nächsten Woche angezeigt zu bekommen. Da merke ich mal wieder, wie lange ich nicht mehr im Kino war (oder wir haben in unserer Stadt die falschen Kinos).

  9. Ich finde das unfassbar! Früher habe ich auf die Seite des Kinos geguckt, mir das Programm der nächsten zwei Wochen anzeigen lassen und meinen Kinobesuch geplant. Geht aber so wohl nicht mehr … dafür laufen heute in 90% der Kinos die gleichen Filme, die mich nicht interessieren.

  10. @Hermia: Ich fand es sehr nett und könnte mir vorstellen, dass es dir auch gefällt. Allerdings würde ich das Buch wirklich nur empfehlen, wenn du gerade nicht deprimiert bist, weil einige der Geschichte etwas desillusionierend wirken. 🙂

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