[Figurenkabinett] Lord Peter Death Bredon Wimsey

In Lord Peter Wimsey habe ich mich schon verliebt, da las ich eigentlich noch keine Kriminalromane (schließlich war ich mir – dank der Fernsehvorliebe meiner Mutter – ganz sicher, dass Krimis schrecklich blutige und furchteinflößende Geschichten beinhalten). Keine Ahnung, ob die Kurzgeschichtensammlung, die mich mit diesem ganz besonderen Detektiv vertraut gemacht hat, meinem Vater oder meiner Schwester gehört hat, auf jeden Fall hat mich dieses Buch viele Jahre lang begleitet und den Grundstein für meine Vorliebe für Lord Peter Wimsey gelegt.

Ich weiß gar nicht, was mich mehr für diesen Mann eingenommen hat, seine Intelligenz, seine Neugier, seine Leidenschaft für Bücher oder sein Charme, aber Lord Peter Wimsey hat – trotz diverser Macken – einen festen Platz in meinem Herzen. Als zweiter Sohn eines Herzogs scheint Lord Peter eine wirklich angenehme Jugend gehabt zu haben, auch wenn er mit seinem eher bodenständigen großen Bruder Gerald recht wenig gemein hatte. 1912 machte Lord Peter seinen Abschluss in Geschichte am Balliol College in Oxford, und ich möchte wetten, dass sein Leben recht entspannt verlaufen wäre (soweit man das bei einem so energiegeladenen  Menschen sagen kann), wenn nicht der Erste Weltkrieg gekommen wäre.

In dieser Zeit arbeitete er für den Britischen Geheimdienst, was auch zu seiner Leidenschaft für die Detektivarbeit führte. Doch auch wenn seine Intelligenz durch diese Tätigkeit gefordert wurde, so nahm der junge Mann (damals war er Mitte zwanzig) seelischen Schaden. Es gibt so einige Szenen, in denen sein Diener Mervyn Bunter – den Lord Peter als Soldat kennengelernt hatte – sich um seinen Arbeitgeber kümmern muss, weil dieser von den Erinnerungen an den Krieg heimgesucht wird. In seinen guten Zeiten scheint Lord Peter das Leben aber eher wie ein großes Spiel zu sehen, sucht und genießt die Herausforderungen, die ihm ein kniffeliger Kriminalfall bietet, dient immer wieder seinem Land in diplomatischer Mission und hat seine Finger in allerlei Geschäften drin.

Angenehm finde ich es auch, dass er – vor allem für einen Mann seiner Schicht – so vorurteilslos ist. Obwohl sich die Gesellschaft zu seiner Zeit gerade erst ändert, gibt es doch immer noch gewisse Standesdünkel (welche bei seinem Bruder Gerald und dessen Frau Helen auch sehr deutlich zu Tage treten). Aber Lord Peter kratzt das eher weniger, und so ist er es auch, der die Beziehung zwischen seiner jüngeren Schwester Mary und seinem bürgerlichen Freund Inspektor Charles Parker fördert. Ebenso trifft man ihn immer wieder in „unpassender“ Gesellschaft, in der er sich sehr wohl zu fühlen scheint, oder wird als Leser überrascht, wenn man von seinen ungewöhnlichen Engagements und Ideen wie dem „Katzenhaus“ (siehe „Keines natürlichen Todes“) erfährt. Einzig Lord Peters Neigung zu französischen Zitaten stört mich, vor allem, weil ich kein einziges Wort dieser Sprache verstehe. Aber zum Glück sind diese Passagen nicht zum Verstehen der Handlung notwendig und können bei Bedarf übersprungen werden.

Die Kriminalgeschichten rund um Lord Peter Wimsey sind von Dorothy L. Sayers sehr abwechslungsreich gestaltet worden. Mal muss sich der Detektiv mit der Frage beschäftigen, wie eine nackte – wenn auch mit einem Zwicker ausgestattete – Leiche in die Badewanne eines prüden Architekten kommt, mal gleichzeitig seinen erzkonservativen Bruder Gerald und seine rebellierende Schwester Mary vom Mordverbracht befreien oder herausfinden, wie während eines Wechselläutens ein Mann zu Tode gekommen sein könnte. Ich mag eigentlich alle Fälle des sympathischen Lords, doch besonders häufig lese ich „Mord braucht Reklame“, „Aufruhr in Oxford“ und „Hochzeit kommt vor dem Fall“ – vielleicht, weil man Lord Peter Wimsey da von einer persönlicheren Seite kennenlernt.

Als ich dieses Figurenkabinett vorbereitete, musste ich übrigens zu meinem großen Erschrecken feststellen, dass die meisten Lord-Peter-Wimsey-Romane zur Zeit gar nicht verfügbar sind. Ich hoffe sehr, dass es bald eine Neuauflage dieser Bücher gibt. Bis dahin werdet ihr bei Interesse bestimmt in der Bibliothek fündig.

Lord-Peter-Wimsey-Romane von Dorothy L. Sayers (nach englischem Erscheinungsdatum sortiert):

  1. Der Tote in der Badewanne (Whose Body?, 1923)
  2. Diskrete Zeugen (Clouds of Witness, 1926)
  3. Keines natürlichen Todes (Unnatural Death, 1927)
  4. Ärger im Bellona-Club (The Unpleasantness at the Bellona Club, 1928)
  5. Starkes Gift (Strong Poison, 1929)
  6. Fünf falsche Fährten (Five Red Herrings, 1931)
  7. Zur fraglichen Stunde (Have His Carcase, 1932)
  8. Mord braucht Reklame (Murder Must Advertise, 1933)
  9. Der Glocken Schlag (The Nine Tailors, 1934)
  10. Aufruhr in Oxford (Gaudy Night, 1935)
  11. Hochzeit kommt vor dem Fall (Busman’s Honeymoon, 1937)

Bei den deutschen Titel habe ich die verwendet, die meine Ausgaben haben, aber einige Romane sind auch unter anderen Titeln auf deutsch erschienen.

Außerdem sind vor einigen Jahren zwei Romane erschienen, die von Jill Paton Walsh nach Notizen von Dorothy L. Sayers geschrieben wurde:

– In feiner Gesellschaft (Thrones, Dominations, 1998)
– Mord in mageren Zeiten (A Presumption of Death, 2002)
–  (The Attenbury Emeralds, 2011)

Meine Vorurteile haben mich aber bislang davon abgehalten, diese neuen Geschichten zu lesen. 😉

33 Kommentare

  1. Das paßt ja – über Lord Wimsey habe ich heute gerade einiges im Vorwort zu "Mord" von Mary Hottinger erfahren 🙂 Von Sayers ist in der Sammlung sogar auch eine Geschichte enthalten ("Das Spiegelbild") – dann bin ich also mal gespannt!

  2. *seufz*
    Du kannst es nicht lassen, nicht wahr, Winterkatze?!

    Ich war gerade im Onlinekatalog einer "meiner" Büchereien – Onleihe ist nirgendwo etwas, aber ich habe Printausgaben gefunden… wenn auch nicht den ersten Roman, aber "Keines natürlichen Todes" sowie z.B. "Der Mann mit den Kupferfingern und andere Lord Peter Geschichten"

  3. @Kiya: Lustig, dass du gerade über Lord Peter gestolpert bist. 🙂 "Das Spiegelbild" ist nicht gerade eine der besten Kurzgeschichte von Dorothy L. Sayers, aber immerhin kommt Lord Peter darin vor. 🙂

    @Natira: Das ist ein unstillbarer Drang, ich kann es einfach nicht unterdrücken. 😉 Oh, in "Keines natürlichen Todes" kommt eine meiner Lieblingsfiguren vor. Viel Spaß! 🙂

  4. Krimis von Dorothy L. Sayers möchte ich eigentlich schon seit Jahren lesen, aber irgendwie vergess ich immer darauf. Dabei wurde mir von Lord Peter Wimsey schon so oft vorgeschwärmt. *lach*
    Demnnächst muss ich wohl wirklich mal in der Bücherei nach einem Krimi von Sayers Ausschau halten.

  5. @Neyasha: Ich bin mir sicher, dass so ein Sayers-Krimi auch hervorragend mindestens ein Themengebiet deiner Challenge abdecken würde. 😉

    Lord Peter Wimsey gehört einfach zum britischen Krimi, den sollte man wirklich mal kennenlernen. 🙂 Viel Erfolg in der Bücherei!

  6. Oh, schön, daß du mich an Lord Peter Wimsey erinnert hast 🙂 Ich habe bisher nur einige Kurzgeschichten gelesen, die ich sehr gut fand, und will mich unbedingt mal an die Romane wagen.

  7. @Susi: Schön, dass ich dir die Krimis wieder in Erinnerung rufen konnte. 🙂 Lord Peter ist immer einen Griff zum Buch wert – sogar dann, wenn man die Geschichten schon kennt. 🙂

  8. Hach, Lord Peter Wimsey…

    Die Romane lese ich seit ich 12 bin oder so fast jedes Jahr wieder. Und ich habe die gleichen Lieblinge wie du.

    (Und deine Schwester lässt ausrichten, dass sie ihren Kurzgeschichtenband nicht wiederbraucht, weil sie sich die ganze Chose nochmal auf Englisch gekauft hat…)

  9. Ach ja, die beiden neuen Romane von Jill Paton Walsh kann ich auch empfehlen. Sie kommen zwar nicht ganz and die Geschichten von Sayers ran, aber schlecht sind sie nicht.

    Den dritten, "The Attenbury Emeralds", habe ich hier liegen, aber noch nicht gelesen.

  10. @Susanne: Von dem dritten Titel wusste ich noch gar nichts, ich habe den mal in meiner Liste ergänzt. 🙂 Ich fürchte, ich bleibe skeptisch. Aber wer weiß, vielleicht kommt der Tag, an dem ich einen unstillbaren Bedarf nach britischen Krimis habe oder die Neugier doch größer ist als die Vorurteile …

    Ich glaube, ich war acht oder neun, als ich die ersten Kurzgeschichten gelesen habe. Was beweist, dass ich einen großartigen Geschmack als Kind hatte! *kicher*

    Was den Kurzgeschichtenband angeht: Nach so vielen Jahren gehört er aufgrund von Gewohnheitsrecht eh mir. 😉 Wenn meine Schwester ihn hätte wiederhaben wollen, dann hätte sie zwanzig Jahre früher fragen müssen! 😀

  11. Ich bin ja nicht wirklich so der Krimi-Fan, aber sogar ich habe in meiner Jugend Lord Peter Wimsey gelesen.

    LG,

    Heike

  12. @Heike: So einen Klassiker sollte man auch einfach mal ausprobiert haben. 🙂 Jetzt frage ich mich natürlich, ob du Harry Dresden trotz oder vielleicht sogar gerade aufgrund des Krimianteils magst. ;D

  13. Ich hab die Wimsey-Bücher vor etwa 20 Jahren ausprobiert, nachdem ich mit den Christies durch war und nach Nachschub gesucht habe, aber ich bin gar nicht warm geworden mit Lord Peter und Sayers' Schreibweise. Irgendwie war mir das damals alles zu antiqiuert und dröge – wer weiß, ob ich das heute nicht anders sehen würde.

  14. @Irina: Die Schreibweise ist schon anspruchsvoller als bei einem Christie-Roman, vielleicht hat das bei dir den drögen Eindruck hervorgerufen. Ansonsten solltest du vielleicht einfach mal einen erneuten Versuch wagen, um herauszufinden, ob dein Urteil heute noch so wäre. 🙂

  15. Der Krimianteil schadet Harry Dreden sicherlich nicht. Mehr gefällt mir aber das Tempo der Stories, das einen ziemlich in Atem hält und natürlich der Charakter.

  16. Glaubst du, dass eine "anspruchsvollere" Schreibweise von mir mit antiquiert und dröge gleichgesetzt wird? 😉

    Ich weiß gar nicht, ob ich die beiden Wimsey-Bücher, die ich damals zu Testzwecken gekauft habe, überhaupt noch hier habe; ich glaub nicht. Aber spannend wär's schon zu wissen …

  17. @Heike: Ja, das Tempo und die Charaktere sind eindeutig Butchers Stärke. 🙂

    @Natira: Siehst du, ich bin fast unschuldig! 😀

    @Irina: Weiß ich, wie du vor zwanzig Jahren über so einen Schreibstil gedacht hast?! 😀 Wenn dir auf dem Flohmarkt mal "Mord braucht Reklame" über den Weg läuft, dann kannst du ja noch einen Versuch mit den Büchern machen. 🙂

  18. @Mikage: Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert, auch wenn er kein Holmes ist. Aber Krimiklassiker sollte man immer antesten! 😉

  19. Beate Sauer

    Liebe Winterkatze,

    ach, dass Lord Peter auch einmal für den britischen Geheimdienst arbeitete, habe ich ganz vergessen. Danke für den Hinweis und schön, dass Du auch ein Fan von ihm bist, bzw. Dich auch ein bisschen in ihn verliebt hattest 😉 . Ich finde es auch sehr schade, dass im Moment viele der Lord-Peter-Romane auf Deutsch nicht mehr zu bekommen sind. Wobei ich nach wie vor sehr froh über diese Übersetzungen von Otto Beyer aus den 80er Jahren bin. Ohne diese Übersetzungen hätten mich die Geschichten wahrscheinlich nicht so gepackt. In ihnen kommt – finde ich – Lord Peters Esprit so richtig zum Funkeln. Im Vergleich fand ich die älteren Übersetzungen bei "Scherz" immer ganz furchtbar. Meine Leiblingsbücher sind auch "Aufruhr in Oxford", dann "Der Glockenschlag" und "Starkes Gift".

    Liebe Grüße

    Beate

  20. Gern geschehen, liebe Beate! Lord Peter begleitet mich schon so lange – ohne ihn wäre ich wohl so schnell nicht den britischen Krimis verfallen und mein (Leser-)Leben wäre deutlich ärmer verlaufen. Zum Glück kenne ich nur die von dir erwähnten Übersetzungen und hatte nie die Scherz-Ausgaben in den Händen, aber wenn ich nach anderen Geschichten gehe, die beim Scherz-Verlag veröffentlicht wurden, dann befürchte ich das Schlimmste!

    "Der Glockenschlag" gefällt mir auch, ist aber vom Grundthema her so speziell, dass ich nur selten spontan zu dem Titel greife. "Starkes Gift" hingegen ist immer wieder toll zu lesen! 🙂

  21. Beate Sauer

    Liebe Winterkatze,

    ich habe gerade mal "Der Mann mit den Kupferfingern", "Figaros Eingebung" und "Der Mann im Spiegel" nach der Geschichte "Das Katzenhaus" durchblättert, habe sie aber leider nicht darin gefunden. Ist sie eventuell in einem anderen Band mit Kurzgeschichten von Dorothy Sayers erschienen?

    Liebe Grüße

    Beate

  22. Liebe Beate,

    "das Katzenhaus" ist das sogenannte Schreibbüro, das von Lord Peter unterhalten wird und das immer wieder Erwähnung findet, wenn er eine unauffällige und/oder ältere Frau benötigt, die an seiner Stelle ermittelt. Es tut mir leid, wenn ich dich damit auf die falsche Spur geführt habe!

  23. Beate Sauer

    Liebe Winterkatze,

    ah ja, genau, in dem Buch "Keines natürlichen Todes" gibt es doch so eine ältere Dame, die in Lord Peters Auftrag ermittelt … Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, hat diese Dame dann auch noch mal einen Auftritt in "Starkes Gift". Ich hatte nicht mehr präsent, dass er selbst dieses "Büro" unterhält. Ich muss wirklich mal wieder mehr von den Romanen lesen 😉 . Jedenfalls fand ich diese besagte ältere Dame auch eine ganz wunderbare Figur.

    Liebe Grüße

    Beate

  24. Ja, genau! Diese ältere Dame ist wunderbar – und ich komme einfach nicht mehr auf ihren Namen (und habe meine Romane immer noch in Umzugskartons gestapelt und kann nicht nachgucken), sonst hätte ich mich direkter auf sie bezogen. *g*

  25. Miss Climpson. (Ist der Name der ältlichen Jungfer, die für Lord Peter ermittelt und die später das "Katzenhaus" leitet.)

    Ja, ich bin ein schrecklicher Lord-Peter-Fan.

  26. Ah, danke! Miss C-irgendwas hatte ich auch, aber ich bin immer mit Agatha Christies Sir Henry Clithering durcheinander gekommen – wusste aber, dass das nicht stimmen konnte.

    (Susanne, du hast aber auch den Vorteil, dass du deine Lord-Peter-Wimsey-Romane gleich in zwei Sprachen bei der Hand hast! 😉 )

  27. Das stimmt, aber ich habe nicht in den Büchern nachgeschaut. Habe mich an den Namen so erinnert und dann bei Wikipedia überprüft…

  28. Bin gerade via Beate Sauer zu Deinem Post gekommen. Peter Wimsey ist auch einer meiner Lieblingsdetektive. Spannend finde ich das "Lokalkolorit" der damaligen Zeit. Ich habe eher Probleme mit lateinischen Zitaten, da reicht das Schullatein nicht mehr aus!
    Das vervollständigte Romanfragment "In feiner Gesellschaft" hatte meine Lieblingsbibliohek, ich habe da auch gewisse Vorbehalte, mal sehen, wieviel Sayers da noch drin ist.
    LG, Mirabell

  29. @Mirabell: Schön, dass du den Weg zu meinem Blog gefunden hast! 🙂 Die Zeit ist wirklich faszinierend und mir fällt immer wieder auf, dass so einige meiner Lieblingskrimis genau in diesen Jahren spielen. Da macht sich wohl wieder bemerkbar, dass Krimis so eine wunderbare Möglichkeit zur Darstellung der jeweiligen Gesellschaft sind.

    Sehr gut war ich in Latein zwar nie (die deshalb gedrehte Ehrenrunde verschweige ich wohl bessre 😉 ), aber für Zitate reicht es komischerweise noch. Sogar italienische Satzfragmente kann ich in der Regel grob verstehen – aber bei Französisch bin ich vollkommen aufgeschmissen.

    Hast du inzwischen "In feiner Gesellschaft" angefangen? Und wenn ja, wie gefällt es dir?

    (Ich habe gerade mal einen Blick auf deinen Blog geworfen und bin hingerissen von deinen selbstgenähten Sachen!)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert