Schlagwort: Figurenkabinett

[Figurenkabinett] Connwaer

Connwear (Conn) habe ich im April 2011 kennengelernt, als ich mir spontan das Buch „Der magische Dieb“ von Sarah Prineas aus der Bibliothek ausgeliehen hatte und auf den ersten Seiten miterleben durfte, wie der junge Dieb in einer bitterkalten Nacht einem Magier seinen Fokusstein aus der Tasche zog. Eigentlich hatte Conn ja darauf gehofft, etwas erbeuten zu können, das sich verkaufen lässt. Stattdessen sieht er sich kurz darauf dem irritierten Magier Nevery Finnglas gegenüber, der wissen will, wieso der Junge den Stein überhaupt anfassen konnte, ohne sofort zu sterben. Für Conn bringt diese Begegnung eine große Wende in seinem Leben, da er von diesem Tag an – erst als Angestellter, später als Lehrling – bei Nevery unterkommt.

Doch trotz all der Veränderungen, die in den kommenden Monaten auf Conn zukommen, bleibt er doch im Inneren lange Zeit ein Gassenjunge und Dieb, und so ist es nicht verwunderlich, dass er in der Gesellschaft der Magier regelmäßig aneckt. Nach so vielen Jahren, die er – nach dem Tod seiner Mutter – auf den Straßen überleben musste, ist es für Conn ein überwältigendes Gefühl, endlich ein Zuhause zu haben, in dem es (relativ) warm und trocken ist, in dem er regelmäßige Mahlzeiten bekommt und in dem er zum Lernen angehalten wird. Doch ganz kann er die Straße nicht hinter sich lassen, und so wird er auch nach seinem Einzug bei Nevery vom „Underlord“ (dem Herrscher über den armen Teil der Stadt Wellmet) gejagt, von den Magiern und wohlhabenden Bürgern misstrauisch beäugt und immer wieder beschuldigt, etwas gestohlen zu haben. Letzteres leider nicht immer zu unrecht, auch wenn Connwear in der Regel sehr gute Gründe hat, wenn er wieder zum Dieb wird.

Einzig in der Schülerin Rowan findet Conn schnell eine Freundin, die bereit ist, erst einmal seine Seite einer Geschichte zu hören, bevor sie über einen Vorfall urteilt. Diese Freundschaft mit Rowan hält durch all die Abenteuer hinweg, die Connwear im Laufe der Zeit erlebt. Rowan, der Magier Nevery und dessen – auf den ersten Blick furchterregender – Angestellter Benet sind die einzigen, die Conn zur Seite stehen, als es darum geht, die Magie Wellmets zu retten. Immer wieder kommt es in den vier Romanen rund um Connwear zu Vorfällen, bei denen die Magie und damit auch die Stadt selbst angegriffen oder von feindlichen Mächten übernommen werden soll, was zum Teil zu herzzerreißenden Szenen in den Geschichten führt. Mitzuerleben, wie Conn aufgrund der Umstände immer wieder von Neuem einsam, hungrig und ängstlich in den Straßen der Stadt zu überleben versucht, während er gleichzeitig der Einzige ist, der eine bestimmte Aufgabe übernehmen kann, hat mich beim Lesen stellenweise schon mitgenommen. Auf der anderen Seite gibt es so viele wohlige und amüsante Momente in den Geschichten rund um den jungen Dieb, dass die Bücher von Sarah Prineas für mich eindeutig in die Kategorie Wohlfühlbuch gehören.

Ich mag an Conn vor allem seinen Enthusiasmus und seine Hartnäckigkeit. Er liebt es, neue Dinge zu lernen, auch wenn er oft genug so sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt ist, dass er einen Teil seiner Lektionen verpasst. Schlösser (und wie man sie knackt) gehören ebenso zu seinen Leidenschaften, und über die ganze Zeit hinweg, die man sein Leben verfolgt, verliert er doch nie ganz den Blick eines Diebes. Betritt er einen Raum, dann schaut er sich nicht nur den Zugang mit den Augen eines Einbrechers an, sondern schätzt automatisch auch den Wert der Dinge, die er sieht. Er ist ein loyaler Freund und stellt das Wohl seiner Stadt regelmäßig über sein eigenes. Doch vor allem liebe ich es, mitzuerleben, wenn er eine Theorie in die Tat umsetzt, wenn er recherchiert und experimentiert – gerade weil Letzteres oft nicht ganz zu den Ergebnissen führt, die Connwear sich erhofft hat.

Die fantastische Welt, in der Conn lebt, scheint – ebenso wie die Stadt Wellmet – von der Autorin auf den ersten Blick nicht ganz so überzeugend gestaltet worden zu sein. Es gibt zu große Unterschiede zwischen den beiden Hälften der Stadt, die durch einen Fluß geteilt wird, zu viel Elend auf der einen Seite und zu viel Luxus auf der anderen Seite, aber überraschenderweise klärt sich auch das im Laufe der Romane stimmig auf. Wer also Lust auf gut geschriebene fantastische Jugendbücher mit einem sympathischen Protagonisten, liebenswerten Nebenfiguren, einer besonderen Magieform, Explosionen, Vögeln, Katzen und Drachen hat, sollte definitiv einen Blick in die Bücher von Sarah Prineas werfen.

Leider haben es nicht alle Titel rund um Connwear zu einer deutschen Übersetzung gebracht, und die beiden deutschen Ausgaben aus dem cbj-Verlag gibt es auch nur noch gebraucht, aber das sorgt immerhin dafür, dass man sie sehr günstig erwerben kann. Was die englischen Veröffentlichungen angeht, so bietet sich „The Magic Thief Complete Collection“ an, bei der man die vier Romane plus die dazugehörige Kurzgeschichte sehr günstig als eBooks bekommt.

Der magische Dieb/The Magic Thief von Sarah Prineas:

1. The Magic Thief (Der magische Dieb – Auf der Jagd nach dem Stein der Macht)
2. The Magic Thief: Lost (Der magische Dieb – Auf der Spur der silbernen Schatten)
3. The Magic Thief: Found
4. The Magic Thief: Home

Die Kurzgeschichte „The Magic Thief: A Proper Wizard“ wurde in der Gesamtausgabe zwischen Band 3 und 4 platziert, aber ich würde sie erst nach „The Magic Thief: Home“ lesen, weil es doch das eine oder andere kleine Element darin gibt, das einem Hinweise auf den Verlauf der Geschichte des vierten Romans gibt.

[Figurenkabinett] Emily D. Seeton

Vor fast vier Jahren erschien mein letzter Beitrag zum „Figurenkabinett“, was eindeutig viel zu lange her ist. Nachdem ich aber gleich an meinem ersten Tag in der neuen Wohnung passende Kandidaten für diese Kategorie gefunden habe, als mein Mann einen schon älteren Bücherkarton auspackte, der beim Umzug wohl eine Ladung Wasser abbekommen hatte – wie auch immer, da es an dem Tag nicht regnete -, gibt es hier endlich wieder eine Figurenvorstellung. (Die Bücher sind zum Glück trocken geblieben.)

Über Miss Seeton bin ich vor ungefähr siebzehn Jahren gestolpert, als ich einen Roman mit ihr auf einem Wühltisch fand. Kurz darauf habe ich mir alle noch verfügbaren Titel geholt, die ich bekommen konnte, was leider nur drei weitere Bücher waren. Ich bin mir nicht sicher, wie viele Krimis überhaupt damals mit Miss Seeton ins Deutsche übersetzt wurden, vermute aber, dass Econ sich damals auf die fünf Romane beschränkt hat, die von Heron Carvic, dem Erfinder von Miss Seeton, geschrieben wurden, statt auch die weiteren 17 Bände (geschrieben von Roy Peter Martin als Hampton Charles und Sarah J. Mason als Hamilton Crane) auf den Markt zu bringen.

Miss Seeton ist eine wunderbar naive Protagonistin, die sich zu Beginn der Serie darauf freut, dass sie genügend angespart hat, um sich in dem kleinen Häuschen ihrer verstorbenen Patentante zur Ruhe zu setzen, statt weiterhin als Kunstlehrerin ihr Brot zu verdienen. Sie ist eine altmodische und bescheidene ältere Dame, deren Fähigkeiten als Lehrerin größer sind als ihre Begabung als Künstlerin. Nur ganz selten überkommt sie ein Impuls, und dann malt und zeichnet sie Bilder, die mehr zeigen, als Miss Seeton beabsichtigt hatte. Sie selbst ist von diesen Kunstwerken mehr irritiert, als dass sie sich darüber freuen kann, schließlich erschafft sie diese Bilder in Momenten, in denen sie sich nicht mehr – wie es sich für eine Dame gehört – unter Kontrolle hat. Erst als sie zufällig über einen Kriminalfall stolpert und im Rahmen der Ermittlungen an Inspector Delphick gerät, erkennt dieser, dass Miss Seetons besondere Bilder immer einen entscheidenden Hinweis auf die Lösung des Falls beinhalten.

Miss Seeton ist mir sehr ans Herz gewachsen, und die Geschichten mit ihr zu lesen macht mich glücklich (auch wenn das angesichts der vielen Leichen in den Romanen etwas seltsam klingt). Die ältere Lehrerin ist eine sanfte Dame, die von den meisten Menschen nur das Beste annimmst und selbst für schlechtes Benehmen – welches sie als überaus unangenehm empfindet – eine Entschuldigung zu finden versucht. Nur manchmal ist ihre Empörung so groß, dass sie aus einem Impuls heraus ihren Regenschirm zückt und etwas tatkräftiger eingreift. So auch an dem Abend, an dem sie in London eine Oper besucht hat und dann miterlebt, wie ein junger Mann im Streit seine Begleiterin in die Seite boxt. Da so ein Benehmen nicht toleriert werden kann (obwohl die junge Frau sich zuvor eindeutig nicht gerade damenhaft ausgedrückt hat), pikst Miss Seeton den Mann mit ihrer Schirmspitze – ohne zu wissen, dass sie gerade Zeugin eines Mordes wurde. Während die Polizei alles tut, um ihre einzige Augenzeugin zu schützen, begreift Miss Seeton so gar nicht, dass sie in Gefahr sein könnte.

„… die kleine Wohnung quoll doch beinah über [vor Polizisten] – und sie wollten alles nachprüfen und fragten ständig, ob alles an Ort und Stelle wäre. Gott sei Dank fehlte nichts. Nur vielleicht das Küchenfenster. Natürlich fehlte es nicht, es war bloß offen. Ob sie nicht doch vielleicht vergessen hätte, es zuzumachen? Sie konnte sich nicht erinnern, es vergessen zu haben. Jedenfalls fanden die Polizisten das interessant, und sie wollten unbedingt abstauben, wegen der Fingerabdrücke, obwohl man eigentlich nicht von „Abstauben“ reden kann, wenn überall Puder verstreut und alles schmutzig gemacht wird. Der eine Beamte war sogar auf die Feuerleiter hinaus gestiegen und hatte da draußen rumgepudert. Aber anscheinend waren nirgends Fingerabdrücke, nicht einmal ihre eigenen; das nannten sie „säuberlich abgewischt“, was ja sehr zufriedenstellend klang. Demnach musste sie das Küchenfenster doch vergessen haben.“ („Miss Seetons erster Fall“, S. 25-26, Econ Verlag)

Wie man diesem Ausschnitt entnehmen kann, ist Miss Seeton nicht gerade eine geniale Ermittlerin und ihre Menschenkenntnis ist auch nicht unbedingt ausgeprägt. Trotzdem hat sie – gerade beim Zeichnen – immer wieder Momente, in denen sie Eigenschaften an Personen festhält, die anderen Menschen nicht aufgefallen sind oder die sie nicht in Worte hätten kleiden können. So ist sie nicht wie so viele andere britische ältere Kriminalromanheldinnen diejenige, die aktiv an einem Fall arbeitet, sondern eher jemand, der durch Zufall, Pflichtbewusstsein und viele guten Absichten über Dinge stolpert, die den Polizisten Hinweise auf ihre aktuellen Fälle geben. Oder wie der Vorgesetzte von Inspektor Delphick es ausdrückt: Miss Seeton dient als Katalysator. Durch ihre Anwesenheit und ihre Sicht auf die Dinge kommt ein Fall in Bewegung und die Polizisten bekommen eine neue Perspektive auf die Kriminalfälle, in denen sie nicht weiter wissen.

Dass diese Mischung aus Naivität, Zufällen und ernsthafter Kriminalarbeit sehr amüsant zu lesen ist, muss ich vermutlich gar nicht erst betonen. Ich kichere jedenfalls beim Lesen ständig vor mich hin und genieße all die Missverständnisse zwischen Miss Seeton und ihrer Umgebung sehr. Ein bisschen zu extrem ist mir hingegen das Dorf dargestellt, in dem Miss Seeton (anfangs nur während der Schulferien) lebt. Dort gibt es eine große Neigung zu Klatsch und Tratsch – was ja zu erwarten war, aber hier mischt sich dazu auch noch eine große Boshaftigkeit von Seiten einiger Beteiligter, so dass aus kleinen Ereignissen schnell riesige Gerüchte entstehen, die hemmungslos verbreitet werden und in denen immer das Unwahrscheinlichste und Schlimmste über eine Person gesagt wird. Zum Glück bleibt der Autor bei diesen Szenen häufig vage genug, so dass man als Leser zwar grob weiß, welche Gerüchte im Dorf unterwegs sind, aber nicht alle rufschädigenden Gespräche im Detail mitbekommt.

Die deutschen Ausgaben der Miss-Seeton-Romane gibt es nur noch gebraucht, was aber auch bedeutet, dass diese Bücher für ein paar Cent zu bekommen sind. Außerdem habe ich festgestellt, dass aktuell 18 der 22 englischen Titel (zumindest bei Amazon) sehr günstig und mit recht nettem Cover als eBook zu bekommen sind. Wenn ich also jemanden neugierig gemacht haben sollte, gibt es die Möglichkeit, einen „Blick ins Buch“ zu werfen.

Miss-Seeton-Romane von Heron Carvic (inklusive der deutschen Titel, soweit sie mir bekannt sind):

  1. Picture Miss Seeton (1968)/Miss Seetons erster Fall (bzw. Alter schützt vor Gaunern nicht)
  2. Miss Seeton Draws the Line (1969)/Miss Seeton kann’s nicht lassen
  3. Witch Miss Seeton (1971)/Miss Seeton und der Hexenzauber
  4. Miss Seeton Sings (1973)
  5. Odds on Miss Seeton (1975)/Miss Seeton riskiert alles (bzw. Von fremden Herren nimmt man nichts)

[Figurenkabinett] Miles Nailsmith Vorkosigan

Miles und ich habe uns an einem – für mich etwas einsamen – Abend in einer Buchhandlung kennengelernt. Es war einer dieser schönen Sommertage, an denen die Kollegen schon alles erledigt hatten und ich nur noch in der Abendschicht darauf warten konnte, dass sich vielleicht doch ein Kunde meiner erbarmt und ein Buch kauft. Zum Glück sah ich dann im Regal diesen Roman mit dem abgrundhässlichem Cover. Schon beim Auspacken der Neuerscheinungen hatte ich mich gefragt, wie ich dieses Buch jemals verkaufen sollte. An diesem Abend beschloss ich, einfach mal reinzulesen und zu gucken, wie die Geschichte so ist.

Dabei benötigte es nur wenige Seiten von „Der Kadett“ von Lois McMaster Bujold, um von Miles absolut hingerissen zu sein. Der junge Mann, dem ich da begegnete, hatte trotz extrem widriger Umstände eine Menge Haltung und Durchsetzungskraft. Er gehört zu den Charakteren, deren aberwitzige Ideen sich in dem Moment, in denen sie sie äußern, überaus stimmig und logisch anhören. Und wenn Miles sich für etwas begeistert, dann möchte man gleich mit ihm zusammen in die Schlacht ziehen und die Welt verändern. Obwohl er immer wieder von Selbstzweifeln geprägt ist, sind das Gefühle, die er nur mit sich und den Personen ausmacht, die ihm sehr nahe stehen. Etwas, das ihn realistisch, aber nicht wehleidig werden lässt – obwohl er auch dazu gute Gründe gehabt hätte. Außerdem scheint er jede Person ernst zu nehmen, unabhängig von Aussehen, Geschlecht und Rasse, was ihn zu einem hervorragenden Anführer und Diplomaten macht.

Miles Vorkosigan wurde sehr von der militärischen Gesellschaft geprägt, in der er aufgewachsen ist – und diese militärische Gesellschaft wurde geprägt von der Zeit, in der der Planet Barrayar keinen Kontakt zu anderen Planeten hatte, was dazu führte, dass Barrayar ein wenig hinterwäldlerisch wirkt. Obwohl Miles sich aufgrund eines Giftgasanschlags, der auf seine Mutter verübt wurde, als diese schwanger war, mit diversen körperlichen Problemen herumschlagen muss, möchte er unbedingt zum Militär gehen – wie sich das für einen Mann seines Standes gehört. Ihm ist bewusst, dass die Aufnahmeprüfung für die Militärakademie nicht allein mit seinem überlegenen Intellekt zu schaffen sein wird, aber er hätte nie erwartet, dass er – wortwörtlich! – schon an der ersten Hürde scheitern würde.

So findet er sich schnell in einem „Erholungsurlaub“ auf dem Heimatplaneten seiner Mutter Cordelia wieder, statt seine militärische Ausbildung anfangen zu dürfen. Aber Miles wäre nicht Miles, wenn er nicht sogar auf dem überaus zivilisierten Planeten Beta in Schwierigkeiten geraten würde. So stolpert er über einen verzweifelten Raumpiloten, der droht, mit seinem Raumschiff auf den Planeten zu stürzen, wenn jemand versuchen sollte, es ihm wegzunehmen, und mischt sich in die Angelegenheit ein. Nach einer erstaunlich kurzen und überraschenden Verhandlung endet es damit, dass Miles sich in Besitz eines alten Raumschiffs sieht, für eine kleine Mannschaft verantwortlich ist und dringend eine Möglichkeit finden muss, um Geld zu verdienen, damit er den Schiffskredit abbezahlen kann.

Miles‘ Unfähigkeit, sich aus schwierigen Situationen rauszuhalten, seine Hyperaktivität, seine ausgesprochen hohe Intelligenz und die Loyalität, die seine Leute – wider besseres Wissen – für ihn empfinden, sorgen für überaus amüsante Geschichten. Miles erlebt in verschiedenen (militärischen, privaten und diplomatischen) Missionen die unglaublichsten Dinge, steht im Laufe seines Lebens an der Spitze einer Söldnerarmee und sitzt immer wieder zwischen den Stühlen, wenn es um seine Treue zu seinem Kaiser und seiner Welt geht und um die Entscheidungen, die er bei seinen Reisen treffen muss.

Lois McMaster Bujold hat es mir im Laufe der Zeit ermöglicht, Miles von seiner Geburt (genau genommen sogar vom Kennenlernen seiner Eltern) an zu begleiten. Ich habe miterlebt, wie er mit all seinen körperlichen Beeinträchtigungen haderte, wie er sich das erste Mal verliebte, wie er dazu neigte, ständig Verantwortung für Dinge zu übernehmen, die nicht in seiner Hand lagen, und mich köstlich darüber amüsiert, wie jedes seiner Vorhaben eine unheimliche Eigendynamik entwickelte. Jeden Roman beginne ich – auch beim wiederholten Lesen – mit einer großen Neugier auf die Welt und die Figuren, die mir dort begegnen. Im Laufe der Geschichte werde ich immer atemloser und aufgedrehter vor Spannung und Lachen, und am Ende bin ich nach dem Lesen eines Miles-Vorkosigan-Romans immer vollkommen fertig, weil das Tempo der Handlung immer weiter anzieht und ich so mitgefiebert habe. Dabei sind die Geschichten nicht nur spannend und lustig, sondern auch voller kritischer Sichtweisen auf Rollenklischees – auch oder gerade in der Science Fiction – oder gesellschaftliche Traditionen.

Es gibt eigentlich nur ein einziges Problem, wenn man Miles Abenteuer erleben möchte:
Die fürchterliche Veröffentlichungspolitik der Autorin und der Verlage!

Ich kann verstehen, dass Lois McMaster Bujold ihre Geschichten nicht chronologisch schreibt, aber es ist fast unmöglich, den Überblick über die Reihenfolge der Romane und zusätzlich erschienenen Kurzgeschichten zu behalten. Der Heyne-Verlag hat mal versucht, die Bücher und Geschichten chronologisch in Sammelbänden zusammen zu fassen, aber nicht einmal diese Ausgabe ist vollständig. Wer also nun Interesse an Miles entwickelt hat, darf sich entweder einen ersten Einblick verschaffen, in dem er versucht, gebraucht „Der junge Miles“ (Heyne-Sammelband mit den ersten beiden Miles-Geschichten) oder „Der Kadett“ (scheußliches Cover, so ein scheußliches Cover!) aufzutreiben, oder indem er sich durch das verwirrende englischsprachige Angebot wühlt. 😉

[Figurenkabinett] Roderick Alleyn

Wie Modesty Blaise habe ich Roderick Alleyn in den Jahren rund um mein Abitur in der Bahnhofsbuchhandlung entdeckt. Er war zu diesem Zeitpunkt um die 40 Jahre alt und hatte schon einiges in seinem Leben gesehen. Drei Jahre lang war er während des Ersten Weltkriegs beim Militär – doch im Gegensatz zu Lord Peter Wimsey wurde er dadurch nicht traumatisiert -, danach diente er eine Zeitlang beim „British Foreign Service“, nur um dann als Konstabler bei Scotland Yard (der Metropolitan Police) anzufangen. Warum es zu diesem abrupten Wechsel in seinem Berufsleben kam, hat er mir nie verraten, aber als ich ihn kennenlernte, hatte er es schon zum Chief Detective Inspector gebracht.

Geboren wurde Roderick Alleyn als zweiter Sohn eines Baronets, doch abgesehen davon, dass er eindeutig ein Gentleman ist und dies ihm immer mal wieder in seinem Beruf zugutekommt, hatte seine Herkunft anscheinend wenig Einfluss auf sein Leben. Seine Ermittlungen führen ihn immer wieder ins Theatermilieu – vor allem in Häuser, in denen Stücke von Shakespeare gespielt werden. Ansonsten ermittelt er in klassischen britischen Kriminalfällen, wie man sie auch bei Agatha Christie finden könnte, bei denen es zu einem Mord bei einer Hausparty in einem ländlichen Herrenhaus kommt oder zu ungewöhnlichen Vorfällen während einer Bootstour auf einem der vielen englischen Flüsse.

Dazu kommen die Romane, die in Neuseeland spielen und die für ein ganz eigenes Flair sorgen. Hier spürt man, dass die Autorin (Edith) Ngaio Marsh selbst Neuseeländerin war und über ein Land schrieb, dem sie sich nahe fühlte. Roderick Alleyn verschlägt es während des Zweiten Weltkriegs nach Neuseeland, wo er anscheinend nach Aktivitäten der „Fünften Kolonne“ Ausschau halten soll, doch stattdessen stolpert er natürlich über Kriminalfälle – bei denen er sich nicht so ganz sicher sein kann, dass diese nichts mit den Kriegsgeschehnissen zu tun haben.

Im Laufe der Zeit lernt Roderick Alleyn eine ungewöhnliche Frau kennen und lieben, und selbstverständlich wird auch diese Dame hin und wieder in die Fälle ihres Mannes verwickelt. Auch seine Ehefrau mag ich sehr, und ihre Sicht auf die Verbrechen fügt der Geschichte oft eine erfrischende Perspektive hinzu. Ich muss gestehen, dass ich die Romane schon viel zu lange nicht mehr gelesen habe, da auch diese Titel seit einigen Jahren in Umzugskartons darauf warten, dass ich mir eine große Zahl neuer Regale zulege. Aber ich freu mich jetzt schon auf den Tag, an dem ich ein Wiedersehen mit Roderick Alleyn feiern kann.

Insgesamt wurden 32 Roderick-Alleyn-Romane und ein paar Kurzgeschichten von Ngaio Marsh geschrieben, deren Titel ich hier nicht aufführen werde, weil es den Beitrag sprengen würde. Wer nun aber neugierig geworden ist, findet online diverse Listen mit den Romantiteln. Deutsche Ausgaben scheint es nur noch gebraucht zu geben, aber auf englisch gibt es aktuelle Ausgaben. Da muss ich mir gerade auf die Finger hauen, denn bislang kenne ich die Geschichten nur in der deutschen Übersetzung und wäre doch neugierig darauf, ob sich das Original anders liest.

[Figurenkabinett] Modesty Blaise

Modesty Blaise habe ich in den Jahren vor meinem Abitur kennengelernt. Ich war damals jeden Tag längere Zeit mit Bus und Bahn unterwegs, und wann immer mir das Geld meiner Nachhilfeschüler in der Tasche brannte, habe ich meinen Verdienst in der Bahnhofsbuchhandlung in neuen Lesestoff umgesetzt. So sehr ich James Bond und andere Helden meiner Jugend gemocht habe (und immer noch mag), so glücklich war ich, als ich mit Modesty Blaise einen starken weiblichen Charakter kennenlernte, der es mit den diversen Schurken aufnehmen konnte.

Entstanden ist Modesty Blaise ursprünglich als Comicfigur, aber ich habe immer den Romanen den Vorzug gegeben – vermutlich auch deshalb, weil „meine“ Modesty Blaise lange nicht so perfekt und makellos aussah wie die Figur in den Comicpanels. Stattdessen hat sich mir dieses Bild von ihr als erster Eindruck eingeprägt: Modesty Blaise, die an einer Schleifscheibe sitzt und einen Edelstein bearbeitet. Dazu kamen dann im Laufe der verschiedenen Romane noch viele andere Eindrücke, vor meinem inneren Auge sehe ich sie barfuß durch unwegsames Gelände wandern und einen im Feuer gebratenen Igel verspeisen, ich sehe sie mit einem Kampfstab trainieren und für einen Bildhauer Modell sitzen …

Modesty Blaises Vergangenheit ist sehr bewegt. Wo und wann sie geboren wurde, weiß sie nicht. Ihre ersten Erinnerungen drehen sich um Flüchtlingslager in Nordafrika und einen alten Mann, der ihre Neugier weckt und sie als kleines Mädchen dazu bringt, so viel Wissen wie möglich anhäufen zu wollen. Um unter diesen Umständen zu überleben, bedarf es schon einer gewissen Skrupellosigkeit, eines scharfen Verstandes und einer ausgeprägten kriminellen Energie. Das alles hat dann auch dazu geführt, dass Modesty sich als Teenager einer Bande anschloss, deren Anführerin sie im Laufe der Jahre wurde. Später wurde diese verbrecherische Organisation als „Das Netz“ international bekannt und betätigte sich auf allen kriminellen Gebieten (abgesehen von Drogen und Prostitution).

Als Modesty genug Geld zur Seite gelegt hatte, um sich ohne weitere Arbeit einen Lebensabend in Wohlstand gönnen zu können, gab sie „Das Netz“ auf und ließ sich in England nieder. Zu diesem Zeitpunkt war sie Ende Zwanzig –und musste schnell feststellen, dass so ein sicheres Leben auf Dauer verflixt eintönig sein kann. Gemeinsam mit Modesty ging auch ihr Freund Will Garvin „in Rente“, und bei ihm führt die Langeweile dazu, dass er sich in Schwierigkeiten brachte, von denen schließlich der Britische Geheimdienst erfuhr. Leiter des Geheimdienstes ist zu dieser Zeit Sir Gerald Tarrant, ein Herr, der dringenden Bedarf an einer talentierten Mitarbeiterin hat, die nicht direkt der britischen Regierung angehört. So kommt es dazu, dass er – als Gegenleistung dafür, dass er Modesty über Wills Verbleib informiert – zu einer Art Auftraggeber für die ehemalige Kriminelle und ihren besten Freund wird.

Obwohl auch Modesty als „Geheimagentin“ für Großbritannien unterwegs ist, hat sie – in meinen Augen – wenig Ähnlichkeit mit James Bond. Sie ist eine starke Frau, die diverse Kampfsportarten (und andere nützliche Dinge) beherrscht, sie ist intelligent und verfügt über ein umfassendes Wissen, ist finanziell unabhängig und versucht, nach ihrem Ausstieg aus dem „Netz“ nur noch auf der Seite der „Guten“ aktiv zu werden. Doch neben all ihren tollen Eigenschaften ist sie deutlich verletzlicher und menschlicher dargestellt, als es bei James Bond der Fall ist. Modesty hat zum Beispiel Momente, in denen sie einsam ist, denn auf Dauer kommt kein Mann mit ihrer Vergangenheit und ihren Fähigkeiten zurecht. Einzig Will Garvin, mit dem sie eine platonische Freundschaft und die gemeinsame Vergangenheit verbindet, ist immer für sie da. Und er ist es auch, der an ihrer Seite ist, wenn sie mal ihrer Trauer, ihrer Frustration oder ihrem Entsetzen über die von ihr im Überlebenskampf getanen Dinge freien Laufe lassen muss.

Ich mag die Beziehung zwischen den beiden gerade deshalb, weil es keine Liebesgeschichte ist. Dafür haben sie ein paar unterhaltsame Angewohnheiten, wie zum Beispiel die Suche nach Fremdwörtern, die der andere vermutlich nicht kennt und die man im Gespräch beiläufig anbringen kann (was dann dazu führt, dass derjenige, der das Wort nicht kennt, so schnell wie möglich ein Lexikon zu Rate zieht, um im nächsten Dialog zu beweisen, dass ihm das Fremdwort sehr wohl geläufig ist). Außerdem gefällt es mir, dass sich die beiden, wenn sie sich für etwas Neues interessieren, mit aller Kraft darauf stürzen, um so viel wie möglich zu lernen und zu trainieren. Dieser Zug macht es für mich relativ glaubwürdig, dass sie so viele Fähigkeiten haben, über die ein normaler Mensch nicht verfügt.

Ach ja, ich habe die alten Goldmann-Ausgaben der Modesty-Blaise-Romane, die schon lange nicht mehr erhältlich sind. Aber der Unionsverlag hat ein paar Titel von Peter O’Donnell in den letzten Jahren neu aufgelegt, so dass zumindest ein paar Romane aktuell erhältlich sind. Diese Titel habe ich inklusive ISBN in der Liste hinter dem Schrägstrich angegeben.

Modesty-Blaise-Romane (und Kurzgeschichtensammlungen) von Peter O’Donnell

  • Die tödliche Lady (Modesty Blaise; 1965)
  • Die Lady bittet ins Jenseits/Operation Säbelzahn 978-3293203631 (Sabre-Tooth; 1966)
  • Die Lady reitet der Teufel (I, Lucifer; 1967)
  • Ein Gorilla für die Lady/Ein Hauch von Tod 978-3293203877 (A Taste of Death; 1969)
  • Die Goldfalle/Die Goldfalle 978-3293203495 (The Impossible Virgin; 1971)
  • Die Lady macht Geschichten (Pieces of Modesty; 1972)
  • Die silberne Lady (The Silver Mistress; 1973)
  • Heiße Nächte für die Lady (Last Day in Limbo; 1976)
  • Die Lady fliegt auf Drachen/Die Klaue des Drachen 978-3293203310 (Dragon’s Claw; 1978)
  • Die Lady will es anders/Der Xanadu-Talisman 978-3293203662 vergriffen (The Xanadu Talisman; 1978)
  • Die Lady spannt den Bogen (The Night of Morning Star; 1982)
  • Die Lady lässt es blitzen (Dead Man’s Handle; 1985)

[Figurenkabinett] Leonidas Witherall

Leonidas Witherall habe ich zur selben Zeit kennengelernt wie Peter Shandy, denn auch seine Geschichten wurden in „DuMonts Kriminal-Bibliothek“ veröffentlicht. Und da die Romane nicht chronologisch auf Deutsch veröffentlicht wurden, begann meine Bekanntschaft mit ihm mit dem Titel „Mit dem linken Bein“. Eigentlich ist Leonidas Witherall ein sehr respektabler (ehemaliger) Akademiker, dessen äußerliche Ähnlichkeit mit William Shakespeare dafür sorgt, dass ihm ständig Menschen begegnen, die sich sicher sind, dass sie ihn schon kennen. Obwohl Leonidas ganzen Generationen von Schülern die Liebe zur hohen Literatur nahegebracht hat, ist er zu Beginn dieser Romanreihe gezwungen, sich Geld dazuzuverdienen, weil sein Einkommen während der Wirtschaftskrise nicht ausreicht.

Finanzielle Sicherheit bringt ihm erst der Erfolg seiner „Lieutenant Hazeltine“-Abenteuer, einer skurrilen Reihe von trivialen Kriminalgeschichten, die auch fürs Radio umgesetzt wurden. So sehr Leonidas das Einkommen aus dieser Beschäftigung genießt, so sehr schämt er sich dafür, dass er solch niveauloses Zeug produziert. Deshalb achtet er sehr darauf, dass niemand erfährt, dass er der Autor dieser Geschichten ist – auch wenn er sich immer wieder darüber freut, wenn er begeisterte Fans seiner Figuren trifft. Abgesehen davon, dass sich Leonidas nicht zu seinen erfolgreichen Geschichten bekennen will, ist er ein freundlicher und hilfreicher Mann, der in dem (fiktiven) Bostoner Vorort Dalton hohes Ansehen genießt.

Leonidas Witherall ist sein geruhsames Akademikerleben eigentlich sehr wichtig, und doch gerät er immer wieder in skurrile und rätselhafte Situationen (die wunderbare Inspirationen für seine Hazeltine-Geschichten bieten). So auch in dem Roman „Mit dem linken Bein“, der damit beginnt, dass Leonidas (mitsamt eines beinförmigen Päckchens, das er mit sich führt) aus einem Bus geworfen wird, weil er angeblich eine junge Dame unangemessen behandelt hat. Obwohl der frühere Lehrer kein Wort mit der Frau gewechselt hatte, versteckt er sich lieber in einem Geschäft, als er sieht, dass die junge Dame mit ihm aus dem Bus gestiegen ist und mit einem Polizisten redet. Während sich Leonidas noch fragt, was überhaupt in die Fremde gefahren ist, dass sie ihn ohne Grund so beschuldigt, stellt sich heraus, dass der Ladenbesitzer ein ehemaliger Schüler von ihm ist.

Und da der Geschäftsinhaber ein netter junger Mann ist, erklärt er sich bereit, Leonidas mit seinem Wagen nach Hause zu fahren. Allerdings muss er sich eben noch umziehen, bevor er den Laden abschließt, und so lässt er Leonidas für einen kurzen Moment allein in seinem Verkaufsraum. In dieser Zeit betritt ein Mann das Geschäft, der von Kopf bis Fuß grün gekleidet ist, öffnet die Kasse und verschwindet mit dem Bargeld, bevor Leonidas noch ein Wort sagen kann. Unter diesen Umständen ist es nicht allzu verwunderlich, dass der Ladenbesitzer angesichts seiner geplünderten Kasse (und der immer noch herrschenden Wirtschaftskrise) anfängt, seinen ehemaligen Lehrer des Diebstahls zu verdächtigen. Währenddessen macht sich Leonidas aus dem Staub, in der Hoffnung den eigentlich Dieb aufzuspüren …

So wie diese ersten Szenen sind die ganzen Romane rund um Leonidas Witherall aufgebaut. In jedem einzelnen gerät dieser gesetzte und gebildete Mann von einer skurrilen Situation in die nächste. Dabei ist jede Szene für sich zwar ungewöhnlich, aber gar nicht mal so abwegig. Nur in der Summe wird daraus eine rasante, witzige, rätselhafte und unfassbare Geschichte, bei der erst am Ende – nach einem actionreichen und amüsanten Showdown – die Hintergründe deutlich werden. Letztendlich gelingt es Phoebe Atwood Taylor immer, für jede einzelne Absurdität ein schlüssiges Motiv zu präsentieren, was bei mir den Unterhaltungswert der Romane deutlich steigert.

Bei den Leonidas-Witherall-Romanen mag ich nicht nur die vielen skurrilen Szenen, sondern auch die liebenswerten Charaktere (eine bunte Mischung, die vom Akademiker über den Ladenbesitzer von nebenan bis zum Alkoholschmuggler alles beinhaltet), die wunderbar spritzigen Dialoge, die an eine Screwball-Komödie erinnern, und die Tatsache, dass ich während des Lesens vor lauter Lachtränen kaum die Buchstaben sehen kann.

Doch vor allem bewundere ich Leonidas Witherall, der trotz all der seltsamen Momente versucht, seine Würde und Fassung zu bewahren, der ohne Vorurteile mit den verschiedensten Menschen umgeht (als Lehrer hat man eben nicht nur Menschenkenntnis, sondern auch schon eine Menge seltsamer Sachen gesehen) und der Freunden (und Fremden) jederzeit hilfsbereit zur Seite steht. Ihm ist es in der Regel zu verdanken, dass die Geschichten am Ende für alle Beteiligten gut ausgehen, auch wenn er dafür immer wieder Pläne schmieden muss, die eines Lieutenant Hazeltine würdig wären.

Wer jetzt Lust auf Leonidas Witherall bekommen hat, der wird im normalen Buchhandel leider nicht mehr fündig. Aber gebraucht gibt es noch einige Titel mit ihm zu erstehen, und die sind in der Regel auch sehr günstig zu haben.

Leonidas-Witherall-Romane von Phoebe Atwood Taylor:

Schlag nach bei Shakespeare
Wie ein Stich durchs Herz
Kalt erwischt
Mit dem linken Bein
Zu den Akten
Todernst
Es liegt auf der Hand
Die leere Kiste

[Figurenkabinett] Jane Marple

Eine Figur, die mir schon seit sehr vielen Jahren am Herzen liegt, ist Miss Jane Marple. Ihren ersten Auftritt hatte sie in der Kurzgeschichtensammlung, die auf deutsch unter dem Titel „Der Dienstagabend-Klub“ bei Scherz erschienen ist. In diesen Geschichten wurde Miss Marple beschrieben als eine alte Dame, die – ganz viktorianisch – in schwarze Spitze gehüllt daherkommt. Die schwarze Spitze hat sie für ihren ersten Roman dann abgelegt und stattdessen praktischen und adretten Tweed angezogen, aber viele Eigenheiten und ihre Nase für kleine Unstimmigkeiten hat sie behalten.

Vielen Leuten fällt zu Miss Marple wohl als Erstes ihr Strickzeug ein, das sie ständig begleitet. Jane Marple bestrickt nicht nur die diversen Patenkinder oder ihren Neffen, sondern auch den Nachwuchs der verschiedenen Hausmädchen, für die sie sich auch lange Jahre nach deren Ausscheiden aus ihrem Haushalt noch verantwortlich fühlt. Doch vor allem scheint mir das Strickzeug ein Indiz dafür zu sein, dass Miss Marple – auch wenn sie einen Urlaub oder eine gemütliche Teestunde zu schätzen weiß – nicht in der Lage ist, untätig zu sein. So muss das Strickzeug in ihren letzten Lebensjahren auch so manche Stunde überbrücken, die die alte Dame gern in ihrem geliebten Garten verbracht hätte, was ihr aus gesundheitlichen Gründen aber verboten wurde.

Und auch die Tatsache, dass Jane Marple für jede Person anscheinend ein Pendant aus ihrem persönlichen oder dörflichen Umfeld zu kennen scheint, hat sich wohl in die Erinnerung vieler Leser eingeprägt. Manchmal wird ihr vorgeworfen, dass sie boshaft, arrogant oder klatschsüchtig sei, doch ich persönlich habe das nie so empfunden. Miss Marple – deren gesellschaftliches Umfeld trotz aller Bekanntschaften doch recht begrenzt ist – interessiert sich für die Menschen in ihrer Umgebung. Und ihre scharfe Beobachtungsgabe führt ebenso wie ihr (manchmal erschreckend) realistisches Menschenbild zu Schlussfolgerungen, die die meisten anderen Personen überraschend (und zynisch) finden.

Für mich hingegen ist Miss Marple eine der neutralsten Personen, die je in der Literatur geschaffen wurden. Ihre Lebenserfahrung sagt ihr, dass erschreckend viele Menschen dumm sind (oder besser gesagt dumm handeln) – ein Gefühl, das ich spätestens beim Blick in das nachmittägliche Fernsehprogramm teile 😉 – und dass gewisse Verhaltensweisen bei bestimmten Menschentypen immer wieder zu beobachten sind. Dabei hegt sie – für eine Frau ihrer Zeit – erstaunlich wenig Standesdünkel und hat keine Hemmungen, einen Lord mit ihrem örtlichen Metzger zu vergleichen, wenn das Benehmen des einen sie an den anderen (der übrigens jahrelang ein Verhältnis samt Kinderschar im Nachbarort finanzierte) erinnerte. Aber Jane Marple steckt die verschiedenen Menschen nicht auf Anhieb in eine Schublade, sie registriert diese Ähnlichkeiten, bleibt aber erst einmal zurückhaltend und hält der Person zugute, dass sie sich in ihrem Urteil irren kann. Sie weiß, dass Menschen nicht völlig gleich sind, auch wenn sich manche Verhaltensweisen zu wiederholen scheinen.

Mir tut Miss Marple häufig leid. Sie hat zwar viele Bekanntschaften, einen Neffen, der sich rührend um sie kümmert, und diverse Patenkinder, mit denen sie ebenfalls regen Kontakt hält, aber es gibt nur wenige Menschen, mit denen sie sich auf Augenhöhe unterhalten kann. In den Geschichten rund um den „Dienstagabend-Klub“ wird deutlich, dass sie zwar gesellschaftlichen Umgang mit dem „gehobenen“ Bürgertum in ihrem Dorf pflegt und sich für die Gemeinde engagiert, aber wirkliche Freunde hat sie in ihrer Nähe nicht. Erst durch Intervention von Sir Henry Clithering kommt engerer Kontakt zu Dolly Bantry zustande, mit der sich Jane Marple dann auch etwas enger anfreundet. Besonders traurig finde ich eine Aussage von Jane Marple, in der sie meint, dass eine der schlimmsten Nebenerscheinungen des Alterns ist, dass sich niemand mehr daran erinnert, wie man als junger Mensch war.

Jeder sieht nur die alte Miss Marple, die aufrecht mit ihrem Strickzeug im Sessel sitzt, die mit aufmerksamen Augen ihre Umgebung beobachtet oder erbarmungslos im Garten gegen jedes Unkraut ankämpft, aber diejenigen, die sie als junges und unternehmungslustiges Mädchen kennengelernt haben, sind inzwischen verstorben. Dabei muss Jane Marple eine aufgeweckte und recht gebildete junge Frau gewesen sein, deren Herz einmal für einen Mann in Uniform schlug und die eine so gute Freundin war, dass ihre Schulfreundschaften bis ins hohe Alter Bestand haben. Allerdings denke ich, dass die junge Jane es auch nicht so ganz einfach gehabt hat, denn ihre Mutter wird – in den wenigen Sätzen, in denen sie überhaupt Erwähnung findet – als eine sehr bestimmende Frau beschrieben, als eine Mutter, die genau zu wissen glaubt, was für ihre Tochter das Beste ist und die dementsprechende Maßnahmen ergreift. Auf der anderen Seite hat ihre Mutter Jane Marple auch eine grundsätzliche Auffassung von Recht und Unrecht – und dem, was sich für eine Dame gehört – beigebracht, die sie für ihr gesamtes Leben geprägt hat.

Auch gefällt mir an Jane Marple, dass sie sich selbst gegenüber ehrlich ist. Obwohl sie einige Freunde hat, die keine Engländer sind, ist sie sich ihrer Vorurteile gegen alles „unenglische“ durchaus bewusst. Nicht selten ertappt sie sich dabei, dass sie einen ausländischen Verdächtigen mit deutlich mehr Misstrauen beobachtet als den gleichermaßen verdächtigen Engländer. Und in einem Roman geht ihr durch den Kopf, dass es sehr praktisch wäre, wenn der Ausländer der Verbrecher wäre, denn dann müsste sie „ihre“ Gesellschaftsschicht nicht in Unruhe bringen. Doch so einfach macht es sich die alte Dame nicht, ihr ist nur eben bewusst, dass es angenehmer wäre, wenn ein Außenstehender derjeniger wäre, der eine Tat begangen hat, die sich – nicht nur in Miss Marples Gesellschaftsschicht – einfach nicht gehört.

Recht charmant finde ich, dass Jane Marple bestimmte Ansichten über Männer ihr Leben lang nicht abgelegt hat. Auch im hohen Alter scheint sie ein gewisses Rollenmodel im Hinterkopf zu haben, welches dafür sorgt, dass sie bestimmte Dinge von einem Mann erwartet. So serviert sie einem männlichen Gast nicht das gleiche Essen wie einer Freundin, bietet andere Alkoholika an und sucht männlichen Rat und Unterstützung, wenn sie bei einem ihrer Fälle über etwas gestolpert ist, das sie nicht allein bewältigen kann. Hätte Miss Marple je einen Ehemann gehabt, so hätte sich so manche Vorstellung von der Männerwelt wohl inzwischen etwas abgenutzt. 😉

Insgesamt betrachtet sie die Welt, ohne sich große Illusionen zu machen, was häufig dazu führt, dass der Leser sie als außenstehende Beobachterin wahrnimmt. Doch wenn ihr Gerechtigkeitsempfinden verletzt wird oder wenn Jane Marple feststellt, dass jemand sich respektlos oder verächtlich benimmt, dann kann sie überraschend energisch werden. Ich glaube, dass auch all die jungen Mädchen, die von ihr für eine Stellung als Hausmädchen ausgebildet wurden, sich – trotz Miss Marples Strenge – immer sicher sein konnten, dass sie sich mit ihren Fragen und Nöten an ihre ehemalige Dienstherrin wenden konnten.

All das hat zusammen mit Jane Maples (viktorianischer) Haltung, ihrem Engagement und ihrer Loyalität gegenüber Familie, Freunden und Personal dazu geführt, dass die alte Dame für mich zu einer Romanfigur geworden ist, deren Geschichten ich schon seit Jahren immer wieder mit großer Freude lesen mag. Ich muss allerdings zugeben, dass ich noch keinen Miss-Marple-Roman auf Englisch gelesen habe und deshalb nicht sagen kann, ob man als deutscher Leser nicht schrecklich viele Facetten dieser Figur verpasst hat. Bei meinem Vergleich von „Sie kamen nach Bagdad/They Came to Baghdad“ hatte ich ja schon mal gezeigt, dass es da doch erschreckende Unterschiede bei den Ausgaben geben kann.

Auf eine Auflistung der Miss-Marple-Romane verzichte ich ausnahmsweise mal, da diese Informationen mit Leichtigkeit online oder in einem der Werke über Agatha Christie zu finden sind.

[Figurenkabinett] Lord Peter Death Bredon Wimsey

In Lord Peter Wimsey habe ich mich schon verliebt, da las ich eigentlich noch keine Kriminalromane (schließlich war ich mir – dank der Fernsehvorliebe meiner Mutter – ganz sicher, dass Krimis schrecklich blutige und furchteinflößende Geschichten beinhalten). Keine Ahnung, ob die Kurzgeschichtensammlung, die mich mit diesem ganz besonderen Detektiv vertraut gemacht hat, meinem Vater oder meiner Schwester gehört hat, auf jeden Fall hat mich dieses Buch viele Jahre lang begleitet und den Grundstein für meine Vorliebe für Lord Peter Wimsey gelegt.

Ich weiß gar nicht, was mich mehr für diesen Mann eingenommen hat, seine Intelligenz, seine Neugier, seine Leidenschaft für Bücher oder sein Charme, aber Lord Peter Wimsey hat – trotz diverser Macken – einen festen Platz in meinem Herzen. Als zweiter Sohn eines Herzogs scheint Lord Peter eine wirklich angenehme Jugend gehabt zu haben, auch wenn er mit seinem eher bodenständigen großen Bruder Gerald recht wenig gemein hatte. 1912 machte Lord Peter seinen Abschluss in Geschichte am Balliol College in Oxford, und ich möchte wetten, dass sein Leben recht entspannt verlaufen wäre (soweit man das bei einem so energiegeladenen  Menschen sagen kann), wenn nicht der Erste Weltkrieg gekommen wäre.

In dieser Zeit arbeitete er für den Britischen Geheimdienst, was auch zu seiner Leidenschaft für die Detektivarbeit führte. Doch auch wenn seine Intelligenz durch diese Tätigkeit gefordert wurde, so nahm der junge Mann (damals war er Mitte zwanzig) seelischen Schaden. Es gibt so einige Szenen, in denen sein Diener Mervyn Bunter – den Lord Peter als Soldat kennengelernt hatte – sich um seinen Arbeitgeber kümmern muss, weil dieser von den Erinnerungen an den Krieg heimgesucht wird. In seinen guten Zeiten scheint Lord Peter das Leben aber eher wie ein großes Spiel zu sehen, sucht und genießt die Herausforderungen, die ihm ein kniffeliger Kriminalfall bietet, dient immer wieder seinem Land in diplomatischer Mission und hat seine Finger in allerlei Geschäften drin.

Angenehm finde ich es auch, dass er – vor allem für einen Mann seiner Schicht – so vorurteilslos ist. Obwohl sich die Gesellschaft zu seiner Zeit gerade erst ändert, gibt es doch immer noch gewisse Standesdünkel (welche bei seinem Bruder Gerald und dessen Frau Helen auch sehr deutlich zu Tage treten). Aber Lord Peter kratzt das eher weniger, und so ist er es auch, der die Beziehung zwischen seiner jüngeren Schwester Mary und seinem bürgerlichen Freund Inspektor Charles Parker fördert. Ebenso trifft man ihn immer wieder in „unpassender“ Gesellschaft, in der er sich sehr wohl zu fühlen scheint, oder wird als Leser überrascht, wenn man von seinen ungewöhnlichen Engagements und Ideen wie dem „Katzenhaus“ (siehe „Keines natürlichen Todes“) erfährt. Einzig Lord Peters Neigung zu französischen Zitaten stört mich, vor allem, weil ich kein einziges Wort dieser Sprache verstehe. Aber zum Glück sind diese Passagen nicht zum Verstehen der Handlung notwendig und können bei Bedarf übersprungen werden.

Die Kriminalgeschichten rund um Lord Peter Wimsey sind von Dorothy L. Sayers sehr abwechslungsreich gestaltet worden. Mal muss sich der Detektiv mit der Frage beschäftigen, wie eine nackte – wenn auch mit einem Zwicker ausgestattete – Leiche in die Badewanne eines prüden Architekten kommt, mal gleichzeitig seinen erzkonservativen Bruder Gerald und seine rebellierende Schwester Mary vom Mordverbracht befreien oder herausfinden, wie während eines Wechselläutens ein Mann zu Tode gekommen sein könnte. Ich mag eigentlich alle Fälle des sympathischen Lords, doch besonders häufig lese ich „Mord braucht Reklame“, „Aufruhr in Oxford“ und „Hochzeit kommt vor dem Fall“ – vielleicht, weil man Lord Peter Wimsey da von einer persönlicheren Seite kennenlernt.

Als ich dieses Figurenkabinett vorbereitete, musste ich übrigens zu meinem großen Erschrecken feststellen, dass die meisten Lord-Peter-Wimsey-Romane zur Zeit gar nicht verfügbar sind. Ich hoffe sehr, dass es bald eine Neuauflage dieser Bücher gibt. Bis dahin werdet ihr bei Interesse bestimmt in der Bibliothek fündig.

Lord-Peter-Wimsey-Romane von Dorothy L. Sayers (nach englischem Erscheinungsdatum sortiert):

  1. Der Tote in der Badewanne (Whose Body?, 1923)
  2. Diskrete Zeugen (Clouds of Witness, 1926)
  3. Keines natürlichen Todes (Unnatural Death, 1927)
  4. Ärger im Bellona-Club (The Unpleasantness at the Bellona Club, 1928)
  5. Starkes Gift (Strong Poison, 1929)
  6. Fünf falsche Fährten (Five Red Herrings, 1931)
  7. Zur fraglichen Stunde (Have His Carcase, 1932)
  8. Mord braucht Reklame (Murder Must Advertise, 1933)
  9. Der Glocken Schlag (The Nine Tailors, 1934)
  10. Aufruhr in Oxford (Gaudy Night, 1935)
  11. Hochzeit kommt vor dem Fall (Busman’s Honeymoon, 1937)

Bei den deutschen Titel habe ich die verwendet, die meine Ausgaben haben, aber einige Romane sind auch unter anderen Titeln auf deutsch erschienen.

Außerdem sind vor einigen Jahren zwei Romane erschienen, die von Jill Paton Walsh nach Notizen von Dorothy L. Sayers geschrieben wurde:

– In feiner Gesellschaft (Thrones, Dominations, 1998)
– Mord in mageren Zeiten (A Presumption of Death, 2002)
–  (The Attenbury Emeralds, 2011)

Meine Vorurteile haben mich aber bislang davon abgehalten, diese neuen Geschichten zu lesen. 😉

[Figurenkabinett] Amethyst Alexandra Augusta Araminta Adelaïde Aurelia Anne von Phantasmorania

Ich habe Amethyst Alexandra Augusta Araminta Adelaïde Aurelia Anne von Phantasmorania schon häufiger auf meinem Blog erwähnt, auch wenn die meisten von euch sie unter diesem Namen wohl nicht erkennen würden. Als ich die Prinzessin kennenlernte, war sie noch ein rosiges, blondgelocktes, blauäugiges und zuckersüßes Baby, doch dies sollte sich am Tag ihrer Taufe ändern. Denn natürlich hatten ihre Eltern zur Geburt ihrer siebten Tochter auch daran gedacht, dass so eine kleine Prinzessin Patentanten benötigt, die sie mit den nötigen Eigenschaften ausstatten, doch dass eine Fee ihre Tochter mit Gewöhnlichkeit beschenken würde, das kam unerwartet!

Für Amy – wie Amethyst nicht nur von ihren sechs Schwestern Diamant, Opal, Smaragd, Saphir, Kristall und Perle genannt wird –, war es allerdings das beste Geschenk, das ihr passieren konnte. Sie störte es nicht, dass sich schon seit frühester Kindheit Sommersprossen auf ihrer Nase tummelten, dass sich ihre goldblonden Locken zu mausbraunen Strähnen entwickelten und dass graue Augen nicht gerade das sind, was man bei einer Prinzessin erwartet. Überhaupt ist Amy klug genug, um zu sehen, dass so manche Sachen, die allgemein von Prinzessinnen erwartet werden, einfach nur dumm sind.

Stattdessen gefällt es ihr, draußen herumzustromern, und als sie alt genug ist, um einen Weg über die Mauer aus dem Schlossgarten zu finden, nutzt sie ihn, um durch den Wald zu streunern. Dabei findet sie sogar eine Möglichkeit, um sich ein robusteres Kleid zu besorgen, damit sie nicht immer ihre schöne Hofgarderobe dreckig und kaputt macht und dafür dann Rede und Antwort stehen muss. Allein dafür könnte ich Amy in mein Herz schließen! Doch als Amy alt genug ist, um verheiratet zu werden, beginnen für die Prinzessin die Schwierigkeiten. Egal, wie sehr die Maler ihr Abbild schönen, es interessiert sich einfach kein Prinz für eine so gewöhnliche Königstochter.

Ehrlich gesagt kann Amy darüber auch sehr froh sein, denn all die Prinzen sind doch recht langweilige und humorlose Gesellen, und bestimmt wäre es grauenhaft, mit ihnen verheiratet zu sein. Während ihre Eltern immer verzweifelter werden, weil sie ihre Tochter nicht an den Mann bringen können, läuft Amy davon. Und auf der Suche nach einer Unterkunft für die Wintermonate und einem Job, mit dem sie neue Kleidung finanzieren könnte, findet sie auf ihre ganz eigene praktische und vollkommen gewöhnliche Art letztendlich sogar den perfekten Mann für sich.

Ich glaube, dass ich nach dieser Beschreibung gar nicht mehr groß begründen muss, warum mir Amy so ans Herz gewachsen ist. Aber sie ist auf jeden Fall dafür verantwortlich, dass ich eine große Schwäche für Prinzessinnen wie z. B. Cimorene von Linderwall habe, die nicht dem Klischee entsprechen. Wer nun Lust hat, Amethyst Alexandra Augusta Araminta Adelaïde Aurelia Anne von Phantasmorania persönlich kennenzulernen, der sollte auf den diversen Gebrauchtmärkten oder Tauschplattformen die Augen nach folgendem Buch aufhalten:

„Die gewöhnliche Prinzessin“ von M. M. Kaye

[Figurenkabinett] Alanna von Trebond

Alanna von Trebond begleitet mich schon seit sehr vielen Jahren, genauer gesagt, seitdem die kleine Stadtbibliothek, die mich als Teenager mit Büchern versorgt hat, im Jahr 1985 das Buch „Die schwarze Stadt“ angeschafft hat. Sehr schnell ist mir Alanna ans Herz gewachsen, während ihr Zwillingsbruder mir etwas zu jämmerlich war – doch zum Glück spielt Thom in dieser Geschichte nur eine kleine Rolle. Alanna ist eine junge Adelige, die unter ungewöhnlichen Umständen aufgewachsen ist. Ihre Mutter verstarb bei der Geburt der Zwillinge, ihr Vater hat sich so gut wie nie um seine beiden Kinder gekümmert und sich lieber in seine Studien vertieft, während Alanna und Thom von einer Heilerin und einem Soldaten im Dienst von Alannas Vater aufgezogen wurden.

Zum Beginn von „Die schwarze Stadt“ sind die Zwillinge gerade alt genug, um von Zuhause weggeschickt zu werden. So soll Thom in die Hauptstadt Chorus reisen und am Hof des Königs seinen Dienst als Page antreten, während Alanna in ein Kloster geschickt werden soll, wo sie alle Fertigkeiten einer adeligen Dame erlernen soll. Doch während Thom eher an Schulwissen und Zauberei interessiert ist, ist Alanna diejenige, die gut bei der Jagd, beim Fährtenlesen und beim Kampf ist, und diejenige, deren größter Wunsch es ist, Ritter zu werden. So tauscht sie mit ihrem Bruder die Rolle, und während Thom ins Kloster geht, um dort als Zauberer ausgebildet zu werden, verkleidet sich Alanna und tritt als Alan den Pagendienst im Schloss an.

Alanna weiß genau, dass sie nun gezwungen ist, für viele Jahre als Junge zu leben – und wenn sie es jemals zum Ritter schaffen sollte, dann steht immer noch die Frage im Raum, wie sie dann die Öffentlichkeit (und ihren König!) über ihr wahres Geschlecht aufklären soll. Mir persönlich hat es immer gefallen, dass es Alanna nicht leicht gefallen ist, diesen Weg zu gehen und ihre Umgebung anzulügen. Auf der anderen Seite ist ihr Traum so groß, dass sie eben fast alles dafür tun würde, um ihn zu erfüllen. Dabei hilft ihr auch ihre Dickköpfigkeit, die sie immer wieder durch schwierige Situationen bringt.

Alanna ist nämlich nicht nur kleiner als die meisten ihrer Pagenkollegen, sondern sie hat auch ein paar Schwachpunkte als Kriegerin. So liegt ihr der Schwertkampf lange Zeit überhaupt nicht, bis sie sich selbst jeden Tag Extrastunden auferlegt. Dieses Training ist ihr so wichtig, dass sie sogar anfängt, mit links den Schwertkampf zu üben, als sie sich einmal den rechten Arm gebrochen hat. Während ihr ihre Dickköpfigkeit über so manches Problem hinweghilft, bringen ihre Spontaneität, ihr Jähzorn und ihr Gerechtigkeitssinn sie immer wieder in Schwierigkeiten.

Alanna von Trebond begleitet mich inzwischen schon seit über 25 Jahren, zu meinem 18. Geburtstag habe ich mir die vier Bücher rund um das rothaarige, dickköpfige und doch so sympathische Mädchen schenken lassen, und als ich vor vielen Jahren meinen Mann kennenlernte, haben wir uns gegenseitig diese Romane vorgelesen – und ihm haben sie anscheinend ebenso gut gefallen wie mir. Ich freue mich heute noch bei jedem Wiederlesen über die amüsanten, nachdenklichen und bewegenden Momente. Ich vergieße Tränen, wenn Alannas Begleitern etwas zustößt, ich leide mit ihr, wenn sie ihre Freunde wegen ihres Geschlechts belügen muss, und irgendwie könnte man sogar behaupten, dass ich zumindest in zwei der drei Männer verliebt bin, die in Alannas Liebesleben einer Rolle spielen.

In ihren späteren Jugendfantasytiteln hat die Autorin Tamora Pierce ihre Welt Tortall deutlich komplexer ausgebaut und auch die Emelan-(Circle)-Geschichten haben einen vielschichtigeren Hintergrund als diese vier Romane rund um Alanna von Trebond. Aber in all ihren Geschichten finden sich wunderbar realistische und sympathische Charaktere, sogar wenn diese Figuren zum Teil übernatürliche Fähigkeiten haben, die schon fast göttlich zu nennen sind. Alanna, ihre Freunde, ihre Feinde und das fantastische Land Tortall sind mir schon vor langer Zeit ans Herz gewachsen und in regelmäßigen Abständen greife ich wieder zu den Büchern und versinke in den Abenteuern, die Alanna auf ihrem Weg zur Ritterwürde bestehen muss.

Leider sind nur wenige Romane von Tamora Pierce ins Deutsche übersetzt worden, aber als Jugendfantasy sind die Geschichten auf Englisch wirklich gut zu lesen.

Tortall-Geschichten von Tamora Pierce:

Alanna – The Song of the Lioness Quartet:

  1. Die schwarze Stadt (1985) – Alanna: The First Adventure (1983)
  2. Im Bann der Göttin (1986) – In the Hand of the Goddess (1984)
  3. Das zerbrochene Schwert (1987) – The Woman Who Rides Like a Man (1986)
  4. Das Juwel der Macht (1988) – Lioness Rampant (1988)

Dhana – The Immortals Quartet:

  1. Kampf um Tortall (1992) – Wild Magic (1992)
  2. Im Tal des Langen Sees (1993) – Wolf Speaker (1993)
  3. Der Kaiserliche Magier (1995) – The Emperor Mage (1994)
  4. Im Reich der Götter (1996) – The Realms of the Gods (1995)

(Spielt einige Jahre nach den Alanna-Romanen und bringt deutlich mehr Magie in die Welt von Tortall. Viele Figuren, die aus den Alanna-Geschichten bekannt sind, tauchen hier wieder auf.)

Protector of the Small:

  1. First Test (1999)
  2. Page (2000)
  3. Squire (2001)
  4. Lady Knight (2002)

(Nach Alanna ist Keladry of Mindelan das zweite Mädchen, das die Pagenausbildung antritt. Sie muss ihr Geschlecht nicht verbergen, hat dafür mit ganz anderen Problemen zu kämpfen als Alanna. Ihr Tortall ist deutlich politischer als das von Alanna und in diesen Büchern verwendet die Autorin einige sozialkritische Elemente.)

Aly – The Daughter of the Lioness:

  1. Trickster’s Choice (2003)
  2. Trickster’s Queen (2004)

(In diesen Büchern ist Alannas Tochter die Hauptfigur – und ich muss zugeben, dass ich diese beiden Bände nicht ganz so gut finde wie die anderen Romane der Autorin.)

The Provost’s Dog:

  1. Terrier (2006)
  2. Bloodhound (2009)
  3. Mastiff (2011)

(Auf den dritten Band freue ich mich schon, mit etwas Glück zieht er dieses Jahr noch bei mir ein. Bei diesen Büchern habe ich das Gefühl, dass Tamora Pierce nicht nur versucht, eine frühere Zeit in Tortall zu beschreiben, sondern diese Welt auch mit Elementen ihrer Emelan-Reihe mischt. Auf jeden Fall finde ich diese Geschichten rund um Beka Cooper, die als Mitglied der Wache quasi als Polizistin fungiert, spannend und unterhaltsam zu lesen.)