Schlagwort: Agatha Christie

Lesezeit (4) – A Caribbean Mystery

Es ist schon eine ganze Weile her, seitdem es hier einen „Lesezeit“-Beitrag gegeben hat, aber mit der früher eintreffenen Dämmerung und den (zumindest etwas) kühleren Temperaturen, bin ich wieder in der richtigen Stimmung, um mir einen vertrauten Roman aus dem Regal zu ziehen und nach Jahren erneut zu lesen. Heute habe ich „A Caribbean Mystery“ von Agatha Christie von einem meiner „bald lesen“-Stapel gezogen. Ich weiß nicht, wie oft ich die Geschichte schon gelesen habe, aber da das letzte Mal schon eine Weile her ist und ich den Roman zum ersten Mal auf Englisch lese, bin ich gespannt, über welche kleinen Dinge ich wohl so stolpere.

Die Taschenbuchausgabe von "A Caribbean Mystery", dessen Cover ein Kreuzfahrtschiff zeigt. Links davon eine kleine brennende Sturmlaterne, rechts eine hexenkesselförmige Tasse mit Heißer Schokolade.

Ich finde es immer wieder faszinierend, wie wenig Worte Agatha Christie braucht, um Figuren einzuführen. Natürlich liegt das auch daran, dass sie immer wieder die selben Stereotypen aufgreift – hier mit Major Palgrave, der so ein typischer alter Mann ist, „who needed a listener so that he could, in memory relive days in which he had been happy“. Und neben dieser Fasziniation daran, dass es gerade mal zwei Absätze benötigt, um diesen Charakter und die Situation, in der sich Miss Marple als seine Zuhörerin befindet, darzustellen, meldet sich bei mir heute zum ersten Mal der Gedanke, dass diese Situation mich doch sehr an die diversen Gespräche mit meinem Vater in den vergangenen Jahrzehnten erinnern … Außerdem habe ich nach gerade mal zwei Seiten das Bedürfnis meine alte deutsche Ausgabe aus dem Regal zu ziehen, um zu schauen wie da Miss Marples Gedanken zum Thema Sex „damals“ und „heute“ übersetzt wurden. Dafür erinnere ich mich sehr gut an Miss Marples Überlegungen darüber, was einen Mord interessant macht. [Es ist wirklich spannend wie sehr der Ton der deutschen Übersetzung vom englischen Original abweicht! Während Miss Marple im Englischen einfach Beobachtungen aufzuzählen scheint, wenn es um ihre „Erfahrungen“ mit Sex geht, gibt es im deutschen Text eine eindeutige Wertung, eine Wortwahl, die auf der einen Seite fast archaisch anmutet und auf der anderen Seite unangemessen arrogant und abwertend – beides passt definitiv nicht zum Charakter von Miss Marple.]

Wie so oft genieße ich vor allem diese kleinen Elemente, die so viel über Miss Marples Charakter aussagen so wie ihr Beschluss, dass sie – wenn sie schon die Steel Bands in ihrem Urlaub ertragen muss – versuchen wird diese Musik zu mögen, weil es ja eh keine Möglichkeit gibt sie zu vermeiden. Was den Krimianteil angeht, so finde ich es immer wieder spannend zu sehen wie früh Agatha Christie schon Hinweise in ihre Geschichten einbaut und wie unschuldig das alles wirkt, wenn noch nicht klar ist, worauf die Handlung hinauslaufen wird. Mit dem Wissen um die Details rund um den Mord (bzw. die Morde) lassen sich dafür so viele Untertöne wahrnehmen – ich vermute, dass das einer der Gründe ist, wieso sich ihre Romane so gut immer wieder lesen lassen.

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Donnerstag (10.11.) – Kapitel 6 bis 10

Ich finde es spannend, dass Miss Marple zwar immer von Agatha Christie überzeugend als alte Frau dargestellt wird, dass aber erst in den späteren Romanen kleine Beobachtungen und Anmerkungen auftauchen, die diese Darstellungen noch etwas mehr „ausfüllen“ (so wie hier die Bemerkung über Miss Marples altersbedingten leichten Schlaf). Für mich ist das ein deutliches Anzeichen, dass die Autorin mit ihrem eigenen altern immer häufiger eigene Erfahrungen einfließen lassen konnte, wenn es um diese Elemente ging. Was ich auch schön finde, ist, wie Miss Marple Major Palgrave als vollkommen uninteressant für ihre Ermittlungen einstuft. Auch wenn er das Opfer des Mordes ist, so ist für sie ganz eindeutig, dass er nur ermordet wurde, weil er so schwatzhaft war und nicht weil es irgendetwas in seinem Leben gab, was jemanden zum Mord getrieben hätte. Ich finde das eine erfrischende Abwechslung zu all den Kriminalfällen, bei denen es erst einmal darum geht mehr über das Opfer herauszufinden.

Überhaupt ist es wie immer ein Vergnügen all die kleinen Beobachtungen zu den verschiedenen Charakteren zu lesen, darüber wie unauffällig eine alte Frau wie Miss Marple ist, darüber, dass jemand wie Mr. Rafiel grundsätzlich Vorschläge, die nicht von ihm kommen, ablehnt, selbst wenn sie in seinem Interesse sind, oder darüber wie Senora de Caspearo über eine andere Frau urteilt, die die Aufmerksamkeit von Männern sucht. Und dann natürlich das Gespräch des Ehepaars mit dem Arzt und wie natürlich es wirkt, dass der Mann die Gesprächsführung übernimmt (weil das nun mal viele Männer tun würden, auch wenn sie keine Ahnung von der Materie haben). 😉 Etwas weniger vergnüglich ist es all die kleinen Bemerkungen über Victoria zu lesen. Auf der einen Seite wird die junge Frau als klug und schön dargestellt, auf der anderen Seite schimmert immer wieder so viel (wie ich vermute unbewusster) Rassismus durch. Ich glaube nicht, dass Agatha Christie bewusst war, wie rassistisch einige ihrer Beschreibungen klingen, und ich würde sogar behaupten, dass sie in vielen Dingen weniger rassistisch war, als andere Frauen ihrer Zeit und dass sich um eine positive Darstellung dieser Figur bemüht hat, aber das ändert nichts daran, dass es diese Elemente in ihren Romanen gibt.

Ansonsten ist es immer wieder schön einen Agatha-Christie-Roman zu lesen und all die kleinen Hinweise aufzusammeln, die erst dann wirklich ins Auge fallen, wenn einem die Hintergründe der Geschichte schon bekannt sind …

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Dienstag (15.11.) – Kapitel 11 bis 14

Ich mag es sehr wie dieser kleine Absatz aus Mollys Sicht zeigt, wie einfach es für jemanden, dem sie vertraut, ist, in ihr Zweifel an sich selbst zu wecken. Und gleich im Anschluss diese ganzen Untertöne bei den Szenen mit Gregory Dyson … so eine gute Mischung aus „ich als Leser*in weiß genau, was für einen Typ Mann Agatha Christie da beschreibt“ und „ganz natürliche Verbreitung von Informationen“. Ich finde es spannend, dass die Szene mit Victoria so aufgebaut ist, dass einem dieser Moment sofort in den Sinn kommt, wenn der nächste Mord passiert, während die folgenden Absätze so alltäglich wirken, dass sie gar nicht erst den Verdacht aufkommen lassen, dass auf diesem Weg der Mörder eventuell an für ihn wichtige Informationen gekommen ist. (Schwierig auszudrücken, wenn ich nicht zu sehr spoilern will – wobei ich niemandem diese Lesezeit-Beiträge empfehlen würde, der die Geschichten nicht schon kennt …)

Fast schon lustig finde ich das in diesen Romanen Dienstboten immer in zwei Kategorien fallen: Die Gierigen, die ihre Arbeit nicht gut machen und immer mehr wollen als sie haben, und die Treuen Seelen, die auch Jahre später noch als verlässliche Stützen zur Verfügung stehen. Nur sehr selten gibt es eine dritte Variante, die dann (in der Regel weiblich) überaus intelligent und effizient ist und genau weiß, welchen Wert ihre Arbeit für andere Personen hat. *g*

Dann noch diese Szenen rund um die Ehe der Hillingdons – fast schon zu plakativ wie Agatha Christie da aufzeigt, dass kein Außenstehender wirklich beurteilen kann wie die Beziehung zweier Menschen wirklich ist. Und der arme sensible Mann, der von seiner Frau aus einer Situation, in die er aus lauter Dummheit geraten ist, gerettet werden muss, gehört auch zu den immer wieder auftauchenden Motiven in ihren Geschichten … spannend finde ich, wie viele Seiten Evelyn in diesen beiden Kapiteln (11-13) zeigen darf und wie fürsorglich/mütterlich sie – neben alle den anderen Facetten – gegenüber einer ihr relativ fremden Frau sein darf.

Und ich frage mich, wie es sein kann, dass Agatha Christie auf der einen Seite eine Figur wie Inspector Weston schaffen und auf der anderen Seite eine Szene schreiben kann, in der Victorias Lebensgefährte mit gerade mal zwei Sätzen so viele rassistischen Vorurteile bestärkt, während er sich beim Verhör dumm stellt. Auf der anderen Seite lässt sie den Inspector relativ klar sagen, dass die Gebräuche auf der Insel vielleicht anders sind als es ein konservativer Brite gewohnt ist, aber das es diesem Briten nicht zusteht dies zu verurteilen. Und gleichzeitig gibt es eine nicht weniger deutliche Aussage dazu, wie es um die Moral vieler Briten steht, die die West Indies besuchen.

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Freitag (18.11.) – Kapitel 15 bis 19

Ärgerlicherweise konnte ich gestern keine Lesezeit einrichten, aber dafür geht es heute weiter mit „A Caribbean Mystery“. Ich mochte es, die diversen ersten Vernehmungen zu verfolgen, weil ich es immer wieder beeindruckend finde, wie Agatha Christie die Figuren klingen lässt. Hier vermittelte sie vor allem den Eindruck, als ob die meisten Personen Molly beschützen wollten, was eine wunderbare Ablenkung von eventuellen eigenen Motiven darstellte. Ich mag es sehr, wie sie es auf der einen Seite schafft, dass ich Charaktere sympathisch finde und auf der anderen Seite jedes Wort anzweifel, das geäußert wird. 😉

Außerdem fand ich diese kleine Szene mit Miss Marple spannend, in der ihr bewusst wird, wie sehr sie sonst doch auf ihr vertrautes Umfeld angewiesen ist. Auf den Chefinspektor, der sie gut genug kennt, um selbst vage Gedanken von ihr ernst zu nehmen, auf den Patensohn, der Informationen beschafft oder Kontakt zu Behörden herstellt … Den Klatsch und Tratsch bekommst sie auch ohne ihre Freunde in Erfahrung und ihre Lebenserfahrung filtert dann die wichtigen Informationen heraus, aber was soll sie mit diesen Informationen anfangen, wenn sie niemanden in der richtigen Position hat, an den sie sich damit wenden kann? Und dann der Moment, in dem Mr. Rafiel ihr eingesteht, dass er sie deutlich unterschätzt hat – ich mag es sehr, wie diese beiden alten Menschen miteinander umgehen. Sie mit sichtbarer Toleranz, die von genügend Selbstbewusstsein zeugt, dass sie mit seinen Marotten umgehen kann, er mit erstaunlich viel Entgegenkommen für einen solch schroffen und egozentrischen Menschen. Ein überraschend gutes Team und wunderbar unterhaltsam, gerade weil die beiden aus so vollkommen unterschieden Welten kommen.

Interessant finde ich es auch, dass die Erzählweise dafür sorgt, dass die Leser*innen eigentlich nicht daran zweifeln, dass die Mördergeschichte des Majors sich um einen Mann drehte, der seine Frauen umbrachte, obwohl Agatha Christie immer wieder betont, dass niemand dem Major aufmerksam zugehört hat und dass er auch einige Geschichten über Mörderinnen hatte. Aber allein die Tatsache, dass Edward Hillingdon seiner Frau schon gestanden hat, dass er – in gewisser Weise – an einem Mord beteiligt war, führt dazu, dass ich all diese falschen Spuren nicht ernst nehmen kann. Als Leserin weiß ich da in diesem Moment mehr als Miss Marple und habe deshalb das Gefühl, dass dieser Teil vernachlässigbar ist. Wobei ich gern wüsste, ob jemand, der die Geschichte (oder überhaupt Agatha Christie Romane) nicht so gut kennt, darauf reinfallen würde oder nicht.

Dienstag (22.11.) – Kapitel 20 bis Ende

Oh, ich liebe es, wie Agatha Christie es ganz natürlich wirken lässt, dass in der Regel über und nicht mit einer bestimmten Person gesprochen wird und wie das die Sicht auf diese Person beeinflusst! Und wie schön in Jacksons Gebrabbel Hinweise eingestreut wurden … 😉 Auf der anderen Seite gibt es Aussagen von Esther Walters, bei denen ich schon fast das Gefühl habe, die Autorin war sich nicht sicher, ob sie genügend/überzeugende Hinweise auf die von ihr geplante Auflösung eingebaut hätte, weshalb sie noch einmal eine Schippe draufgelegt hätte. Ich weiß nicht, ob das nötig gewesen wäre, auch wenn damit natürlich ein weiteres Motiv für den Mörder angedeutet wird …

Alles in allem nicht mein Lieblingskrimi von Agatha Christie, aber es gibt so viele schöne „menschliche“ Elemente, die ich auch dieses Mal wieder genießen konnte, und es ist immer wieder nett Miss Marple außerhalb ihrer Komfortzone anzutreffen – nur um dann doch zu sehen, dass die menschliche Natur für sie überall gleich durchschaubar ist. Was ich, glaube ich, am Liebsten an dieser Geschichte mag, ist die Freundschaft, die zwischen ihr und Mr. Rafiel entstanden ist, wie sie sich gegenseitig wertschätzen, obwohl sie aus so unterschiedlichen Gesellschaften kommen und so wenig zusammenpassen.

Oh, und was mir noch aufgefallen ist: Meine deutsche Übersetzung (erschienen im Jahr 1991, allerdings als 18. Auflage) ist deutlich rassistischer in der Sprache, als es Agatha Christie 1964 in ihrem Originaltext war. Ich muss zugeben, dass ich das nicht 100%ig sicher sagen kann, aber bei Agatha Christie werden Begriffe verwendet, die – soweit ich das sagen kann – in ihrer Zeit als angemessen und „respektvoll“ erachtet wurden, und ja, es lässt sich hier die Frage aufwerfen, ob bei einer aktuellen Ausgabe dieses Romans eine Überarbeitung angebracht gewesen wäre. Bei meiner deutschen Ausgabe aus dem Jahr 1991 hingegen wurden Begriffe verwendet, die nicht nur 1991, sondern auch schon im Jahr 1964 eindeutig rassistisch waren. Selbst wenn also jemand beim Übersetzen in den 1960er Jahren der Meinung gewesen wäre, dass das schon richtig sei, hätte bei einer der vielen folgende Auflagen definitiv jemand einschreiten und dort Änderungen vornehmen müssen.

Lesezeit (2) – At Bertram’s Hotel

Meine heutige „Lesezeit“ verbringe ich mit „At Bertram’s Hotel“ von Agatha Christie – einem meiner Lieblings-Miss-Marple-Titel, auch wenn ich den Kriminalfall an sich etwas offensichtlich finde. Aber man erfährt in diesem Roman so viele Kleinigkeiten über Miss Marple, über ihr Leben und über ihre Familie, dass ich das Gefühl habe, dass ich bei jedem erneutem Lesen wieder eine neue kleine Facette über diese Figur mitnehmen kann. Viel Zeit habe ich heute Nachmittag nicht zum Lesen, aber ich habe Lust auch diesen Reread hier zu kommentieren, also gönne ich mir dafür einen weiteren „Lesezeit“-Beitrag.

Links die Taschenbuchausgabe von "At Bertram's Hotel", rechts eine große Tasse mit Milchkaffee und dazwischen liegt ein kleines japanisches KitKat (Geschmacksrichtung Schoko-Orange)

Ich liebe es, wie Agatha Christie in den ersten Absätzen das Hotel und sein (früheres) Klientel vorstellt. Obwohl ich weder die Zeit erlebt habe, noch je solche Personen getroffen habe, kann ich mir trotzdem genau vorstelle, was für Menschen im Bertram’s wohnten. Diese kurze Erwähnung von verwitweten Landadeligen, religiösen Würdenträgern, Schulmädchen, die auf dem Weg von ihrem oder in ihr gehobenes Internat sind, – alles so ehrbar, altmodisch und Edwardianisch, obwohl sich doch sonst alles im Laufe der Zeit verändert hat. Und alle Beschreibungen erfolgen aus der Sicht einer älteren Dame – nicht, weil Miss Marple schon eingeführt wurde, sondern weil einen die Autorin dazu bringt durch die Augen einer älteren, rheumatischen Person das Hotel zu betrachten. Und dementsprechend weiß man auch als Leser, der sonst vielleicht nicht auf solche Details achtet, den höflichen Portier, die von Kohlenfeuern erwärmte Eingangshalle und die bequemen, hohen Sessel, die dort stehen, zu schätzen.

Außerdem finde ich es großartig, wie Agatha Christie von Anfang an klarstellt, dass die altmodische Atmosphäre im Bertram’s nichts anderes als eine Kulisse ist. Ein kleines Gespräch zwischen dem Manager Mr. Humfries und dem zu Gast seienden Colonel Luscombe und schon weiß der Leser, dass das Bertram’s für manche Gäste „Sonderpreise“ einrichtet, weil diese eben zu den Personen gehören, die für die traditionelle, gediegene Atmosphäre sorgen. Und als Kontrast dann die erste Szene mit Jane Marple, die darüber nachdenkt, dass in St. Mary Mead eben nicht alles beim Alten geblieben ist und dass Veränderung nun einmal unabwendbar ist … Ich sollte vermutlich mehr lesen und weniger schreiben, aber genau dies sind diese kleinen Elemente, die ich bei Agatha Christies Geschichten so sehr liebe, und es bereitet mir Freude all diese kleinen Beobachtungen aufzuschreiben, statt sie nur beim Lesen kurz zu registrieren und dann weiterzublättern …

Oh, ich freu mich schon darauf in den nächsten Tagen Zeit mit diesem Buch zu verbringen. 🙂

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Dienstag (05.10.) – Kapitel 6 bis 10

Obwohl in den ersten fünf Kapiteln alle wichtigen Figuren vorgestellt wurden und man einen Eindruck von den ersten Verwicklungen bekommen hat, muss ich gestehen, dass ich in den letzten Tagen eigentlich nur über die Dinge nachgedacht habe, die diese ersten Kapitel von „At Bertram’s Hotel“ über Miss Marple verraten. Dabei ist mir aufgefallen, dass ich mir vorher noch nie Gedanken darüber gemacht habe, dass ihr Vater anscheinend in ihrem Leben keine große Rolle gespielt hat. Was den Verdacht nahelegt, dass er früh verstorben ist, aber wenn ich mich richtig erinnere, gibt es darüber keine Informationen. Stattdessen verweist Jane Marple immer wieder auf Aussagen und Grundsätze ihrer Mutter und den Besuch in Bertram’s Hotel, den sie als vierzehnjähriges Mädchen so sehr genossen hat, verdankte sie einem Onkel. Außerdem habe ich mir – mal wieder – Gedanken über Miss Marples Status gemacht. Jane Marple ist nicht wirklich reich, sie ist darauf angewiesen, dass ihre wohlhabenden Freundinnen oder ihr erfolgreicher Neffe für größere Reisen zahlt und auch der aktuelle Aufenthalt im Bertram’s ist ein Geschenk gewesen. Auf der anderen Seite hat sie gemeinsam mit wirklich reichen und/oder adeligen Mädchen eine Schweizer Mädcheninternat besucht und genug Geld von ihren Eltern geerbt, dass sie nie arbeiten musste und sich sogar immer ein Dienstmädchen leisten konnte.

Ansonsten muss ich zugeben, dass ich die Figur Elvira Blake einfach nicht leiden kann und da ein Großteil der Handlung sich um sie dreht bzw. von ihr ausgelöst wird, ist es wirklich schwierig diese Passagen zu genießen. Umso schöner finde ich es, wie sich Jane Marple bei ihrem Einkauf in „The Army & Navy Shop“ an ihre Tante Helen erinnert und wie diese früher dort Vormittage verbrachte, an denen sie für alle möglichen Gelegenheiten in den kommenden Monaten einkaufte. Durch all diese Erinnerungen an vergangene Zeiten, erfährt man in diesem Buch so unglaublich für über Jane Marples Familie und ihre Kindheit und Jugend. Und dann natürlich noch die Person, deren Vergesslichkeit am Ende zur Auflösung des Falles beitragen wird, Canon Pennyfather. Dieser wird von Agatha Christie so rührend in seiner Hilflosigkeit beschrieben, dass ich am Liebsten jedes Mal dafür sorgen würde, dass er jemanden zur Seite gestellt bekommt, der dafür sorgt, dass er seine Termine, seine Mahlzeiten und alles andere auf die Reihe bekommt. *g*

Grundsätzlich muss ich aber zugeben, dass ich Agatha Christies Romane lieber mag, wenn sich der Kern der Geschichte weniger um „Wer schläft/schlief mit wem?“ dreht …

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Dienstag (12.10.) Kapitel 11 bis 15

Inzwischen wird Canon Pennyfather von seiner Haushälterin vermisst, während Miss Marple sich rundum in London vergnügt. Ich finde es sehr passend, dass ihre Ansicht von Vergnügen keine kulturellen Veranstaltungen oder ähnliches beinhalten, sondern die Suche nach Porzellan und Leinen und natürlich das Auffrischen von Erinnerungen. Letzteres tut sie natürlich, indem sie schaut, ob sie einige der Geschäfte wiederfindet, die sie von früher kennt. Und natürlich versucht sie beim Verlassen des Hotels den Pförtner zu vermeiden, der der Meinung ist, sie müsse unbedingt ein Taxi nehmen statt mit dem Bus oder der U-Bahn zu fahren. *g*

Was mir nicht so gut gefällt, ist, dass Miss Marple schon zum zweiten Mal zufällig über ein Paar stolpert, dass in einem altmodischen Café bzw. Teesalon absolut fehl am Platz ist. Das ist mir doch etwas viel Zufall in einer Stadt wie London und ich hätte es schöner gefunden, wenn Agatha Christie eine bessere Möglichkeit gefunden hätte, um ihre Hinweise in die Geschichte einzustreuen. Aber nun gut, wir hatten ja schon mehr zufällige Begegnungen, ohne die der Krimianteil des Romans überhaupt nicht zustande gekommen wäre, da stören zwei weitere Zufälle auch nicht mehr.

Und ich mag den erfahrenen Polizisten (Chief-Inspector „Father“ Davy), der das Bertram’s auf dem Kieker hat. Für unauffällige, aber fähige Polizisten hat Agatha Christie in ihren Romanen ja eine Schwäche und hier zweifeln sogar die etwas unerfahreneren Untergebenen an der Genialität ihres Vorgesetzten. Was mich auf einen weiteren Punkt bringt, den ich an Miss Marple mag: Sie ist überraschend diskret, obwohl sie doch so viel auszuplaudern scheint. Aber solange etwas nur seltsam ist oder sie das Gefühl hat, dass sie nicht das Recht hat sich einzumischen (zum Beispiel weil jeder Mensch nun einmal seine eigenen Fehler machen muss), behält sie viele Beobachtungen für sich und denkt sich einfach nur ihren Teil. Es ist nicht so, dass sie gar nicht tratschen würde, aber sie ist nie diejenige, die von sich aus Klatsch verbreitet. (Es sei denn, sie ermittelt gerade aktiv, aber das ist dann eher … eine Ausnahmesituation.)

Es bleibt dabei, es ist nicht der beste Kriminalfall, denn sich Agatha Christie da ausgedacht hat, aber ich mag die Idee so eine Geschichte rund um ein Hotel wie das Bertram’s zu spinnen, ich mag all die Informationen rund um Miss Marple und ich mag den ermittelnden Polizisten. Alles in allem fühle ich mich als wieder gut unterhalten.

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Dienstag (19.10.) Kapitel 16 bis 20

So langsam kommt Bewegung in die ganze Angelegenheit! Der arme Canon Pennyfather ist inzwischen wieder aufgetaucht und erinnert sich natürlich an gar nichts und Chief-Inspector Davy wendet sich an einen ganz hohen Finanzmenschen (Auftritt Mr. Robinson – ich finde es schön, dass Agatha Christie immer wieder auf ihn zurückkommt), um mehr über die Hintergründe des Hotels zu erfahren. Alles in allem passiert gar nicht so viel in diesen Kapiteln, abgesehen davon, dass der Chief-Insector Informationen sammelt, noch einmal mit Miss Marple redet (die überlegt, ob sie ihr Herz ausschütten soll, weil sie sich Sorgen um eine junge Frau macht) und Ohrenzeuge eines Mordes wird, gerade als er Miss Marple versichert, dass es keinen Mord geben wird …

Ich bleibe dabei, dass ich es sehr schön finde, wie immer wieder in dem Roman durchschimmert, dass eine Person sich vielleicht nach „der guten alten Zeit“ zurücksehnen kann, dass es aber selbst in einem Hotel wie dem Bertram’s unmöglich ist wirklich die Zeit zurückzudrehen … Oh, und ich liebe die kleine Geschichte, die Miss Marple über ihre Großmutter und einen gemeinsamen Ausflug mit ihr und ihrer Mutter nach Paris erzählt! Ob das wohl auf einer eigenem Erlebnis mit Agatha Christies Großmutter basierte? Eine sehr hübsche Szene! 🙂 Nur noch eine Nachmittags-Leserunde mit dem Buch und dann ist es auch schon wieder vorbei.

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Dienstag (26.10.) Kapitel 21 bis Ende

Kapitel 21 beginnt mit einem Mutter-Tochter-Vergleich, der nicht sehr schmeichelhaft für Elvira ausfällt. Ich glaube, ich hätte es wirklich lieber gemocht, wenn Agatha Christie diesen Charakter sympathischer angelegt hätte, gerade weil es so viele andere Figuren in der Geschichte gibt, die (stellenweise etwas fischig, aber) ungemein charmant sind. Im Kontrast zu diesen Figuren kann Elvira nur verlieren, was bei mir dazu führt, dass ich grundsätzlich das Schlimmste von ihr erwarte – und deshalb auch erwartet hätte, dass Miss Marple weniger Mitleid mit der jungen Frau hätte. Ansonsten finde ich es wunderschön, wie der Chief-Inspector fleißig einen Hinweis nach dem anderen sammelt, immer wieder Bestätigungen für seine Theorien findet und dann am Ende mit Miss Marple redet und zu seiner Überraschung feststellen muss, dass sie – natürlich – sehr viele dieser gesammelten Details schon längst wusste (oder vermutete). Und am Ende der Geschichte bleibt ihr nur so etwas wie Trauer – Trauer für eine Zeit, die schon lange vergangen ist, und für ein Kunstwerk wie „Bertram’s Hotel“.

Ich bleibe dabei, dass das definitiv nicht Agatha Christies bester Roman ist, aber ich mag all die kleinen Elemente rund um Miss Marples Kindheit und um ihre Familie, die in dieser Geschichte erwähnt werden, und ich habe mich auch dieses Mal beim Lesen wieder wunderbar unterhalten gefühlt. 🙂

Agatha Christie: Curtain – Poirot’s Last Case

Es ist kein Geheimnis, dass ich die Agatha-Christie-Romane lieber mag, in denen Miss Marple die Hauptfigur ist, aber das hindert mich natürlich nicht daran, einen Hercule-Poirot-Roman zu genießen. Nur bei „Curtain“ ist das mit dem Genuss ein Problem, denn das ist der Kriminalroman der Autorin, den ich am wenigsten genießen kann. Ich finde die Entstehungsgeschichte spannend. Denn der Roman ist während des 2. Weltkriegs geschrieben worden, weil Agatha Christie sichergehen wollte, dass Poirots Geschichte selbst dann einen Abschluss finden würde, wenn sie während des Kriegs sterben würde. Danach ruhte das Manuskript 30 Jahre lang in einem Banksafe, um 1975 (ohne weitere Anpassungen an die Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte zu erleben) veröffentlicht zu werden.

Auf den ersten Blick hat die Geschichte alles, was einen guten Agatha-Christie-Roman ausmacht. Die Handlung ist unterhaltsam und spannend, die Autorin beweist wieder ein Händchen für stimmige Figuren (auch wenn man bestimmte Typen sehr häufig in ihren Bücher vorfindet) und die Grundidee ist – ebenso wie die Auflösung – einfach genial. Erzählt wird die Geschichte wieder aus der Sicht von Arthur Hastings, der sich dumm genug anstellt, dass sich der Leser überlegen fühlt, und dann wieder so mit sich beschäftigt ist, dass es mehr als verständlich ist, dass er bestimmten Aspekten keine Beachtung schenkt. Reizvoll finde ich eigentlich auch die Tatsache, dass der Roman wieder in dem Herrenhaus Styles spielt und so einen Bogen schlägt zur ersten Poirot-Geschichte. Denn in Styles haben Hastings und der kleine Belgier sich nach dem Ersten Weltkrieg kennengelernt, während der eine aufgrund einer Verwundung seinen Dienst als Soldat quittieren musste und der andere durch den Krieg gezwungen wurde, sein Heimatland zu verlassen.

Wie so oft konzentriert sich das Geschehen auf einen kleinen Kreis von Personen und alle relevanten Szenen spielen in einem – von der Außenwelt regelrecht abgeschlossen wirkenden – Haus. Dabei wirkt das Ganze wie aus der Zeit gefallen, was nicht nur daran liegt, dass Agatha Christie dieses Mal relativ wenige Verweise auf politische und gesellschaftliche Ereignisse eingebaut hat. In Styles haben sich lauter Menschen versammelt, die – wie es eine der Personen ausdrückt – „versehrt“ sind. Dabei leiden eigentlich nur Hercule Poirot (durch sein Alter) und Mrs. Franklin an körperlichen Einschränkungen, alle anderen Beteiligten sind – auch wenn es auf den ersten Blick nicht immer ersichtlich ist – „nur“ durch ihr Leben gezeichnet.

Das führt zu dem Punkt, mit dem ich so große Probleme beim Lesen habe: Agatha Christie hat es geschafft, bei dieser Geschichte eine für mich ganz fürchterliche Atmosphäre zu schaffen. Auch wenn auf den ersten Blick alles normal und heiter wirkt (was es selten tut), so ist der Roman durchdrungen von Hilflosigkeit, Trauer, Reue, Desillusionierung und vielen anderen lähmenden oder frustrierenden Emotionen. Etwas Ähnliches hat Agatha Christie schon in anderen Romanen geschaffen, wie zum Beispiel bei „Tod auf dem Nil“ oder „Die Schattenhand“, Doch bei den anderen Büchern wurde die unangenehme Atmosphäre dadurch aufgebrochen, dass der Erzähler ein Außenstehender ist und durch die Ereignisse in der Geschichte wieder an Lebensmut gewinnt oder dass es Nebenfiguren gibt, bei denen man schon während der Handlung erahnen kann, dass es am Ende zumindest für sie zu einem glücklichen Ausgang führen wird. Hier hingegen ist der Erzähler Hastings genauso deprimiert wie all die anderen Beteiligten und dazu kommt, dass er eigentlich jedem Menschen vertrauen will – und sich doch aufgrund der Umstände, gezwungen sieht, jeden Einzelnen zu hinterfragen. (Was ihm, wie ich zugeben muss, nicht liegt und deshalb auch nicht besonders gut gelingt.) Einzig Poirot scheint ungebrochen zu sein – doch bei ihm zeigt es sich dafür, dass selbst der brillanteste Verstand manchmal nicht ausreicht, um einen Verbrecher aufzuhalten.

So finde ich – trotz all der ungewöhnlichen und tollen Ideen, die Agatha Christie in diesem Roman verwendet hat – „Curtain“ nicht wirklich schön zu lesen. Ich kann das Handwerk anerkennen, ich finde auch, dass der Roman nun mal dazu gehört, wenn man Poirots Fälle (oder Agatha Christies Werk) kennenlernen möchte, aber ich kann diese Geschichte nicht so sehr genießen wie all die anderen Romane der Autorin. Es fehlt bei „Curtain“ das ausgleichende Element, es fehlt die vertraute Leichtigkeit, die sonst oft bei Dialogen von Agatha Christie zum Tragen kommt. Ich gebe zu, dass zumindest Letzteres hier angesichts des Endes nicht passend wäre, aber das hindert mich nicht daran, diese helleren oder gar amüsanteren Seiten eines Agatha-Christie-Romans bei diesem Titel zu vermissen.

Höreindrücke im Juni

„Tod auf dem Nil“ von Agatha Christie ist eines von gleich mehreren Agatha-Christie-Hörbüchern, das ich in den letzten Tagen gehört habe. Wenn der Kopf voll ist, dann halte ich mich eben doch eher an vertraute Autoren. „Tod auf dem Nil“ ist eine Poirot-Geschichte und nach dem Anfang, der in einem britischen Herrenhaus und einem Klub in London spielt, findet ein Großteil der Handlung auf einem Nil-Kreuzfahrtschiff statt. Ich mag den Roman, aber bei der von Gerd Anthoff gelesenen Hörbuchversion musste ich hier und da die Zähne zusammenbeißen. Der Sprecher ist nicht nur dann, wenn er die Frauen spricht, nur schwer erträglich. Immerhin fand ich seine Poirot-Interpretation gar nicht so schlimm, gerade das manchmal durchschimmernde „väterliche“ Verhalten des Belgiers, wenn er zwar die Gefühlsaufwallungen der jüngeren Mitreisenden versteht, aber eben auch weiß, dass das alles nicht so schlimm ist, wie es der Person in diesem Moment erscheint, war sogar ganz passend rübergebracht. Trotzdem werde ich um Gerd Anthoff als Hörbuchsprecher demnächst erst einmal einen großen Bogen machen!

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An „Crocodile on the Sandbank“ von Elizabeth Peters habe ich mich gewagt, nachdem ich „The Unexpected Mrs. Pollifax“ gehört und doch überraschend gut verstanden hatte. Nachdem ich im März oder April erst eine deutsche Hörbuchversion von „Im Schatten des Todes“ gehört hatte, hatte ich auch die Details der Geschichte noch so präsent, dass ich die erste Stunde durchgehalten habe, obwohl ich da noch deutlich weniger folgen konnte als bei Mrs. Pollifax. Da machte es sich deutlich bemerkbar, dass Elizabeth Peters doch einen anderen Schreibstil hat als Dorothy Gilman, denn an der Sprecherin konnte es nicht liegen, die war in beiden Fällen die gleiche. Barbara Rosenblat liest wunderbar – ich mag ihre Betonung, ich mag ihre Stimme und ich mag ihre Interpretation der Figuren. Ihre Evelyn war sanft, aber nicht weichlich, ihre Amelia war energisch, tatkräftig, aber auch an den richtigen Stellen etwas unsicher und auch ihre Männer waren überzeugend – vor allem Emerson war hinreißend und überzeugend (!) aufbrausend.

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„Emma im Knopfland – Eine verknöpft und zugenähte Geschichte“ von Ulrike Rylance ist eine niedliche kleine Geschichte mit gerade mal 2 Stunden und 41 Minuten Laufzeit. Hauptfigur Emma verschlägt es, als sie sich in ihren Ferien bei Onkel Hubert und Tante Mechthild langweilt, in ein Zimmer voller Knöpfe. Bevor Emma sich noch groß umgucken kann, fällt ihr ein großer goldener Knopf auf, der vor ihr davon zu rennen scheint – und als sie diesen berührt, landet sie im Knopfland. Dort muss Emma ein paar Abenteuer bestehen und schließt neue Freundschaften, bevor sie einen Weg zurück in das Knopfzimmer findet.

Eigentlich ist die Geschichte nett und unterhaltsam, aber mir gab es dabei einfach zu viele „Anlehnungen“ an bekannte Kinderbücher. Vor allem „Alice im Wunderland“ wurde immer wieder von der Autorin herangezogen, so dass Hofdame Isolde (der große goldene Knopf) eine gewisse Ähnlichkeit mit der Herzkönigin hat, während Emma natürlich im Laufe der Handlung auch in eine Teeparty platzt und weitere Elemente dem Hörer immer wieder auffallen. Hätte ich das Gefühl, dass Ulrike Rylance aus diesen Dingen eine eigene Geschichte gemacht hätte, wäre das bezaubernd gewesen. Aber ohne eine spürbare individuelle Note ärgere ich mich eher über all die vertraut wirkenden Szenen. Gelesen wird das Hörbuch (bei dem ich übrigens nicht rausfinden konnte, ob es für diese Umsetzung bearbeitet wurde) von Fritzi Haberlandt. Die Sprecherin macht ihre Sache eigentlich sehr gut, verleiht den verschiedenen Charakteren eine eigene Note und sorgt dafür, dass selbst die Nebenfiguren einen recht hohen Wiedererkennungswert haben. Da ich das Hörbuch – trotz seiner Kürze – über einige Tage verteilt gehört habe, kam mir das wirklich zugute.

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„Das Böse unter der Sonne“ von Agatha Christie hat mich mehrere Tage lang sehr gut unterhalten. Ich mag die Geschichte (ich mag sogar die Verfilmung mit Ustinov, obwohl er definitiv nicht mein „Poirot“ ist, aber es gibt tolle andere Darsteller in dem Film und die Atmosphäre passt) und mit der ungekürzten Version hätte mir nur noch der Sprecher das Ganze verderben können. Aber stattdessen hat Jürgen Tarrach das Hörspiel – besonders Poirot, aber überraschenderweise auch die diversen Frauenrollen – wunderbar gelesen. Einzig seine Aussprache des Vornamen „Odell“ klang eher nach Oddl, aber ansonsten habe ich nichts zu kritisieren. Dank der tollen Umsetzung habe ich viele amüsante Stunden mit „Das Böse unter der Sonne“ verbracht – ich finde die Tatdurchführung immer wieder genial ausgedacht und mag die wunderbare Darstellung der vielen verschiedenen Figuren. Beim Hören kam mir übrigens der Gedanke, dass Agatha Christie wohl Schuld daran ist, dass ich bei vielen Krimis immer recht schnell auf den Täter komme, denn sie hat dafür gesorgt, dass ich in diesem Genre jede Nebenbemerkung als potenziell wichtig abspeichere.

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„Die Tote in der Bibliothek“ von Agatha Christie ist – wie all die anderen Hörbücher in diesem Beitrag – wieder einmal eine Leihgabe von Natira und ich hatte mich sehr auf mein – vorerst letztes – Agatha-Christie-Hörbuch gefreut. Die Geschichte ist ja recht bekannt und ich mag sie sehr. Alles beginnt mit dem Fund einer Mädchenleiche in der Bibliothek des Herrenhauses der Bantrys und während Mrs. Bantry anfangs das Ganze noch spannend findet (sie liest gern Kriminalromane), geht ihr nach kurzer Zeit auf, dass das gesamte Dorf ihren Mann verdächtigt. So animiert sie ihre Freundin Miss Marple sich des Falls intensiv anzunehmen und die Unschuld von Colonel Bantry zu beweisen. Wie gesagt, ich mag den Roman, aber dieses Mal habe ich die (auch noch gekürzte) Handlung nicht so genossen wie sonst, da mir die Sprecherin nicht so zusagte. Ich kann Traudel Sperber gar nichts konkretes „vorwerfen“. Ihre Stimme ist mir nur zu weich und zu jung für das Hörbuch und weder ihre Interpretation der Charaktere, noch ihre Betonung insgesamt sagt mir wirklich zu.

Laura Thompson: Agatha Christie

Wenn ich die Romane einer Autorin oder eines Autors sehr mag und auch noch die Zeit besonders interessant finde, in der sie oder er gelebt hat, dann greife ich auch gern zu (Auto-)Biografien, um mehr über die Arbeit, den Werdegang und das Leben zu dieser Zeit zu erfahren. Dass ich Agatha Christies Romane sehr gern lese (und höre), dürfte ja inzwischen jedem Blogleser bekannt sein, und so ist es auch kein Wunder, dass ich schon mehrere Bücher über sie (und über ihre Figuren und Romane) gelesen habe. Am besten haben mir bislang ihre Autobiografien („Meine gute alte Zeit“ und „Erinnerung an glückliche Tage“) gefallen sowie Charlotte Trümplers Buch „Agatha Christie und der Orient“ – Letzteres vor allem durch die Konzentration auf Agatha Christies Anteil an den Ausgrabungen ihres zweiten Mannes Max Mallowan und durch Berichte einer Freundin von Agatha Christie.

Die Biografien, die ich sonst so gelesen habe, hatten alle den großen Nachteil, dass sie sich vor allem aus Zitaten aus Agatha Christies Autobiografien zusammensetzen und mir so nicht das Gefühl gaben, dass ich etwas Neues darin entdecken könnte. Bei „Agatha Christie – Das faszinierende Leben der großen Kriminalschriftstellerin“ (was für ein Untertitel!) von Laura Thompson hingegen habe ich eine Menge Details gefunden, die die Verfasserin aus Briefen von und an Agatha Christie gezogen hat, aus Gesprächen mit Familienangehörigen und Freunden oder aus den Romanen, die diese unter dem Pseudonym Mary Westmaecott geschrieben hat. Diese – von den anderen Biografieverfassern in der Regel ignorierten – „Liebesgeschichten“ tragen wohl so einige biografische Züge oder beinhalten Figuren, die Agatha Christies Beschreibungen von sich selbst und ihrer Familie recht nah kommen, so dass Laura Thompson aufgrund dieser Romane der Schriftstellerin immer wieder Gefühle „unterstellt“, die Agatha Christie in ihrer recht distanzierten Art so nie geäußert hätte.

Obwohl manche dieser „Unterstellungen“ mir etwas zu weit gingen, klangen die Schlüsse, die Laura Thompson aus den Werken von Agatha Christie zu deren eigenem (Gefühls-)Leben gezogen hat, insgesamt recht stimmig und bringen die eine oder andere neue Facette der Autorin zum Vorschein. Die Verweise auf die Kriminal- und Mary-Westmaecott-Romane sorgen dafür, dass diese Biografie eine Menge Zitate enthält, aber diese werden so angenehm flüssig in den von Laura Thompson verfassten Text eingebaut, dass das Buch gut lesbar ist – was man ja leider nicht von jedem Buch, in dem viel zitiert wird, sagen kann. Neben dieser weniger distanzierten (und hin und wieder etwas verklärten) Sicht auf Agatha Christie haben mir doch vor allem die kleinen Informationen gefallen, die in anderen Biografien oft wegfallen, eben weil Agatha Christie auf diese Details ihres Lebens keinen Wert gelegt hat (oder nicht wollte, dass die Öffentlichkeit sich zu sehr mit diesen Aspekten beschäftigt).

Etwas unhandlich fand ich die vielen Fußnoten, da diese nicht am Seitenende aufgeführt wurden, sondern in einem separaten Anhang am Ende des Buches. Das sorgte entweder dafür, dass ich sie ignorierte, weil ich keine Lust auf das ständig Blättern hatte, oder dass ich im Text kaum voran kam, weil ich Fußnoten nachschlagen musste. Dabei besteht ein großer Teil der Fußnoten aus Quellenangaben, aber einige erklären auch weitere Zusammenhänge oder erläutern, welche Informationen Laura Thompson dazu gebracht haben, eine Situation auf diese Weise darzustellen.

In einigen Rezensionen wird Laura Thompson vorgeworfen, dass sie Max Mallowan, Agatha Christies zweiten Ehemann, nicht sehr positiv darstellt. Und ja, es gibt ein paar Sätze in dieser Biografie, die implizieren, dass Max Mallowan die Schriftstellerin wegen ihres Geldes geheiratet hat. Meinem Gefühl nach ist dies aber vor allem so dargestellt worden, weil diese Ehe eben keine himmelhochjauchzende Romanze war wie die von Agatha und Archie Christie und es für einen Außenstehenden schwer sein kann, eine eher kameradschaftliche Beziehung, die zwischen zwei (anscheinend in jeder Hinsicht) so unterschiedlichen Menschen besteht, angemessen zu beurteilen.

Auch unterstellt Laura Thompson immer wieder in den Passagen, in denen es um Max Mallowan und die Ausgrabungen in Ägypten geht, dass Agatha Christie selbst vielleicht gar nicht so sehr an den Ausgrabungen interessiert war, sondern nur so viel Zeit mit ihrem Mann dort verbrachte, um eine gute Ehefrau zu sein. Das finde ich dann doch etwas unglaubwürdig angesichts der Tatsache, dass sich Agatha Christie nicht nur schon vor ihrer Ehe mit Archäologie beschäftigt, sondern auch aktiv an der Erhaltung der gefundenen Objekte beteiligt hat.

Was ich dann wieder wirklich interessant fand, war der Teil über Agatha Christies Probleme mit der Steuer. Obwohl sie immer versuchte, sich korrekt zu verhalten, gab es fast 30 Jahre lang Schwierigkeiten, weil erst ihre US-Einnahmen zurückgehalten, dann die Steuergesetze in Großbritannien geändert wurden. So detailliert hatte ich das noch nirgends aufgeführt gesehen und ich kann mir vorstellen, dass es für sie nicht einfach war, mit dieser Situation zu leben.

Insgesamt fand ich die Biografie wirklich spannend und unterhaltsam zu lesen. Hier und da muss man als Leser vielleicht etwas kritisch an das Gelesene herangehen, da Laura Thompson nicht gerade objektiv über Agatha Christie schreibt und auch ständig betont, was für ein Genie die Schriftstellerin war, aber es gab so einige neue Informationen für mich und ich bin inzwischen sehr neugierig auf die Mary-Westmaecott-Romane geworden. Oh, ein Manko an dieser deutschen Ausgabe besteht für mich darin, dass die zitierten Passagen alle (natürlich) aus den Scherz-Veröffentlichungen der Romane übernommen wurden, da auch die Biografie bei Scherz erschienen ist, und ich bin mir sicher, dass so für den deutschen Leser einige Verweise verloren gegangen sind. Schließlich sind die Scherz-Überarbeitungen von Agatha Christies Werken aufgrund der diversen Kürzungen nicht gerade die beste Quelle …

Agatha Christie: 16 Uhr 50 ab Paddington (Hörbuch)

Auch wenn ihr es vermutlich nicht mehr sehen könnt: Ich habe mal wieder ein Hörbuch mit einer Agatha-Christie-Geschichte gehört und ja, ich schreibe eine Rezension dazu. 😀 „16 Uhr 50 ab Paddington“ gehört meinem Gefühl nach zu den bekanntesten Miss-Marple-Geschichten – vor allem aufgrund der Verfilmung mit Margaret Rutherford, die nicht so ganz werkgetreu erfolgte. Die Handlung beginnt in dieser Geschichte mit Mrs. McGillicuddy, einer älteren Dame, die in London ihre Weihnachtseinkäufe erledigt, um dann eine Freundin auf dem Land zu besuchen. Während der Zugfahrt beobachtet sie, während ihr Zug und eine zweite Eisenbahn ein Stückchen parallel fahren, einen Mord an einer jungen Dame. Da sie den Täter nur von hinten sieht, kann sie ihn nicht besonders gut beschreiben. Allerdings hat sie den Eindruck, dass es sich bei ihm um einen großen Mann um die 40 Jahre handeln müsste.

Als sie ihre Beobachtung dem Zugpersonal meldet, glaubt ihr der Schaffner ebensowenig wie der Bahnhofsvorsteher der nächsten Haltestelle. Einzig Miss Marple, zu der Mrs. McGillicuddy unterwegs war, ist davon überzeugt, dass ihre Freundin sich nichts eingebildet hat (und sei es nur, weil Elspeth McGillicuddy die Fantasie dafür fehlen würde). Und obwohl sie ihren Einfluss bei der örtlichen Polizei gelten macht, muss auch sie zugeben, dass die Ordnungshüter in einem Mord nur dann ermitteln können, wenn sie zumindest eine Leiche vorzuweisen haben. So rekonstruiert sie gemeinsam mit Mrs. McGillicuddy soweit wie möglich die Ereignisse, grenzt das Tatgebiet ein und engagiert Lucy Eyelesbarrow, um in dem fraglichen Gebiet nach einer Frauenleiche zu suchen.

Lucy Eyelesbarrow ist eine gehobene Haushälterin, die vor einiger Zeit von Miss Marples Neffen beauftragt worden war, die alte Dame zu pflegen, während sie sich von einer Krankheit erholt. Beide Frauen haben eine hohe Meinung voneinander und so verschiebt die 32jährige Lucy ihren geplanten Urlaub und sucht sich eine Stelle in dem Anwesen Rutherford Hall. Schnell steht fest, dass das Verbrechen mit dem Herrenhaus und seinen Bewohnern zu tun hat, zu denen der alte Luther Crackenthorpe, seine Tochter Emma und die – nicht mehr daheim lebenden – Söhne Harold, Cedric und Alfred gehören. Außerdem sieht man sehr oft den ehemaligen Piloten Bryan Eastley, der mit Emmas verstorbener Schwester verheiratet war, seinen Sohn Alexander und den hiesigen Arzt Dr. Quimper auf dem Anwesen.

Ich mag die Geschichte sehr gern, bietet sie Agatha Christie doch die Gelegenheit sehr viele verschiedene Charaktertypen und ihre Stellung innerhalb einer nicht ganz einfach Familienkonstellation zu präsentieren. Auch Lucy ist mir schon beim ersten Lesen des Romans ans Herz gewachsen und das hat sich in all der Zeit nicht geändert. Die Frau ist patent, energisch und weiß, was sie will. So hat sie nach einem erfolgreich abgeschlossenem Mathematikstudium die Tätigkeit der Haushälterin aufgenommen, weil sie so nicht nur mehr Geld verdienen kann als mit ihrem studierten Beruf, sondern auch tagtäglich mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun hat. Ich glaube, „16 Uhr 50 ab Paddington“ zeigt einfach besonders schön, wie es der Autorin gelingt mit nur wenigen Worten einen Menschen lebendig werden zu lassen. Mrs. McGillicuddy zum Beispiel spielt eigentlich nur eine kleine Rolle zu Beginn (und eine noch kürzere zum Ende) der Geschichte und doch hat man nach diesen wenigen Momenten schon das Gefühl, man könne sie genau einschätzen, wüsste genau wie ihr Leben bisher verlaufen ist und in Zukunft verlaufen wird. Dass der Krimianteil gut konstruiert ist, muss ich vermutlich gar nicht mehr erwähnen, aber ich finde, dass einen die Autorin schön auf falsche Fährten schickt und doch dafür sorgt, dass die Auflösung des Falls stimmig und gut fundiert ist.

Katharina Thalbach als Sprecherin dieses Hörbuchs … nun, ich hätte sie nicht gewählt, muss aber zugeben, dass sie ihre Sachen deutlich besser gemacht hat als in „Ruhe unsanft“. Zu Mrs. McGillicuddy passte ihre Geschichte sehr gut und sogar Alexanders Freund James fand ich mit ihrer Stimme überraschend überzeugend. Trotzdem finde ich ihre Stimme und ihre Art ein Hörbuch zu lesen nicht gerade für diese Geschichte geeignet. Lucy und die verschiedenen Männer klangen bei ihr nur selten überzeugend, ihre Aussprache der englischen Namen war zwar auch besser als in dem anderen Hörbuch, aber nicht immer ausreichend. So wunderte ich mich, dass der Hausherr keinen „Benny“ für den Erhalt des Anwesens investierte (und ja, ich stand auf dem Schlauch, denn es hat wirklich gedauert bis ich darauf kam, dass Penny gemeint war) und die verstorbene Edith wurde anfangs auch gern mal „Ääädith“ ausgesprochen. Auch gab es diverse Stellen, an denen der Text Reaktionen vorgibt wie „sagte sie energisch“ – während Katharina Thalbach die Figur in dem Moment eher panisch klingen ließ.

[Kurz und knapp] Agatha Christie: Ruhe unsanft (Hörbuch)

Wer meinen Blog etwas aufmerksamer verfolgt, wird jetzt vermutlich stutzen und sich fragen, warum ich nach gerade mal sieben Monaten schon wieder eine Rezension von Agatha Christies „Ruhe unsanft“ veröffentliche. Aber da ich mit der Version, die von Katharina Thalbach eingelesen wurde, nicht so glücklich war, habe ich dankbar die Chance ergriffen, als mir Natira eine Variante lieh, die von Gabriele Blum gelesen wurde. Wer sich über den Inhalt informieren will, kann gern auf die oben verlinkte Rezension zurückgreifen, ansonsten möchte ich hier nur kurz auf die Unterschiede zwischen beiden Versionen und auf die Leistung von Gabriele Blum eingehen.

Diese Version von „Ruhe unsanft“ ist nicht nur ungekürzt – was ganz wunderbar ist, weil so die verschiedenen Charaktere erst richtig vom Hörer erfasst werden können -, sondern transportiert auch eine ganz andere Stimmung als das Hörbuch mit Katharina Thalbach. „Ruhe unsanft“ ist eine recht ruhige Geschichte, bei der sehr viele Szenen zwischen Gwenda und Giles, einem jungen Ehepaar aus Neuseeland, und wechselnden dritten Personen spielen. In diesen Gesprächen versucht das Paar Informationen über Geschehnisse zu erhalten, die schon 18 Jahre in der Vergangenheit liegen. Das führt dazu, dass ihnen ihre Gesprächspartner auf der einen Seite mit Verwunderung und Irritation begegnen, aber auf der anderen Seite auch neugierig oder gar erfreut darüber, dass sie mal wieder über frühere Zeiten sprechen können.

Gabriele Blum hat bei all den vielfältigen Reaktionen, bei den unterschiedlichen Charakteren und in den verschiedenen Szenen meinem Gefühl nach so gut wie immer den richtigen Ton getroffen. Anfangs fand ich ihre Miss Marple ein klein wenig zu bedächtig, aber so ist es mir lieber, als wenn sie zu forsch klingt. Auch bei Gwenda hätte ich mir die eine oder andere kleine Nebenbemerkung etwas lebhafter vorstellen können, aber insgesamt bin ich sehr zufrieden mit der Sprecherin. Ganz dezent hat sie den Figuren unterschiedliche Facetten verliehen und die Atmosphäre des Romans wunderbar für dieses Hörbuch umgesetzt. Oh, und an ihrer englischen Aussprache hatte ich auch nichts auszusetzen. 😉 Ich fand ihre Interpretation der Geschichte wirklich wunderbar und habe jede Minute genossen und hoffe sehr, dass mir noch mehr Hörbücher mit der Sprecherin unterkommen.

(Bei meiner Suche nach weiteren Hörbüchern mit Gabriele Blum, bin ich darüber gestolpert, dass sie anscheinend eine ungekürzte Jane-Eyre-Version eingelesen hat. Wenn also einer von euch Audible-Abo-Besitzern damit mal einen Versuch wagen würde, wäre ich sehr neugierig darauf, wie das geworden ist.)

Agatha Christie: Ruhe unsanft (Hörbuch)

„Ruhe unsanft“ ist eine meiner Lieblingsgeschichten von Agatha Christie, und so habe ich das von Katharina Thalbach gelesene Hörbuch recht schnell in den Player geworfen, nachdem es in der letzten Woche bei mir ankam. Der Roman wurde von Agatha Christie 1940 geschrieben und dann für schlechte Zeiten zur Seite gelegt. Da sie aber bis zu ihrem Tod keinen Bedarf an diesem „Notfallmanuskript“ hatte, wurde die Geschichte posthum veröffentlicht.

In „Ruhe unsanft“ dreht sich die Handlung vor allem um die frischverheiratete Neuseeländerin Gwenda, die gemeinsam mit ihrem Ehemann Giles nach England ziehen will. Da Giles noch aus beruflichen Gründen aufgehalten wird, sucht Gwenda allein nach einem Haus an der Südküste und wird auch schnell fündig. Noch während der Umbauarbeiten zieht die junge Frau nach „Hillside“ und fühlt sich Tag für Tag unwohler in dem hübschen Haus, da es immer wieder zu seltsamen Vorfällen kommt. Gwenda muss nicht nur feststellen, dass all die von ihr gewünschten baulichen Veränderungen dazu führen, dass das Haus in einen früheren Zustand zurückversetzt wird, sondern sie hat auch unheimliche Erinnerungen an eine tote Frau im Treppenhaus – und dies, obwohl sie noch nie zuvor in England war. Während Gwenda so langsam befürchtet, dass sie wahnsinnig wird (oder über übernatürliche Fähigkeiten verfügt), setzt Miss Marple – die Gwenda bei einem Besuch in London kennenlernt – eher auf naheliegendere Erklärungen.

Dieser Krimi gehört nicht gerade zu den ereignisreicheren Werken von Agatha Christie, vor allem, da Gwenda, Giles und Miss Marple sich mit Geschehnissen beschäftigen, die fast zwanzig Jahre zurückliegen. Aber gerade durch diese geruhsame Erzählweise und die eigenwilligen Charaktere, die in „Ruhe unsanft“ vorkommen, finde ich diesen Roman so wunderbar. Sehr schön ist zum Beispiel ein Gespräch, das Gwenda mit dem Gärtner führt. Dieser kümmert sich schon seit Jahrzehnten um den Garten von „Hillside“ und beklagt die ständigen Veränderungen. Er finde es schrecklich, dass es einfach keine Beständigkeit mehr gibt, dass Leute heutzutage Häuser kaufen und nach zehn Jahren wieder verkaufen – und überhaupt war früher alles besser. Während dieses Lamentieren wunderbar die Veränderungen zeigt, die in den letzten Jahren den kleinen Küstenort beeinflusst haben, beweisen die Ermittlungen von Gwenda und Giles, wie viele Menschen in dem Ort fest verwurzelt sind und auch heute noch von den Ereignissen bewegt werden, die doch schon vor zwanzig Jahre passiert sind.

Für die Version, die der Hörverlag veröffentlicht hat, wurde die Geschichte auf drei CDs heruntergekürzt. Aber wer den Roman nicht kennt, wird vermutlich nicht so viel vermissen. Ich hatte auf jeden Fall nicht das Gefühl, dass die Kürzungen zu Unstimmigkeiten geführt hätten. Dafür muss ich die Wahl der Sprecherin aufs Deutlichste beklagen. Katharina Thalbach für eine Geschichte zu wählen, die vor allem aus der Sicht einer Frau Anfang Zwanzig passiert, ist mehr als unpassend. Ihre raue Stimme klingt schon sonst brüchiger und älter, als man es bei einer Frau erwartet, die nicht mal sechzig Jahre alt ist, aber hier ist es mir besonders unangenehm aufgefallen. Dazu kommt, dass ihre englische Aussprache nicht immer erträglich ist – hätte ich nicht gewusst, dass die Protagonistin Gwenda heißt, wäre ich am Ende des Hörbuchs vermutlich davon ausgegangen, dass der richtige Name „Wanda“ lautet. Ich finde Katharina Thalbach als Hörbuchsprecherin selbst dann gerade noch passabel, wenn sie passend besetzt ist, hier aber fand ich sie richtig unangenehm.

[Figurenkabinett] Jane Marple

Eine Figur, die mir schon seit sehr vielen Jahren am Herzen liegt, ist Miss Jane Marple. Ihren ersten Auftritt hatte sie in der Kurzgeschichtensammlung, die auf deutsch unter dem Titel „Der Dienstagabend-Klub“ bei Scherz erschienen ist. In diesen Geschichten wurde Miss Marple beschrieben als eine alte Dame, die – ganz viktorianisch – in schwarze Spitze gehüllt daherkommt. Die schwarze Spitze hat sie für ihren ersten Roman dann abgelegt und stattdessen praktischen und adretten Tweed angezogen, aber viele Eigenheiten und ihre Nase für kleine Unstimmigkeiten hat sie behalten.

Vielen Leuten fällt zu Miss Marple wohl als Erstes ihr Strickzeug ein, das sie ständig begleitet. Jane Marple bestrickt nicht nur die diversen Patenkinder oder ihren Neffen, sondern auch den Nachwuchs der verschiedenen Hausmädchen, für die sie sich auch lange Jahre nach deren Ausscheiden aus ihrem Haushalt noch verantwortlich fühlt. Doch vor allem scheint mir das Strickzeug ein Indiz dafür zu sein, dass Miss Marple – auch wenn sie einen Urlaub oder eine gemütliche Teestunde zu schätzen weiß – nicht in der Lage ist, untätig zu sein. So muss das Strickzeug in ihren letzten Lebensjahren auch so manche Stunde überbrücken, die die alte Dame gern in ihrem geliebten Garten verbracht hätte, was ihr aus gesundheitlichen Gründen aber verboten wurde.

Und auch die Tatsache, dass Jane Marple für jede Person anscheinend ein Pendant aus ihrem persönlichen oder dörflichen Umfeld zu kennen scheint, hat sich wohl in die Erinnerung vieler Leser eingeprägt. Manchmal wird ihr vorgeworfen, dass sie boshaft, arrogant oder klatschsüchtig sei, doch ich persönlich habe das nie so empfunden. Miss Marple – deren gesellschaftliches Umfeld trotz aller Bekanntschaften doch recht begrenzt ist – interessiert sich für die Menschen in ihrer Umgebung. Und ihre scharfe Beobachtungsgabe führt ebenso wie ihr (manchmal erschreckend) realistisches Menschenbild zu Schlussfolgerungen, die die meisten anderen Personen überraschend (und zynisch) finden.

Für mich hingegen ist Miss Marple eine der neutralsten Personen, die je in der Literatur geschaffen wurden. Ihre Lebenserfahrung sagt ihr, dass erschreckend viele Menschen dumm sind (oder besser gesagt dumm handeln) – ein Gefühl, das ich spätestens beim Blick in das nachmittägliche Fernsehprogramm teile 😉 – und dass gewisse Verhaltensweisen bei bestimmten Menschentypen immer wieder zu beobachten sind. Dabei hegt sie – für eine Frau ihrer Zeit – erstaunlich wenig Standesdünkel und hat keine Hemmungen, einen Lord mit ihrem örtlichen Metzger zu vergleichen, wenn das Benehmen des einen sie an den anderen (der übrigens jahrelang ein Verhältnis samt Kinderschar im Nachbarort finanzierte) erinnerte. Aber Jane Marple steckt die verschiedenen Menschen nicht auf Anhieb in eine Schublade, sie registriert diese Ähnlichkeiten, bleibt aber erst einmal zurückhaltend und hält der Person zugute, dass sie sich in ihrem Urteil irren kann. Sie weiß, dass Menschen nicht völlig gleich sind, auch wenn sich manche Verhaltensweisen zu wiederholen scheinen.

Mir tut Miss Marple häufig leid. Sie hat zwar viele Bekanntschaften, einen Neffen, der sich rührend um sie kümmert, und diverse Patenkinder, mit denen sie ebenfalls regen Kontakt hält, aber es gibt nur wenige Menschen, mit denen sie sich auf Augenhöhe unterhalten kann. In den Geschichten rund um den „Dienstagabend-Klub“ wird deutlich, dass sie zwar gesellschaftlichen Umgang mit dem „gehobenen“ Bürgertum in ihrem Dorf pflegt und sich für die Gemeinde engagiert, aber wirkliche Freunde hat sie in ihrer Nähe nicht. Erst durch Intervention von Sir Henry Clithering kommt engerer Kontakt zu Dolly Bantry zustande, mit der sich Jane Marple dann auch etwas enger anfreundet. Besonders traurig finde ich eine Aussage von Jane Marple, in der sie meint, dass eine der schlimmsten Nebenerscheinungen des Alterns ist, dass sich niemand mehr daran erinnert, wie man als junger Mensch war.

Jeder sieht nur die alte Miss Marple, die aufrecht mit ihrem Strickzeug im Sessel sitzt, die mit aufmerksamen Augen ihre Umgebung beobachtet oder erbarmungslos im Garten gegen jedes Unkraut ankämpft, aber diejenigen, die sie als junges und unternehmungslustiges Mädchen kennengelernt haben, sind inzwischen verstorben. Dabei muss Jane Marple eine aufgeweckte und recht gebildete junge Frau gewesen sein, deren Herz einmal für einen Mann in Uniform schlug und die eine so gute Freundin war, dass ihre Schulfreundschaften bis ins hohe Alter Bestand haben. Allerdings denke ich, dass die junge Jane es auch nicht so ganz einfach gehabt hat, denn ihre Mutter wird – in den wenigen Sätzen, in denen sie überhaupt Erwähnung findet – als eine sehr bestimmende Frau beschrieben, als eine Mutter, die genau zu wissen glaubt, was für ihre Tochter das Beste ist und die dementsprechende Maßnahmen ergreift. Auf der anderen Seite hat ihre Mutter Jane Marple auch eine grundsätzliche Auffassung von Recht und Unrecht – und dem, was sich für eine Dame gehört – beigebracht, die sie für ihr gesamtes Leben geprägt hat.

Auch gefällt mir an Jane Marple, dass sie sich selbst gegenüber ehrlich ist. Obwohl sie einige Freunde hat, die keine Engländer sind, ist sie sich ihrer Vorurteile gegen alles „unenglische“ durchaus bewusst. Nicht selten ertappt sie sich dabei, dass sie einen ausländischen Verdächtigen mit deutlich mehr Misstrauen beobachtet als den gleichermaßen verdächtigen Engländer. Und in einem Roman geht ihr durch den Kopf, dass es sehr praktisch wäre, wenn der Ausländer der Verbrecher wäre, denn dann müsste sie „ihre“ Gesellschaftsschicht nicht in Unruhe bringen. Doch so einfach macht es sich die alte Dame nicht, ihr ist nur eben bewusst, dass es angenehmer wäre, wenn ein Außenstehender derjeniger wäre, der eine Tat begangen hat, die sich – nicht nur in Miss Marples Gesellschaftsschicht – einfach nicht gehört.

Recht charmant finde ich, dass Jane Marple bestimmte Ansichten über Männer ihr Leben lang nicht abgelegt hat. Auch im hohen Alter scheint sie ein gewisses Rollenmodel im Hinterkopf zu haben, welches dafür sorgt, dass sie bestimmte Dinge von einem Mann erwartet. So serviert sie einem männlichen Gast nicht das gleiche Essen wie einer Freundin, bietet andere Alkoholika an und sucht männlichen Rat und Unterstützung, wenn sie bei einem ihrer Fälle über etwas gestolpert ist, das sie nicht allein bewältigen kann. Hätte Miss Marple je einen Ehemann gehabt, so hätte sich so manche Vorstellung von der Männerwelt wohl inzwischen etwas abgenutzt. 😉

Insgesamt betrachtet sie die Welt, ohne sich große Illusionen zu machen, was häufig dazu führt, dass der Leser sie als außenstehende Beobachterin wahrnimmt. Doch wenn ihr Gerechtigkeitsempfinden verletzt wird oder wenn Jane Marple feststellt, dass jemand sich respektlos oder verächtlich benimmt, dann kann sie überraschend energisch werden. Ich glaube, dass auch all die jungen Mädchen, die von ihr für eine Stellung als Hausmädchen ausgebildet wurden, sich – trotz Miss Marples Strenge – immer sicher sein konnten, dass sie sich mit ihren Fragen und Nöten an ihre ehemalige Dienstherrin wenden konnten.

All das hat zusammen mit Jane Maples (viktorianischer) Haltung, ihrem Engagement und ihrer Loyalität gegenüber Familie, Freunden und Personal dazu geführt, dass die alte Dame für mich zu einer Romanfigur geworden ist, deren Geschichten ich schon seit Jahren immer wieder mit großer Freude lesen mag. Ich muss allerdings zugeben, dass ich noch keinen Miss-Marple-Roman auf Englisch gelesen habe und deshalb nicht sagen kann, ob man als deutscher Leser nicht schrecklich viele Facetten dieser Figur verpasst hat. Bei meinem Vergleich von „Sie kamen nach Bagdad/They Came to Baghdad“ hatte ich ja schon mal gezeigt, dass es da doch erschreckende Unterschiede bei den Ausgaben geben kann.

Auf eine Auflistung der Miss-Marple-Romane verzichte ich ausnahmsweise mal, da diese Informationen mit Leichtigkeit online oder in einem der Werke über Agatha Christie zu finden sind.

Agatha Christie: They Came to Baghdad

Ich bin selber ganz erstaunt, dass ich schon wieder einen Spionageroman von Agatha Christie erwischt habe, das war keine bewusste Wahl. Meine Auswahl beschränkte sich im Moment halt auf die Titel, die in der Bibliothek sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch zur Verfügung standen, weil ich mal einen detaillierten Vergleich zwischen den Büchern machen wollte. So habe ich einerseits meine Neugierde bezüglich der Veränderungen bei den deutschen Übersetzungen endlich mal gestillt und auf der anderen Seite auch in diesem Monat pünktlich mein Buch für die English-Challenge geschafft.

„They came to Baghdad“ spielt um 1950 und der Leser wird zusammen mit der jungen Victoria Jones in eine klassische Spionagegeschichte rund um eine wichtige Veranstaltung in Bagdad geworfen. Anfangs weiß man nicht viel mehr, als dass sich zwei Herren (Captain Crosbie und Dakin) über die Festsetzung eines Termins unterhalten. Wenn man diese beiden glauben darf, dann könnte dieses Treffen (zu dem wohl auch der amerikanische Präsident erscheinen wird) über Krieg und Frieden entscheiden.

Dementsprechend gibt es nicht nur Parteien, die alles dafür tun wollen, damit diese Veranstaltung reibungslos über die Bühne geht, sondern mindestens eine Gegenpartei, die auch nicht davor zurückschreckt jeden Dahergelaufenen zu ermorden, nur weil er Carmichael, einem von Dakins wichtigsten Mitarbeitern, ähnelt. Dieser ist nämlich im Besitz von Informationen, die für das Treffen entscheidend sein könnten, wenn es dem Mann gelingt rechtzeitig und lebendig in Bagdad einzutreffen.

Während Victoria einzig und allein nach Bagdad reist, weil sie sich innerhalb eines kurzen Treffens in einen Mann verliebt hat, der sich prompt am nächsten Tag von London in den Orient aufmacht, stolpert sie kurz nach ihrer Ankunft in Bagdad über einen Toten. So wird die junge Frau in die Ereignisse rund um das politisch so wichtige Treffen hineingezogen und erlebt einige Abenteuer in dem fremden Land. Obwohl ich die Geschichte recht unterhaltsam finde und mich in dieser englischen Version vor allem Agatha Christies Beschreibungen von Bagdad und den dort lebenden Menschen unterhalten haben, muss ich zugeben, dass es nicht einer der besten Romane der Autorin ist.

Ich habe das Gefühl, dass die Qualität der Handlung immer dann leidet, wenn Agatha Christie ihre Gedanken zum – für sie damals – aktuellen Weltgeschehen mitteilen wollte. So macht dieser Part (der in der deutschen Ausgabe fast komplett weggekürzt wurde!) für mich den größten Reiz an der Geschichte aus, während die Spionagegeschichte ebenso wie die (Liebes-)Geschichte von Victoria vorhersehbar und nicht mehr als „ganz nett“ ist. Einige Elemente haben mich sogar sehr an „Passenger to Frankfurt“ erinnert, vielleicht hatte sie die Grundidee zwanzig Jahre später für ihre „Frankfurt-Geschichte“ noch einmal aufgenommen, auch wenn sie in „They Came to Baghdad“ den Kalten Krieg und nicht Überreste der Nazi-Zeit thematisiert hat und mir die Abenteuer in Bagdad deutlich besser gefallen haben.

Ich muss zugeben, dass ich dieses Buch parallel auf Deutsch und Englisch gelesen habe, weil ich nach dem ersten Kapitel so fassungslos darüber war, wie sehr die deutsche Übersetzung den Text verfälscht. Während die englische Ausgabe lauter atmosphärische Beschreibungen enthält und viele einzelne Wörter, Zitate oder Verse davon zeugen, wie gut sich Agatha Christie im Orient ausgekannt hat, fehlen nicht nur diese Elemente, sondern auch einige – in meinen Augen relevante – Informationen in der deutschen Fassung.

Wer allerdings nicht beide Bücher nebeneinanderliegen hat, wird vermutlich nicht so schnell auf den Gedanken kommen, dass da so gravierende Einschnitte vorgenommen wurden. Ich zumindest habe mich bislang auch mit den deutschen Ausgaben gut unterhalten gefühlt.  Jetzt aber, da ich weiß wie gut die Originalversion verständlich ist und welche gravierenden Unterschiede zwischen den beiden Versionen bestehen, werde ich wohl meine (so gut wie vollständige *sniff*) Christie-Sammlung auf Dauer durch die englischen Ausgaben ersetzen.