Auch wenn ihr es vermutlich nicht mehr sehen könnt: Ich habe mal wieder ein Hörbuch mit einer Agatha-Christie-Geschichte gehört und ja, ich schreibe eine Rezension dazu. 😀 „16 Uhr 50 ab Paddington“ gehört meinem Gefühl nach zu den bekanntesten Miss-Marple-Geschichten – vor allem aufgrund der Verfilmung mit Margaret Rutherford, die nicht so ganz werkgetreu erfolgte. Die Handlung beginnt in dieser Geschichte mit Mrs. McGillicuddy, einer älteren Dame, die in London ihre Weihnachtseinkäufe erledigt, um dann eine Freundin auf dem Land zu besuchen. Während der Zugfahrt beobachtet sie, während ihr Zug und eine zweite Eisenbahn ein Stückchen parallel fahren, einen Mord an einer jungen Dame. Da sie den Täter nur von hinten sieht, kann sie ihn nicht besonders gut beschreiben. Allerdings hat sie den Eindruck, dass es sich bei ihm um einen großen Mann um die 40 Jahre handeln müsste.
Als sie ihre Beobachtung dem Zugpersonal meldet, glaubt ihr der Schaffner ebensowenig wie der Bahnhofsvorsteher der nächsten Haltestelle. Einzig Miss Marple, zu der Mrs. McGillicuddy unterwegs war, ist davon überzeugt, dass ihre Freundin sich nichts eingebildet hat (und sei es nur, weil Elspeth McGillicuddy die Fantasie dafür fehlen würde). Und obwohl sie ihren Einfluss bei der örtlichen Polizei gelten macht, muss auch sie zugeben, dass die Ordnungshüter in einem Mord nur dann ermitteln können, wenn sie zumindest eine Leiche vorzuweisen haben. So rekonstruiert sie gemeinsam mit Mrs. McGillicuddy soweit wie möglich die Ereignisse, grenzt das Tatgebiet ein und engagiert Lucy Eyelesbarrow, um in dem fraglichen Gebiet nach einer Frauenleiche zu suchen.
Lucy Eyelesbarrow ist eine gehobene Haushälterin, die vor einiger Zeit von Miss Marples Neffen beauftragt worden war, die alte Dame zu pflegen, während sie sich von einer Krankheit erholt. Beide Frauen haben eine hohe Meinung voneinander und so verschiebt die 32jährige Lucy ihren geplanten Urlaub und sucht sich eine Stelle in dem Anwesen Rutherford Hall. Schnell steht fest, dass das Verbrechen mit dem Herrenhaus und seinen Bewohnern zu tun hat, zu denen der alte Luther Crackenthorpe, seine Tochter Emma und die – nicht mehr daheim lebenden – Söhne Harold, Cedric und Alfred gehören. Außerdem sieht man sehr oft den ehemaligen Piloten Bryan Eastley, der mit Emmas verstorbener Schwester verheiratet war, seinen Sohn Alexander und den hiesigen Arzt Dr. Quimper auf dem Anwesen.
Ich mag die Geschichte sehr gern, bietet sie Agatha Christie doch die Gelegenheit sehr viele verschiedene Charaktertypen und ihre Stellung innerhalb einer nicht ganz einfach Familienkonstellation zu präsentieren. Auch Lucy ist mir schon beim ersten Lesen des Romans ans Herz gewachsen und das hat sich in all der Zeit nicht geändert. Die Frau ist patent, energisch und weiß, was sie will. So hat sie nach einem erfolgreich abgeschlossenem Mathematikstudium die Tätigkeit der Haushälterin aufgenommen, weil sie so nicht nur mehr Geld verdienen kann als mit ihrem studierten Beruf, sondern auch tagtäglich mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun hat. Ich glaube, „16 Uhr 50 ab Paddington“ zeigt einfach besonders schön, wie es der Autorin gelingt mit nur wenigen Worten einen Menschen lebendig werden zu lassen. Mrs. McGillicuddy zum Beispiel spielt eigentlich nur eine kleine Rolle zu Beginn (und eine noch kürzere zum Ende) der Geschichte und doch hat man nach diesen wenigen Momenten schon das Gefühl, man könne sie genau einschätzen, wüsste genau wie ihr Leben bisher verlaufen ist und in Zukunft verlaufen wird. Dass der Krimianteil gut konstruiert ist, muss ich vermutlich gar nicht mehr erwähnen, aber ich finde, dass einen die Autorin schön auf falsche Fährten schickt und doch dafür sorgt, dass die Auflösung des Falls stimmig und gut fundiert ist.
Katharina Thalbach als Sprecherin dieses Hörbuchs … nun, ich hätte sie nicht gewählt, muss aber zugeben, dass sie ihre Sachen deutlich besser gemacht hat als in „Ruhe unsanft“. Zu Mrs. McGillicuddy passte ihre Geschichte sehr gut und sogar Alexanders Freund James fand ich mit ihrer Stimme überraschend überzeugend. Trotzdem finde ich ihre Stimme und ihre Art ein Hörbuch zu lesen nicht gerade für diese Geschichte geeignet. Lucy und die verschiedenen Männer klangen bei ihr nur selten überzeugend, ihre Aussprache der englischen Namen war zwar auch besser als in dem anderen Hörbuch, aber nicht immer ausreichend. So wunderte ich mich, dass der Hausherr keinen „Benny“ für den Erhalt des Anwesens investierte (und ja, ich stand auf dem Schlauch, denn es hat wirklich gedauert bis ich darauf kam, dass Penny gemeint war) und die verstorbene Edith wurde anfangs auch gern mal „Ääädith“ ausgesprochen. Auch gab es diverse Stellen, an denen der Text Reaktionen vorgibt wie „sagte sie energisch“ – während Katharina Thalbach die Figur in dem Moment eher panisch klingen ließ.