Agatha Christie: Meine gute alte Zeit

„Meine gute alte Zeit“ ist Agatha Christies Autobiografie, die sie 1950 mit sechzig Jahren begann und die erst nach ihrem Tod (sie starb 1976) veröffentlicht wurden. Dieser über 500 Seiten dicke Band bietet einem einen Einblick in die Zeit, in der sie aufgewachsen ist, ihre Familienverhältnisse und ihre Persönlichkeit. Wobei von Anfang an auffällt mit wieviel Zurückhaltung die Autorin auf viele Momente in ihrem Leben eingeht.

Ein großer Schwerpunkt dieses Buches liegt auf ihrer Kindheit und Jugend und man erfährt fast schon ein bisschen zuviel darüber, dass sie ein schüchternes Kind war, dass ihre Mutter sehr eigenwillige Ansichten über Agathas Erziehung hatte und wie sehr sie sich als kleines Mädchen mit sich und ihrer eigenen Fantasie beschäftigen musste. Letzteres war ihrer Meinung nach der Grundstein für ihre Karriere als Schriftstellerin. Ich glaube, Agatha Christie hat es genossen mit sechzig Jahren auf ihre Kindheit zurückzublicken – und diese auch ein wenig zu verklären.

Andere Bereiche ihres Lebens, wie zum Beispiel ihr aufsehnerregendes Verschwinden im Jahr 1926 (kurz nach dem Tod der Mutter und nachdem ihr Mann sie um die Scheidung gebeten hatte), klammert sie hingegen vollständig aus ihrer Erzählung aus. Ich finde das zwar verständlich, aber auch schade, dass sie die Gelegenheit nicht genutzt hat, um ihre Seite dieser Ereignisse darzustellen. Sehr spannend fand ich die Zeit nach ihrer Scheidung, als sie auf Reisen ging und die Welt für sich entdeckte.

Agatha Christie war schon früher viel gereist, aber als alleinstehende Dame war das Ganze doch ein deutlich aufregenderes Unternehmen – vor allem, da sie keine Lust hatte sich von den englischen Siedlern betüddeln zu lassen. Ich fand es faszinierend wie neugierig und abenteuerlustig die Autorin auf die fremde Umgebung zuging, aber auch spannend, dass bei aller Offenheit und Toleranz immer wieder kleine Vorurteile oder ein Hauch von Überheblichkeit in ihren Schilderungen durchschimmerten. Dabei bin ich mir sicher, dass sie (vor allem für eine Frau ihrer Zeit) unglaublich vorurteilsfrei und fortschrittlich war, aber die viktorianisch geprägten Ansichten ihrer Mutter und Großmutter haben wohl ebenso Spuren hinterlassen wie das vorherrschende britische Kolonialdenken. 😉

Ihre Romane spielen in „Meine gute alte Zeit“ eine eher geringe Rolle, Agatha Christie erwähnt nur nebenbei, dass sie zu einer bestimmten Zeit an diesem oder jenen Roman gearbeitet hat, dass sie durch einen Bekannten zu einer Geschichte inspiriert wurde oder wie sehr ihr der Verdienst eines Romans geholfen hat, wenn sie aus irgendeinem Grund Geld benötigte. Ich muss zugeben, dass ich von sehr viele Eigenarten Agatha Christies mit einem Schmunzeln gelesen habe, weil mir immer wieder der Gedanke durch den Kopf schoss „Das kenne ich von mir!“ – leider haben diese Ähnlichkeiten nicht dazu geführt, dass ich eine erfolgreiche Schriftstellerin wurde. 😀

Auch wenn sich der Anfang etwas hinzieht, so fand ich „Meine gute alte Zeit“ hochinteressant – nicht nur als Autobiografie, sondern auch als Abbild eines Lebens vor den beiden Weltkriegen, einer Zeit, in der ein Gentleman oder eine Dame genau wussten, was sich gehört und was nicht, als man als junge Frau zwar mit einem Mann alleine Golfspielen, aber nicht in einem Hotel Tee trinken durfte, als es noch keine Flugzeuge gab und ein Mädchen eine Saison in London (wenn das Geld reichte, ansonsten ging es eben ins Ausland) erlebte, um in die Gesellschaft eingeführt zu werden … Mir hat das Lesen viel Spaß gemacht, ich habe ein paar neue Dinge über eine meiner Lieblingsautorinnen erfahren und wieder einiges über die Zeit zwischen 1890 und 1960 gelernt.

8 Kommentare

  1. Aber natürlich! Es gibt einen Grund, warum unsere Katze "Christie" heißt. 😉 Leider bin ich schon viel zu lange nicht mehr zum Lesen der Romane gekommen, da sie ein einsames Leben in Umzugskartons führen, aber gerade um diese Jahreszeit juckt es mich wieder in den Fingern und ich würde gern meine Nase in einen der vertrauten Krimis stecken. 🙂

  2. Finde ich ja genial! Ich habe all ihre Bücher und mag ihren Stil sehr. Und Du hast Recht, gerade um diese Jahreszeit geht bei mir auch immer das "Christie"-Fieber los. Ist ja echt toll, mal jemanden zu finden, der sie genauso mag! Komme jetzt garantiert häufiger hier vorbei :o)))

    LG,JED

    PS.: Ich habe sowhol einen Bücherblog als auch einen "normalen" (da hast Du heute kommentiert).

  3. Ich habe fast alle ihre Bücher, es gab ja in den letzten Jahren ein paar Veröffentlichungen, für die alte Texte von ihr als Basis dienten. Da bin ich mir immer noch nicht so sicher, ob ich mich daran wagen möchte. 😉

    Und ich würde mich freuen, wenn du häufiger reinschaust – auch wenn ich in letzter Zeit viel zu wenig zum "über Bücher bloggen" gekommen bin.

    Äh, ich weiß, dass du zwei Blogs hast – ich habe beide schon länger im Feed-Reader, aber bislang immer nur schweigend mitgelesen … *g*

  4. "Meine gute alte Zeit" steht bei mir im Regal, seit ich in der Kollegstufe (also vor ungefähr 20 Jahren *eek*) die Agatha-Christie-Krimis für mich entdeckt habe – allerdings hab ichs bis heute nicht geschafft, es zu lesen. Um ehrlich zu sein würde es mich im Moment auch mehr reizen, mal wieder rein paar ihrer Krimis zu lesen – ich liebe sie!

  5. @Susanne: Das solltest du vielleicht mal wieder tun. Ansonsten werde ich mir demnächst noch die neue Biografie über Agatha Christie vornehmen, vielleicht ist die ja so empfehlenswert, dass du dir die zulegen solltest. 😉

    @Irina: Die Krimis sind ja auch absolut wunderbar! Und ich musste so grinsen, als ich feststellte, dass Agatha Christie die Bücher für recht gelungen befande, die ich so besonders gerne mag. Während sie etwas lieblos von "Mord auf dem Golfplatz" redet – ein Roman, bei dem ich immer dreimal nachdenken muss, worum es denn da noch einmal ging, weil ich den doch etwas langweilig finde. 😉

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