Agatha Christie: Curtain – Poirot’s Last Case

Es ist kein Geheimnis, dass ich die Agatha-Christie-Romane lieber mag, in denen Miss Marple die Hauptfigur ist, aber das hindert mich natürlich nicht daran, einen Hercule-Poirot-Roman zu genießen. Nur bei „Curtain“ ist das mit dem Genuss ein Problem, denn das ist der Kriminalroman der Autorin, den ich am wenigsten genießen kann. Ich finde die Entstehungsgeschichte spannend. Denn der Roman ist während des 2. Weltkriegs geschrieben worden, weil Agatha Christie sichergehen wollte, dass Poirots Geschichte selbst dann einen Abschluss finden würde, wenn sie während des Kriegs sterben würde. Danach ruhte das Manuskript 30 Jahre lang in einem Banksafe, um 1975 (ohne weitere Anpassungen an die Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte zu erleben) veröffentlicht zu werden.

Auf den ersten Blick hat die Geschichte alles, was einen guten Agatha-Christie-Roman ausmacht. Die Handlung ist unterhaltsam und spannend, die Autorin beweist wieder ein Händchen für stimmige Figuren (auch wenn man bestimmte Typen sehr häufig in ihren Bücher vorfindet) und die Grundidee ist – ebenso wie die Auflösung – einfach genial. Erzählt wird die Geschichte wieder aus der Sicht von Arthur Hastings, der sich dumm genug anstellt, dass sich der Leser überlegen fühlt, und dann wieder so mit sich beschäftigt ist, dass es mehr als verständlich ist, dass er bestimmten Aspekten keine Beachtung schenkt. Reizvoll finde ich eigentlich auch die Tatsache, dass der Roman wieder in dem Herrenhaus Styles spielt und so einen Bogen schlägt zur ersten Poirot-Geschichte. Denn in Styles haben Hastings und der kleine Belgier sich nach dem Ersten Weltkrieg kennengelernt, während der eine aufgrund einer Verwundung seinen Dienst als Soldat quittieren musste und der andere durch den Krieg gezwungen wurde, sein Heimatland zu verlassen.

Wie so oft konzentriert sich das Geschehen auf einen kleinen Kreis von Personen und alle relevanten Szenen spielen in einem – von der Außenwelt regelrecht abgeschlossen wirkenden – Haus. Dabei wirkt das Ganze wie aus der Zeit gefallen, was nicht nur daran liegt, dass Agatha Christie dieses Mal relativ wenige Verweise auf politische und gesellschaftliche Ereignisse eingebaut hat. In Styles haben sich lauter Menschen versammelt, die – wie es eine der Personen ausdrückt – „versehrt“ sind. Dabei leiden eigentlich nur Hercule Poirot (durch sein Alter) und Mrs. Franklin an körperlichen Einschränkungen, alle anderen Beteiligten sind – auch wenn es auf den ersten Blick nicht immer ersichtlich ist – „nur“ durch ihr Leben gezeichnet.

Das führt zu dem Punkt, mit dem ich so große Probleme beim Lesen habe: Agatha Christie hat es geschafft, bei dieser Geschichte eine für mich ganz fürchterliche Atmosphäre zu schaffen. Auch wenn auf den ersten Blick alles normal und heiter wirkt (was es selten tut), so ist der Roman durchdrungen von Hilflosigkeit, Trauer, Reue, Desillusionierung und vielen anderen lähmenden oder frustrierenden Emotionen. Etwas Ähnliches hat Agatha Christie schon in anderen Romanen geschaffen, wie zum Beispiel bei „Tod auf dem Nil“ oder „Die Schattenhand“, Doch bei den anderen Büchern wurde die unangenehme Atmosphäre dadurch aufgebrochen, dass der Erzähler ein Außenstehender ist und durch die Ereignisse in der Geschichte wieder an Lebensmut gewinnt oder dass es Nebenfiguren gibt, bei denen man schon während der Handlung erahnen kann, dass es am Ende zumindest für sie zu einem glücklichen Ausgang führen wird. Hier hingegen ist der Erzähler Hastings genauso deprimiert wie all die anderen Beteiligten und dazu kommt, dass er eigentlich jedem Menschen vertrauen will – und sich doch aufgrund der Umstände, gezwungen sieht, jeden Einzelnen zu hinterfragen. (Was ihm, wie ich zugeben muss, nicht liegt und deshalb auch nicht besonders gut gelingt.) Einzig Poirot scheint ungebrochen zu sein – doch bei ihm zeigt es sich dafür, dass selbst der brillanteste Verstand manchmal nicht ausreicht, um einen Verbrecher aufzuhalten.

So finde ich – trotz all der ungewöhnlichen und tollen Ideen, die Agatha Christie in diesem Roman verwendet hat – „Curtain“ nicht wirklich schön zu lesen. Ich kann das Handwerk anerkennen, ich finde auch, dass der Roman nun mal dazu gehört, wenn man Poirots Fälle (oder Agatha Christies Werk) kennenlernen möchte, aber ich kann diese Geschichte nicht so sehr genießen wie all die anderen Romane der Autorin. Es fehlt bei „Curtain“ das ausgleichende Element, es fehlt die vertraute Leichtigkeit, die sonst oft bei Dialogen von Agatha Christie zum Tragen kommt. Ich gebe zu, dass zumindest Letzteres hier angesichts des Endes nicht passend wäre, aber das hindert mich nicht daran, diese helleren oder gar amüsanteren Seiten eines Agatha-Christie-Romans bei diesem Titel zu vermissen.

6 Kommentare

  1. Ich mochte zwar die Poirot-Romane immer schon lieber als die mit Miss Marple, habe aber seinen letzten Fall noch nie gelesen. Auch die (sehr interessante) Entstehungsgeschichte war mir unbekannt.
    Leider klingt deine Rezension jetzt eher nicht so vielversprechend.

  2. Ich würde an deiner Stelle auf jeden Fall einen Versuch damit machen. Ich finde die Geschichte halt deutlich deprimierender als die anderen Romane, aber das macht sie ja nicht wirklich schlecht. Es gibt einen genialen Kniff am Ende und einen spannenden Fall, es herrscht nur eine andere Stimmung und mich beeinflusst das beim Lesen sehr.

  3. Das ist der einzige Poirot-Roman, den ich noch nie gelesen habe – aus naheliegenden Gründen. 😉 Scheint aber auch hinsichtlich der Geschichte/Atmosphäre kein so großer Verlust zu sein …

    Ich hab ja vor zwei Jahren, als ich in einem absoluten Lesetief steckte und privat so gut wie nicht gelesen habe, angefangen, die Poriot-Romane in chronologischer Reihenfolge zu lesen. Bis 23 oder so bin ich gekommen; falls ich bis zum Schluss weiterlese, werde ich mir diesmal auch "Vorhang" vornehmen, aber im Moment bin ich eher wieder im Liebesromanrausch. Poriot muss also warten. 🙂

  4. @Irina: Ich finde schon, dass er dazu gehört, wenn man die Poirot-Romane mag, und der Fall ist auch spannend und hat ein paar gute Wendungen.

    Ich bin gespannt, ob du "Vorhang" irgendwann liest. 🙂 Mich hat der Roman auch durch die Umzugszeit begleitet, weil ein paar Seiten Agatha Christie in Stressphasen dann doch immer drin sind.

  5. Ja, klar gehört er dazu. Aber ich lass auch immer die M*a*s*h-Folge aus, in der Henry das Camp verlässt. 😉

    So gings mir eben auch, als ich *eigentlich* keinen Kopf fürs Lesen hatte: ein paar Seiten Poirot gehen immer!

  6. @Irina: Aber um etwas auslassen zu können, muss man es vorher mal gesehen/gelesen haben. 😀

    (Henry verlässt das Camp nicht! Henry ist immer da – und wer etwas anderes behauptet, der lebt in einem unerfreulichen Paralleluniversum, in dem ich nicht sein möchte. 😉 )

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