In meinem vierten „Figurenkabinett“ bekommt zum ersten Mal eine „Nebenfigur“ die Aufmerksamkeit, die sie in meinen Augen verdient hat. Prinz Kheldar, auch Silk genannt, ist der Neffe des Königs von Drasnien und steht in der Thornfolge deutlich weiter oben, als es ihm lieb ist. Doch bei meiner ersten Begegnung mit ihm hätte ich niemals gedacht, dass er überhaupt von Adel ist oder gar so etwas wie eine „anständige“ Erziehung genossen hat. Denn mein erster Blick auf Silk geschah durch die Augen eines sehr naiven Jungen vom Lande, der sein Leben lang auf einer geordneten Farm unter der Obhut seiner (recht strengen) Tante Polgara verbracht hatte und der sich bei Silks Anblick sicher war, dass er Wegelagerern in die Hände gefallen sei. Dieser Junge ist übrigens Garion, die Hauptfigur der „Belgariade (Das Auge Aldurs)“ sowie der „Malloreon-Saga“ von David Eddings.
Ich muss zugeben, dass der erste Eindruck, den man von Silk gewinnt, nicht gerade der beste ist. Denn er wird beschrieben als ein nachlässig gekleideter kleiner Mann mit einem rattenhaften Gesicht, engstehenden Augen, einer langen Nase, ungepflegten Haaren und einem boshaften Humor. Aber trotz seines eher unvorteilhaften Äußeren hat mich sein Humor für ihn eingenommen, und je besser man Silk kennenlernt, desto mehr faszinierende Eigenschaften kann man an ihm entdecken – abgesehen davon, dass er zwar ein boshafter kleiner Mann, aber auch ein sehr guter (wenn auch manchmal über das Ziel hinausschießender) Freund ist.
Auf den ersten Blick scheint Silk eher leichtlebig zu sein. Trotz seiner adeligen Herkunft verbringt er einen Großteil der Zeit damit, in der Welt herumzureisen und – je nach Gelegenheit als erfolgreicher Kaufmann oder kleiner, schmieriger Reisender – sein Geld mit Handel zu verdienen. Dabei kann man das eigentlich nicht so ausdrücken, denn seine Geschäfte sind für ihn eher eine Art Glückspiel, und wie bei jedem Spiel gewinnt oder verliert er auch mal. Dabei hat er absolut keine Hemmungen, auch Insiderwissen auszunutzen, und so gelingt es ihm zum Bespiel während der „Malloreon-Saga“, den gesamten Bohnenbestand eines riesigen Reiches in seinen Besitz zu bringen, während der dortige Herrscher sich auf einen Krieg vorbereitet und genau diese Bohnen als Verpflegung für seine Soldaten benötigt. Den Gewinn, den Silk dabei gemacht hat, könnt ihr euch vermutlich vorstellen; die Unruhe, die er damit verbreitet hat, vermutlich auch … 😀
Doch seine größte Leidenschaft gilt der Beschäftigung, die ganz Drasnien – ein ansonsten kleines, unbedeutendes und sehr sumpfiges Land – Unabhängigkeit und Überleben gegenüber den anderen Reichen sichert: Der Spionage! Seiner Tätigkeit für den drasnischen Geheimdienst verdankt er nicht nur seinen Spitznamen, sondern auch seine Fähigkeiten als Akrobat und Assassine. Und auch hier ist er recht skrupellos, wenn es um seine Aufträge geht – wobei sein Vorgesetzter erstaunlich oft über Silks Eigenmächtigkeiten nicht so ganz glücklich ist. So meuchelt er während eines Aufenthalts in Tol Honeth (der Hauptstadt von Tolnedra) nächtelang einen Menschen nach dem anderen, als Rache für den Tod einer Prostituierten, die ihm sehr am Herzen lag – und deren Tätigkeit für den drasnischen Geheimdienst zu ihrer Ermordung geführt hatte. Das klingt jetzt vielleicht etwas drastisch, aber man muss bei solchen Beschreibungen schon im Hinterkopf behalten, dass David Eddings für diese Romanreihe eine Fantasywelt erschaffen hat, in der ein Menschenleben erstaunlich wenig wert sein kann. 😉
Obwohl diese Beschreibung jetzt vermutlich wenig reizvoll klingt, scheint es der Damenwelt rund um Silk ähnlich zu gehen wie mir – und so findet er ohne Probleme weibliche Gesellschaft, wenn ihm danach ist. Doch die eine Frau, die er wirklich liebt, ist schon lange vergeben und ihrem Mann vollkommen zugetan. Diese unglückliche Liebe ist auch der Grund, warum Silk es in seiner Heimat kaum aushält und so viel auf Reisen ist. Denn wann immer er sich in Drasnien aufhält, begegnet er zwangsläufig Königin Porenn und muss vor ihr seine Gefühle verbergen.
Außerdem spielt Silk natürlich noch eine wichtige Rolle in der „Prophezeiung“, die den Kern der Geschichte rund um Garion und die Gruppe von Menschen bildet, die mit ihm in der „Belgariade“ um die Zukunft der Welt kämpfen. Aber in dieser Beziehung sticht er aus der Masse der Beteiligten eigentlich kaum heraus. Ganz ehrlich, ich weiß selbst nicht genau, warum ich gerade diesen Charaktere bei dieser Buchreihe so gern mag. Vielleicht liegt es daran, dass Silk Gegenstand von besonders vielen – und nicht selten boshaften – humorvollen Szenen ist, aber der kleine Spion begleitet mich schon viele Jahre und liegt mir deutlich mehr am Herzen als die eigentlich Hauptfigur dieser Romane.
Wer nun auf die Bücher neugierig geworden sein sollte, der sei gewarnt, dass die beiden Reihen reine High Fantasy sind und auf den heutigen Leser vermutlich leicht altmodisch wirken. Außerdem ist der Grundaufbau der „Belgariade“ mit dem der „Malloreon-Saga“ gleichzusetzen, da es in beiden Reihen darum geht, dieselbe Prophezeiung (wenn auch mit zum Teil neu verteilten Rollen) zu erfüllen. Ach ja, in meinem Besitz befinden sich übrigens die alten Ausgaben von Knaur mit der Reihenbezeichnung „Das Auge Aldurs“, die trotz der bescheuerten und unpassenden Titel deutlich weniger Lektoratsfehler im Inneren aufweisen – und dank ihres Alters und der regelmäßigen Nutzung schon ziemlich zerschlissen aussehen. 😉
Die „Belgariade“ von David Eddings:
1. Kind der Prophezeiung (Knaur-Ausgabe: Die Prophezeiung des Bauern)
2. Zauber der Schlange (Knaur-Ausgabe: Die Zaubermacht der Dame)
3. Spiel der Magier (Knaur-Ausgabe: Gambit der Magier)
4. Turm der Hexer (Knaur-Ausgabe: Turm der Hexerei)
5. Duell der Zauberer (Knaur-Ausgabe: Verwunschenes Endspiel)
Die „Malloreon-Saga“ von David Eddings:
1. Herren des Westens
2. König der Murgos
3. Dämon von Karanda
4. Zauberin von Darshiva
5. Seherin von Kell
Klingt nach einer sehr interessanten Figur – allerdings fürchte ich, dass nicht mal Prinz Kheldar mich dazu bringen würde, eine High-Fantasy-Serie zu lesen! 😉
Zu schade, vielleicht solltest du einfach mal einen Versuch mit dem ersten Band starten. 🙂
Ehrlich gesagt glaube ich, die Zeit kann ich mir sparen. High-Fantasy ist und bleibt nicht mein Genre! 🙂
Es gibt High Fantasy und es gibt High Fantasy, das ist, als ob du sagen würdest, dass alle Liebesromane gleich seien. *guckt boshaft* 😉
Ich musste bei Tante Polgara tatsächlich an Buffy – The Vampire Slayer und den Polgara Dämon aus der Staffel mit ADAM denken…
Keine Ahnung, ob Eddings Romane etwas für mich wären.
Wortbestätigung: finessi 😀
Hihi, ich musste bei Buffy grinsen, als ich vom Pogara-Dämon hörte … 😀
Vielleicht solltest du einen Eddingsroman mal versuchen. Oder zumindest einen Blick hineinwerfen … 😉
ohoh .. nzk? nzs? nzr?
🙂
Lass uns einfach warten, bis unsere Bibliothek steht und dann verbringst du einfach einen Teil deiner Rente vor meiner Büchersammlung. 😀
He, guter Plan – spätestens dann werde ich bestimmt auch genug Zeit haben *kichert*
Silk ist auch eine meiner Lieblingsfiguren in den beiden Sagen 😉 nenne mich noch heute in manchen RPGs und anderen Spielen so, wobei ich zwar zT ähnlich handle wie er, allerdings nicht versuche ihn zu kopieren.
Ich glaube genau wie Du, dass es sein Humor und seine Art zu leben ist, die mich so fasziniert. Seine Erfolge liegen immer irgentwo zwischen Glück und Können.
Ich lese im Moment die Elenium-Saga von Eddings und hier mag ich auch Talen am liebsten. Ich weiß nicht, ob du diese Bücher bereits gelesen hast und ich möchte jetzt auch nicht unnötig Spoilern, wenn es nicht der Fall sein sollte.
@adust: Erst einmal herzlich Willkommen auf meinem Blog! 🙂 Silk als RPG-Inspiration kann ich mir auch gut vorstellen. Der Charakter macht bestimmt eine Menge Spaß. 😀
Was mich neben dem Humor, der Lebensart und seinen Fähigkeiten noch reizt, ist, dass er auf eine bestimmte Art und Weise abgebrüht ist. Und das ist etwas, was mir bei Talen (und auch bei Lisette) fehlt. Denn natürlich kenne ich die Elenium-Saga! ;D
Talen hat zwar aufgrund seiner Lebensumstände und seiner frühen "Berufswahl" so einiges gesehen und viele Skrupel abgelegt, aber er ist nicht nur noch recht jung, sondern hat durch seine Mutter ja auch ein bisschen was an Erziehung mitbekommen. Deshalb hat er in meinen Augen weniger Kanten und Ecken als Silk, auch wenn ich durchaus verstehen kann, dass man ihn gerne mag.
Silk setzt dem Hauptwerk von David Eddings die krone auf, ich empfinde ihn garnicht als Nebenfigur. In der heutigen Serienzeit würde er sofort ein Spinnof bekommen. Ich liebe den kleinen Held. Toll wie du ihn beshfrieben hast. LG Matthias
@Matthias: Silk ist auf jeden Fall ein Charakter, ohne den die Belgariade deutlich weniger unterhaltsam zu lesen wäre. Schon spannend, wie oft man als Leser sein Herz doch gerade an eine "Nebenfigur" hängt.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Eddings Bücher heute verfilmt würden (wobei ich das über "Shannara" auch nie gedacht hätte), sie sind doch im Vergleich zu aktuelleren High-Fantasy-Werken recht schlicht konzipiert. Aber trotzdem könnte ich mir eine Silk-Serie erstaunlich gut vorstellen. *g*