Es gibt eine bestimmte Art klassische britische Kinderbücher, die ich schon als Kind geliebt habe und die sich beim Lesen anfühlen, als ob ich nach Hause kommen würde. „The Wolves of Willoughby Chase“ von Joan Aiken gehört zu diesen Büchern, und das nicht nur, weil ich den zweiten Band der „Wölfe“-Reihe („Verschwörung auf Schloss Battersea“) schon als Kind gelesen habe. Die Handlung dreht sich um die Cousinen Bonnie und Sylvia Green. Während Bonnie ihr ganzes Leben im Luxus verbracht hat und von ihren liebevollen Eltern ebenso verwöhnt wurde wie von den Dienstboten auf Willoughby Chase, wurde Sylvia nach dem Tod ihrer Eltern von ihre Tante Jane in eher ärmlichen Verhältnissen aufgezogen. Doch nun sieht sich die alte Tante Jane gesundheitlich nicht mehr in der Lage, für Sylvia zu sorgen, und schickt das Mädchen nach Willoughby Chase.
Die zweitägige Reise zu dem beeindruckenden Herrenhaus ist für Sylvia schon anstrengend genug, umso mehr, da ein Rudel Wölfe ihren Zug aufhält, doch dann muss das Mädchen auch noch entdecken, dass sein Onkel Willoughby und seine Tante direkt nach seiner Ankunft zu einer langen Reise aufbrechen. Zurück bleiben Bonnie und Sylvia unter der Aufsicht der unsympathischen neuen Gouvernante Miss Slighcarp, und die hat mit den beiden nichts Gutes im Sinn. Zum Glück steht ihnen der im Wald von Willoughby Chase lebende Gänsejunge Simon bei all den folgenden schrecklichen Ereignissen zur Seite. Mehr möchte ich über den Inhalt von „The Wolves of Willoughby Chase“ gar nicht erzählen, auch wenn der Klappentext deutlich mehr über die Handlung verrät. Mich hat es nicht so sehr gestört, dass ich den Großteil der Geschichte dadurch schon kannte, weil ich die Erzählweise und die Details rund um all die Ereignisse so genossen habe. Aber ich kann gut verstehen, wenn dieses Vorwissen um die Handlung jemandem die Lust auf die Geschichte nimmt.
„The Wolves of Willoughby Chase“ spielt in einem frühen 19. Jahrhundert, in dem König James III. regiert und in dem England – dank eines Tunnels, der die Insel mit dem Festland verbindet, – von gefährlichen Wolfsrudeln überrannt wurde, die das Leben auf dem Land (vor allem im Winter) unbeschreiblich gefährlich machen. Ich mochte dieses alternative England sehr, ebenso wie all die Anklänge an Charles Dickens, die Joan Aiken in diesem Buch verwendet. Es gibt wundervoll schreckliche Szenen mit all den Bösewichten, die sich – auf die eine oder andere Weise – auf Kosten der Kinder bereichern wollen und natürlich keinerlei Mitleid, Loyalität oder gar Freundlichkeit kennen. Zum Ausgleich gibt es in dieser Geschichte nicht nur die innige Freundschaft zwischen Sylvia, Bonnie und Simon, sondern auch den Beistand treuer Dienstboten, die alles in ihrer Macht Stehende tun, um hinter die Machenschaften von Miss Slighcarp zu kommen, und die Hilfsbereitschaft vollkommen unbeteiligter Personen, die einfach Mitleid mit den beiden Mädchen haben.
So habe ich es sehr genossen, Sylvias und Bonnies Schicksal zu verfolgen. Ich mochte es, wie kämpferisch Bonnie mit all den Herausforderungen umgeht, die die Pläne ihrer Gouveranten und deren Verbündeten mit sich bringen, und hatte Mitleid mit der wohlerzogenen und zarten Sylvia, die bei aller Armut doch nur Liebe von ihrer Tante Jane erfahren hatte und nun nicht weiß, wie sie mit all diesen herzlosen Menschen umgehen soll. Auch die vielen Nebenfiguren, die den Mädchen zur Seite stehen, sind mir schnell ans Herz gewachsen – vor allem natürlich der patente Simon, der schon seit Jahren für sich selbst sorgt und allein schon deshalb für jedes Problem eine Lösung parat hat. Dank all dieser wunderbaren Charaktere steht von Anfang an fest, dass es für Bonnie und Sylvia am Ende glücklich ausgehen wird, was nun nicht so verwunderlich sein sollte angesicht der Tatsache, dass „The Wolves of Willoughby Chase“ ein Kinderbuch ist. Aber das hat mich nicht daran gehindert, mit den beiden Mädchen mitzuleiden und (ein wenig) um das Leben einer der Figuren zu bangen. Genau so mag ich es beim Lesen, so habe ich ein kleines Tränchen verdrückt, ich habe vor mich hingekichert und ich habe die vielen kleinen freundschaftlichen Momente zwischen den Protagonistinnen genossen – und ich freu mich schon darauf, noch weitere Romane von Joan Aiken lesen zu können, die in dieser Welt spielen.
Mir gefällt das Buch bisher auch sehr gut. Aktuell muss es ein wenig hinter meinem aktuellen Lord Peter Wimsey-Krimi zurückstehen, aber ich bin schon gespannt, wie sich alles weiter entwickeln wird.
Für Krimi-Laune ist es wirklich nicht so geeignet. *g* Aber es freut mich, dass es dir bislang gefällt! 🙂