Mein Vater

CW: Tod/Trauer/Krebs/Krankheit

 

Ich habe in den letzten zwei Wochen gründlich darüber nachgedacht, ob ich hier einen Beitrag darüber veröffentliche, was ich im Mai gemacht habe. Weniger, weil es mir schwerfällt, darüber zu schreiben, sondern weil ich davon ausgehen kann, dass es einigen meiner Leser*innen schwerfallen wird, darüber zu lesen. Aber mein Blog ist auch eine Art Tagebuch für mich, und mir hilft es immer, wenn ich einmal (öffentlich) meine Gedanken festhalten kann, weshalb ich mich dann doch dazu durchgerungen habe.

Im September 2022 wurde bei meinem über 80jährigen Vater Blasenkrebs diagnostiziert, und obwohl er – dank einiger ernsthafter chronischer Krankheiten – in keinem guten gesundheitlichen Zustand war, hat er die in den folgenden Monaten durchgeführten Operationen gut überstanden. Anfang Mai war er krebsfrei und sollte aus dem Krankenhaus entlassen werden, allerdings war zu diesem Zeitpunkt niemand da, der ihn hätte in Empfang nehmen und sich um ihn hätte kümmern können, weil meine Mutter wegen eines mehrfachen Beckenbruchs ebenfalls für einige Wochen ins Krankenhaus musste. Ich bin also zu meinen Eltern gefahren, um beide nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus zu versorgen, und konnte zu dem Zeitpunkt nicht vorhersagen, wie lange ich gebraucht würde.

Während meine Mutter sichtbare Fortschritte machte, ging es mit meinem Vater nicht aufwärts. Er hatte sehr starke Schmerzen, von denen wir bis heute nicht genau wissen, was sie verursacht hat, und die dazu führten, dass er von seinem Hausarzt wieder ins Krankenhaus eingewiesen wurde – wo er nach wenigen Tagen starb. Die darauf folgende Zeit habe ich mich also weiter um meine Mutter gekümmert und darum, all die Sachen zu organisieren, die nun einmal rund um einen Todesfall anstehen. Zum Glück hatten meine Eltern (nach vielen Jahren des Drängelns) vor einiger Zeit alle ihre Wünsche und wichtigsten Informationen für einen eventuellen Todesfall aufgeschrieben, was wirklich, wirklich hilfreich war.

Es klingt vielleicht seltsam, aber in den Tagen nach dem Tod meines Vaters habe ich nicht getrauert. Eine liebe Freundin meinte, dass das noch kommen wird, wenn ich die vergangenen Monate erst einmal verarbeitet und etwas mehr Ruhe habe – und vielleicht hat sie recht und es kommt für mich noch eine Zeit der Trauer. Aber es gibt zwei Aspekte, die dagegen sprechen: Auf der einen Seite denke ich, dass es so für meinen Vater gut war, und auf der anderen Seite habe ich in den vergangenen Jahren schon einen Teil meiner Trauer erledigt. Mein Vater ist mit dem Alter kein einfacherer Mensch geworden, und in der Regel reagierte er auf alles, was ihm zu viel wurde, auf jede Person, die nicht seiner Meinung war, auf jedes negative Gefühl wie Angst, Frustration oder Überforderung mit Streit. Ich bin traurig, dass mein Vater nicht mehr Teil meines Lebens ist, aber noch trauriger war ich vor vielen Jahren, als klar wurde, dass er niemals all die Pläne in Angriff nehmen würde, die er für seine „Rentenzeit“ hatte.

Ich habe schon vor vielen Jahren angefangen um die Seiten meines Vaters zu trauern, die ihn liebenswert gemacht haben, um den Mann, der ganze Abende zuhörte, wenn ich ihm von den Dingen erzählt habe, die mich gerade interessierten, der mit mir zusammen tagträumte und der mit mir gemeinsam überlegte, wie ich die Pläne realisieren könnte, die mir tagelang durch den Kopf gingen. Ich habe schon vor langer Zeit um den Vater getrauert, der einen Sommer lang mit mir von einem Frisörsalon zum nächsten gefahren ist, weil ich mir in einem Jahrzehnt die Haare grün färben wollte, als das noch keine einfach zu kaufende Farbe war, und um den Vater, der mir als Kind Totenschädel und Säbel mit Edding auf den Arm malte, wenn ich im Urlaub über den Campingplatz stromerte. Ich bin froh, dass ich trotz all der negativen Gefühle, die es auch zwischen uns gab, so viele schöne und liebevolle Erinnerungen an meinen Vater habe, und am Ende kann ich nur sagen, dass es so gut ist, wie es ist.

12 Kommentare

  1. Danke für den Beitrag, über diese Dinge tauschen wir uns in unserer Gesellschaft viel zu wenig aus, obwohl das Themen und Erfahrungen sind, die wir alle gemeinsam haben.

    Du sprichst mir aus der Seele, fühl dich gedrückt.

      • Danke, dass du darüber schreibst.
        Es tut mir sehr leid um deinen Verlust.

        Von Herzen

        Jenny

        • Konstanze

          Danke, Jenny.

          Wie Susanne schon schrieb, ist auch dies ein wichtiger Teil unseres Lebens – und es schien mir falsch hier in den kommenden Tagen einfach wie immer weiterzumachen, ohne vorher meine Gedanken hier niederzuschreiben.

  2. Auch von mir danke für den Beitrag – ich finde, du hast sehr schöne Worte dafür gefunden. Und ich glaube auch, dass das schon eine gute Art von Trauer ist. Trauer bedeutet ja nicht nur Schmerz wegen des Verlustes, sondern vor allem auch innerliches Abschiednehmen.
    Ich wünsche dir und deiner Mutter viel Kraft in der kommenden Zeit, wie auch immer sich die Trauer noch zeigen wird. Aber ich freue mich für dich, dass du das so sehen kannst, dass es gut ist, wie es ist.

    • Konstanze

      Danke, Birthe. Ich glaube, ich hatte das Gefühl, ich müsse meine Art der Trauer erklären, weil so viele Personen in den letzten Wochen uns zu verstehen gegeben haben, dass irgendwann schon noch der große Zusammenbruch kommen würde – und ich denke nicht, dass das so sein wird.

      Meine Mutter trifft es definitiv schwerer als meine Schwester und mich – und sei es nur, weil sie nun nicht mehr tagtäglich Gesellschaft hat. Aber wir alle haben das Gefühl, dass es für meinen Vater schlimmer gewesen wäre, wenn sein Leben so weitergegangen wäre wie in den letzten Wochen seines Lebens – und dass es so besser war.

  3. Liebe Konstanze, danke fürs Teilen! Es gibt einfach unterschiedliche Arten von Trauer und das schreibe ich auch als eine Person, die in den Augen der Gesellschaft „seltsam“ trauert.
    Es ist schön, dass du so viele gute Erinnerungen an deinen Vater hast, auch wenn es schade ist, dass eure Beziehung in den letzten Jahren offensichtlich nicht einfach war.
    Ich hoffe, du kannst jetzt nach den letzten Wochen, die bestimmt nicht einfach waren, zur Ruhe kommen. Fühl dich aus der Ferne umarmt.

    • Konstanze

      Danke, Neyasha. Wenn ich überlege, wie unterschiedlich wir Menschen doch alle sind, dann ist es wirklich erstaunlich wie verbreitet eine konkrete Vorstellungen von der „richtigen Art von Trauer“ ist …

      Mein Vater hat mir in den vergangenen Jahren vor allem leid getan. Er war einsam und unglücklich – und selber Schuld daran, weil er ständig Streit suchte. Aber er war nicht immer so und ich bin froh, dass ich so viele Erinnerungen an einen Menschen habe, der liebevoll und vielseitig interessiert war und der sein Bestes gegeben hat, damit ich zu einer weltoffenen und möglichst vorurteilsfreien Person werde.

  4. Liebe Konstanze, mein herzliches Beileid! Ich kann dich gut verstehen, auch ich muss sagen, dass ich nicht wirklich getrauert habe, als mein Vater starb. Die Demenz hat ihn so hilflos gemacht und ihn aller Fähigkeiten beraubt, ich habe sein Leben nur noch als Qual empfunden und war froh, als er erlöst wurde. Ich hoffe, deine Mutter verkraftet das Geschehene gut. Liebe Grüße!

    • Konstanze

      Danke, Anette! Wenn ich bedenke, wie lange du deinen Vater bei seiner voranschreitenden Demenzerkrankung begleitet hast, kann ich mir gut vorstellen, dass du deine Trauerarbeit auch schon vor seinem Tod begonnen hattest. Meine Mutter scheint momentan ganz gut zurecht zu kommen. Es gibt immer noch viel zu tun und sie ist natürlich einsamer als früher, aber sie klingt am Telefon ganz ausgeglichen.

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