Noir-itäten

Ich habe gerade einen Roman angelesen, bei dem ich schon in dem Moment, in dem ich sagte „Da kann ich mal reingucken.“ wusste, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Einen Fehler, den ich immer wieder begehe und der mir schon so einige Bluthochdruck-fördernde Stunden bereitet hat.

Bei „Blutige Nacht“ gab es zwei Punkte, die mich dazu brachten, wider besseres Wissen zu handeln: 
1. Es gibt da einen vampirischen Privatdetektiv (und der Autor hat für die Fernsehserie „Moonlight“ geschrieben, die ich sehr nett fand) und irgendeine kleine, dumme Ecke meines Gehirns verknüpft vampirische Privatdetektive mit guten, düsteren und spannenden Geschichten – und nein, ich weiß nicht, wo mein Gehirn diese Verbindung herholt. 
2. Es gab da dieses Stichwort im Katalog, dieses eine, mit dem man mich immer erwischt: Humphrey Bogart!
Und ja, man merkt dem Roman an, dass er eine „hardboiled novel“ erzählen will, aber leider versagt der Autor in dieser Beziehung. Die Geschichte wäre vermutlich wesentlich unterhaltsamer, wenn Trevor O. Munson seinen eigenen Stil dafür gefunden hätte. So hingegen störe ich mich bei jeder gelesenen Seite an der unstimmigen Atmosphäre, an den gewollt coolen Dialogen und an den Charakterbeschreibungen. Gerade eben erst habe ich einen Traum verfolgen dürfen, in dem mich der Autor über die Exfrau des „Helden“ aufgeklärt hat.
Die Dame war eine ehemalige Kleinstadtschönheitskönigin, die hoffte, dass sie in Hollywood als Schauspielerin landen würde. Kurz nach ihrer Ankunft in der Filmmetropole während der 40er-Jahre verliebt sie sich in einen Musiker, einen richtigen „bad boy“, und heiratet ihn, nachdem er ihretwegen angeschossen wurde. Ihn bringen seine Schmerzen zu Morphium und Heroin, bei ihr ist es ihre Neugier, und so geht es mit dem sympathischen Pärchen weiter bergab …  
Ganz ehrlich, ich will so etwas in einem Roman dieses Genres nicht lesen! Von einem Sam Spade hätte man höchstens erfahren, dass er mal verheiratet war und dass er nicht darüber reden will. Ganz eventuell hätte man noch den Namen der Frau erfahren, aber nur dann, wenn es einen besonderen Anlass dafür gegeben hätte. Die Figuren, die von Chandler, Hammett oder Woolrich erschaffen wurden, sind sehr sparsam mit Auskünften über ihre Vergangenheit, und gerade das macht auch einen Reiz dieser Charaktere aus. Alles, was relevant ist, ist, dass diese Personen integer sind und dass sie strengere Regeln befolgen als die (korrupte) Gesellschaft, in der sie agieren. Und selbst wenn es für sie von Nachteil ist, so halten sie sich an ihre Prinzipien. Es sind nicht immer „gute“ Menschen, aber es sind vertrauenswürdige Menschen.
Bei moderneren Versuchen, eine solche Geschichte zu erzählen, wird – meiner Ansicht nach – viel zu viel Gewicht auf die Historie einer Figur gelegt, statt sie einfach für sich stehen zu lassen. Ich erwarte zwar, dass sich ein Autor Gedanken darüber gemacht hat, aber die soll er mir doch bitte nur dann mitteilen, wenn es für die Handlung unabdingbar ist. Ich muss nichts über die Kindheit in Armut wissen, über den viel zu strengen Stiefvater – oder was auch immer es für Probleme in der Vergangenheit gab -, und vor allem möchte ich nicht alles auf dem Silbertablett serviert bekommen, als könnte ich nicht selbst denken. Ich will mir meine Gedanken über eine Figur machen können – und manchmal sind es ja gerade die Auslassungen, die einen Charakter so unvergesslich und reizvoll machen!

10 Kommentare

  1. Lt. Kurzbeschreibung bei Amazon ist das sogar die Vorlage zu "Moonlight"? Ich erinnere mich dunkel, dass es da auch so ne verworrene Hintergrundgeschichte um Mick und seine Frau gab …

    Ich bin absolut kein Hardboiled-Novel-Kenner, daher weiß ich nicht, was sich für das Genre "gehört" oder nicht. Aber ich finde definitiv, dass sich fast alle aktuell im Trend liegenden Krimis und Thriller viel zu sehr auf ihre Kommissare und deren (meist tragische) Geschichte konzentrieren. Es gibt einfach wenige Autoren, die das richtig gut hinkriegen, ohne dass der Fall in den Hintergrund tritt. Aber wenn ich zu nem Krimi greife, dann will ich nicht im Detail lesen, was dem Kommissar in der Vergangenheit alles zugestoßen ist und welche schrecklichen Probleme er im Privatleben hat, sondern ich will, dass er den Fall aufklärt. *augenroll*

  2. Wenn dem so sein sollte, dann möchte ich ein riesiges Lob an die Fernsehproduzenten aussprechen, weil sie aus der Vorlage etwas unterhaltsames geschaffen haben! 😉

    Bei den trendigen Krimis und Thrillern geht mir das auch schon gegen den Strich, auch wenn es einige Autoren gibt, die das immerhin gut beherrschen. Aber bei einer Geschichte, die "hardboiled"-Züge trägt, finde ich es absolut unmöglich.

    Auf jeden Fall ist es erschreckend, wenn man ein Buch zuschlägt und erleichtert feststellt, dass da einfach mal ein Ermittler war, der nur seinen Job gemacht hat. 😉

  3. Ich sollte mich wirklich mal an dem Genre versuchen; bislang bin ich ja noch der Meinung, dass es vermutlich nichts für mich ist, aber einen Test wärs ja wirklich wert. Und immerhin muss ich mich nicht mit dem Privatleben der Ermittler rumschlagen! 😀

    Meinste, ich sollte es mal mit Philip Marlow probieren? Oder doch Hammett für den Einstieg?

  4. Ich würde einen Test von dir ja jederzeit unterstützen! 😀 Und sei es nur, dass du dann definitiv sagen kannst, dass es nix für dich ist (was ich nicht hoffe!).

    Hm, du könntest auch mit einem Ross Mcdonald (z.B. "Unter Wasser stirbt man nicht") starten. Sein Lew Archer ist nicht ganz so abgebrüht und weniger distanziert, aber die Stimmung dieses Genre bekommst du da auch sehr gut mit. Und du könntest einen "einfachen" Versuch mit dem "Dünnen Mann" machen, um herauszufinden, ob dir Hammetts Schreibweise gefällt.

    Ansonsten würde ich dir "Der Malteser Falke" ans Herz legen für Hammett oder Chandlers ersten Roman "Der große Schlaf" (obwohl der beim Krimiteil zwei oder drei etwas langatmigere Stellen hat, aber die Sprache trägt einen darüber hinweg).

  5. Danke für die Tipps. Ich werd demnächst mal wieder in den Secondhand-Shop fahren, da sollte definitiv was zu kriegen sein. E-Books gibts ja mal wieder nicht … danke, Diogenes! *augenroll*

  6. Gern geschehen! 🙂

    Und wie wäre es mit den englischen Ausgaben? Da gibt es doch vermutlich E-Books, oder? Mein Mann meint, dass die Sprache im Original (natürlich) noch besser zur Geltung kommt. Ich habe bislang noch keinen Versuch gewagt, auch wenn das auf der Vorhabenliste steht.

  7. Stimmt, die engischen Ausgaben – so weit hab ich gerade überhaupt nicht gedacht. Allerdings hab ich da ein bisschen Sorge, dass mich die sprachlichen Anforderungen überfordern könnten …

  8. Spätestens seit den Skandinaviern gehört das Psychologische heutzutage wohl zwingend in einen Krimi. Manchmal finde ich es nett, wenn man beiläufig ein paar Hintergründe zum Hardboiled-Protagonisten, z.B. zum Serienkiller, eingestreut bekommt, aber ich möchte die nicht erklärt haben sondern mir selber laienpsychologisch zusammenreimen können. Insofern ist dein Satz zu den Auslassungen wohl dick zu markieren.
    Herzliche Grüße von Mila

  9. Ich finde auch, dass es einen großen Unterschied zwischen dem klassischen "schwarzen" amerikanischen (Detektiv-)Krimi und z.B. dem "typischen" skandinavischen Thriller gibt. In dem skandinavischen Buch rechne ich mit "emotionalen" Hintergründen, während ich bei den hardboiled-Sachen das Trockene und Zynische gerade so angenehm finde.

    Die Auslassungen würde ich aber so einigen Autoren aus verschiedenen Genres ans Herz legen wollen. 😉

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