Seanan McGuire: Indexing

Wer in den letzten Tagen meine Beiträge zu den „7 Days – 7 Books“ gelesen hat, hat ja schon mitbekommen, dass ich von „Indexing“ von Seanan McGuire ganz hingerissen bin. Trotzdem wollte ich noch mal eine ausführlichere Rezension zu dem Titel schreiben, da mir das Buch so viel Spaß gemacht hat. Entstanden ist die Geschichte als Fortsetzungsroman für den Kindle, so dass die einzelnen Kapitel anfangs abgeschlossene Kurzgeschichten erzählen, während im Hintergrund eine komplexere Handlung ihren Anfang nimmt. Die Geschichte spielt in heutiger Zeit und dreht sich um ein Team, das die Aufgabe hat, Märchen daran zu hindern wahr zu werden.

Dieses Team besteht aus Henrietta „Henry“ Marchen, Sloane Winters, Jeffrey „Jeff“ Davis und Andrew „Andy“ Robinson. Jeder von ihnen hat eine Verbindung zur Märchenwelt und engagiert sich aus ganz persönlichen Gründen im Kampf gegen die Geschichten – Geschichten, die in der Realität lange nicht so schön und voller Happy Ends sind, wie es einem weisgemacht wird. So ist Henry ein inaktives Schneewittchen und muss sich schon ihr Leben lang davor fürchten, dass ihr Märchen seinen Anfang nimmt. Sloane hingegen ist eine böse Stiefschwester, die tagtäglich ihre natürlichen Impulse unterdrücken muss, um sich nicht in eine skrupellose Mörderin zu verwandeln, während Jeff ein „Schuhmacher“ ist.

Ich muss gestehen, dass Jeffs Rolle für mich am schwierigsten zu identifizieren war, spontan dachte ich bei seiner Beschreibung an ein potenzielles Heinzelmännchen – am Ende habe ich mir die Mühe gemacht und nach den passenden Informationen aus dem Aarne-Thompson-Index zu schauen, nach dem die Märchenfiguren katalogisiert werden. Innerhalb des Romans werden zwei „Märcheneigenschaften“ von Jeff genannt: 1. er hat das unstillbare Bedürfnis Schuhe anzufertigen und 2. er ist unsagbar ordentlich. Letztendlich steht er wohl für den braven Handwerker, der ja in vielen Märchen eine zwar namenlose, aber entscheidende Rolle spielt. Andy hingegen gehört nicht zu den Märchenwesen, er wurde in die ganze Angelegenheit hineingezogen, als sein Bruder bei einem Dornröschen-Vorfall starb.

Diese vier Ermittler bemerken schon zu Beginn des Romans eine ungewöhnliche Häufung von Vorfällen – vor allem aber gibt es unerklärlicherweise immer mehr Märchenfiguren, die sich als jemand anderes entpuppen, als sie anfangs zu sein scheinen. So stellt sich zum Beispiel eine als „Schneewittchen“ identifizierte junge Frau letztendlich als „Dornröschen“ heraus, was natürlich eine vollkommen andere Vorgehensweise erfordert hätte, um ihr Märchen daran zu hindern wahr zu werden. Während also auf der einen Seite die Gruppe rund um Henry gegen all die Geschichten angehen muss, die erzählt werden wollen, häufen sich auch die persönlichen Probleme der Protagonisten. Je mehr Stress sie haben, je mehr die Märchen nach Verwirklichung drängen, desto mehr müssen auch Henry, Sloane und Jeff aufpassen, dass sie nicht von ihrer Bestimmung eingeholt werden.

„Indexing“ bietet dem Leser keine heile Märchenwelt, sondern eine spannende Geschichte, die voll ist von den düsteren Seiten der diversen Märchen, sowie Leichen und … äh … ich bezeichne es mal als Tieropfer. Auch gibt es viele Disney-Anspielungen, denn – so wird immer wieder betont – wenn eine Märchenvariante erst einmal genügend oft als „richtig“ wahrgenommen wurde, dann ist sie es auch. Außerdem sind mir die Charaktere sehr schnell ans Herz gewachsen, sie sind oft ruppig und unhöflich, aber sie haben auch ihre liebenswerten Seiten und passen während eines Auftrags gut aufeinander auf. Je mehr Seanan-McGuire-Geschichten ich lese, desto mehr „typische Figurentypen“ fallen mir bei ihr zwar auf, aber da ich unter anderem eine Schwäche für ihre Variante einer mörderischen Gothic-Lolita habe, stört mich das nicht.

Neben dem (oft ganz schön schwarzen) Humor und dem kreativen Umgang mit klassischen Märchenmotiven sind es vor allem die überraschenden Einfälle, die dafür gesorgt haben, dass ich den Roman so genossen habe. Manche Wendung ist richtig, richtig böse, aber auf eine Art, die ich als sehr unterhaltsam empfand. Bei anderen habe ich mich einfach nur amüsiert, weil ich die Lösung, die Henry für ein Problem fand, so nie erwartet hätte. Insgesamt kann ich sagen, dass mir „Indexing“ einfach nur Spaß gemacht hat und jeden Pfennig Cent war. Wem die nicht gerade günstige Paperback-Ausgabe aber zu teuer ist, der kann – sofern das passende Lesegerät vorhanden ist – auch auf die Kindle-Ausgabe zurückgreifen, die gerade mal den halben Preis der Printausgabe kostet.

24 Kommentare

  1. Nicole Klein

    Das nenn ich mal spannend! Tolle Rezi 🙂 Macht auf jeden Fall mega Lust auf das Buch!

    Grüßle Nicole

  2. Das klingt sehr schräg. Ich bin mir noch nicht sicher, ob das mein Fall wäre, aber auf jeden Fall merke ich mir diesen Roman mal. Vielleicht ergattere ich ihn ja in der Bücherei.

  3. @Nicole: Es ist einfach ein tolles Buch! Ich habe mich lange nicht mehr so gut unterhalten gefühlt bei einem Urban-Fantasy-Roman! 🙂

    @Neyasha: Ich drücke dir die Daumen, aber ich fürchte, du wirst in der Bibliothek kein Glück haben, es ist ja doch ein sehr spezieller Titel. Aber vielleicht kannst du einen Anschaffungsvorschlag machen – gute englische Bücher kann jede Bibliothek gebrauchen. 😉

  4. Ich bin noch standhaft! Zusammen mit 23 weiteren Neuerscheinungen-die-ich-unbedingt-haben-will liegt es allerdings bereits in meinem Einkaufswagen, früher oder später wird es also bei mir einziehen 😉
    Und ich kaufe vermutlich auch das Taschenbuch, nicht das eBook – letztlich ist es zwar teurer als McGuires andere Bücher, aber im Preis mit einem deutschen Taschenbuch ja durchaus vergleichbar.

  5. @Kiya: Hihi, dann bin ich gespannt, wie lange du standhaft bleibst und wie viele der 24 Titel bei dir irgendwann einziehen. 😀

    Ich finde den Taschenbuchpreis auch nicht so übertrieben – ist nur im Vergleich zu den billiger gemachten MassPaperbacks teurer, aber dafür liegt das Buch auch ganz anders in der Hand und hat "richtiges" Papier.

    Oh, und ich kann noch mitteilen, dass mir der Fahrradkurier inzwischen "The School of Good and Evil" gebracht hat. Allerdings hebe ich es mir noch bis April auf. 😀

  6. @Pashieno: Ich freu mich so, dass ich dein Interessen wecken konnte. 🙂 Dir könnten vielleicht zwei von den "Tierszenen" etwas im Magen liegen, aber die Geschichte an sich gefällt dir mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit!

  7. Oh, einziehen werden die alle – ich versuche nur den Zeitpunkt hinauszuzögern 😉 März ist eben in Hinblick auf Neuerscheinungen ein gefährlicher Monat.

    Mass Market Paperbacks mag ich allerdings auch, ist mir eigentlich lieber als große Taschenbücher. Aber nuja – man nimmt, was man kriegen kann, nicht wahr?

    Viel Spaß mit "The School for Good and Evil"! Ich warte einstweilen ungeduldig auf Teil 2… (der kommt dann auch in den Einkaufswagen).

  8. @Kiya: Ich bin ja ganz froh, dass ich gerade etwas mit Scheuklappen durch die Gegend laufe, es gibt so viele Reihen, die ich gern endlich mal weiterlesen würde. 🙂

    Ich mag die kleinen Paperbacks auch, aber es ist schon eine andere Qualität, was Bindung und Papier angeht. Ganz so haltbar sind die kleinen Dinger nicht, egal wie vorsichtig man sie liest.

    Danke! 🙂 Ich freu mich schon darauf, aber vorher versuche ich noch ein paar Leihgaben zu lesen. 😀

  9. @Hermia: Ich fand allein schon die Grundidee ziemlich cool! (Und warum schaffe ich es nicht über das Buch zu reden, ohne das Wort "cool" zu verwenden? Oo)

  10. Dreimal darfst du raten, was ich mir eben gekauft habe 😛 als hätte es nicht schon gereicht, dass das Buch ganz oben auf der Wunschliste war. Nein, jetzt gesellt es sich zu den eh schon unzähligen Neuzugängen im März 😉 und ist dann vielleicht sogar bei der Osteraktion dabei. Oder schon vorher? Mh, mal sehen…

  11. @Melli: *hüpf* Du müsstest jetzt mal mein breites Grinsen sehen! 😀 Wie gesagt, man kann sich das Buch auch gut aufteilen, du könntest als direkt nach Eintreffen schon mal das erste Kapitel lesen (30 Seiten pro Kapitel sind ja schnell verschlungen). *g* Oh, ich bin so gespannt, ob du es dir ebenso gut gefällt! 🙂

  12. Mir ging gerade "mission accomplished" durch den Sinn. 🙂 Ich widerstehe allerdings noch.

  13. Ich hatte es schon wegen deiner Begeisterung während 7D7B auf meine Wunschliste gesetzt – aber noch widerstehe ich auch. 😉

  14. @Ariana: Ach, Widerstand wird doch vollkommen überbewertet. 😉 Ich hatte so viel Spaß mit dem Buch, dass ich es am Liebsten jedem in den Einkaufskorb legen würde. 😀

  15. Bei Jeff ging es mir wie Dir: Ich habe auf Heinzelmännchen getippt, die einem Schuster ja bei seiner Arbeit helfen.
    Ich habe bislang ja nur den ersten October-Daye-Roman von ihr gelesen, daher fällt mir keine Typhäufung auf. "Indexing" entwickelt jedenfalls beim Lesen einen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte. Seanan McGuire fand ich auch kreativ bei der Umsetzung der sich manifestierenden Geschichten und Protagonisten bzw. dem Büro und der Wechselwirkungen.

  16. ""Indexing" entwickelt jedenfalls beim Lesen einen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte."

    Ach, das freut mich so sehr! 🙂

    Was die Typenhäufung angeht, so gibt es einige Elemente, die mir immer wieder auffallen, aber vor allem sehe ich eine deutliche Ähnlichkeit zwischen Sloane und einer Figur aus den "InCryptid"-Romanen. Da ich beide Charaktere sehr mag, habe ich damit aber überhaupt kein Problem. 🙂 Ich mag den Kontrast zwischen dem Büro und den Märchen und die Wechselwirkungen, die da entstehen.

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