Sei Shonagon: Das Kopfkissenbuch der Dame Sei Shonagon

Über „Das Kopfkissenbuch der Dame Sei Shonagon“ bin ich bei Mikage gestolpert und zum Glück hatte meine Bibliothek den Titel im Angebot. Wobei ich befürchte, dass ich die Ausgabe mit der schlechteren Übersetzung (und leider ohne Anmerkungen zu den Andeutungen in den Gedichten) erwischt habe. Aber da mir das Lesen so viel Spaß gemacht hat, ist die ausführlichere Manesse-Ausgabe (mit dem Titel „Das Kopfkissenbuch einer Hofdame“) gleich auf meinen Wunschzettel gewandert.

„Das Kopfkissenbuch der Dame Sei Shonagon“ wurde vor über 1000 Jahren von einer Hofdame am Heian-Hof geschrieben. Nachdem die Kaiserin Sei Shonagon zwanzig Lagen besonders schönen Papiers geschenkt hatte, band die Hofdame daraus ein Buch, dem sie in den folgenden Jahren ihre Gedanken zum Leben am Hof und all die kleinen Alltäglichkeiten anvertraute. Und da sie ihre Aufzeichnungen eigentlich niemandem je zu lesen geben wollte, sind die niedergeschriebenen kleinen Begebenheiten und Beobachtungen häufig sehr direkt und manchmal fast schon etwas gehässig. Aber umso mehr hat man als Leser das Gefühl einen Einblick in die Heian-Zeit und das Leben am Hof zu bekommen.

Sei Shonagon scheint eine sehr schüchterne Frau gewesen zu sein, die anfangs mit dem Dienst als Hofdame vollkommen überfordert war. Aber im Laufe der Zeit kann man sehen, dass sie immer selbstbewusster wurde und bei dem neckischen Ton am Hof mithalten kann. Immer wieder gibt es so kleine Beobachtungen, bei denen mir bewusst wurde, wie wenig Ahnung diese Dame von dem alltäglichen Leben hatte – und wie sehr ihre Prioritäten von den Idealen des adeligen Lebens geprägt wurden. Was ja auch kein Wunder ist, kannte sie doch nichts anderes. 😉

Besonders interessant fand ich all die kleinen Niederschriften über das richtige Benehmen eines Geliebten, über nächtlichen Begebenheiten  und ihre Gedanken darüber, wie schwierig es sei einen Liebhaber zu empfangen, wenn man nicht am Hofe war. Ich muss gestehen, dass ich nicht gedacht hätte, dass die Hofdamen damals so freizügig sein konnten. Faszinierend fand ich auch den Stellenwert der Gedichte für das Leben von Sei Shonagon und welch eine Herausforderung es oft für sie war, wenn sie spontan auf ein Gedicht der Kaiserin reagieren musste und wie sehr es sie beschäftigte, wenn sie nicht die passende Zeile gefunden hatte. Sehr freimütig berichtet sie auch über die Dinge, die sie unangenehm oder abstoßend findet – und in diesem Teil hat sie meine Sympathie regelmäßig verloren, weil sie da so schrecklich oberflächlich wirkt. Auf der anderen Seite zeigen diese kleinen Texte auch, dass die Menschen in ihren Vorurteilen und Abneigungen sich in den letzten tausend Jahren kein bisschen verändert haben.

Insgesamt habe ich „Das Kopfkissenbuch der Dame Sei Shonagon“ wirklich genossen und abends immer mal wieder ein Stückchen darin gelesen. Der Einblick in das japanische Hofleben zwischen 1001 und 1010 war sehr spannend und ich habe über Sei Shonagons Erlebnisse geschmunzelt oder den Kopf geschüttelt. Außerdem habe ich beim Lesen das Betrachten der Bilder genossen, die das Buch passend illustrieren (wobei die Bilder von Künstlern aus dem 18. Jahrhundert stammen). Wer neugierig auf einen kleinen Blick in eine längst vergangene Zeit ist oder sich ganz allgemein für Japan interessiert, bekommt mit diesem Buch auf jeden Fall eine ungewöhnliche und faszinierende Lektüre in die Hand.

12 Kommentare

  1. Von dem Buch hab ich bisher zwar noch nie gehört, aber das klingt interessant.
    Mal sehen, ob unsere Bücherei es auch hat.

  2. Huhu^^
    Jetzt bin ich aber platt o.O Dass wirklich mal jemand wegen mir ein bestimmtes Buch liest..^^
    Es freut mich auf jeden Fall sehr, dass es dir ebenso gut gefallen hat wie mir^^
    Liebe Grüße^^

  3. @Neyasha: Ich drücke dir die Daumen – das Buch ist wirklich interessant und lässt sich schön nebenbei lesen. 🙂

    @Mikage: Eigentlich wollte ich dir auch noch einen Kommentare bei der Rezension hinterlassen, habe es aber wochenlang nicht auf die Reihe bekommen und es dann doch sein gelassen. Ich fand es wirklich faszinierend – danke für die Anregung! 🙂

  4. Das klingt gar nicht schlecht, ich werde mir den Titel mal merken 🙂 Und die Manesse-Ausgaben sind ja wirklich immer sehr schön…

  5. @Kiya: Die Manesse-Ausgabe ist zwar ein bisschen teurer, scheint aber deutlich besser gemacht zu sein als die, die ich gelesen habe. Ich bin gespannt, ob bzw. wann du einen Blick in das Kopfkissenbuch riskierst. 🙂

  6. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das ein Buch für mich wäre. Zwar finde ich Japan interessant, aber nach den Andeutungen bei Mikage hatte ich den Eindruck, dass – jedenfalls ich – nicht einen fortlaufenden Bericht würde lesen können, sondern dass mein Lesen immer von den Kommentaren, Erläuterungen etc. unterbrochen würde. Wie hast Du das empfunden (auch wenn Du in der Japankultur mehr drinsteckst als ich 😉 ) ?

  7. @Natira: Da die Einträge von Sei Shonagon sehr kurz sind, kann man nach jedem bestimmt gut eine Pause machen, um sich die Kommentare und Anmerkungen anzugucken. Ich konnte/mochte die vielen kleinen Texte gar nicht am Stück lesen, sondern habe immer mal wieder zu dem Buch gegriffen und mir von der Hofdame von ihrem Leben erzählen lassen. 🙂 Auf der anderen Seite denke ich schon, dass die Kommentare ein Gewinn wären, da mir der Stellenwert der Gedichte und die vielen Zwischentöne in dem Bereich – trotz meiner Neugier auf die japanische Kultur – immer das Gefühl gibt, dass ich etwas entscheidendes und unausgesprochenes verpasse.

  8. ah – tagebuchcharakter mit erläuterungen? vielleicht stolpere ich mal über das kopfkissenbuch, dann werde ich mal hineinlesen und schauen. 😉

  9. Tagebuchcharakter ist schon fast zu viel – es sind wirklich nur kleine Beobachtungen und Anmerkungen. Zum Beispiel schreibt sie darüber wie schön es ist, wenn der Kuckuck im Frühling wieder ruft oder wie schwierig es ist einen Geliebten zu empfangen, wenn man bei Freunden zu Gast ist. Sie schreibt über den Anblick einer vom Morgentau benetzten Blume oder von einem Gedichtwettbewerb bei Hofe, von einem Ausflug auf einem See und den Gedanken der Hofdamen, die nach einer längeren Reise ihr Gefährt verlassen sollen und sich sorgen, dass ihre Haare nicht angemessen aussehen.

    Es ist eine ganz eigene Art etwas niederzuschreiben und etwas gewöhnungsbedürftig, aber dafür auch umso fesselnder. 🙂

  10. Oh, okay … weniger als Tagebuchcharakter… Ist mein Eindruck – ich habe nur wenig Einblick in die japanische Kultur genommen – richtig, dass dort viel durch Schweigen und Handeln (nach gewissen codizes) "gesagt" wird? Obwohl das Entdecken dieser Andersartigkeit sehr reizvoll ist, weiß ich nicht, ob das "Kopfkissenbuch" für mich der richtige Weg wäre, jedenfalls zur Zeit 😉

  11. So Andersartig ist das Kopfkissenbuch ja gar nicht – wie gesagt, ich denke nur, dass es durch Anmerkungen zu den Gedichten z.B. noch gewinnen würde. Ansonsten sind viele Gedanken von Sei Shonagon erstaunlich "vertraut". Ich würde einfach sagen, dass du danach die Augen aufhälst und wenn die Möglichkeit besteht einen Blick in das Buch wirst. 😉

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