Den Roman „Am Ende des Alphabets“ von Fleur Beale hatte mir netterweise Tine geliehen, nachdem sie mir mit ihrer Rezension solche Lust auf das Buch gemacht hatte. Die Geschichte handelt von der vierzehnjährigen Ruby, die die „Dumme“ in ihrer Familie ist und deshalb ständig hinter ihrem intelligenten Bruder Max zurückstecken muss. Dabei ist die Situation in Rubys Familie eigentlich gar nicht so ungewöhnlich: Sie ist die Älteste von insgesamt vier Geschwistern, und da ihr Stiefvater den ganzen Tag als LKW-Fahrer unterwegs ist und ihre Mutter als Putzfrau im Krankenhaus des Nachbarortes arbeitet, muss sie viele Aufgaben im Haushalt übernehmen.
Schlimm wird es, wenn man sieht, dass ihr gerade mal elf Monate jüngerer Bruder Max sich jeglicher Verantwortung entzieht – und damit auch noch durchkommt. Denn während Ruby weder lesen noch schreiben kann, ist Max ein überaus guter Schüler, der regelmäßig Auszeichnungen bekommt. So nimmt die ganze Familie Rücksicht auf die Befindlichkeiten von Max, damit sich der Junge ganz auf das Lernen konzentrieren und hoffentlich in einigen Jahren die Universität besuchen kann. Auf Ruby hingegen wartet gerade mal eine Zukunft als Putzfrau, dessen ist sich vor allem ihre Mutter sehr sicher.
Erst als Rubys beste Freundin Tia droht, dass sie nie wieder mit ihr reden würde, wenn sie weiterhin den Fußabtreter für die gesamte Familie spielt, fängt das Mädchen an, über seine Situation nachzudenken. Nach und nach entwickelt Ruby Rückgrat und findet heraus, was sie eigentlich will und was sie sich für ihre Zukunft vorstellen kann. Ich bin mal so frei und spoilere an dieser Stelle: Putzfrau möchte sie nicht werden. 😉 Und je mehr Ruby sich für die Sachen einsetzt, die ihr wichtig sind, desto mehr entdeckt sie auch, dass sie nicht dumm ist. Sie kann nicht lesen und schreiben und das macht ihr Leben häufig ganz schön schwer, aber sie ist nicht dumm. Doch während sie langsam zu dieser Erkenntnis kommt, scheint ihre Familie nicht zu begreifen, dass auch Ruby einen Wert hat, der über ihre Fähigkeiten als Haushaltshilfe und Babysitterin hinausgeht. Zum Glück hat Ruby gute Freunde, die sie unterstützen, und sie lernt im Laufe der Geschichte noch weitere Personen kennen, die für sie da sind.
Mit gut 200 Seite ist „Am Ende des Alphabets“ nicht gerade umfangreich und hat sich gut an einem Nachmittag lesen lassen. Ich habe Ruby sehr schnell ins Herz geschlossen und mich über ihr wachsendes Selbstbewusstsein und ihr neu entwickeltes Rückgrat sehr gefreut. Häufig steht sie vor der Wahl, den einfacheren Weg zu gehen, einfach wieder in ihre alte Rolle als Stütze ihrer Familie zu verfallen und sich mit einem kleinen Sieg zufriedenzugeben. Aber nachdem sie erst einmal angefangen hat, sich mit ihrer Situation auseinanderzusetzen und nachdem sie die Mechanismen in ihrer Familie durchschaut hat, findet sie immer wieder die Kraft, für sich einzustehen – und das nicht nur im privaten Umfeld. Dabei konnte ich auch Rubys Familie verstehen (wenn auch nicht immer ausstehen), und das rechne ich Fleur Beale wirklich an.
Ich fand es auch angenehm, dass Ruby zwar ein wirklich nettes (und häufig viel zu gutmütiges) Mädchen war, aber dabei nicht zu lieb dargestellt wurde. Ruby hat auch ihre boshaften Seiten (die bei mir gerade im Umgang mit dem Ladenbesitzer zum regelmäßigen Schmunzeln geführt haben), und wenn sie wütend ist, dann haut sie auch schon mal Sätze raus, von denen sie genau weiß, dass sie wehtun. Am Ende hat Ruby sehr viel für sich erreicht, und das fand ich wirklich schön und wohltuend, dabei macht es sich Fleur Beale aber nicht zu einfach und zeigt auch immer wieder, dass das Leben auch in Zukunft für Ruby eine Menge Herausforderungen bereithalten wird, die es für Menschen, die keine Lese-Rechtschreibschwäche haben, nicht gibt.