Graham Norton war mir bislang kein Begriff und so lag es nur an dieser Rezension, dass ich Lust hatte, den Roman „Ein irischer Dorfpolizist“ auszuprobieren. Die Handlung wird zu einem großen Teil von dem Polizisten Sergant PJ Collins bestimmt, der seit fast zwanzig Jahren in dem kleinen Dorf Duneen eine ruhige Kugel schiebt. Sein Leben wird beherrscht von den drei warmen Mahlzeiten, die ihm seine Haushälterin Mrs. Meany jeden Tag serviert, und von den Kleinigkeiten, die er in seinem Alltag als Dorfpolizist übernehmen muss. Geprägt wird sein Verhalten dabei von einer allumfassenden Unsicherheit, die nicht nur darauf zurückzuführen ist, dass er sehr dick ist und sich der Tatsache bewusst ist, dass ihn kaum ein Mensch ernst nimmt. Als eines Tages bei Bauarbeiten auf dem Gelände eines ehemaligen Bauernhofs ein Skelett gefunden wird, ist sich das gesamte Dorf sicher, dass es sich dabei um die Leiche des vor über zwanzig Jahren verschwundenen Tommy Burke handelt.
Gerüchten zufolge war Tommy zwar damals nach London abgehauen, nachdem sich seinetwegen zwei Frauen vor dem Dorfladen geprügelt hatten. Doch da man nie wieder von dem jungen Mann etwas gehört hatte, hat das Rätsel um Tommy Burke die Dorfgemeinschaft nie ganz in Ruhe gelassen. Im Mittelpunkt der Ermittlungen stehen nun vor allem die beiden Frauen, denen er vor so vielen Jahren so wichtig war, dass sie sich um ihn prügelten. Weder Brid Riordan noch Evelyn Ross haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten ihr Glück gefunden. Während Evelyn gemeinsam mit ihren beiden älteren Schwestern im Haus ihrer verstorbenen Eltern lebt, hat Brid einen Mann geheiratet, von dem sie wusste, dass er sie nicht liebt, sondern es nur auf den vom Vater geerbten Bauernhof abgesehen hatte. Aus der Sicht dieser drei traurigen Figuren (PJ, Evelyn und Brid) wird der Großteil der Geschichte erzählt, wobei es Graham Norton gelingt, überraschend liebevoll und respektvoll mit diesen drei gescheiterten Existenzen umzugehen.
Ein paar Elemente in „Ein irischer Dorfpolizist“ erinnerten mich an den Miss-Marple-Krimi „Nemesis“ von Agatha Christie, auch da gibt es diese drei ältlichen Schwestern, die zusammen leben und zwischen denen so viel Unausgesprochenes steht und die alle drei so viel mehr in ihrem Leben hätten haben können, wenn sie es gewagt hätten, ihren eigenen Weg zu gehen. Und der Fall selbst dreht sich um eine Person, die vor vielen Jahren aus dem Leben aller Beteiligten verschwunden ist und die durch ihre Abwesenheit eine große Lücke hinterlassen hat. Eine Lücke, die bei mehr als einem Charakter zu einem Bruch im Leben geführt hat, von dem sich diese Personen nicht wieder erholt haben. Doch während Miss Marple von einem Hinweis zum nächsten geschickt wird und dabei aus den verschiedenen Erinnerungen, die ihr erzählt werden, ihre Schlüsse zieht, scheint PJ sich angesichts einer so großen Aufgabe recht hilflos zu fühlen.
Auf der einen Seite will er endlich mal zeigen, dass er als Polizist zu mehr gut ist als nur den Verkehr zu regeln und Strafzettel auszustellen, auf der anderen Seite ist PJ nicht gerade jemand, der die hinzugezogenen Ermittler aus Cork mit seinem Verstand und seinen Einfällen beeindruckt. Doch PJ strahlt – bei all seiner Unbeholfenheit – Wärme und Verständnis aus, was die Beteiligten dazu bringt, ihm im Laufe der Zeit ihr Herz auszuschütten. So ist „Ein irischer Dorfpolizist“ weniger ein Kriminalroman als eine Geschichte rund um all die verpassten Gelegenheiten, die Kümmernisse und die Hoffnungslosigkeit, die lange Zeit das Leben einiger Bewohner des Dorfes Duneen bestimmen. Ich mochte es sehr, wie Graham Norton die verschiedenen Charaktere darstellt, weil er keine seiner Figuren für irgendetwas zu verurteilen scheint. Er macht hingegen deutlich, dass hinter all den größeren und kleineren Fehler und Probleme seiner Figuren eine Geschichte steckte – und dass es nicht immer so einfach ist, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und ein anderes Leben anzufangen.
Aber dieses liebevolle Verständnis für all die gescheiterten Existenzen in diesem Roman sorgte bei mir auch für eine melancholische Stimmung beim Lesen. Es ändert sich zwar im Laufe der Geschichte etwas für alle Beteiligten, aber allein die Vorstellung, dass die meisten von ihnen zwanzig, dreißig Jahre in ihrer Einsamkeit gefangen waren und nicht wussten, wie sie etwas in ihrem Leben ändern sollten, fand ich schon etwas deprimierend. Doch im Gegensatz zu „Nemesis“, wo man am Ende das Gefühl hat, dass die Auflösung des Verbrechens den Figuren zwar Antworten auf einige wichtige Fragen bietet, aber keine Erlösung aus ihrer Einsamkeit, gibt es bei „Ein irischer Dorfpolizist“ immerhin für den einen oder anderen Charakter einen ausreichenden Anstoß im Laufe der Geschichte, um eine neue (und immer noch realistisch wirkende) Wendung im Leben einzuschlagen.