In den letzten Jahren habe ich mich irgendwie zu einem „Fast-Food-Leser“ entwickelt und genieße vor allem eher leichte und unterhaltsame Romane, während ich mich als Teenager intensiv mit klassischer Literatur auseinandergesetzt habe. Damals habe ich zwar nicht jedes Buch verstanden (zumindest ist das im Nachhinein mein Eindruck), aber jeder dieser Klassiker hat mich nachhaltig beeindruckt. Doch auch heute stolpere ich immer wieder über Titel, die man eher von Literaturkritikern besprochen als auf den Bestsellerlisten sieht und die eine schöne Abwechslung zur leichten Unterhaltung bieten.
„Das starke Geschlecht“ ist so ein Titel, den ich mir vor allem aus Neugierde auf den Autor zugelegt habe – und nach einem kurzen Blick hinein landete das Buch erst einmal auf dem SuB. Denn statt einer Geschichte über einen Gerichtsstreit oder etwas ähnliches, wie ich es nach dem Klappentext erwartet hatte, bekam ich einen jungen Anwalt und ein recht betagtes Ehepaar, die alle drei ständig mit dem Thema Sex beschäftigt waren. Ohne Karis SuB-Losverfahren hätte ich es wohl auch so schnell nicht wieder aus dem Regal geholt, aber da Irina das Buch für mich nun mal gezogen hatte, musste ich mich da jetzt mal durchkämpfen. Und ein Kampf wurde es, denn ich konnte von der ersten Seite an mit den Figuren nichts anfangen.
Um mal das Positive herauszustreichen: Hans Werner Kettenbach verwendet eine schöne und klare Sprache (von ein paar Ausnahmen abgesehen, die durch die Charaktere, die in dem Moment zu Wort kommen, erklärt werden) und man merkt, dass er ein genauer Beobachter ist, der auch die kleinen Dinge sehr schön und detailliert beschreibt. Auch entdeckt man erst allmählich die vielen verschiedenen Schichten der unterschiedlichen Persönlichkeiten und lernt die Erzählweise des Autors zu schätzen (was leider nicht bedeutet, dass ich sie mag).
Trotzdem werde ich nach „Das starke Geschlecht“ wohl nie wieder zu einem Roman von Hans Werner Kettenbach greifen. Dieses Buch beginnt damit, dass der neunundzwanzigjährige Anwalt Alexander Zabel den Fabrikanten Herbert Klofft in einem Rechtsstreit vertreten muss. Der alte Mann hatte einer langjährige Mitarbeiterin fristlos gekündigt, da diese sich – seiner Meinung nach – durch einen Krankschreibung einen nicht genehmigten Urlaub erschlichen hatte. Erst langsam kommt Alexander dahinter, dass der Fabrikant mit der Klägerin Katharina Fuchs jahrlange ein Verhältnis hatte. Und nur durch die Informationen, mit denen ihn Cilly, die Ehefrau von Herbert versorgt, erfährt Alexander die nötigen Details, die er für die Verteidigung seines Mandanten benötigt.
Doch die Handlung plätscherte dahin und die Anklage gegen den Fabrikanten ist nur ein Vorwand für den Autor um die Beziehungen der verschiedenen Charaktere zueinander zu beleuchten. Leider konnte ich keine dieser Personen auch nur annähernd ausstehen! Ich mochte mich mit ihnen nicht beschäftigen – und das hat sich auch im Laufe der Geschichte nicht geändert. Herbert Klofft ist ein geiler alte Bock, dessen einziges Bedauern der Tatsache gilt, dass er im Alter nicht mehr zum Sex in der Lage ist. Dieser Punkt ist so viel schlimmer als die Krankheit, an der er gerade elend zugrunde geht. Also versucht er nicht nur wieder Gewalt über seine ehemalige Geliebte zu bekommen, sondern bezahlt auch eine Haushälterin und Pflegerin, die ihn regelmäßig animieren soll.
Jedes Detail über sein „Liebesleben“ erzählt er mit Genuss und unter Verwendung einer abstoßend obszönen Sprache seinem Anwalt und wirft bei mir die Frage auf, warum sich Alexander Zabel sowas überhaupt antut. Der ist in meinen Augen sowieso ein Weichei – um es mal freundlich zu umschreiben. Anfangs gefiel es mir, dass der Anwalt gewisse Grundprinzipien hat, die ihm anerzogen wurden und nach denen er auch als Erwachsener lebt. Er ist höflich, freundlich und pflichtbewusst und erst einmal nur ganz nett, aber langweilig. Doch in seiner Beziehung zu der Reporterin Frauke steht er gehörig unter dem Pantoffel und es wurde mir nicht klar, was diese beiden Personen überhaupt verbindet und warum er sich von ihr so viel gefallen lässt.
Außerdem fühlt er vom ersten Augenblick an eine starke sexuelle Anziehung zu Cilly Klofft. Dabei stören mich weder der Altersunterschied von 44 Jahren (er ist 29, sie 73) oder die Beschreibungen ihrer körperlichen Vorzüge (auch wenn ich da schnell an Operationen und Botox denken musste), sondern der Umgang der beiden miteinander und die Art und Weise wie dieser beschrieben wurde. Er fühlt sich fasziniert von dieser Frau – und abgestoßen von seinen eigenen Gefühlen – und sie spielt mit ihm, reizt ihn immer wieder, will ihn verführen und nimmt ihn doch nicht ernst.
Es gab bei diesem Buch kaum ein Kapitel bei dem ich mir nicht gewünscht habe, ich könnte es einfach aus der Hand legen und müsste mich nicht mehr mit diesen unangenehmen Personen beschäftigen. Nicht einmal das Mitleid, das im Laufe der Handlung gegenüber den verschiedenen Figuren aufkam, konnte diese Gefühle mildern. Auf der anderen Seite habe ich den Roman als Herausforderung gesehen, wurde trotzig und war wild entschlossen ihn zum Ende zu bringen. So habe ich mich irgendwann in einer Woche durchgekämpft und zwischendurch sogar über Sex, Liebe, Beziehungen und das Altern nachgedacht – und kann nun behaupten, dass dieser Autor (wenn ich von diesem Titel auf sein Gesamtwerk schließen darf) nichts für mich ist!
Immerhin ist nun der SuB wieder um ein Buch geschrumpft und ich kann für mich endlich diese Runde von Karis Losverfahren abschließen.