Das ist eine der Rezensionen, die ich anfange, obwohl ich mir noch nicht sicher bin, was ich von dem Buch halte. „Eisesgrab“ von Jenny Milchman war kein Roman, an den ich hohe Erwartungen hatte. Ich habe den Titel vor allem als Abwechslung zu den diversen Fantasyromanen gesehen, die im November bei mir eingezogen sind. Am Sonntag habe ich das Buch dann recht zügig durchgelesen, weil es sich so flüssig lesen ließ, obwohl ich stellenweise erschreckend wenig auf den weiteren Verlauf der Handlung neugierig war.
Die Geschichte beginnt am 23. Januar, als Nora Hamilton kurz nach dem Aufwachen ihren Mann Brendan findet, der sich aufgehängt hat. Da es in ihrem gemeinsamen Leben – zumindest soweit Nora dies weiß – keinerlei Probleme gab, die solch eine Tat begründen könnten, versucht Nora mehr über den Arbeitsalltag ihres Mannes (der Polizist in der Kleinstadt Wedeskyull war) und seine Kindheit herauszufinden. So hat Brendan auf der einen Seite in den letzten Wochen sehr viele Überstunden gemacht, obwohl die kleine Stadt in den Adirondacks vollkommen zugeschneit ist und es zu keinen größeren Vorfällen kam. Auf der anderen Seite scheint es Details rund um den Tod von Brendans kleinem Bruder Red (der ums Leben kam, als Brendan gerade mal zehn Jahre alt war) zu geben, die Nora bislang noch nicht wusste.
Neben Noras Ermittlungen und Erlebnissen, die den Hauptteil des Romans ausmachen, gibt es immer wieder kurze Kapitel aus Sicht anderer Bewohner der Stadt, die eindeutig mehr über die Vorgänge in Wedeskyull wissen und ihre ganz eigenen Gründe haben zu schweigen. Diese Wechsel auf eine andere Perspektive mochte ich sehr, vor allem, weil mich Nora als Charakter anfangs nicht so ganz überzeugen konnte. Ich habe es als stimmig empfunden, dass sie nach dem Tod ihres Mannes zusammenbricht und dass sie unbedingt eine Erklärung für seinen Selbstmord finden will. Ich fand es auch okay, dass sie sich Vorwürfe macht, weil sie nicht mitbekommen hat, dass ihren Mann irgendwas belastet.
Mir wurde es aber zuviel als Nora (zusammen mit ihrer Schwester Teggie) zu dem Schluss kam, dass sie ihr Leben lang zu harmoniesüchtig gewesen sei und deshalb noch nie irgendetwas hinterfragt hätte, egal wie suspekt etwas ausgesehen hätte. So eine Aussage kann ich als Leser nur dann hinnehmen, wenn mir Anzeichen dafür gegeben werden, dass etwas dubios aussieht. Aber alle Erinnerungen und Aussagen über Brendan und seine Ehe mit Nora deuten darauf hin, dass die beiden eine harmonische Beziehung hatte und es nichts gab, was verdächtig wirkte. Es wäre für mich auch akzeptabel gewesen, wenn Nora zu dem Schluss gekommen wäre, dass bestimmte Aussagen oder Handlungen im Nachhinein etwas seltsam wirken. Aber grundsätzlich empfinde ich es erst einmal nicht als Charakter-Makel, wenn man demjenigen, den man liebt, einfach vertraut und ihn nicht aushorcht oder hinterherspioniert. Und auch wenn ich hier jetzt recht lang über dieses Element schreibe, so wird diese Selbsterkenntnis von Nora zwar bis zum Ende des Romans immer wieder erwähnt, nimmt aber zum Glück nicht ganz so viel Raum ein.
Im Laufe der Zeit findet Nora heraus, dass es nicht nur Sachen gibt, die sie über Reds Tod nicht wusste, sondern auch, dass die Polizei in Wedeskyull nicht immer ganz gesetzestreu handelt. Da der Leser diese Erkenntnis sehr viel früher hat als Nora und man so jedes Gespräch mit Brendans Arbeitskollegen mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt, weil man weitere Hinweise auf die Aktivitäten der Polizisten sucht, fand ich den Teil wirklich nicht schlecht geschrieben. Zumindest während des Lesens ist dieser Handlungsstrang spannend genug, um einen bei der Stange zu halten und immer noch ein weiteres Kapitel lesen zu lassen. Da fand ich es auch nicht so schlimm, dass ich die Auflösung(en) am Ende nicht ganz so überzeugend fand.
Hervorheben mochte ich zuletzt noch, dass mir die von der Autorin geschaffene Atmosphäre in dem Buch sehr gut gefiel. Wedeskyull ist von Schneemassen umhüllt und so gibt es eigentlich kaum eine Passage, in der Jenny Milchman dem Leser nicht deutlich macht, was so ein Winter in den Bergen bedeutet. Sei es, dass Nora sich dick einpacken oder das Autor von zentimeterdickem Eis befreien muss, bevor sie losfahren kann, oder dass sie sich im dichten Schneetreiben verfolgt fühlt, aber aufgrund der Sichtverhältnisse nicht herausfinden kann, ob wirklich jemand hinter ihr her ist. Dann wieder ist Nora so sehr in ihre Gedanken vertieft, dass sie die notwendige Vorsicht beim Fahren auf dem Schnee vergisst, oder muss vor einem Eindringling aus dem Haus flüchten, ohne sich eine Jacke mitnehmen zu können. Es gibt auf jeden Fall sehr viele Momente, in denen das Wetter eine Rolle spielt, ohne dass ich das als unstimmig empfunden hätte, im Gegenteil, das fand ich gut gemacht.
Letztendlich konnte mich „Eisesgrab“ zwar nicht vollständig überzeugen, hatte aber genügend interessante Aspekte und ließ sich so flüssig lesen, dass ich den Roman wohl als „nett“ in Erinnerung behalten werde. Wenn mir nach diesem Debütroman noch ein weiterer Titel von Jenny Milchman in die Finger fallen sollte, werde ich ihn wohl auch lesen (und sei es nur, um herauszufinden, ob sie in Zukunft die mir nicht so zusagenden Elemente ablegt).