Über dieses Buch bin ich bei Tine gestolpert und war nach ihrer begeisterten Rezension neugierig genug geworden, um „Heute sind wir Freunde“ von Patrycja Spychalski in der Bibliothek vorzumerken. Die Geschichte dreht sich um fünf vollkommen unterschiedliche Schüler, die während eines Unwetters allein in ihrer Schule zurückbleiben und die Nacht dort verbringen. Ich muss gestehen, dass ich die Figuren (und die Grundsituation) anfangs wenig kreativ fand. Gerade die Charaktere lassen sich doch sehr leicht in eine Schublade stecken. Anton ist der Streber, der keine Freunde hat, Leo ist der Coole mit der Lederjacke, Valeska die unnahbare Schöne, die von allen beneidet wird, und Nell und Chris sind die „Normalen“ (wobei beide eine künstlerische Begabung haben).
Obwohl sich die fünf zumindest vom Sehen kenne, haben sie nie zuvor miteinander zu tun gehabt. Aber jeder von ihnen glaubt, dass er die anderen einschätzen kann – und dass sie nichts miteinander gemein haben. Im Laufe der miteinander verbrachten Stunden stellt sich dann natürlich heraus, dass es nicht so einfach ist, sich ein Bild von einem Menschen zu machen. Jeder von ihnen hat Facetten, die die anderen nicht erwartet hätten und die für unerwartete Sympathien sorgen. Dabei lässt die Autorin Patrycja Spychalski jeden der fünf Schüler zu Wort kommen, so dass der Leser auch die Gedanken mitbekommt, die die Teenager – trotz der im Laufe der Zeit aufkommenden Offenheit und Nähe – für sich behalten.
Wie gesagt, ich fand die Figuren etwas arg „schubladig“ dargestellt und die Ausgangssituation auch etwas abgenutzt, aber das ändert nichts daran, dass ich die Geschichte trotzdem sehr süß fand und gern gelesen habe. Die Charaktere werden einem schnell sympathisch (auch wenn Leo mir in der Realität vermutlich schnell auf die Nerven gegangen wäre), haben ihre Schwächen und Stärken und es ist schön mitzuerleben, wie sie sich gegenseitig besser kennenlernen. Auch fand ich es stimmig, dass diese eine Unwetternacht und die Nähe zu den anderen nicht jeden im gleichen Maße beeinflusst. Für Anton und Valeska bieten diese Stunden die Möglichkeit, loszulassen und Dinge auszuprobieren, die sie sich sonst nie wagen würden. Auch für Nell und Chris entstehen durch dieses Unwetter viele Chancen, aber da sie als Figuren nicht so extrem angelegt waren wie die anderen drei Protagonisten, hatte ich das Gefühl, sie würden nur einen Stups bekommen, um danach offener und ein bisschen mutiger durch die Welt zu gehen. Leo hingegen ist in erster Linie jemand, der anstößt und Veränderungen auslöst …
Schön finde ich, dass Patrycja Spychalski es offen gelassen hat, wie es nach dieser Nacht mit den fünf Schülern weitergeht. Obwohl sie sich im Laufe dieser gemeinsam verbrachten Stunden so gut kennengelernt und zum Teil so eine intensive Zeit miteinander verbracht haben, ist allen Beteiligten bewusst, dass ihre frisch aufgekeimte Freundschaft vielleicht gerade mal bis zum kommenden Montag halten wird. Aber selbst wenn es so ist, ist es gut. Und es gibt ja immer noch die Möglichkeit, dass der eine oder andere sein gewohntes Verhalten auch im Alltag abstreifen und die während des Unwetters entdeckten Facetten seiner Persönlichkeit zeigen kann. Mir hat es auf jeden Fall viel Spaß gemacht, nach dem Ende des Romans noch darüber nachzudenken, wie es nach dieser Nacht in der Schule am kommenden Montag mit den fünf Figuren, ihren Eltern und ihrem Verhältnis zu ihren Mitschülern weitergehen könnte.