Nach „Frucht der Sünde“ war ich mir nicht so ganz sicher, was ich von den Merrily-Watkins-Romanen von Phil Rickman zu halten hatte. Aber immerhin war meine Neugier so groß, dass ich mir noch den zweiten Roman um die ungewöhnliche Pfarrerin in der Bibliothek vorgemerkt hatte. Im ersten Band hatte Merrily Watkins zum zweiten Mal in ihrem Leben (beim ersten Mal hatte sie eine Art Erscheinung in einer Kirche und danach beschlossen, dass sie eine Ausbildung zur Pfarrerin beginnt) eine Begegnung mit dem Übernatürlichen. Wobei Merrily sich nie so ganz sicher zu sein scheint, ob sie sich das Ganze nicht nur einbildet oder ob es nicht rationale Erklärungen für die seltsamen Vorfälle gibt. Auf jeden Fall haben diese Erlebnisse dazu geführt, dass sie nun eine Art Weiterbildung zur „Exorzistin“ begonnen hat.
Aber natürlich ist es bei ihr nicht so einfach wie bei den männlichen Kollegen und so wird sie kurz nachdem sie bei Huw Owen einen Kurs zum Umgang mit „Spirituellen Grenzfragen“ gemacht hat, vom Bischof zur Diözesan-Exorzistin (Verzeihung, natürlich muss es heißen „Beraterin für spirituelle Grenzfragen“) ernannt. Was bedeutet, dass sich Merrily mit allen (vermeintlichen oder realen) seltsamen Begebenheiten in der – nicht gerade kleinen – Diözese rund um die Kathedrale von Hereford beschäftigen muss. So wird die Pfarrerin aufgrund ihres neuen (und zusätzlichen!) Amtes zu einem unheimlichen sterbenden Mann gerufen, muss eine von Satanisten entweihte Kirche wieder säubern, soll in einem Altenheim einen Geist austreiben und darf sich mit Kirchenpolitik, Intrigen und ihren eigenen Ängsten herumschlagen.
Währenddessen hat ihre Tochter Jane eine neue Freundin gefunden: Rowenna scheint es egal zu sein, dass Janes Mutter eine Pfarrerin ist und dafür teilt sie Janes Interesse an der Esoterik. Gemeinsam gehen die beiden Freundinnen auf eine Esoterik-Messe, lassen sich Karten legen und erkunden eine Frauengruppe, in der es um die Erforschung der eigenen Spiritualität geht. Auch der Musiker Lol (Laurence) geht inzwischen seine eigenen Wege, da er zwar in Merrily verliebt ist, aber keine Chance auf eine Beziehung mit ihr sieht. So hat er sein Cottage verkauft, besucht die Abendschule, um Psychotherapeut zu werden und haust über einem Musikgeschäft in Hereford. Nebenbei kümmert er sich noch um Katherine Moon, eine psychisch labile junge Archäologin.
Irgendwie ging mir beim Lesen dieses Romans der Begriff „Schauergeschichte“ nicht aus dem Kopf und in gewisser Weise habe ich damit ein Problem. Ich mag eigentlich den leichten – und manchmal etwas absurden – Grusel eines guten Schauerromans, aber hier gab es mir einfach zu viele unappetitliche Szenen. Mit der Beschreibung von Kälte, Furcht oder Geistern kann ich leben, aber ständige Übelkeit bei der Hauptfigur, das Gefühl besudelt oder gar vergewaltigt worden zu sein, verursacht mir beim Lesen Unbehagen. Irgendwie spricht das ja für den Autor, dass er so atmosphärisch schreibt, dass mich seine Geschichte in gewisser Weise belastet, aber eigentlich fand ich das in erster Linie unschön. Auf der anderen Seite war der Roman flüssig zu lesen und die Cliffhanger an den Kapitelenden haben – obwohl ich einige Entwicklungen vorhersehen konnte – dafür gesorgt, dass ich vor lauter Neugierde das Buch kaum aus der Hand legen konnte.
Ich glaube nicht, dass ich noch einen Teil dieser Reihe lesen werde – zumindest nicht, wenn er mir nicht durch Zufall in die Hände fällt -, aber ich muss zugeben, dass in meinen Augen „Mittwinternacht“ deutlich stimmiger von Phil Rickman konzipiert wurde als „Frucht der Sünde“. Ich habe das Gefühl, dass der Autor tiefer in seinem Thema steckt, vertrauter mit seinen Figuren ist und eine Linie für seine „Mystery“-Geschichte gefunden hat. Wer sich also nicht daran stört, dass die schauerlichen Szenen kaum ausgeglichen werden (was ich mir gewünscht hätte), der findet diesen Roman gewiss unterhaltsamer als den Auftaktband der Merrily-Watkins-Reihe.