Ich weiß nicht mehr, wo ich über „36 Fragen an dich“ von Vicki Grant gestolpert bin. Ich weiß aber noch, dass ich das Buch nach dem Lesen einer Rezension spontan in der Bibliothek vorgemerkt hatte, in der Hoffnung, dass mir da eine „nette“ Geschichte erzählt wird. Die Grundidee basiert auf einem Experiment mit dem Titel „The Experimental Generation of Interpersonal Closeness: A Procedure and Some Preliminary Findings“, das von Arthur Aron entwickelt wurde und davon ausgeht, dass es möglich ist, dass sich zwei Menschen sehr nahe zu kommen (bzw. sich verlieben), wenn diese zwei Menschen einander 36 vorgegebene Fragen so ehrlich wie möglich gegenseitig beantworten. Wer mehr dazu wissen will, kann gern einmal online nach dem Experiment suchen, da findet man in diversen Artikeln auch alle Fragen und Details zum Experimentaufbau aufgeführt.
In „36 Fragen an dich“ erzählt Vicki Grant nun die Geschichte zweier fiktiver Experimentteilnehmer, die von ihrer Art und Herkunft unterschiedlicher nicht sein könnten. Hildy (eigentlicht Hilda, aber den Namen mag sie nicht) kommt aus einem Akademikerhaushalt, hat lauter musische Extrafächer belegt, wirft mit Fremdwörtern um sich und versucht, sich jederzeit korrekt zu verhalten. Paul hingegen hat die Schule vorzeitig abgebrochen, wirkt geldgierig (die Geldprämie ist der einzige Grund, warum er an der Studie teilnimmt) und abweisend und macht sich regelmäßig über Hildys Gedanken und Gefühle lustig. Aber natürlich hat jeder der beiden Probleme und deutlich mehr Tiefgang, als man auf den ersten Blick annehmen soll, und je besser sie sich kennenlernen, desto mehr mögen sie sich.
Ich hatte gar keine so großen Erwartungen an die Geschichte gesetzt, wollte nur eine nette und unterhaltsame Lektüre für einen viel zu heißen Nachmittag und dann habe ich mich beim Lesen ständig geärgert. Vicki Grant nimmt zwei klischeeüberfrachtete Achtzehnjährige, garniert Hildys Leben mit einem besten schwulen Freund und einer Freundin, deren einzige Charakterisierung darin besteht, dass sie 1. bei einem Cafébesuch nur ein halbes Croissant isst und 2. in einen Straßenmusiker verknallt ist, und mischt das Ganze noch mit zwei von Anfang an vorhersehbaren Dramen im Leben der Protagonisten. Für mich war die Geschichte zu absehbar, zu sehr künstlich gestreckt durch die 36 Fragen (das gegenseitige Kennenlernen habe ich in anderen Romanen schon deutlich glaubwürdiger und unterhaltsamer gelesen) und die Hälfte der Zeit hätte ich Hildy gern aus den unterschiedlichsten Gründen heraus geschüttelt.
Einer der Gründe ist, dass sie ständig Paul berichtigt, seine Rechtschreibung verbessert und darauf besteht, dass er nicht flucht, dass sie aber – trotz all ihrer „politisch korrekten“ Verhaltensweise – seine abweisende und verschlossene Art als „maskulin“ bezeichnet, während er auf einmal – laut ihrer Wortwahl – seine „feminine Seite“ zeigt, wenn er über Gefühle redet. Eine junge Frau, die sich mit allen möglichen Themen auseinandersetzt, die sich angeblich für diverse gute Zwecke einsetzt und die einen „schwulen besten Freund“ hat, sollte meiner Meinung nach schon mal darüber nachgedacht haben, dass dieses Schubladendenken von den „emotionalen Frauen“ und den „zurückhaltenden, introvertierten“ Männern gefährlicher und schädlicher ist als ein spontanes Schimpfwort. Aber Hildy wiederholt trotz ihres Beteuerns, wie wichtig ihr die Rolle der Frau und Feminismus sei, regelmäßig ihre ungute Wortwahl, und sie findet Pauls „maskuline Art“ total cool, obwohl sie doch sonst angeblich so ein aufmerksamer und nachdenklicher Mensch ist.
Paul selbst ist als Figur ganz in Ordnung (was auch daran liegt, dass man von ihm nur seine Dialoge mit Hildy mitbekommt) und ich mochte die kleinen Zeichnungen, die immer wieder im Buch zu finden waren, weil Paul bei Gesprächen nebenbei „kritzelt“, um seine Stimmung und seine Gedanken auszudrücken. Auch die letzten Kapitel waren eigentlich nett zu lesen inklusive des großen Missverständnisses und der daraus folgenden Bemühungen Hildys, alles wieder gutzumachen. Aber ich muss zugeben, dass ich an diesem Punkt schon so grummelig wegen der klischeeüberfrachteten Handlung und der Vorhersehbarkeit all der „überraschenden“ Wendungen und Enthüllungen war, dass ich mich darauf gar nicht mehr einlassen konnte. Mir ist bewusst, dass ich bei einem Jugendbuch nicht zur eigentlichen Zielgruppe gehöre, aber das ändert nichts daran, dass ich mir bei einer solchen Geschichte eine sympathische Erzählstimme, amüsante Dialoge oder zumindest die eine oder andere überraschende Wendung wünsche.