Was schön war (4): Urlaub und japanisches Filmfestival (1)

In diesem Jahr ist ja alles ein bisschen anders, und so gibt es das japanische Filmfestival „Nippon Connection“ nicht nur im Juni (9. bis 14.) statt im Mai, sondern auch ausschließlich online. Mein Mann hatte schon im Januar seine zwei Wochen Urlaub beantragt und da nun die ganzen Fahrzeiten wegfielen und wir pro Film nur einmal den „Eintrittspreis“ bezahlen mussten, haben wir uns zwei Filme pro Tag vorgenommen. Das ist jetzt nicht soooo viel, aber so konnten wir sicher sein, dass wir uns auch am Ende der Woche noch an alle Filme und die dazugehörigen Details erinnern. 😉

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Los ging die Nippon Connection für uns am Dienstag mit der Dokumentation „Book-Paper-Scissors“ und dem Film „The Journalist“ los. „Book-Paper-Scissors“ wurde von der Regisseurin Nanako Hirose gedreht und porträtiert Nobuyoshi Kikuchi, der sich in den vergangenen 50 Jahre auf die Gestaltung von Buchcovern spezialisiert hat. Der Künstler ist in Japan nicht nur wegen seiner Coverdesigns bekannt, sondern auch für seine Essays, die sich um die Themen Antiquitäten, Kunst, Essen und allgemein das Leben drehen. Auch wenn ich das Gefühl habe, dass ich einige Details nicht angemessen würdigen konnte, weil ich mit den japanischen Schriftzeichen – die natürlich einen großen Raum bei der Gestaltung von Buchcovern einnehmen – nicht vertraut genug bin, fand ich es sehr spannend, mehr über Nobuyoshi Kikuchi zu erfahren. Der Künstler arbeitet noch (vermeintlich altmodisch) mit Schere und Kleber statt mit einem Bildbearbeitungsprogramm, und ihm bei der Arbeit zuzusehen gab mir das Gefühl, dass ihm dies einen anderen Zugang zu seinen Entwürfen gibt als jemandem, der vollständig auf moderne Techniken setzt und so bei der Arbeit kein haptisches Element miteinbeziehen kann. Neben diesen kleinen Einblicken in seine Arbeitsweise und seine Herangehensweise an ein neues Design zeigt der Film auch, dass auch die Buchindustrie in Japan gerade an einem Scheidepunkt steht und es nicht sicher ist, dass diese liebevoll gearbeiteten und künstlerisch wertvollen Bücher eine langfristige Zukunft haben werden. Alles in Allem war „Book-Paper-Scissors“ eine eher ruhig erzählte und faszinierende Dokumentation über einen Mann und seinen ganz speziellen Kunstbereich, und ich habe diesen Film als meinen persönlichen Start in die Nippon Connection sehr genossen.

Nach einem abendlichen Handwerkerbesuch (der später als erwartet, aber dafür fast genauso fruchtlos wie erwartet war 😉 ) ging es dann weiter mit „The Journalist“, auf den wir uns wegen des Themas und der Tatsache, dass er auf einem Buch (bzw. einer Doku) basiert, sehr gefreut hatten. Der Film dreht sich um die Journalistin Yoshioka und den Beamten Sugihara, die beide aus unterschiedlichen Gründen auf einen Skandal aufmerksam werden, der bis in höchste Regierungskreise reicht. Je weiter ihre Recherchen gehen, desto größer werden die Bedrohungen, die man ihnen entgegenstellt. Wie gesagt, wir hatten uns sehr auf den Film gefreut, weil wir grundsätzlich „Journalisten decken Verschwörungen auf“-Filme mögen und das Thema in Japan noch einmal eine ganz andere Sache ist, wenn man die Gesellschaft und das Verhältnis zwischen Beamten und ihren Vorgesetzten sowie Politikern und Medienschaffenden in Betracht zieht, aber so richtig konnte der Film bei uns nicht zünden. Die Handlung wurde etwas zu langatmig erzählt, die Kameraführung konnte uns auch nicht überzeugen und das Ende war sehr offen … Nach dem Gucken von „The Journalist“ hatten wir auf jeden Fall das Gefühl, dass die Dokumentation, die wir uns für den Mittwochvormittag vorgenommen hatten, definitiv nur besser sein konnte.

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Für den zweiten Tag der Nippon Connection hatten wir uns „i – Documentary Of The Journalist“ und den Anime „Miss Hokusai“ (den wir im vergangenen Jahr wegen Terminüberschneidungen nicht sehen konnten) vorgenommen. „i – Documentary Of The Journalist“ war nicht nur im Vergleich zum Film „The Journalist“ deutlich besser, sondern auch für sich genommen sehr spannend. Der Dokumentarfilmer Tatsuya Mori hat für diesen Film mehrere Monate lang die Journalistin Isoko Mochizuki bei ihrer Arbeit begleitet und damit nicht nur das zweifelhafte Verhalten diverser Politiker der Abe-Regierung entlarvend dargestellt, sondern auch aufgezeigt, wie sehr Journalisten – speziell die recht hartnäckige Mochizuki –  bei ihrer Arbeit von Regierungsseite behindert werden. Der Film ist fast zwei Stunden lang und selten zuvor hatte ich das Gefühl, dass die Zeit beim Sehen einer Dokumentation so schnell verflogen ist, weil es ständig neue Informationen zu verarbeiten und Situationen einzuordnen galt. Das war wirklich interessant und ich würde „i – Documentary Of The Journalist“ definitiv weiterempfehlen – auch deshalb, weil ich in den Tagen, die seit dem Anschauen vergangen sind, immer wieder an den Film denken musste.

„Miss Hokusai“ sollte uns dann am Nachmittag (vor dem nächsten Handwerkerbesuch) etwas Entspannung bringen. Der Anime dreht sich um Ōi Katsushika, die Tochter des Malers Hokusai, die selbst eine hervorragende Künstlerin war und doch ihr Leben lang im Schatten ihres Vaters stand. Der Film erzählt kleine unterhaltsame Episoden und zeigt so eine energische junge Frau, die noch auf der Suche nach ihren Weg als Künstlerin ist. Dabei fand ich es hübsch, dass im Anime immer wieder berühmte Gemälde der beiden Künstler aufgegriffen wurden (wie „Die große Welle vor Kanagawa“ von Hokusai), und fand es interessant, immer wieder Details zum alltäglichen Leben in Japan zu Beginn des 19. Jahrhundert entdecken zu können. Ich mochte „Miss Hokusai“ sehr, aber ich muss auch zugeben, dass mir der Film wohl nicht lange in Erinnerung bleiben wird. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass ich einige Anspielungen und Aussagen nur deshalb zuordnen konnte, weil ich vorher die (englischen) Wikipedia-Einträge zu Ōi Katsushika und Hokusai gelesen hatte.

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Was am Donnerstagmorgen schön war? Dass der Strom in der Küche nicht über Nacht wieder asugefallen ist! 😉 Ansonsten sind wir mittags mit der Dokumentation „Prison Circle“ in unseren Filmfestival-Tag gestartet, um dann am Abend noch den Film „Extro“ zu schauen. Für „Prison Circle“ hat die Filmemacherin Kaori Sakagami zwei Jahre lang vier Gefangene im Shimane Asahi Rehabilitation Program Center begleitet. Das 2008 gebaute Gefängnis ist eine ungewöhnliche Einrichtung für japanische Verhältnisse, da dort das sogenannte TC-Programm (Therapeutic Circle) angeboten wird. 40 Gefangenen (von über 40.000 in japanischen Gefängnissen einsitzenden Personen) bekommen dort die Möglichkeit, über Gruppentherapie ihre Vergangenheit aufzuarbeiten und Wege zu finden, um in Zukunft aus schädlichen Verhaltensmustern auszubrechen und nicht wieder auf die schiefe Bahn zu geraten. Obwohl dieses Konzept schon seit vielen Jahrzehnten in anderen Ländern üblich ist, ist es für Japan eine recht revolutionäre Idee, die erst 2006 eingeführt wurde. Dabei haben die vergangenen Jahre gezeigt, dass die Gefangenen, die das TC-Programm durchlaufen haben, eine um mehr als 50% geringere Chance haben, rückfällig zu werden, als andere Personen, die aus dem Gefängnis entlassen werden. (Wobei das vermutlich zum Teil auch daran liegt, dass nur Personen, die zum ersten Mal verurteilt wurden, an diesem Programm teilnehmen dürfen.)

Nachdem zu Beginn des Films betont wurde, dass es aufgrund von Auflagen und Gesetzen nicht möglich sein würde, Namen zu verraten, Details zu den verschiedenen Verbrechen zu erwähnen, Interviews zu führen oder gar Gesichter zu zeigen, fragte ich mich schon etwas, wie man mit so wenig Material eine zweistündige Dokumentation füllen soll. Aber man bekommt als Zuschauer trotz diverser Verpixelungen sehr viele Informationen über die vier vorgestellten Gefangenen, über die Taten, die sie begangen haben, und die Umstände, die ihren Charakter geformt haben mit. Auch fand ich es spannend, wie viel die Körpersprache und die Bewegungen der verschiedenen Personen über sie und ihren emotionalen Zustand verrieten, obwohl alle Beteiligten durchgehend sehr zurückhaltend waren. Richtig erschreckend fand ich, wie schwer es all diesen Männern fiel, über ihre Gefühle zu reden, und wie wenig sie in der Lage waren, mit Emotionen umzugehen, und zum Schluss hatte ich eine Menge Fragen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen in Japan (und den Regelungen rund um Kinderheimen). Am Ende kann ich eigentlich nur die Homepage der Nippon Connection zu diesem Film zitieren mit: „[Prison Circle ist ein] berührendes filmisches Plädoyer, das dazu aufruft, die Idee der Resozialisierung ernst zu nehmen“.

Bei meiner Planung der Woche dachte ich, dass wir nach „Prison Circle“ eher Bedarf für einen heiteren Film haben würden, weshalb wir abends dann „Extro“ geschaut haben. Die Mockumentary hatte uns beide beim ersten Anschauen des Programms spontan angesprochen, da er mit einem älteren Hauptdarsteller (damit haben wir in den vergangenen Jahren einfach gute Erfahrungen gemacht) gedreht wurde und sich mit dem japanischen Filmgeschäft beschäftigt. „Extro“ ist eine wunderbare Liebeserklärung an all die Statisten, die Leben in einen Film bringen, und voller großartiger, absurder Szenen, die einfach nur amüsant und unterhaltsam sind. Es gab so viele Anspielungen auf japanische Filme, auf Schauspieler und auch auf ernsthafte Filmdokumentationen, die wirklich toll umgesetzt waren. Dieser Film hat durchgehend Spaß gemacht und auch jetzt noch muss ich einfach grinsen, wenn ich an all die Charaktere und Dialoge denke. Ich würde zu gern einmal das Drehbuch dazu anschauen, um herauszufinden, wie festgelegt die Dialoge waren und wie viel vielleicht von den Schauspielern improvisiert wurde. 😀

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Da dieser Blogbeitrag doch schon recht lang geworden ist und wir noch ein paar Filme sehen wollen, bevor am Sonntagabend die Nippon-Connection endet, gibt es in den nächsten Tagen einen zweiten „Was schön war“-Post mit lauter Filmeindrücken. Ich fürchte, da müsst ihr jetzt wohl durch … 😉

6 Kommentare

  1. Einige Filme des Japan-Festivals habe ich inzwischen auch gesehen, einige waren Hit, andere Nicht, aber so ist das nun mal. 🙂 „Extro“ habe ich auch gesehen und – wie schon an anderer Stelle gesagt – fand ich die Mockumentary nett, aber offensichtlich ist sie deutlich effektiver und unterhaltsamer bei Kenntnis japanischer Filme etc, wie bei Eurer Reaktion ersichtlich.

    Ich traue mich kaum es zu sagen, aber die Online-Version des Festivals gefällt mir ganz gut. Auch wenn ich das Festivalfeeling an sich und das Austauschpotential vermisse – das Anstehen nach einem vernünftigen Sitzplatz, das Timetable-Handling (im Gegensatz zu dem Online-Demand-Zugriff), die schlechter werdende Luft je weiter der Tag voranschreitet, das alles vermiss ich nicht.

    • Konstanze

      Es kann wirklich sein, dass „Extro“ mehr zündet, wenn man Filme im Hinterkopf hat, auf die bestimmte Szenen und Dialoge anspielen (könnten). Uns hat der Film sehr viel Freude gemacht. 😀

      Wir sind auch überraschend zufrieden mit der Online-Version. Das Anstehen gibt es ja nicht mehr (oder zumindest nur noch in den sehr kleinen Lokations), seitdem es die festen Sitzplätze gibt, aber die Luft, die Zeit, die man mit der Anreise verbringt, das Warten auf das Ende des vorhergehenden Films … darauf kann ich auch ganz gut verzichten. Ich bin mir zumindest sicher, dass wir in einer normalen Festivalwoche keine zehn Filme gesehen hätten, weil das viel zu anstrengend geworden wäre. Für die Zukunft fände ich ein „gemischtes“ Angebot schön, da bestimmt einige Filmemacher ihre Filme nicht für den Stream zur Verfügung stellen werden, und so könnte man etwas Festival-Atmosphäre (inklusive der dazugehörigen Leckereien) genießen und Zuhause noch die Sachen nachholen, die vor Ort zu anstrengend geworden wären oder die man wegen Terminüberschneidungen nicht im Kino geschafft hat.

  2. Toll, dass das Festival zumindest online stattfinden kann und ihr das Angebot dank des Urlaubs deines Mannes auch richtig schön nutzen könnt. Eure Wahl klingt bisher sehr abwechslungsreich. Ich habe allerdings nicht sehr viel Ahnung von japanischen Filmen, um ehrlich zu sein.

    • Konstanze

      Wir waren auch sehr froh, Neyasha, dass das so ermöglicht wurde. So sind zwar weniger Filme im Angebot, als wenn es „normal“ gelaufen wäre, aber die aktuelle Menge reicht auch schon so, um uns in Entscheidungsprobleme zu bringen. *g*

      Eine größtere Vielfalt bei japanischen Filmen genießen wir auch erst, seitdem wir die Nippon Connection entdeckt haben. Ganz früher habe ich gesehen, was – häufig Samstagnachmittag oder nachts – im Fernsehen lief und da waren so einige grottenschlechte Filme dabei (oder Genres, die ich normalerweise nie sehen würde). Inzwischen haben wir aber eine ganz nette Sammlung an Filmen und Animes, die uns gut gefallen haben und die wir immer wieder sehen mögen.

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