Mit „Sky Song“ hat Abi Elphinstone ein bezauberndes Märchen geschrieben, dessen einzelne Elemente sich häufig zwar sehr vertraut anfühlen, die in der Summe aber eine wunderschöne neue Geschichte ergeben. Zu Beginn lernt man das verschneite Land Erkenwald kennen, in dem drei Stämme friedlich miteinander leben, Wale zwischen Eisbergen schwimmen, Wölfe in der Tundra jagen und Polarbären zwischten Gletschern wandern. In Erkenwald scheint den ganzen Sommer über die Sonne und sie geht nicht einmal in der Nacht unter, während im Winter Tag und Nacht der Sternenhimmel zu sehen ist. Unter all diesen Sternen am Himmel kann man auch die sieben „Sky Gods“ sehen, deren ältester und stärkster von den Astronomen irrtümlicherweise als Polarstern bezeichnet wird.
Vor nicht allzu langer Zeit fiel die jüngste unter den Himmelsgöttern – von den Bewohnern Erkenwalds „Eiskönigin“ genannt – vom Himmel, und mit Hilfe des Schamanen des Tusk-Stamms gelang es ihr, das Land nach einer großen Schlacht in ihren Besitz zu bringen. Die Gefangenen, die nach dem Kampf von der Eiskönigin gemacht wurden, wurden von ihr ihrer Stimme beraubt und in ihre Eisfestung am Meer eingesperrt. Dort spielt die Eiskönigin jeden Morgen auf einer Orgel aus Eis und versucht so mit den vertrauten Stimmen der in ihrer Festung verschollenen Menschen diejenigen aus ihren Verstecken zu locken, die sich noch in den wilden Regionen des Landes verstecken. Nur eine einzige Gefangene gibt es, deren Stimme die Eiskönigin noch nicht in ihren Besitz gebracht hat, und das ist ein junges Mädchen names Eska. Ihr gelingt es mithilfe des Jungen Flint, aus der Gefangenschaft der Eiskönigin zu fliehen, und gemeinsam suchen die beiden einen Weg, um die Herrschaft der Eiskönigin zu beenden, bevor sie auch die letzten freien Menschen Erkenwalds in ihre Gewalt bekommt.
Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Eska und Flint, und während man mit Eska eine Protagonistin hat, die sämtliche Erinnerungen an die Zeit vor ihrer Gefangenschaft verloren hat und deshalb mit offenen Augen und ohne große Vorurteile durch die Welt geht, ist Flint in seinem Denken und Handeln von all den Dingen geprägt, die sein Stamm ihm beigebracht hat und die es ihm schwer machen, auf Menschen zuzugehen, die nicht zu seinem vertrauten Kreis gehören. Ich mochte die beiden Figuren sehr und ich habe sie gern dabei begleitet, wie Eska und Flint neue Dinge gelernt und sich weiterentwickelt haben. Dabei erleben die beiden viele größere und kleinere Abenteuer, die von einer wunderbaren magischen Welt zeugen, in der Steinriesen und Magie genauso dazugehören wie das alltägliche Überleben in einer Welt voller Eis und Schnee. Und während ich diesen Alltag sehr schön realistisch dargestellt fand, überraschten mich immer wieder die kleinen magischen Elemente, die in der Geschichte vorkamen, weil sie ungewöhnliche Bestandteile enthielten und zu unvorhersehbaren Wendungen in der Handlung führten, die ich sehr genossen habe.
„A voice is a mighty thing, Eska. When everything is taken from you – your family, your home, your friends, your dignity – you still have a voice, however weak it sounds.“ (Seite 131)
Die Botschaft, die hinter dieser Variante der „Schneekönigin“ steckt, wird stellenweise schon etwas sehr plakativ von Abi Elphinstone präsentiert, aber da „Sky Song“ für Leser ab acht Jahren gedacht ist und weniger für Erwachsene, kann ich gut damit leben. Etwas schade fand ich, dass die Autorin trotz all ihrer Bemühungen, aufzuzeigen, dass Vorurteile gegen einen anderen „Stamm“ dumm sind, ihre Stämme vor allem aufgrund der Haarfarbe (und ihres Wohnorts) unterscheidbar gemacht hat. So gibt es einen blonden, einen braunhaarigen und einen schwarzhaarigen Stamm (und eine rothaarige Heldin), und das gab mir das Gefühl, dass alle erwähnten Personen von weißer Hautfarbe sind, was ich bei einer Welt, die so sehr an die Arktis erinnert, doch ziemlich unpassend fand. Von diesem Kritikpunkt abgesehen hat mir „Sky Song“ aber sehr, sehr gut gefallen. Ich mochte die märchenhafte Erzählweise, die verschiedenen Charaktere mit ihren Ecken und Kanten, die Beschreibungen vom Leben in einer so unwirtlichen Umgebung und all die ungewöhnlichen und wunderschönen magischen Elemente in der Geschichte. Das alles hat dazu geführt, dass ich das Buch mit einem breiten Lächeln (und der einen oder anderen Träne) gelesen habe und nicht aus der Hand legen mochte, weil ich wissen wollte, welche bezaubernden oder schrecklichen Wesen hinter der nächsten Ecke stecken und welche Auswirkungen eine Begegnung mit ihnen auf die beiden Protagonisten haben würde.