Im Februar habe ich für 49 Cent ein Bundle mit sieben „Golden Age Mysteries“ von Annie Haynes gekauft, in dem unter anderem die Inspector-Furnival-Krimis der Autorin zu finden waren. Annie Haynes gehört zu den Autorinnen, von denen ich vor diesem eBook-Kauf noch nie gehört hatte, obwohl sie bei demselben Verlag verlegt wurde, der auch die ersten Agatha-Christie-Romane veröffentlichte. Da ich immer neugierig auf Autorinnen bin, die in den 1920er Jahren Kriminalromane schrieben, habe ich mich gefreut, dass ich wieder eine mir unbekannte Krimiautorin entdecken konnte. Die „Inspector Furnival Mysteries“ bestehen aus den drei Titeln „The Abbey Court Murder“ (1923), „The House in Charlton Crescent“ (1926) und „The Crow’s Inn Tragedy“ (1927), und wenn ich nach den Veröffentlichungsdaten gehe, dann war „The Abbey Court Murder“ der zweite Roman, den Annie Haynes je geschrieben hat, während „The House in Charlton Crescent“ der sechste und „The Crow’s Inn Tragedy“ das siebte oder achte Buch der Autorin war. Ich betone diese Veröffentlichungsabstände so sehr, weil ich selten eine solche Entwicklung innerhalb einer Reihe gesehen habe wie bei den „Inspector Furnival Mysteries“.
„The Abbey Court Murder“ dreht sich um den Mord an einem Unbekannten – zumindest gelingt es der Polizei lange Zeit nicht, die Identität des Toten herauszufinden. Dem Leser hingegen ist bekannt, dass Lady Judith Carew den Ermordeten nicht nur vor ihrer Hochzeit kannte, sondern auch an dem Abend seines Todes mit ihm verabredet war und sich, als der tödliche Schuss fiel, in dem Apartment befand, in dem der Mord stattfand. Da Inspector Furnival in dieser Geschichte relativ spät in Erscheinung tritt und sich der Großteil der Handlung um die Folgen des Mordes für Lady Judith Carew und ihren Mann dreht, fühlt sich die Geschichte weniger nach Kriminalroman als nach Liebesdrama an. Auch fand ich, dass von Anfang an der Täter und nur wenig später auch das Motiv recht offensichtlich waren, so dass mich beim Lesen weniger die Frage beschäftigte, wer nun den Mord begangen hat, als die Frage danach, wann und wie der Mörder überführt werden würde. Obwohl der Roman bei mir keinen so besonders großen Eindruck hinterlassen hat, habe ich mich aber gut genug unterhalten gefühlt, um auch noch die anderen beiden Inspector-Furnival-Geschichten zu lesen.
Beim zweiten Band, „The House in Charlton Crescent“ hat Annie Haynes dann schon ein deutlich besseres Händchen beim Entwickeln einer Krimihandlung entwickelt. Die Geschichte beginnt damit, dass die alte Lady Anne Daventry einen privaten Ermittler damit beauftragt, ihr Leben zu beschützen. Sie fürchtet, dass eine ihr nahestehende Person sie umbringen will, möchte aber nicht die Polizei einschalten. Doch obwohl der Ermittler Bruce Cardyn alles in seiner Macht Stehende tut, um die alte Frau zu beschützen, wird sie unter aufsehenerregenden Umständen ermordet – und nur fünf Personen (inklusive Bruce Cardyn) kommen für die Tat in Frage. Auch bei dieser Geschichte gibt es den einen oder anderen auf der Hand liegenden Punkt, aber es gibt genügend offene Fragen, damit man sich beim Lesen seine Gedanken um die Geschehnisse machen kann. Außerdem kommen in „The House in Charlton Crescent“ deutlich mehr Personen vor, die in den Kriminalfall verwickelt sind, so dass Annie Haynes immer wieder schöne Szenen mit den verschiedenen Charakteren einflechten kann, die ihre Persönlichkeit oder ihr soziales Umfeld zeigen.
Auch wenn der Sprung zwischen dem zweiten Band und „The Crow’s Inn Tragedy“ nicht so groß ist wie nach dem ersten Buch, so fand ich den dritten Teil noch ein bisschen raffinierter geschrieben, auch wenn ich grundsätzlich die Einbindung einer mysteriösen Diebesbande, so wie sie hier geschildert wird, eher bei etwas trashigeren Titeln erwarte. Hier dreht sich die Geschichte rund um einen ermordeten Anwalt, der sich zum Zeitpunkt seines Todes in einem verschlossenen Raum befand, sehr kostbaren Diamantschmuck in seiner Obhut hatte und – wenn man die Aussage des Arztes und einiger Zeugen vergleicht – eine Stunde nach seinem Tod noch lebendig gesehen wurde. Ein bisschen schade war es, dass einige Figuren nur eine Nebenrolle spielten, obwohl ich gehofft hatte, dass man auch Szenen aus ihrer Perspektive erleben würde. Aber trotzdem hat es mir großen Spaß gemacht, mir Gedanken um die Hintergründe der verschiedenen Ereignisse zu machen, mitzurätseln und mich zu fragen, wie am Ende der Mörder wohl überführt werden wird.
Insgesamt fand ich die „Inspector Furnival Mysteries“ wirklich unterhaltsam und es war spannend zu sehen, wie die Autorin von Band zu Band immer besser wurde. Ich würde nicht sagen, dass sie – sowohl bei der Schreibweise, als auch bei der Entwicklung des Kriminalfalls – an einige meiner Lieblingsautorinnen (Agatha Christie, Georgette Heyer, Mary Roberts Rinehard u.a.) aus der Zeit heranreicht, vor allem, da es immer wieder Elemente bei diesen drei Kriminalromanen gab, die ich eher bei einer Geschichte von Edgar Wallace erwartet hätte. Aber wenn man etwas Abwechslung zu den vertrauten Autorinnen sucht und Lust auf das besondere Flair der britischen 1920er Kriminalromane hat, dann bieten sich die Inspector-Furnival-Geschichten durchaus an, um ein paar entspannte Lesestunden zu verbringen.