Arthur Schnitzler: Fräulein Else (Hörbuch)

Das Hörbuch „Fräulein Else“ von Arthur Schnitzler ist eine Leihgabe von Ariana, deren Rezension mich vor einiger Zeit auf den Titel neugierig gemacht hat. Ich muss gestehen, dass ich über die Geschichte nicht viel wusste – abgesehen davon, dass sie in den 1920er Jahren geschrieben wurde – und deshalb recht unbefangen an das Hörbuch heranging. Man trifft die neunzehnjährige Protagonistin Else in Südtirol, wo sie mit einer Tante und ihrem Cousin Paul Urlaub macht. Schon früh wird deutlich, dass es eine Gefälligkeit der Tante ist, dass Else sich diese Reise gönnen kann, obwohl sie eine Tochter aus einem gebildeten und eigentlich nicht unvermögenden Haushalt zu sein scheint.

Die gesamte Handlung erlebt man aus Elses Sicht, genauer gesagt verfolgt man ihre Gedanken. Anfangs war mir Else eher unsympathisch, denn sie scheint oberflächlich, undankbar und sehr kritisch gegenüber ihren Mitmenschen zu sein. Später hingegen erfährt man mehr über ihre familiäre Situation, wodurch ihre Persönlichkeit zumindest für mich nachvollziehbarer wurde. Während dieses Urlaubs bekommt Else dann einen Brief ihrer Mutter, in dem diese berichtet, dass Elses Vater Gelder veruntreut hat und ins Gefängnis kommt, wenn er nicht innerhalb weniger Tage seine Schulden bezahlt. Die einzige Möglichkeit, an Geld zu kommen, so die Aussage der Mutter, besteht darin, dass Else den ebenfalls im Hotel anwesenden Kunsthändler Dorsday um Begleichung der Schulden bittet. Der Kunsthändler sei ein alter Freund des Vaters und hätte schon bei früheren Gelegenheiten ausgeholfen – außerdem würde er Else mögen, was ihn ihrer Bitte gegenüber gewogener machen sollte.

Nach diesem Brief weiß Else nicht so recht, was sie tun soll. Waren ihre Gedanken vorher vor allem oberflächlicher Natur, bei der nur selten die Sorgen der jungen Frau durchschimmerten, so spielt sie nun alle Möglichkeiten, die sie hat, im Kopf durch und findet keinen Ausweg. Der Kunsthändler Dorsday ist in ihren Augen ein widerlicher Mensch, die Vorstellung, überhaupt jemanden um Geld bitten zu müssen, um den Vater vor seinen eigenen Fehlern zu bewahren, ist ihr auch entsetzlich unangenehm, aber auf der anderen Seite fühlt sie sich ihrer Familie verpflichtet. Außerdem hätte es natürlich auch für sie schlimme Folgen, wenn ihr Vater im Gefängnis landen würde. Am Ende wählt sie einen recht extremen Weg für ihren Versuch, ihren Vater zu retten, und Arthur Schnitzler lässt offen, welche Folgen dies für Else hat.

Natürlich ist die Kritik an einer Gesellschaft, in der Geld oder das Ansehen des Vaters mehr bedeuten als die Unversehrtheit einer jungen Frau, unübersehbar in der Geschichte. Vor allem haben sich meine Gedanken um die Eltern der Protagonistin gedreht – ehrlich gesagt sogar mehr als um die Frage, was wohl am Ende aus ihr wird -, weil es da so viele kleine Bemerkungen in Elses Gedanken gibt, die von zwei unfassbar egozentrischen Personen zeugen, die sich (wenn man Elses Aussagen glauben darf) kaum um ihre Tochter gekümmert haben. Wenn man dann den Charakter ihrer Eltern in Betracht zieht, ist es wiederum kein Wunder, dass aus Else eine Frau wurde, die an dem zerbricht, was ihre Eltern und ihre Umgebung von ihr fordern. Insgesamt finde ich es auf jeden Fall spannend, was alles in dieser – relativ kurzen – Erzählung steckt und wie viele Gedanken ich mir beim Hören über das Ganze gemacht habe.

Gelesen wurde die Geschichte von Senta Berger, die die Else hervorragend verkörpert hat. Obwohl die Schauspielerin deutlich älter als 19 Jahre war, als sie das Hörbuch eingelesen hat, habe ich ihr die sprunghaften Gedanken und extremen Stimmungsschwankungen von Fräulein Else abgenommen. Vor allem aber war es beeindruckend, wie schnell Senta Berger innerhalb eines Satzes von einem Extrem ins andere fallen konnte. Else wechselt innerhalb von Sekundenbruchteilen von Verzweiflung, Hilflosigkeit bis zum Übermut und ich bin mir sicher, dass es nicht leicht war, das überzeugend vorzutragen, aber die Sprecherin hat es geschafft. Zum Hören war das stellenweise etwas anstrengend, aber eben auch zum Text und zur Handlung passend.

2 Kommentare

  1. "Fräulein Else" ist eins der wenigen Werke von Schnitzler, das ich noch nicht kenne. Vielleicht probiere ich es auch mal mit der Hörbuch-Version – die scheint ja sehr gelungen zu sein.

  2. Ich weiß nicht, ob ich mir so viele Gedanken über Else und ihre Familie gemacht hätte, wenn mich die Lesung von Senta Berger nicht so durch Elses sprunghafte Gedanken geführt hätte. Von daher kann ich dir das Hörbuch definitiv ans Herz legen.

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