Es ist lustig, aber obwohl dieser Titel so viel besprochen und mit so viel Begeistung in meiner Timeline aufgenommen wurde, hatte ich gar keine rechte Vorstellung von „Witchmark“ von C. L. Polk, bevor ich den Roman gelesen hatte. Die Geschichte, die in einer fantastischen Welt spielt, die ein wenig an das edwardianische England erinnert, wird aus der Perspektive von Miles Singer erzählt. Dieser arbeitet (nach einem frühren Einsatz als Militär-Chirurg) als Psychiater im Beauregard-Krankenhaus und ist dort vor allem für die Betreuung von Soldaten zuständig, die von der Front im Nachbarland Laneer heimgekehrt sind. Als Miles eines Abends seine Schicht beenden will, wird von einem fremden Mann ein Sterbender eingeliefert, den dieser auf der Straße aufgefunden hatte. Bevor Miles überhaupt die Möglichkeit hat, dem mysteriösen Nick Elliott zu helfen, nimmt dieser ihm das Versprechen ab, in seinem Mordfall zu ermitteln, und verstirbt. Gemeinsam mit dem Fremden, der sich Miles gegenüber als Tristan Hunter vorstellt, versucht der Arzt, mehr über Nick Elliott und die Personen, die für seinen Tod verantwortlich sind, herauszufinden.
Da ich vorher so gar keine Vorstellungen davon hatte, was mich bei „Witchmark“ erwartet (abgesehen von „irgendwas mit Magie“ und „Veteranen“), gab es für mich beim Lesen immer wieder kleine Aha-Momente, wenn ich mal wieder über ein neues Genre-Element gestolpert bin. In dem Roman mischen sich Historisches mit Fantasy, mit Kriminal- und mit Liebesgeschichte zu einem Gesamtwerk, das ich wirklich gern gelesen habe. Ich mochte die verschiedenen Figuren (von den Antagonisten natürlich abgesehen), auch wenn nicht alle Personen, die ich gern besser kennengelernt hätte, wirklich viel Raum in der Handlung bekommen, aber ich habe mich über jede weitere Szene mit einem dieser Charaktere gefreut. Miles selbst kam mir stellenweise etwas naiv vor, aber das war aufgrund seines familiären Hintergrunds und der Art und Weise, wie die Gesellschaft in diesem Roman funktioniert, auch stimmig. Ebenso realistisch fand ich es, dass einige der sympathischen Figuren in der Geschichte nicht immer die beste oder „richtige“ Wahl getroffen habe, wenn sie Entscheidungen treffen mussten. Dabei ist es C. L. Polk gelungen, glaubwürdig darzustellen, welche Gewissenskonflikte hinter den verschiedenen Entscheidungen standen, so dass ich als Leser zwar etwas enttäuscht von dem jeweiligen Charakter war, aber trotzdem Verständnis für ihn haben konnte.
Außerdem gefiel mir der Weltenbau, der auf der einen Seite – dank vieler Elemente, die an das edwardianische England erinnern – so vertraut wirkte, aber auf der anderen Seite durch die unvertraute Geografie und Technik ebenso wie durch die Erwähnung und Anwendung von Magie genügend ungewöhnliche Bestandteile mit sich brachte, um meine Neugier beim Lesen wach zu halten. Ich habe es auf jeden Fall genossen, mehr über diese Welt herauszufinden, obwohl es – wegen der ganzen Passagen, die sich um Miles‘ Kriegserlebnisse und die Ereignisse in Laneer drehten – stellenweise ganz schön heftig wurde. Im Kontrast dazu standen dann die sich langsam entwickelnde Liebesgeschichte zwischen Tristan und Miles, die einfach nur süß mitzuerleben war – gerade weil Miles sich eigentlich nicht darauf einlassen will und weil beide befürchten müssen, dass sie nur eine kurze Zeit miteinander haben.
Dafür, dass die Handlung nur wenige Tage umspannt, lässt sich die Autorin recht viel Zeit mit dem Erzählen der Geschichte. Es gibt immer wieder kleine Momente, in denen häusliche Szenen oder die Lebens- und Arbeitssituationen der verschiedenen Figuren beschrieben werden, und es gibt einige Passagen, in denen sich Miles und Tristan private Stunden gönnen, um einander kennenzulernen. So liest sich „Witchmark“ trotz des soliden Kriminalanteils der Geschichte und der dadurch hervorgerufenden Spannung überraschend gemütlich. Ich bezeichne den Kriminalanteil als „solide“, weil ich einige der „unerwarteten“ Wendungen relativ vorhersehbar fand. Aber das hat nichts daran geändert, dass ich diese entscheidenden Punkte in der Handlung trotzdem interessiert gelesen habe, weil die Art und Weise, wie Miles diese Elemente herausfindet, für mich unterhaltsam genug war, um mich mit der Vorhersehbarkeit zu versöhnen.
Überhaupt gibt es relativ wenig an „Witchmark“, das ich als neu oder ungewöhnlich bezeichnen würde, aber C. L. Polks Erzählweise hat dafür gesorgt, dass ich das Buch – trotz der dramatischen und schrecklichen Elemente – sehr genossen habe. Oh, und bevor ich es vergesse: Ich habe selten eine Geschichte gelesen, in der so viel mit dem Fahrrad gefahren wird, und ich habe mich ungemein darüber gefreut, weil diese Szenen stellenweise so toll geschrieben waren und weil das Fahrrad – obwohl es doch so eine wichtige Rolle in der Emanzipation der Frauen und überhaupt der Entwicklung der Menschen rund um das Ende des 19. Jahrhunderts spielte – viel zu selten eine prominente Rolle in Romanen spielt. Ich freu mich sehr darüber, dass es noch zwei weitere Bücher in der Welt gibt (der zweite Band mit dem Titel „Stormsong“ ist 2020 erschienen, der dritte Teil mit dem Titel „Soulstar“ erscheint im März 2021), auch wenn dort andere Protagonisten im Zentrum stehen.