Ich finde es lustig, dass die wenigen (High-)Fantasy-Bücher, die mich in letzter Zeit reizen, einen großen politischen Schwerpunkt haben, obwohl mich politische Geschichten in Romanen normalerweise gar nicht ansprechen. Nach diesem Einleitungssatz ist es also wohl nicht überraschend, wenn ich sage, dass „The Winter Duke“ von Claire Eliza Bartlett ein großes Gewicht auf die Politik des Großherzogtums Kylma Above (und dem Gegenstück Kylma Below) legt. Die Handlung wird aus der Sicht der 16jährigen Ekata (Ekatarina Avenko) erzählt, die das mittlere Kind des Großherzogs von Kylma Above ist. Ekata ist die einzige Person in ihrer Familie, die kein Interesse an den Machtspielen und dem Kampf um die Thronfolge hat. Stattdessen hofft sie, dass ihr Vater ihr irgendwann erlauben wird, ihre Heimat zu verlassen, um im Süden ein Medizinstudium beginnen zu können. Doch bevor es so weit kommt, fällt ihre gesamte Familie einer mysteriösen Krankheit zum Opfer, und als einziges nicht erkranktes Mitglied der Avenkos sieht es Ekata als ihre Pflicht an, den Thron (zumindest vorübergehend) einzunehmen.
Von diesem Moment an muss Ekata versuchen, irgendwie ihre machthungrigen Minister und ihren noch gefährlicheren ehemaligen Pflegebruder, König Sigis, im Griff zu behalten, während sie gleichzeitig mit den Ritualen der Thron-Übernahme und der Suche nach einem Heilmittel für ihre Familie beschäftigt ist. Und dann sind da noch all die politischen Verwicklungen, von denen Ekata überhaupt keine Ahnung hat und die nicht nur aufgrund der angespannten Situation mit Kylma Below, sondern auch wegen der gerade laufenden Brautschau (ursprünglich für Ekatas ältesten Bruder gedacht) besonders brisant sind. Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, dass Ekata nur mit Mühe und Not ihren neuen Alltag übersteht und nicht immer die klügsten oder bestdurchdachten Entscheidungen trifft. Aber da ihre Motivation für mich immer nachvollziehbar war, machte dies die Protagonistin in meinen Augen nur umso sympathischer. Ebenso fand ich es stimmig, dass Ekata in all ihrer Hilflosigkeit regelmäßig auf die einzigen Vorbilder zurückgreift, die sie für solche Situationen kennt, und das bedeutet, dass sie sich im Laufe der Zeit immer häufiger wie ihre Mutter oder ihr Vater verhält und somit genau die Charaktereigenschaften an den Tag legt, die dafür gesorgt haben, dass sie selbst keinerlei Zuneigung zu ihren Eltern empfinden kann.
Es gibt nur wenige Personen, denen Ekata vertraut, und selbst bei diesen muss sie sich immer wieder fragen. ob dieses Vertrauen überhaupt gerechtfertig ist. Die Tatsache, dass die meisten in ihrem Umfeld vielfältige Beweggründe haben, von denen Ekata keine Ahnung hat, macht es für sie so schwierig, Entscheidungen zu fällen und herauszufinden, auf wessen Ratschläge sie überhaupt hören kann. Eine überraschende Verbündete findet sie in Inkar, einer jungen Frau, die zur Brautschau angereist war. Dabei gibt es so einige Parallelen im Leben dieser beiden Frauen, was einem immer wieder aufzeigt, wie falsch der Weg ist, den Ekata in ihrer Hilflosigkeit einschlägt. Ich mochte es sehr, wie sich Ekata und Inkar im Laufe der Geschichte ein bisschen besser kennenlernen und wie Inkar Ekata immer wieder anstupst, damit diese eigenständige Entscheidungen trifft und sich nicht so häufig von ihren Ängsten beeinflussen lässt. Es gelingt Claire Eliza Bartlett, deutlich zu machen, wie wichtig es für Ekatas Position wäre, die Personen um sich heraum wirklich gut zu kennen, und wie viel einfacher es im Vergleich für Inkar ist, sich am Hof zu bewegen, weil sie ein aufrichtiges Interesse an den Menschen um sich herum hat.
Neben der wirklich spannenden Handlung, den vielen verschiedenen Wendungen und dem überraschenden Ende (ich hatte zwar einen Verdacht, aus welchem Personenkreis jemand beteiligt sein müsste, dabei aber die ganze Zeit die falsche Person im Auge gehabt 😀 ) hat mich auch der Weltenbau in „The Winter Duke“ wirklich angesprochen. In der Welt, in der die Geschichte spielt, sind genderneutrale Pronomen ebenso normal wie die Tatsache, dass zu der „Brautschau“ nicht nur weibliche Personen angereist sind. Es fühlte sich beim Lesen die ganze Zeit an, als ob bestimmte Begriffe – wie eben die Brautschau – noch traditionell geschlechtsbezogen seien, aber in der Realität diese Geschlechter-Schubladen schon lange abgelegt worden seien. Was nicht bedeuten würde, dass Ekata als Tochter des Großherzogs selbst über ihr Leben bestimmen könnte, aber immerhin wird doch die Thronfolge geschlechterunabhängig davon bestimmt, wer die Machtkämpfe innerhalb der Geschwister überlebt. So ist es auch kein Problem, dass Ekata eine der für ihren Bruder bestimmten Bräute „übernimmt“ oder dass sie als Frau den Thron beansprucht, nachdem ihre restliche Familie durch die mysteriöse Krankheit in eine Art Koma fällt. Allerdings muss ich zugeben, dass ich es – gerade aufgrund der sonst recht gut beschriebenen Genderneutralität in der Welt – schon recht auffällig fand, wie sehr Ekata als junge Frau von all den alten Männern (in der Regierung) so gar nicht ernst genommen wurde. Auf der anderen Seite lässt sich das auch der Tatsache zuschreiben, dass sie sich bekanntermaßen bislang überhaupt nicht für Politik interessierte und deshalb eben keine Ahnung von all den Regierungsvorgängen im Schloss hatte.
Ein weiterer wunderbarer Aspekt des Weltenbaus waren die Details rund um Kylma Below – ein Unterwasser-Herzogtum, das seit langer Zeit in einer Art Symbiose mit Kylma Above existiert. Beide Reiche können nur miteinander gedeihen, und diese Abhängigkeit führt zu einem zerbrechlichen Balanceakt zwischen Above und Below. Doch trotz dieses politisch engen Verhältnisses wissen die Personen in Kylma Above kaum etwas über die Bewohner von Kylma Below, und so war es wirklich spannend, gemeinsam mit Ekata mehr über das Unterwasserreich zu erfahren. Ebenso faszinierend fand ich all die Details, die die Autorin über das Leben in einem Schloss aus Eis, das auf einem zugefrorenen (sehr, sehr großen) See gebaut wurde, in die Geschichte eingebaut hat. Dabei spielte Magie beim Leben im Schloss durchaus eine Rolle, aber eine deutlich kleinere als bei einem fantastischen Roman zu erwarten gewesen wäre. Was dazu führt, dass es stattdessen Erwähnungen von irdenen Gefäßen gibt (weil Metall an den Lippen festfrieren würde) oder Schuhwerk mit Metallspikes alltäglich ist (da damit ein normales Gehen auf dem Eis innerhalb des Schlosses möglich ist), oder es werden die Probleme (oder die nicht ganz so vielfältige Ernährung) erwähnt, die damit einhergehen, dass es so gut wie keine Landwirtschaft im Großherzogtum gibt. Insgesamt habe ich das Lesen von „The Winter Duke“ wirklich sehr genossen und meine Lesezeit in der vergangenen Woche abends immer wieder verlängert, weil ich nur noch eben ein bisschen in diesem Roman weiterlesen musste. Außerdem bin ich nun neugierig auf die beiden anderen bislang erschienenen Titel von Claire Eliza Bartlett und werde mir wohl demnächst mal ihren Thriller „The Good Girls“ beschaffen müssen.