Die verhasste Zwillingslösung (in Kriminalgeschichten)

Da ich zur Zeit wieder einen Kriminalroman (Titel und Autor möchte ich nicht nennen, um andere Leser des Romans nicht zu spoilern) lese, bei dem in der Handlung auf einen eineiigen Zwilling zurückgegriffen wird, muss ich mich gerade wieder einmal über diesen – in meinen Augen – billigen Trick aufregen. Über eineiige Zwillinge in Krimis stolpere ich erschreckend oft, zumindest habe ich das Gefühl, und ich empfinde es jedes Mal als Notlösung des Autors.

Dabei ist es mir egal, ob der Zwilling dazu dient, um dem anderen ein Alibi zu geben, ob die Polizei keine Anklage erheben kann, obwohl einer von beiden der Täter sein muss, weil man nicht genau sagen kann, wer von beiden die Tat begangen hat, oder ob es einfach nur darum geht, dass jemand befürchtet, dass er wahnsinnig wird oder ein Mörder ist, weil er da diese Träume und Erinnerungen hat, die nicht zu ihm gehören, wobei solche „geteilten Erinnerungen“ – soweit ich weiß – (und nein, ich habe micht nicht intensiv mit dem Thema Zwillingsforschung auseinandergesetzt) reine Erfindung von Roman- und Drehbuchautoren sind. Selbst meine recht fantasiebegabte Großmutter hat nie behauptet, dass sie die Träume ihrer Zwillingsschwester teilen würde. Dabei gab es im Leben der beiden erstaunliche Ähnlichkeiten – die vermutlich ein kleines bisschen damit zu tun hatten, dass die eine der anderen immer alles nachmachen musste … 😉

Aber zurück zum Kriminalroman: Neben den schon erwähnten Varianten gibt es dann auch noch die Steigerung, bei der dann einer der beiden Zwillinge ein durch und durch „guter“ und der andere ein absolut skrupelloser und „böser“ Mensch ist. Dabei kann ich schon verstehen, was einen daran reizt, zwei Figuren zu schaffen, die zwar die gleichen Voraussetzungen und Grundbedingungen mitbekommen haben, sich aber so gegensätzlich verhalten. So ein Ausprobieren der Grenzen bei der Charakterentwicklung macht bestimmt Spaß, aber ich als Leser bin von der Umsetzung im Roman meist nur gelangweilt oder verärgert.

Das ist vor allem dann der Fall, wenn ich – so wie bei meinem aktuellen Kriminalroman – schon lange vor allen anderen Beteiligten befürchten muss, dass es auf diese Handlungsentwicklung hinausläuft. Da lese ich eine spannend konstruierte Geschichte, bei der ein Kind entführt worden ist. Die Hauptfigur ist eine interessante Frau, deren Alltag ich gern verfolge, ihre Verwicklung in den Fall erfolgt ganz langsam und eher unwillig und ich werde immer neugieriger. Und dabei nagt nach nur wenigen Kapiteln dieser Verdacht in meinem Hinterkopf und mischt meine Neugier mit den schlimmsten Befürchtungen. Zwischenzeitlich habe ich das Buch sogar zur Seite gelegt, weil meine Vorstellung davon, wie die Handlung weitergeht, mir die Lust am Lesen genommen hatte.

Ich weiß, dass der ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückte Mann nicht der Täter sein kann. Abgesehen davon, dass er vom Typ her nicht passt, präsentiert mir der Autor auch noch Passagen aus der Sicht des Entführers, und die haben einen ganz anderen Sprachrhythmus, vermitteln eine vollkommen andere Persönlichkeit. Natürlich könne man damit den Leser einfach nur an der Nase herumführen wollen, aber da glaube ich dann doch an die Ehrlichkeit des Autoren mir gegenüber – was sich in diesem Fall auch bestätigt hat. Stattdessen wird die Zwillingslösung dann im Laufe der Geschichte noch weiter auf die Spitze getrieben und Zwilling A übernimmt die Rolle von Zwilling B, ohne dass selbst dessen Frau etwas bemerkt.

Dabei kann mir niemand erzählen, dass eine Person eine andere, die sie lediglich aus der Ferne beobachten und gerade mal ein paar Minuten sprechen konnte, so gut nachahmen kann – selbst wenn es eineiige Zwillinge sein sollten -, dass niemand etwas bemerkt. Weder seine Frau noch seine Ärztin oder ein Ermittler, der mit beiden schon intensivere Gespräche geführt hat, hegen auch nur den Hauch eines Verdachts, dass da etwas nicht stimmen könnte – und spätestens ab diesem Punkt hat mich der Autor endgültig verloren. Jetzt ist es mir egal, ob der Roman gut geschrieben ist oder ob ich die Hauptfiguren interessant fand, ich ärgere mich nur noch darüber, dass mir ein Autor eines realistischen Kriminalromans (ganz ehrlich, gäbe es da auch nur einen Hauch Phantastik, Magie oder ähnliches, dann könnte ich besser damit leben 😉 ) solche Szenen vorsetzt.

Aber vielleicht bin ich da auch nur zu anspruchsvoll, vielleicht erwarte ich zu viel, wenn ich von einem Krimiautor verlange, dass er mir keine so simple Lösung für seine Geschichte präsentiert. Oder wie geht es euch so, wenn ihr über die „Zwillingslösung“ oder andere aus dem Hut gezauberte „Überraschungen“ in Kriminalgeschichten stolpert?

15 Kommentare

  1. Kommt immer darauf an, wie die Zwillingsidee verarbeitet wird; ich habe vor kurzem *Whitechapel 2* gesehen (sollte auch bald auf Arte laufen) und dort wurde die Idee sehr intelligent umgesetzt.

    Im Grunde stimmt es aber: Man kann nicht nahestehende Personen über einen gewissen Zeitraum täuschen, gerade auch, wenn man über gemeinsame Erinnerungen redet.

  2. Ich finde es grundsätzlich problematisch, wenn solche Lösungen zu oft zur Verwendung kommen – irgendwann durchschaut man nämlich die Struktur und ahnt schnell, was wohl dahintersteckt. Natürlich ist das vor allem ein Problem der Vielleser. 😉

    Mir ist ja diese Zwillingsidee noch nicht so oft untergekommen, aber was ich dafür schon öfter mal hatte, das war, dass ein vermeintlich Toter der Mörder war. Das hat für mich einmal extrem gut bei einem Agatha Christie-Krimi funktioniert (dort bin ich aus allen Wolken gefallen), aber als mir dieses Motiv später noch öfter unterkam, hatte ich es immer schon bei der Hälfte des Romans durchschaut.
    Und es ist im Grunde auch eine aus dem Hut gezauberte Überraschung.

    Dass bei dem Zwilling niemand aus der Umgebung etwas bemerkt, halte ich auch für ziemlich unwahrscheinlich. Mir ist die Idee auch mal bei einem Film untergekommen, und dort fand ich sie sehr gut umgesetzt – dort merkt aber auch die Frau, das etwas nicht stimmt.

  3. @Nomadenseele: Schön, dass die Idee in "Whitechapel 2" gut umgesetzt wurde, das ist ja viel zu selten der Fall.

    Ich bezweifel ja nicht nur, dass man nahestehende Menschen nicht lange täuschen kann, sondern auch, dass man ohne länger Studie die Identität einer Person übernehmen kann. Wie aber sollte so eine längere Studie erfolgen, wenn man sich eigentlich nicht kennt und gerade mal ein paar Minuten miteinander geredet hat? 😉

    @Neyasha: Stimmt, als Vielleser durchschaut man solche Handlungswendungen besonders schnell – bei Filmen geht es mir ebenso. Mein Mann hasst es, wenn wir zusammen Krimiserien gucken … *g*

    Ohja, die Variante mit dem Verstorbenen, der in aller Ruhe mordet, ist mir auch schon mehrfach über den Weg gelaufen! Bei Agatha Christie (für mich heißt das Buch immer noch "Zehn kleine Negerlein" – unter dem Titel habe ich es zuerst gelesen) hängt der gelungene Aufbau ja auch an der Erzählperspektive, wenn ich mich recht erinnere. 🙂 Und ja, diese Handlungsidee würde ich mit in den Hut packen! *g*

    Ich bin mir sicher, es gibt auch Möglichkeiten die Zwillingsidee gut umzusetzen, nur schaffen das wohl viel zu wenige Autoren …

  4. Zum Glück ist mir die Zwillingslösung erst ein Mal unter meine lesenden Krimiaugen gekommen. Doch selbst das war schon zu viel, denn in diesem Fall wurde sogar zwischen gutem und bösen Zwilling unterschieden. Sprich: die Autorin hat sich in stereotype Charakterisierungen geflüchtet und zusätzlich noch mit erhobenem Zeigefinger herummoralisiert. So etwas mag ich gar nicht. Der Zwillingstrick hat aber dementsprechend gut ins Gesamtkonzept gepasst: alles untere Schublade.
    Mag ja sein, dass es auch intelligente Zwillingsverwurstungen gibt, aber mir sind sie noch nicht untergekommen. Und ich werde auch nicht aktiv nach ihnen suchen. 😉

  5. @nantik: Ich bin auch der Meinung, dass sich diese Suche einfach nicht lohnen würde. 😉

    Aber schon erstaunlich, dass ihr alle anscheinend so wenige Geschichten mit Zwillingen in die Hände bekommen habt. Vielleicht war das auch nur eine zeitlich begrenzte Strömung und ich habe besonders viel Pech in der Hinsicht gehabt. Wobei der Kriminalroman, der mich zu diesem Beitrag anspornte, gerade erst erschienen ist.

  6. Kann doch sein, dass so ein Thema in Intervallen auftaucht. Manchmal stößt man auch einfach nur zufällig wieder und wieder drauf. Außerdem ist das Zwillingsproblem ja recht markant. Das fällt einfach auf. Da können zwischen den einzelnen Bücher Jahre liegen – dir fällt es trotzdem sofort auf und du störst dich daran, eben weil es so auffällig und extrem negativ ist.
    Mir geht das so, wenn in einer Krankenhausserie das Münchenhausensyndrom (etwas raffinierter ist es dann das übertragene Münchhausensyndrom) verwurstet wird. Und bis jetzt hat es früher und später wirklich jede Serie verwurstet. Zum ersten Mal bin ich dieser Krankheit in dem Buch "Böse Liebe" von Jonathan Kellerman begegnet. Da fand ich das noch interessant, da kannte ich das ja nicht. Inzwischen blinkt das Münchhausensyndrom aber schon von weitem. Laaaaaaaangweilig. Selbst wenn Jahre dazwischen liegen, wenn ich es irgendwo verwurstet sehe, denke ich mir: "Das habe ich neulich doch erst in … gesehen!"

  7. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass mir die Zwillingslösung jemals untergekommen ist – worüber ich sehr froh bin, denn sie würde mich maßlos ärgern. Das ist in meinen Augen einfach ein extrem billiger Kniff, um den Leser an der Nase herumzuführen, statt sich eine vernünftig aufgebraute Geschichte auszudenken!

  8. @nantik: Stimmt, das Zwillingsproblem ist sehr markant und bleibt so in Erinnerung!

    Beim Münchhausen-Syndrom hatte ich erst einmal einen sehr fragenden Gesichtsausdruck, aber inzwischen bin ich schlauer und kann behaupten, dass sogar mir das schon mehrfach untergekommen ist. "Sogar mir", da ich seit "Diagnose: Mord" keine Krankenhausserie mehr gesehen habe. 😀 In Krimis habe ich das Thema noch nicht mitbekommen, aber allgemein gibt es eben doch viel zu viele Sachen, die immer wieder verwendet werden und die einen langweilen, sobald man die Anzeichen erkennt. 😉

  9. @Irina: Nicht einmal in TV-Krimiserien? Oder guckst du das Genre nicht? 🙂 Und ja, ich empfinde das auch als extrem billigen Kniff, deshalb habe ich mich ja so geärgert. Vor allem, da ansonsten in dem Roman einiges richtig gemacht wurde.

    Irgendwie ist es leichter einem schlechten Autor so etwas zu verzeihen als jemandem, der ansonsten gezeigt hat, dass er schreiben kann.

  10. Ich schau eigentlich ziemlich viele Krimis und Krimiserien, aber ich erinnere mich tatsächlich nicht an irgendwelche Zwillinge. Vielleicht hab ichs einfach verdrängt. *grübel*

  11. Ja, das war bei "Zehn kleine Negerlein" – wollte den Titel nicht dazuschreiben, weil ich nicht wusste, ob du den Roman kennst und du vielleicht ungewollt gespoilert wirst. Dort hätte ich echt nicht damit gerechnet (und als ich es Jahre später nochmal gelesen habe, war ich sogar nochmal überrascht!), aber seither ist mir dieses Motiv öfter mal untergekommen und ich hatte es jedes Mal früh durchschaut.

    Wenn man den anderen noch nicht mal richtig kennt, halte ich es auch für völlig blödsinnig, dass man diesen imitieren kann.

  12. Es gibt nur sehr wenige Agatha-Christie-Romane, die ich nicht kenne, aber du hattest recht, jetzt habe ich einen eventuellen Mitleser gespoilert. *ohje*

    Ich finde, dass Agatha Christie den Kniff bei dem Roman wirklich gut gemacht hat, dafür gab es sogar Lob von Raymond Chandler, der Agatha Christie sonst weniger schätzte. Herjeh, was ich für Informationen in meinem Kopf sammel! Aber andere Autoren scheinen den Dreh da wirklich nicht so gut raus zu haben.

    Und ja, das mit dem Imitieren finde ich auch vollkommen abwegig. Gerade wenn es – wie in diesem Fall – auch noch zu Intimitäten zwischen den Eheleuten kommt. Ich glaube nicht, dass der "dominante" Zwilling seinen unbekannten schüchternen Zwilling in der Beziehung nachahmen konnte. Herjeh, ich könnte mich schon wieder aufregen!

  13. Eine bewusste Erinnerung an die Zwillingslösung habe ich nicht – allerdings habe ich auch einen recht überschaubaren Krimi-/Thriller-Konsum 🙂

    Jedenfalls sehe ich es wie ihr: Wenn man eine andere Person nicht länger beobachtet und studiert, und zwar auch in ihren Interaktionen mit Dritten, kann eine Identitätsübernahme nicht glaubhaft erfolgen. Erst recht nicht, wenn die direkten Familienangehörigen getäuscht werden sollen. Aber keine Regel ohne Ausnahme: Ist das Familienleben nicht (mehr) intakt, die Kinder außer Haus mag es klappen 😉

  14. @Natira: "einen recht überschaubaren Krimi-/Thriller-Konsum" – ich glaube, das sollten wir ändern! *g*

    In diesem Fall war der Zwilling teil eines sehr eng verbundenen Ehepaares. Wobei die beiden – gerade weil sie keine Kinder hatten – eine sehr innige Ehe führten, in der die Frau den Mann etwas "bemutterte". Was die ganze Sache noch glaubwürdiger macht … *hüstel*

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