Schon seit Längerem denke ich über die unterschiedliche Darstellungsweise von gesellschaftlich kontroversen Themen in Fantasyromanen nach. Einen Teil meiner Gedanken hatte ich schon im „Henry vs. Maia“ niedergeschrieben – und ich bleibe dabei, dass ich einen nicht so plakativen Umgang mit Themen wie Sexualität, Rassismus, Gleichberechtigung, Feminismus und Ähnlichem bevorzuge, weil mich das zum Denken statt zum Konsumieren anregt.
Noch schöner allerdings finde ich die Fantasywelten, in denen es ganz alltäglich ist, wenn eine Familie nicht unbedingt aus einem Mann, einer Frau und einer dazugehörigen Zahl von Kindern bestehen muss. Welten, in denen Lebensweisen normal sind, die in unserem Alltag bemerkenswert oder gar verpönt sind. Ich glaube, meine Vorliebe für solche Fantasywelten hängt damit zusammen, dass ich als Teenager einige Romane gelesen habe, in denen das so war. Das bekannteste Beispiel ist dabei vermutlich Marion Zimmer Bradley (bei der ich für diesen Beitrag das Privatleben von ihrem Werk trenne möchte), deren Darkover-Geschichten in einer Welt spielten, die bei weitem nicht perfekt war, aber in denen Homo- oder Bisexualität ebenso häufig vorkamen wie polyamore Beziehungen.
Solche Welten haben meine Sicht auf dieses Thema sehr geprägt und dafür gesorgt, dass es für mich egal ist, wer wen wie liebt, solange alle Beteiligten alt bzw. reif genug sind, um sich bewusst für ihre Art der Beziehung zu entscheiden und zufrieden damit sind. Wie sehr meine Vorstellung von Normalität von der Realität abweicht, habe ich erst relativ spät festgestellt. Als Teenager stand ich noch auf dem Standpunkt, dass es doch nur einige wenige engstirnige Menschen geben könnte, die ein Problem mit der Sexualität anderer Leute haben könnten – und ich muss zugeben, dass ich mit jedem Jahr, das ich älter werde, überrascht bin, wie engstirnig und kleinkariert Menschen sind und wie sehr sie gegen Lebensmodelle kämpfen können, die nicht ihrer eigenen Vorstellung entsprechen.
Meine eigene Naivität bringt mich hingegen wieder zu den Romanen und der Frage zurück, wie Autoren mit dem Thema umgehen sollten. Da in unserer realen Welt nicht nur Vorurteile, sondern zum Teil regelrechte Kreuzzüge gegen Menschen mit vermeintlich nicht der „Norm“ entsprechenden Beziehungen geführt werden, darf das Thema meiner Meinung nach in fiktiven Geschichten auch nicht unter den Tisch fallen. Aber ich frage mich, ob es hilfreicher ist, wenn ein Autor dem Leser eine Welt präsentiert, in der es eben selbstverständlich ist, dass Menschen nun einmal unterschiedliche Vorstellungen und Bedürfnisse habe, wenn es um Beziehungen geht, um dieses Bild zur „Normalität“ werden zu lassen. Oder ob es wichtiger ist, bewusst aufzuzeigen, welche Missstände herrschen, um vielleicht den einen oder anderen Leser dazu zu bringen, sich in seinem Umfeld denjenigen entgegenzustellen, die nur ihre eigene konservative Weltsicht als akzeptablen Lebensentwurf dulden.
Interessante Gedankengänge. Ich bin froh, dass du das Thema ansprichst.
Ich persönlich finde es immer wieder erfrischend, wenn Ansichten, die bei uns nicht der Norm entsprechen, als gegeben und normal dargestellt werden. Und ich halte es durchaus für hilfreich, weil es eben aufzeigen kann, dass so eine Gesellschaft – wenn auch in einer fiktiven Welt – funktionieren kann.
Gleichzeitig halte ich eine Konfrontation mit bestehendem Rassismus etc. ebenfalls für wichtig. Wäre da nicht eine gute Mischung wünschenswert? Also zum einen Bücher mit einem optimistisch-idealistischen Blickwinkel und solche mit einer realistischen Sicht? Und vielleicht sogar solche Bücher, die beides in sich vereinen können. Es gibt in Fantasygeschichten schließlich häufig viele verschiedene Rassen und damit könnte es auch verschiedene Kulturen geben, die unterschiedliche Normen und Bräuche haben …?
Ich finde, beides hat seine Berechtigung: Einerseits zu zeigen, dass es funktionieren könnte und anderseits zu zeigen, dass es häufig Probleme gibt. Wichtig finde ich eigentlich nur, dass das Thema überhaupt mal auftaucht. Denn es gibt ja durchaus genug Fantasy-Geschichten (wenn auch vor allem die älteren), wo das Thema so überhaupt nicht auftaucht.
@A.Disia: Klar bieten Fantasywelten viele Möglichkeiten solche Themen darzustellen und eben auch eine Gesellschaft mit einer vielfältige "Norm" oder einer sehr konservativen oder gar rassistischen Gesellschaft. Ich glaube, ich bevorzuge deshalb die "utopischere" Version, weil ich sie deutlich seltener in Geschichten finde.
Autoren werden doch häufig genauso von ihrer Umgebung geprägt wie alle anderen Menschen auch und wenn man in unserer Gesellschaft aufwächst, ist es schwierig eine "Normalität" darzustellen, die deutlich offener ist als unsere Realität. Noch schwieriger ist es vermutlich einen spannenden Konflikt zu schaffen, wenn man gleichzeitig eine vielfältige Welt kreieren will, die auf der "zwischenmenschlichen" Ebene mit anderen Problemen kämpft als wir.
@Elena: Lustigerweise habe ich das Gefühl, dass ich früher mehr Geschichten gelesen habe, die ungewöhnlichere Gesellschaften und Lebensformen beinhalteten. Ich hatte einige Jahre später dann sogar eine Zeit, in der ich die Nase voll hatte von Fantasy, weil alles, was ich an neuen Sachen in die Finger bekam, ganz gezielt für (pubertierende) männliche Wesen mit Schlachtfantasien geschrieben wurden. In den letzten Jahren ist die Auswahl bei den Geschichten dann zum Glück wieder deutlich besser geworden. 🙂
Tja, hängt vielleicht neben dem Alter auch mit meinen Bücherquellen zusammen: In einer evangelischen Bücherei wurden Anfang der Neunziger wahrscheinlich eher nicht die diversten Bücher angeschafft.
Was heutzutage angeht, fällt mir immer wieder auf, dass viele YA-Fantasy-Autoren Mormonen und andere Christen mit besonderen Wertvorstellungen sind. Mit diesem Wissen verwundert es mich wenig, dass dort nur die klassische Hetero-Geschichte auftaucht, bestenfalls noch ein Liebesdreieck.
@Elena: Meine Kleinstadtbibliothek hatte eine erstaunlich große Auswahl an unterschiedlichsten Fantasy- und SF-Titeln, die wirklich viel Abwechslung zu bieten hatten. Und die nächste Kleinstadtbibliothek, die ich danach nutzte, hatte in der Krimiabteilung eine überraschend große Auswahl an britischen Kriminalromanen mit lesbischen Protagonistinnen. Und mir war es immer egal, was für ein Leben eine Figur führt/wen eine Figur liebt, solange mir die Geschichte gefiel und alles glaubwürdig beschrieben wurde.
Ich glaube, das kam jetzt nicht ganz so rüber, wie ich es gemeint habe. Natürlich können auch kleine Büchereien eine tolle Auswahl haben, keine Frage. Ich wollte aber darauf hinaus, dass die kirchliche Bibliothek vielleicht etwas voreingenommen bei der Bücherbeschaffung war. Mir persönlich war das auch immer egal, aber ich habe halt die Bücher genommen, die ich kriegen konnte 🙂
@Elena: Doch, es kam schon so rüber. Ich wollte nur betonen, dass ich da wirklich Glück hatte, weil die kleinen Bibliotheken, die mir zur Verfügung standen, so eine vielfältige Auswahl hatten. Und ich habe auch nur gelesen, was ich in die Finger bekam und was mir einigermaßen gefiel – eben unabhängig von der eventuellen politischen oder gesellschaftlichen Aussage in den Romanen. 🙂