Jane Austen: Verstand und Gefühl

Ausnahmsweise gibt es hier mal den Klappentext der CD-Box und keine eigene Inhaltsangabe zu der Geschichte: Elinor und Marianne Dashwood sind so verschieden, wie zwei Schwestern nur sein könnten: Während die eine diszipliniert und vernünftig ist, handelt die andere emotional und impulsiv. Dennoch verbindet die beiden das scheinbar ausweglose Schicksal, sich im England des achtzehnten Jahrhunderts den gesellschaftlichen Zwängen unterwerfen und auf die große Liebe verzichten zu müssen …

Ich habe in diesem Jahr so viele Sachen von Jane Austen gelesen oder gehört, dass ich doch an der Jane-Austen-Challenge von Sarah hätte teilnehmen können. Bei der Wohnzimmerrenovierung gab es die ungekürzte Lesung von „Verstand und Gefühl“, für die ebenfalls von Eva Mattes vorgetragene Version von „Stolz und Vorurteil“ habe ich allerdings noch keine Zeit gefunden. Dafür habe ich in diesem Monat „Emma“ und „Mansfield Park“ gelesen und im Herbst habe ich „Anne Elliot oder Die Kraft der Überredung“ genossen. Nach einem kleinen Anstupser von Holly fiel mir auf, dass ich noch keine Rezension für den „Klassiker“-Teil der „Ich bilde mich weiter“-Challenge geschrieben habe – irgendwie hatte ich mit dem Lesen des letzten Buches die Challenge innerlich abgeschlossen.

Doch bei soviel Auswahl habe ich kurzfristig beschlossen nicht über „Mansfield Park“ zu schreiben, sondern über „Verstand und Gefühl“, denn diese Geschichte klingt immer noch in mir nach. Den Roman hatte ich das erste Mal als Teenager gelesen und als Studentin noch einmal verschlungen – und jedes Mal fühlte ich mich zwiegespalten. Ich mag Elinor und Marianne, ich mag die Geschichte, aber ich hatte lange Zeit ein Problem mit der Grundaussage des Buches.

Denn während Elinor immer brav, geduldig und vernünftig ist und deshalb miterleben muss wie der Mann, den sie liebt, immer unerreichbarer wird, so führt die blinde Verliebtheit von Marianne zu großem Unglück für das Mädchen. Neben Elinors Ängsten um das Glück ihrer Schwester, ihrem stummen Leiden wegen ihrer eigenen unglücklichen Liebe und Mariannes Höchflügen und Depressionen lebt das Buch – wie es sich für einen Austen-Roman gehört – von den wunderbaren Dialogen und Nebenfiguren. So viele wohlmeinende Menschen und soviel Möglichkeiten für Missverständnisse, Lebensweisheiten und Dummheiten.

Ich liebe schon allein den Anfang der Geschichte, wenn die Schwägerin der Dashwood-Mädchen mit ihrem Mann darüber diskutiert, wie weit man die Familie nach dem Tod des Vaters finanziell unterstützen müsste. In diesen wenigen Zeilen gelingt es Jane Austen soviel über ihre Zeit und die Situation der Frauen auszusagen, so treffend die biestige Schwägerin und ihren nachgiebigen Mann darzustellen – und dabei so amüsant zu sein -, dass ich jedes Mal wieder begeistert bin. Je älter ich werde, desto mehr stehe ich übrigens auf der Seite der vernünftigen Elinor. Was ich auch faszinierend finde … ich glaube, es gibt wenige Bücher, bei denen mir so sehr auffällt, dass ich sie bei jedem Lesen wieder mit anderen Augen entdecken kann.

Natürlich ist es schön von der großen Liebe zu träumen und noch schöner wäre es, wenn jede Frau einen Mann heiraten könnte, den sie liebt und für den sie die einzige Frau auf der Welt ist. Aber wenn ich mich so in meinem Bekanntenkreis umgucke, dann bin ich immer etwas irritiert von all den Frauen, die keine Augen für die Männer in ihrer Umgebung haben, weil sie auf der Suche nach der großen Liebe sind. Und zu Jane Austens Zeit wäre ein solches Verhalten einfach dumm gewesen. Nur wenige Frauen hatten eigene finanzielle Sicherheit oder gar die Gewissheit, dass die Familie sie für den Rest ihres Lebens versorgen könnte. So war es umgemein wichtig sich an die gesellschaftlichen Regeln zu halten und sich gut zu verheirateten. Und ich glaube, dass einige dieser Vernunftehen gar nicht schlecht waren, solange beide Parteien gewillt waren das Beste aus ihrer Situation zu machen.

Somit ist Elinors Haltung (auch wenn sie nicht immer ihren eigenen Gefühlen entspricht) nicht nur vernünftig, sondern auch der beste Selbstschutz, den sie finden kann. Wenn man nicht das große Glück erwartet, dann kann man auch in einer nicht so gefühlvollen Ehe vermutlich Zufriedenheit finden. Wenn man aber wie Marianne von der einen großen Liebe träumt, sich seinen Hoffnungen hingibt und sich am Ende mit einem fürsorglichen, aber deutliche älteren Mann abfinden muss, dann ist es wohl schwierig nicht den Rest seines Lebens dem einen hinterherzutrauern, in dem man so verliebt war.

Obwohl Jane Austen meiner Meinung nach verhältnismäßig wenig auf die Männer eingeht, habe ich mich dieses Mal doch gefragt wie für Mariannes Ehemann wohl die Zukunft aussieht. Ob er wirklich damit leben kann, dass seine Frau eigentlich einen anderen Mann liebte? Und ob es ihm gefällt, dass aus dem lebenslustigen und übermütigen Mädchen eine zurückhaltende Frau geworden ist, die ihn aufgrund von Vernunft und Freundschaft geheiratet hat, während er sich – entgegen aller Vernunft – in sie verliebte …

10 Kommentare

  1. Katrin von Saiten

    Oooooooooooh damit liebäugel ich auch schon länger. Obwohl ich ja eigentlich Frau Austen nicht so mag. Lohnt sich die Länge? Für mich schon ziemlich lang…

    LG

  2. Du magst Jane Austen nicht so? Ich bin erschüttert! 😉 Ich fand, dass es sich lohnt, aber ich bevorzuge auch ungekürzte Versionen. Eva Mattes liest hervorragend und macht die natürlich altmodische Sprache so sehr gut erfassbar und betont die Handlung wunderbar. Wobei "Verstand und Gefühl" zwischendrin schon ein Stückchen hat, wo die Handlung etwas stockt, weil sich Jane Austen da mehr auf die Charaktere und ihre Lebensumstände konzentriert hat. Aber ich finde es toll wie offen sie für ihre Zeit über uneheliche Kinder und andere "gesellschaftliche Misstritte" schrieb. 🙂

  3. Ich hatte schon immer ein Faible für Elinor. Vermutlich, weil mir einige ihrer Charaktereigenschaften vertraut sind . Soweit, dass ich Charlotte aus "Stolz und Vorurteil" mag, würde ich allerdings nicht gehen 😉 …

    Eva Matthes ist eine wunderbare Interpretin der Austen-Romane. Ich bin immer noch etwas traurig darüber, dass "Überredung" nur gekürzt eingelesen wurde, wenn auch von ihr. Mal sehen, ob ich das Hörbuch trotzdem irgendwann erwerbe 😉

  4. @Natira: Ich konnte Elinors Handeln immer nachvollziehen, aber als Teenager hatte ich mir schon gewünscht, sie würde mal etwas mehr aus sich rausgehen. Vor allem gegenüber ihrer Familie, die es vielleicht nötig gehabt hätten, damit sie verstehen, dass auch Elinor ein fühlendes Wesen ist. 😉

    "Überredng" wurde gekürzt aufgenommen? Das ist ja ärgerlich! Gut, dass ich mich noch nicht zum Kauf entschließen konnte. 😉

  5. Ja, im Hörbuch Verlag Hamburg. Es ist allerdings immer noch 7 1/2 Stunden lang 😉 Und es juckt weiterhin in meinen Fingern, schließlich ist es eine Eva-Mattes-Lesung … 🙂

  6. @Natira: Hm … dann würde ich mal vorschlagen, dass du dir die Version zulegst und mir dann erzählst, ob es sich lohnt. *dumdidum*

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