Nancy Mitford: Liebe unter kaltem Himmel

Nachdem ich die Jessica-Mitford-Biografie gelesen hatte, habe ich mal geschaut, welche Bücher von den Mitford-Schwestern wohl in unserer Bibliothek zu finden sind und mir dann „Liebe unter kaltem Himmel“ von Nancy Mitford ausgeliehen. Der Roman soll deutliche biografische Bezüge haben und ich bin mir sicher, dass ich einige Sachen (wie den Kleiderschrank der jüngeren Cousinen, bestimmte Ansichten und Verhaltensweisen von dem Onkel und der Tante der Protagonistin usw.) dem realen Leben von Nancy Mitford und ihrer Familie zuordnen konnte. Doch auch ohne diese Bezüge ist „Liebe unter kaltem Himmel“ eine eigentlich recht unterhaltsame Geschichte, die sich rund um die Familie Montdore dreht. Erzählt wird die Handlung dabei von der ruhigen und relativ „normalen“ Fanny, die – aufgrund der Tatsache, dass ihre geschiedenen Eltern die Erziehung ihrer Tochter der Verwandtschaft überlassen haben, – von Kindesbeinen an sehr viel Zeit mit Lord und Lady Montdore und deren Tochter Polly (Leopoldina) verbringt.

Dabei kam mir Fannys Erzählton – obwohl sie spätestens nach ihrem Debüt in London in die Gespräche der Erwachsenen mit einbezogen wird – häufig sehr naiv vor. Obwohl sie sich so viel mit dem Leben ihrer Verwandten beschäftigt, wird sie immer wieder von all den Entwicklungen und Neuigkeiten überrascht. Aber diese Naivität ist ebenso wie ihre Gutmütigkeit auch der Grund, warum man ihr so gerne zuhören, wenn sie von all den Menschen und ihrem Leben erzählt. Dabei interessiert sie vor allem das Schicksal ihrer Cousine Polly, die von klein auf verhätschelt und verwöhnt wird und in deren Zukunft ihre Eltern sehr große Hoffnungen setzen. So große Hoffnungen, dass natürlich alles dafür getan wird, dass Polly, als sie ins passende Alter kommt, angemessene und einflussreiche junge Männer kennenlernt. Schließlich gibt es nichts wichtigeres für ein junges und adeliges Mädchen als einen Mann mit guter Herkunft und guten Aussichten zu heiraten und dann dafür zu sorgen, dass er beruflich so erfolgreich wird, wie es ihrer Position angemessen ist. Doch schnell fällt ihrer ehrgeizigen Mutter auf, dass Polly so gar kein Interesse für all die vielversprechenden jungen Männer aufbringen kann, was für einige Unruhe im Haus der Montdore. sorgt.

Ich fand es wirklich nett dem plaudernden Ton von Fanny zu folgen, während sie von den verschiedenen Eigenheiten ihrer Familienmitglieder berichtet oder erzählt, wie ihr Verhältnis zu den Montdores ist und wie es dazu kam, dass sie in bestimmte Ereignisse eingeweiht wurde. Sehr viel passiert dabei nicht, aber es gibt so viele treffende und skurrile Momente, dass ich mich gut unterhalten fühlte. Was mir allerdings an der Geschichte nicht gefiel, ist der Umgang mit einer bestimmten Person. Dieser Mann ist dafür bekannt, dass er gern mit kleinen Mädchen spielt und für Fanny waren diese Spiele immer unangenehm. Aber als höfliches kleines Mädchen, das gelernt hat, dass es erwachsene Menschen respektvoll behandeln muss, hat Fanny natürlich mitgespielt, wenn sie dazu aufgefordert wurde. Aber Fanny scheint die einzige zu sein, der dieser Mann unangenehm ist. Ihre Cousinen scherzen über die Spiele dieses „Onkels“, es gibt Anspielungen, dass ein Mädchen (das von ihren älteren Schwestern im unklaren darüber gelassen wird, was zwischen Mann und Frau nach der Hochzeit passiert) nur diesen Mann fragen müsste und dann gäbe es nicht nur eine Erklärung, sondern auch Anschauungsunterricht.

Noch schlimmer finde ich aber Fannys ältere Verwandtschaft, wo nicht nur ganz lässig darüber geredet wird, dass dieser Typ seine Spielchen mit der eigenen Tochter getrieben hat, sondern auch, dass eine (später in der Handlung vorkommende) Beziehung für ihn die gerechte Strafe dafür sei, dass er die Hände nicht von kleinen Mädchen lassen konnte. Dass das Verhalten dieses Mannes einfach als „normales“ exzentrisches Verhalten gewertet wird und dass niemand das Gefühl hat, man müsse die Kinder vor ihm beschützen oder ihn vielleicht sogar aus der Gesellschaft ausschließen, finde ich sehr schwierig. Natürlich ist mir bewusst, dass dieser Roman zu einer Zeit geschrieben wurde, in der man Kinder selten vor Erwachsenen in Schutz nahm, und anscheinend reicht es da auch, dass dieser Herr eine gewisse Grenze dann doch nicht überschreitet. Ich habe mich zwischendurch schon gefragt, ob das vielleicht bewusst so unkritisch von Nancy Mitford dargestellt wurde, um zu betonen, was da vor den Augen der gesamten Verwandtschaft passiert, aber dafür ist mir der Ton in dem Roman (und in gewisser Weise auch das Ende) zu heiter. So war für mich „Liebe unter kalten Himmel“ leider kein ungetrübtes Vergnügen, obwohl ich viele Szenen und Figuren wirklich unterhaltsam fand.

4 Kommentare

  1. Punkt und Ende

    Das Thema, das du ansprichst, lässt bei mir immer die Alarmglocken schrillen. Und auch wenn man alles sicher im historischen Kontext betrachten muss, wären das Szenen, bei denen ich mich beim Lesen wahnsinnig unwohl fühlen würde. Es fällt mir dann auch schwer, die Anspielungen und das eigentliche Buch zu trennen.
    Danke für die Rezension. Mir wäre das niemals gelungen die verschiedenen Gedanken zu dem Buch so gut zu darzustellen. Bei mir hätte das eine Thema alles überlagert. Kein Buch für mich

  2. Ich habe mich zwischendurch schon gefragt, ob ich da übersensibel bin. In keiner anderen Rezension habe ich diesen Punkt erwähnt gesehen, aber ich finde es wichtig anzusprechen, dass ich diese Figur zumindest als "übergriffig" empfinde, wenn nicht sogar als Gefahr für die Kinder/Mädchen.

    Hätte die Autorin das direkter dargestellt, hätte ich vermutlich auch mehr dagegen gewettert. Aber so habe ich mir halt – vor allem bei den ersten Andeutungen – viele Gedanken gemacht, ob ich da nur etwas falsch interpretieren oder ob die Person wirklich all die Dinge mit den Kindern anstellt, die ich in die beschriebenen Sachen hineinlese.

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