„New England“-Krimis

Letztes Wochenende habe ich mich mit meinem Mann über den Einfluss britischer Comiczeichner und -autoren auf die amerikanische Comicszene unterhalten und darüber, dass ich das Gefühl habe, dass es einen ähnlichen Einfluss bei einer bestimmten Art von Krimis gibt. Auch wenn ich in diesem Genre eigentlich alles querbeet lese, so liegen meine Schwerpunkte doch bei drei Bereichen: Da wären zum einen „Hardboiled Novels“ mit klassischen amerikanischen Detektivgeschichten und Figuren wie Sam Spade und Philip Marlowe. Außerdem mag ich Cozys – in der Regel sehr britisch, gemütlich und geprägt von einem kleinen und friedlichem Gesellschaftskreis wie die Dörfer in den Miss-Marple-Geschichten von Agatha Christie oder einem geisteswissenschaftlichen Universitätsumfeld, (wobei die Hochschulgemeinschaft zwar intellektueller, aber nicht weniger auf sich konzentriert ist als die Bewohner der Dörfer). Und schließlich hätten wir noch die Krimis, die ich für mich als „New England“-Romane bezeichne.

Diese Geschichten sind zum Teil humorvoller als die Cozys, spielen in der Regel rund um Boston, Cape Cod oder anderen Gegenden von Neuengland und sind für mich eine interessante Mischung aus „britischem Einfluss“ und „amerikanischem Denken“. Auf der einen Seite kommen in diesen Geschichten Familien und Gemeinschaften vor, die mich ein wenig an den von Agatha Christie dargestellten Landadel und das dazugehörige Dorfleben erinnern. Das ist vermutlich nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass New England angeblich sehr von der weißen protestantischen Oberschicht geprägt ist, die wohl immer noch sehr stolz darauf ist, dass sie von den ersten britischen Siedlern abstammt. Auf der anderen Seite kommen in diesen Romanen Elemente vor, die für mich rein amerikanisch sind. Sei es bei den älteren Geschichten der Umgang mit Prohibition und Wirtschaftskrise oder ganz allgemein Fragen, die sich um amerikanische Politik, Rechtssystem oder Ähnliches drehen.

Spontan fallen mir bei den „New England“-Krimis Mary Roberts Rinehart, Charlotte MacLeod und Phoebe Atwood Taylor ein – zwei davon schrieben eher humorvolle Krimis, ihnen allen zu eigen ist aber ein Händchen für exzentrische Figuren, die mir sehr ans Herz gewachsen sind und deren Erlebnisse ich gern verfolge. Es gibt natürlich auch den einen oder anderen männlichen Autor, der solche Krimis schreibt, aber ohne Zugriff auf meine gesammelten Schätze lässt mich mein Erinnerungsvermögen gerade leider im Stich. Die meisten dieser Autoren habe ich über „DuMonts Kriminal-Bibliothek“ kennengelernt – ich wünschte wirklich, diese Reihe würde wieder neu aufgelegt, da gibt es nämlich noch so einige Titel, die ich bislang nicht gebraucht nachkaufen konnte!

Obwohl ich auch bei den Cozys ein paar sehr eigene Figuren ins Herz geschlossen habe – so wie zum Beispiel Lucy Angkatell aus Agatha Christies Roman „Das Eulenhaus“, die regelmäßig in aller Frühe Teewasser aufsetzt und dann wieder ins Bett geht, während das Wasser ungenutzt verkocht, so dass ihr Butler ein ganzes Regal voller Ersatz-Teekessel in petto hat – so finde ich da weniger exzentrische Charaktere als bei dem „New England“-Romanen. Wobei ich nicht andeuten will, dass diese amerikanischen Figuren dann unrealistisch überzogen sind. Gerade bei den Cape-Cod-/Küsten-Bewohnern gibt es einen Typ des einheimischen Faktotums, der gerade aufgrund seiner praktischen Sicht und seiner wortkargen Äußerungen in einem Gespräch immer den richtigen Punkt trifft – und mich so amüsiert. Und sogar die Darstellung von traditionsverhafteten Oberschichtfamilien, die aufgrund der Wirtschaftskrise pleite sind und nun mit dieser neuen Situation umgehen müssen, wirkt bei den „New England“-Krimis meist deutlich optimistischer, kreativer und weniger passiv als bei den britischen Cozys.

Amüsant finde ich all diese Krimis, mal bestechen sie durch feinen Humor, dann wieder durch wunderbar eingesetzte Ironie, witzige Dialoge oder (leicht) absurde Figuren. Einzig Phoebe Atwood Taylor treibt den Humor in ihren Bücher auf die Spitze und lässt es dort regelmäßig zu einer Ansammlung von skurrilen Situationen kommen. Dabei ist jede Szene für sich gar nicht so unrealistisch, wenn auch immer wieder durch argen Zufall bestimmt, doch in der Häufung entwickelt sich für den Leser eine Ansammlung von seltsamen Szenen, die in rasantem Tempo zu weiteren ungewöhnlichen Vorfällen führen. Nach dem Lesen eines solchen Romans bin ich von der Erzählweise immer ganz atemlos und entsetzlich aufgedreht, weil ich so viel lachen musste.

Ich glaube, man merkt, dass ich diese „New England“-Romane mag – und ich bin nicht nur durch die Diskussion mit meinem Mann wieder auf diese Bücher gekommen, sondern auch weil ich gerade so viel Lust auf Kriminalgeschichten habe. An meine Sammlung komme ich gerade nicht heran, außerdem will ich auch nicht all die vertrauten Bücher in der Bibliothek ausleihen, wenn sie denn überhaupt dort vorhanden sind, und mein SuB bietet eher wenige Krimis – und keine, die in diese Richtung gehen. Von daher fände ich es toll, wenn ihr vielleicht den einen oder anderen Tipp für mich hättet, mit dem ich meine aktuelle Krimilust stillen könnte.

16 Kommentare

  1. Vielen Dank für den spannenden Einblick! Ich kenn nicht einen einzigen New-England-Krimi, glaub ich – zumindest fällt mir keiner ein. Ich bin aber auch grundsätzlich eher ein Freund von britischen Settings.

    Übrigens steht im Second-Hand-Laden meines Vertrauens eine ganze Kiste mit Büchern aus der Reihe "Dumonts Kriminialbibliothek". Soll ich mal nach irgendwelchen Schätzchen für die schauen? Die kosten üblicherweise 1–2 Euro pro Buch.

  2. Oh, aber du hast immerhin schon mal einen Shandy-Roman bei der Hand, dann könntest du ja mal damit anfangen. 😀 Du solltest den Geschichten auf jeden Fall mal eine Chance geben. 🙂

    Was dein Second-Hand-Angebot angeht: Klingt gut, hat aber vermutlich den Pferdefuß, dass der Laden bestimmt genau die Titel in der Kiste hat, die man auch sonst ohne Probleme bekommt. Während die, die mir noch fehlen, einfach nicht in Umlauf kommen. Wenn es dir aber nicht zuviel Mühe macht, dann wäre so ein Blick in die Kiste großartig! Gerade bei den Autoren habe ich doch einige Lücken, während ich bei den Autorinnen gar nicht so schlecht darstehe. 🙂

  3. Shandy will ich mir auch unbedingt mal vornehmen, auf die hast du mir große Lust gemacht. Vielleicht schnapp ich mir das Buch sogar direkt aus dem Regal, ich weiß gerade eh nicht, was ich lesen soll … Wenigstens reinschnuppern kann ich also mal.

    Und nein, es macht mir keine Mühe – sonst hätt ichs doch nicht angeboten. Schreib mal auf, was du suchst!

  4. Ich muss leider auch passen, was Tipps angeht … Zwar hatte ich letztens aus der Bücherei den Roman "Oh Du Mörderische" von Anne George ausgeliehen – aber mich hat er nich so von den Socken gehauen. Was aber auch einfach daran liegen, dass die Autorin nicht meinen Geschmack getroffen hat. Ich fand diesen (zweiten) Band um die "Southern Sisters" aus Alabama, die sich kabbeln und nebenher in Kriminalfälle verwickelt werden, nicht so berauschend. Und auch nicht so urkomisch, wie er beim dtv angepriesen wird 😉

  5. Na toll, Natira … Dann hoff ich mal, dass den Annie-George-Roman niemand von meiner Geburtstagswunschliste runterkauft – da hab ich ihn nämlich drauf gepackt! *g*

  6. "New England"-Krimis sind aber nur für jene geeignet die sich in eine Geschichte und die Zeit in der sie spielt einlassen. Leider ist diese Selbstverständlichkeit heute nicht mehr so verbreitet. All zu oft versucht man mit den Augen von heute auf das gestern zu schauen. Gruss Carina

  7. Ich glaube, ich habe auch noch nie einen "Neu England" Krimi gelesen.
    Obwohl ich auch ab und zu gerne Cozy-Krimis lese.
    Charlaine Harris hat übrigens auch ein paar tolle Südstaaten-Krimis geschrieben.
    Ich bin mir jetzt allerdings gerade nicht sicher, in wie weit die übersetzt wurden.

  8. @Irina: Und? Ist es gestern noch der Shandy geworden? Was meine Suche angeht, so muss ich mal recherchieren, welche Titel da noch rausgekommen sind, die ich noch nicht habe. Ich habe da keine Liste, sondern gucke immer nach Autor und Klappentext und greife dann bei Bedarf zu. 😀

    @Natira: Südstaaten-Geschichten sind auch immer etwas Glücksache (und zweite Teile ebenso). Dabei gibt es so einige Autorinnen (komischerweise fällt mir spontan wieder kein Autor ein), die Romanreihen schreiben, die in den Südstaaten spielen und mir gut gefallen. Das geht dann auch quer durch alle Genres. 😉 Annie George hingegen ist mir noch nicht untergekommen – kannst du denn den ersten Band empfehlen?

    @Carina: Da hast du vermutlich recht. Ich persönlich lasse mich gern auf eine andere Zeit – und die dementsprechende Schreib- und Denkweise ein. Deshalb lese ich wohl so gern Krimis, die vor 1960 geschrieben wurden. 😉

    @Hermia: Ohne die "DuMont Kriminalbibliothek" wäre ich da wohl auch nicht so schnell drüber gestolpert, auch wenn ich immer die Augen nach Krimiautoren aufhalten, die zu den "Klassikern" gerechnet werden.

    Hm, bei der Bibliothek werden mir gerade ein paar englische Titel von Charlaine Harris angezeigt – allerdings sind die Informationen nicht so ausführlich, dass ich da mehr herausfinden kann. Hättest du einen Tipp für mich, welchen Titel ich mal antesten könnte? 🙂

  9. Ja! Ich habe. Aber nur zwei Kapitel! Ich kam irgendwie nicht zum lesen, ich bin gerade irgendwie total flatterig.

    Zu Charlaine Harris und den Südstaaten:

    Die Sookie-Stackhouse-Serie spielt in den Südstaaten, aber das ist ja nicht so wirklich ein Krimi – wobei das m.E. eigentlich auf alle Harris-"Krimis" zutrifft, die ich kenne! 😉

    Auf jeden Fall spielt auch die Shakespeare-Serie um die Haushaltshilfe Lily Bard in den Südstaaten, von der aber nur ein Band (von fünf) übersetzt wurde: »Tod in Shakespeare«. Allerdings fand ich nicht, dass das Südstaatenflair da besonders intensiv durchkommt.

    Bei den anderen beiden Serien bin ich mir nicht so sicher: Harper Connelly und ihr Bruder (die komplette Serie gibts auch auf Deutsch bei dtv) fahren durchs Land, ob jetzt nur durch die Südstaaten oder sonst wo, weiß ich nicht mehr – aber auch hier kann ich mich jetzt nicht an ein besonderes Südstaaten-Flair in Band 1 erinnern.

    Wo die Serie um Bibliothekarin Aurora Teagarden spielt, weiß ich nicht – die hab ich ausgelassen, weil selbst meine Harris-verrückte Freundin sagt, die Serie sei total dröge. Falls du sie auf Deutsch testen willst: Bände 1 und 2 sollen dieses Jahr auf Deutsch bei Feder&Schwert erscheinen; Band 1 sogar diesen Monat, glaub ich.

    Falls es dich interessiert, findest du bei mir Rezensionen zu Lily Bard 1 und Harper Connelly 1! 🙂

    An "echten" Südstaaten-Krimis mit richtigem Südstaatenflair fällt mir im Moment auch nicht viel ein außer natürlich Carolyn Haines mit ihrer Sarah-Booth-Delaney-Serie.

  10. Die Aurora Teagarden Reihe kenne ich auch nicht, da liegt der erste Band auf meinem SuB. Die Harper Connely Serie fand ich genial, allerdings hat die auch einen phantastischen Einschlag – Harper "spürt" Leichen und erlebt ihre letzten Minuten nach.

    Ganz realistisch ist dagegen die Lily Bard Reihe, aber wie irina schon sagte, da ist nur der erste Teil mal übersetzt worden (und wohl nur noch schwer erhältlich).

    Toll fand ich "A Secret Rage", das ist vor kurzem auch in Deutschland erschienen (Stummer Zorn). Das ist eines der ersten Bücher von Frau Harris überhaupt (aus den 1980er Jahren) und es ist ein Einzelband.

    Du Kannst dir ja mal die Rezension bei mir durchlesen:
    http://hermia-buecher.blogspot.com/2011/02/secret-rage.html
    Die anderen beiden Reihen habe ich rezensiert 😉

  11. Die New England-Krimis klingen interessant, ich nehme mir also auch eher die Empfehlung mit als daß ich welche dalassen könnte.

    Ich assoziiere mit Neuengland immer noch als erstes H.P. Lovecraft, das sollte ich vielleicht mal erweitern 😉

    Harris' Sookie Stackhouse-Reihe lese ich aktuell im 5. Band und würde das auch nicht als Krimis werten (Krimihandlung spielt nur sehr am Rande eine Rolle).

  12. @Irina: Haben dir die zwei Kapitel denn schon mal gefallen? *guckt hoffnungsvoll*

    Gut zu wissen, dass alle Harris-Krimis weniger Krimis sind – liegt das an "übernatürlichlichen" Elementen oder ist sie zu cozy, um noch Krimis zu schreiben?

    *g* Okay, wenn ich nach deinen Rezensionen gehe, dann wohl an beidem. 😀 Aber grundsätzlich bin ich schon mal neugierig.

    Außerdem muss es für mich ja kein Südstaaten-Flair sein, ich mag nur gerade wieder gute (und gern auch amüsante) Krimis lesen. 🙂

  13. Huch, da haben sich ja zwei dazwischen geschlichen! 😀

    @Hermia: Die Aurora-Teagarden-Reihe habe ich gerade im Bibliothekskatalog in größerer Anzahl gefunden, vielleicht sollte ich da mal einen antesten. Und deine "A Secret Rage"-Rezension macht mir schon Lust auf das Buch, mal gucken, ob ich das irgendwo auftreiben kann (die Bibliothek hat es natürlich nicht im Angebot *g*). Ansonsten seh ich schon, dass ich mich mal intensiver durch deinen Blog wühlen muss. 🙂

    @Kiya: Lovecraft ist aber schon ein anderes Kaliber – wenn auch überaus lesenswert! 🙂 Vermutlich ist das auch der Grund, warum ich mit meinem Mann sogar dann gemeinsam durch die Stadt gehe, wenn er seine Lovecraft-Fanshop-Sachen trägt. 😉

    Versuch es mal mit den Krimis – und sag mir dann, wie sie dir gefallen haben! 🙂

  14. Winterkatze: Die zwei Kapitel haben mir gefallen, aber so richtig den Drang geweckt, sofort weiterlesen zu müssen, haben sie nicht geweckt. Aber wie gesagt, das würde ich in meiner momentanen Stimmung keinem Buch ankreiden wollen …

    Was die Harris-Krimis angeht: Ihre Bücher werden m.E. im Wesentlichen von den (meist ziemlich kaputten) Protagonisten und deren Problemen mit dem Leben dominiert; da tritt die Krimihandlung doch häufig eher in den Hintergrund. Vielleicht ist das aber auch ein Problem der ersten Bände – ich kenn bis dato keine zweiten! 😉

  15. @Irina: Na gut, aber für Peter Shandy muss man auch in der Stimmung sein. 😉 Vielleicht in der nächsten Woche … 🙂

    Der erste Sookie-Stackhouse-Band (und dank deines Q&A-Beitrags musste ich jetzt erst einmal gucken ob sich die wirklich so schreibt!) hatte mir ja schon gefallen, also gehe ich davon aus, dass mir grundsätzlich ihre Charaktere und ihre Art eine Geschichte zu erzählen zusagt. Ich werde es mal antesten müssen. 🙂

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