Patricia Wentwort: Der Stoß von der Klippe (Miss Silver 3)

Mit dem dritten Miss-Silver-Roman, „Der Stoß von der Klippe“, habe ich endlich einen Titel erwischt, in dem Miss Silver eine größere und nachvollziehbarere Rolle spielt als in „Grey Mask“ und „Ein abgeschlossener Fall“. Dieses Mal wird die Geschichte vor allem aus der Perspektive von Rachel Treherne erzählt, die vor vielen Jahren ein großes Vermögen von ihrem Vater geerbt hat. Dabei hat der Vater zwar kein unumstößlichen Regeln aufgestellt, aber bestimmte Wünsche geäußert, wie mit dem Geld nach seinem Tod zu verfahren sei – und Rachel hat seitdem versucht nach diesen Wünschen zu handeln. So wird sie seit zwanzig Jahren von diversen Familienangehörigen umkreist, die anscheinend nichts anderes im Kopf haben, als die Frage wie sie von Rachel Geld bekommen können.

Obwohl Rachel nur mit wenigen Familienmitgliedern wirklich liebevoll verbunden ist, schockiert es sie, als sie nach mehreren Vorfällen befürchten muss, dass jemand nach ihrem Leben trachtet. Hin und her gerissen zwischen Unglauben und Angst wendet sie sich an Miss Silver und bittet die Detektivin um Hilfe. Dies führt dazu, dass Miss Silver nicht nur schon auf den ersten Seiten einen Auftritt hat, sondern auch wenige Zeit später als Besucherin in dem große Familiensitz der Treherne aufläuft, um sich die verschiedenen Familienmitglieder genauer anzuschauen. Prompt kommt es am Abend von Miss Silvers Ankunft zu einem weiteren Anschlag auf Rachels Leben, der nur durch einen glücklichen Zufall nicht zum Erfolg führt.

Ich muss zugeben, dass „Der Stoß von der Klippe“ bislang mein liebster Miss-Silver-Roman ist, da das Tempo der Handlung und die Besetzung mich hier am meisten überzeugen konnten. Auch habe ich so lange darauf gewartet, dass Miss Silver endlich eine größere Rolle in den Geschichten spielt, dass ich mich allein schon über die diversen Szenen gefreut habe, in denen sie ganz harmlose Gespräche führt und dabei das eine oder andere schmutzige kleine Geheimnis herausfindet. Agatha Christies Erzählweise finde ich immer noch etwas stimmiger, aber mit „Der Stoß von der Klippe“ hat Patricia Wentworth meine Erwartungen an einen britischen Cozy voll erfüllt.

Durch die Konzentration der Handlung auf ein großes Haus, in dem ein Haufen Menschen aufeinandersitzen, die sich teilweise zu gut kennen, um wirklich höflich miteinander umzugehen, kommt deutlich mehr Spannung auf als in den anderen Geschichten der Autorin, die ich bislang gelesen habe. Außerdem gibt es regelmäßige Treffen zwischen Miss Silver und Rachel, die dem Leser immer wieder die Möglichkeit geben seinen Wissensstand zu überprüfen und zu überlege, welche Auswirkungen die neuen Entdeckungen haben könnten. Ganz unvorhersehbar war die Auflösung so nicht, aber die Konfrontation mit der verdächtigen Person wurde von Patricia Wentworth sehr atmosphärisch und spannend geschrieben. Es hat mir wirklich Spaß gemacht das zu lesen.

Am Ende habe ich nur noch einen Kritikpunkt (den ich genaugenommen bei so gut wie jedem anderem Kriminalroman – nicht nur aus den 20er- und 30er-Jahren – anwenden könnte): Es wäre schön, wenn nicht immer die Protagonistinnen im Laufe der Geschichte darauf angewiesen wären, dass ein starker Mann ihnen Halt und Unterstützung gibt. So wie man Rachel am Anfang des Romans kennenlernt, ist sie eine vernünftige und intelligente Frau mit einiger Lebenserfahrung. Und doch sorgt die Angst – mehr darum, dass der Täter jemand sein könnte, der ihr am Herzen liegt, und weniger um ihr eigenes Leben – dafür, dass sie am Ende kaum noch klar denken kann und einen männlichen Begleiter benötigt, der all ihre Entscheidungen und Gedanken absegnet. Das ärgert mich, hält mich aber trotzdem nicht davon ab weiter „ältere“ Kriminalromane zu genießen. 🙂

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