Patricia Wentworth: Ein abgeschlossener Fall (Miss Silver 2)

„Ein abgeschlossener Fall“ ist der zweite Miss-Silver-Roman von Patricia Wentworth und die Geschichte hat mich noch besser unterhalten als der Reihenauftakt „Grey Mask“. Erzählt wird die Handlung zum Großteil aus der Perspektive von Hilary Carew, deren impulsives Handeln auch die ganze Geschichte ins Rollen bringt. Da Hilary auf einem Bahnsteig ihren ehemaligen Verlobten Henry Cunningham sieht und ein Zusammentreffen mit ihm vermeiden will, springt sie in den nächstbesten Zug. Doch statt im Abteil in Ruhe über ihr Pech und den Streit, der zur Auflösung der Verlobung geführt hatte, nachdenken zu können, wird sie von einer Mitreisenden angesprochen, die sichtbar erregt und verängstigt ist.

So recht kann sich Hilary keinen Reim auf die unzusammenhängenden Aussagen, die über Mrs. Mercers Lippen kommen, machen. Sie kann nur vermuten, dass die Erregung der Frau mit dem Prozess zusammenhängt, der vor einem Jahr gegen den Mann von Hilarys Cousine Marion geführt wurde. Marions Mann Geoffrey Grey wurde damals für schuldig gesprochen seinen Onkel James Everton ermordet zu haben. Dabei wurde der Aussage von Mrs. Mercer, die gemeinsam mit ihrem Mann bei Mr. Everton angestellt war, großes Gewicht beigemessen, so dass sie in erster Linie dafür verantwortlich war, dass Geoffrey verurteilt wurde.

Doch das Verhalten der Frau im Zug und die Tatsache, dass ihr Mann Alfred Mercer am nächsten Tag ein zufälliges Zusammentreffen mit Hilary arrangiert, um diese davon zu überzeugen, dass seine Frau den Verstand verloren hat, sorgt dafür, dass die junge Frau auf eigene Faust Ermittlungen anstellt. Je mehr Hilary dabei auf Ungereimtheiten stößt, desto mehr ist sie davon überzeugt, dass sie bei der ganzen Sache Unterstützung benötigen könnte. Und da sie sowieso einen Vorwand suchte, um wieder Kontakt zu Henry aufnehmen zu können, wendet sie sich an ihn. Obwohl Henry der Meinung ist, dass Hilarys Fantasie mit ihr durchgeht und dass Geoffrey zu Recht verurteilt wurde, engagiert er Miss Silver, um mehr über das Ehepaar Mercer herauszufinden.

Wie schon gesagt, mir hat „Ein abgeschlossener Fall“ gut gefallen. Hilary und Henry sind sympathische Protagonisten mit Ecken und Kanten und ich mochte Hilarys Entschlossenheit. Obwohl sie immer wieder in unangenehme Situationen gerät, ist es ihr wichtig die ungeklärten Punkte aufzulösen und mehr über den Mord zu erfahren. Wobei auch die erschreckende Entwicklung, die ihre Cousine Marion – mit der sie seit Geoffreys Verurteilung zusammenlebt – im letzten Jahr durchgemacht hat, eine große Motivation für Hilary darstellt.

Miss Silver wiederum spielt in diesem Roman eine ebenso kleine Rolle wie in „Grey Mask“. Wenn ich ehrlich bin, dann ist ihre Rolle nicht kleiner als z.B. die von Miss Marple in „Die Schattenhand“. Aber da mir Miss Silver nicht so vertraut ist und man als Leser während der Ermittlungen so gar nichts von ihren Überlegungen und Aktionen mitbekommt, wünsche ich mir wirklich, dass sie mal eine größere Rolle in einem Roman bekommen würde. Bislang kenne ich Miss Silver nur in zwei Varianten: Einmal als gelassene, etwas tantenhafte ältere Dame mit Strickzeug in ihrem Büro und dann als „verdeckte“ Ermittlerin, bei der man sich fragt, wo sie denn jetzt auf einmal herkommt. Bei Miss Marple finde ich das Verhalten schlüssiger. Wenn sie jemanden auf die richtige Spur setzt oder um konkrete Aktionen bittet, dann weil sie selber dazu – aus zeitlichen Gründen oder aufgrund ihres Alters – nicht in der Lage ist.

Bei Miss Silver gibt es hingegen Momente, wo sie aktiv ist, so dass ihre Gesundheit nicht der Grund sein kann, warum sie bestimmte Sachen delegiert. Außerdem hat sie anscheinend Angestellte (wenn ich nach einer Szene in „Grey Mask“ gehen kann), so dass ich mich frage, warum diese nicht rumlaufen und Zimmermädchen befragen oder Garagen abklappern. So ganz schlüssig finde ich Miss Silver als Figur also noch nicht, trotzdem hat mir die Geschichte Spaß gemacht. Der Fall war solide konstruiert und nicht so offensichtlich, dass man nicht mehr „mitermitteln“ konnte, die Protagonisten sympathisch und die Handlung deutlich ausgewogener als z.B. bei „The Black Cabinet“. Ich denke, ich werde auch mit den weiteren vier Miss-Silver-Romanen, die in der Bibliothek vorhanden waren, noch ein paar nette Lesestunden verbringen – und hoffe, dass in den Büchern die ungewöhnliche Privatdetektivin eine etwas größere Rolle einnehmen wird.

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