Im letzten Jahr hatte ich „Mit Miss Marple aufs Land“ von Louise Berg-Ehlers gelesen und mir im Anschluss zwei Autorinnen (Patrica Wentworth und Margery Allingham) von klassischen britischen Kriminalromanen aufgeschrieben, die ich noch ausprobieren wollte. Dieser Beschluss war schon wieder etwas in Vergessenheit geraten, als mich Natira vor kurzem darauf aufmerksam gemacht hat, dass die eBook-Ausgabe von „Grey Mask“ von Patricia Wentworth gerade im Angebot zu bekommen war. „Grey Mask“ ist der erste Teil der Miss-Silver-Romane und wurde 1928 von der Autorin geschrieben. Ich muss gestehen, dass mich die Geschichte stellenweise an Edgar-Wallace-Romane erinnert, auch wenn das Ganze qualitativer und weniger reißerisch geschrieben wurde. Aber es gibt so viele Handlungselemente, die mir als erstes in den Wallace-Romanen begegnet sind, die ich als Kind gelesen habe. Als weiterer Vergleich kommen mir noch die Kriminalromane von Georgette Heyer in den Sinn, auch da besteht eine gewisse Ähnlichkeit …
Die Geschichte wird aus mehreren Perspektiven erzählt, doch vor allem kann man die Ereignisse durch die Augen von Charles verfolgen, der nach einer vierjährigen Abwesenheit gerade erst zurück nach England gekommen ist. Vor vier Jahren hatte er das Land verlassen, um darüber hinwegzukommen, dass seine Kindheitsfreundin und Verlobte Margaret ihn kurz vor der Hochzeit verlassen hatte. Kaum wieder daheim, stolpert er über ein mysteriöses Treffen in seinem Elternhaus, bei dem eine Gruppe von maskierten Männern über den Tod eines Millionärs und über das weitere Schicksal seiner Tochter diskutieren. Zu Charles‘ großem Schrecken scheint auch Margaret in die Machenschaften dieser Männer involviert zu sein, und so beschließt er, dass er erst mehr über die Pläne dieser Bande herausfinden muss, bevor er mit seinem Wissen zur Polizei geht. Doch je mehr Charles in die ganze Geschichte verwickelt wird, desto überforderter ist er mit all den neuen Erkenntnissen – und so engagiert er Miss Silver, deren Dienste als Detektivin ihm von einem guten Freund empfohlen wurden.
Ich war ziemlich überrascht, dass Miss Silver in der Geschichte nur eine Nebenrolle spielt. Aber in dieser Rolle habe ich sie sehr gemocht. Sie ist eine kluge Frau, die in der Lage zu sein scheint, sich alle möglichen Informationen zu beschaffen. Ihr Auftreten ist dezent, und häufig bekommt man als Leser nicht erzählt, wie Miss Silver überhaupt an ihre Informationen gekommen ist. Aber mit diesen Informationslücken konnte ich gut leben, während ich verfolgte, wie Charles alles tut, um die junge Margot vor der Verbrecherbande zu beschützen, die sie um ihr Erbe – und im Zweifelsfall um die Ecke – bringen will. Auch Margaret spielt natürlich eine Rolle, und während Charles zwischen Beschützerinstinkt und Misstrauen schwankt, versucht sie, einfach nur ihr Leben auf die Reihe zu bekommen. Natürlich empfinden die beiden immer noch etwas füreinander und ebenso natürlich sorgt dies für ein paar Missverständnisse, Anschuldigungen und Momente von gegenseitiger Aufopferung. Aber das Ganze dauert nie so lange an, dass ich davon genervt wurde.
Zu Beginn fand ich die Geschichte etwas wirr, ich weiß aber nicht, ob es daran lag, dass die Autorin erst einmal den richtigen Ton für diese Kriminalgeschichte finden musste, oder daran, dass ich einfach erwartete, dass irgendwann Miss Silver eine Rolle spielen würde. Insgesamt habe ich mich aber gut unterhalten gefühlt und werde bei Gelegenheit bestimmt noch einmal zu einem Miss-Silver-Roman greifen (leider sind die regulären Preise für die eBooks relativ hoch für so dünne Bücher, aber immerhin gibt es ein paar deutsche Ausgaben in der Bibliothek). Ich mochte die verschiedenen Charaktere – sogar die schrecklich naive Margot -, ich mochte die klassische Grundidee mit der gefährdeten Erbin und dass es die eine oder andere Wendung in der Handlung gab, die mich überraschte, obwohl die Identität von Grey Mask relativ früh zu erraten war, und ich habe bekannterweise einfach eine Schwäche für Bücher, die in den 20er und 30er Jahren spielen.