Stella Gibbons: Der Sommernachtsball

„Der Sommernachtsball“ von Stella Gibbons war eine „klingt nett und Manhattan hat schon ein paar schöne ältere Titel rausgebracht“-Anschaffung. Über die Autorin habe ich mir keine Gedanken gemacht, sehr große Erwartungen hatte ich nicht, war aber anhand des Klappentextes davon ausgegangen, dass die Handlung mehr Liebesgeschichte sein würde, als sie tatsächlich ist. Erst nachdem ich das Buch beendet hatte, habe ich nach weiteren Informationen über die Autorin geschaut. Dabei habe ich dann prompt festgestellt, dass ich von Stella Gibbons schon mal was gehört habe – unter anderem auf Birthes Blog, wo sie „Cold Comfort Farm“ von der Autorin rezensiert und damit schon mein Interesse geweckt hatte. (Mein Namensgedächtnis ist auch nicht mehr das, was es mal war, wenn es um Autoren geht.)

Wenn man den Klappentext von „Der Sommernachtsball“ anschaut, dann scheint einen nichts anderes als eine Aschenputtel-Variante zu erwarten. Stattdessen bekommt man aber ein detailliertes und spitzzüngiges Abbild einer sehr begrenzten ländlichen Gesellschaft präsentiert. Dabei steht nicht allein die junge Witwe Viola Withers im Mittelpunkt des Geschehens, sondern sämtliche Mitglieder der Familie Withers, die der Familie Spring und noch ein paar andere Personen, die mit diesen Familien in Zusammenhang stehen. Die gesamte Handlung umspannt ein gutes Jahr und beginnt mit Violas Ankunft in der kleinen Ortschaft Sible Pelden.

Obwohl auch Viola aus der Gegend stammt, hat sie einige Zeit in London gelebt und bringt eindeutig einen Hauch von (billigem) Stadtflair in das Haus der Withers‘. Während ihr geiziger und kontrollsüchtiger Schwiegervater schon davon träumt, das (allerdings nicht vorhandene) Erbe seiner Schwiegertochter zu verwalten, wissen ihre Schwiegermutter und ihre beiden Schwägerinnen nicht so recht etwas mit Viola anzufangen. Die beiden Töchter der Familie sind deutlich älter als ihre junge und naive Schwägerin und haben sich mehr schlecht als recht mit der einengenden Situation daheim abgefunden.

Während Madge mit Ende Dreißig ihre Tage an der frischen Luft verbringt, sich selbst nicht eingestehen kann, dass sie ein mehr als freundschaftliches Interesse an dem (verheirateten und inzwischen im Ausland lebenden) Nachbarssohn hat, und heimlich davon träumt, dass ihr Vater ihr endlich das Halten eines Hundes erlaubt, lenkt sich die etwas jüngere Tina (35 Jahre) mit Selbsthilfebüchern von ihrem trostlosen Dasein ab. Erst mit der Hilfe von „Selenes Töchter“ (einem Buch über weibliche Psychologie) wird ihr bewusst, dass sie gern etwas mehr Zeit mit Saxon, dem (sehr viel jüngeren) neuen Chauffeur ihres Vaters verbringen würde – und sei es nur, um davon zu träumen, wie es wohl wäre, wenn auch sie einmal einen Verehrer hätte.

Auch bei den Springs ist nicht alles so harmonisch, wie es von außen wirkt. Victor Spring – der seit Jugendzeiten der heimliche Schwarm sämtlicher Mädchen der umliegenden Dörfer (und somit auch von Viola) ist – steht kurz davor, sich mit einer Jugendfreundin zu verloben. Diese Verbindung wird nicht nur von allen Seiten erwartet, auch die beiden Verlobten in spe sind sich sicher, dass dies die logische Fortführung ihrer jahrelangen Freundschaft ist, ohne sich dabei eingestehen zu können, dass sie so gar nicht zueinander passen. Auch Victors Mutter ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken an die bevorstehende Heirat, hatte sie sich doch einen ganz anderen Typ Frau für ihren Sohn vorgestellt.

Victors Cousine Hetty hingegen, die von klein auf bei den Springs lebt, träumt davon, das dekadente Leben dieser Familie hinter sich lassen zu können, um stattdessen studieren, selbstbestimmt leben und den ganzen Tag mit ihren Büchern verbringen zu können. Zu diesen Familien kommen noch die diversen Figuren, die Einfluss auf das Leben der verschiedenen Familienmitglieder haben, wie etwa Victors Verlobte, der attraktive und ehrgeizige Chauffeur der Withers‘, seine Mutter und ein aufdringlicher und ordinärer Einsiedler. Und immer wieder bekommt man auch die Perspektive dieser Personen präsentiert, so dass man diese Charaktere eigentlich genauso gut kennenlernt wie die Familien Withers und Spring.

Stella Gibbons nimmt sich viel Zeit, um dem Leser die Figuren, ihre Leben und ihre (eingestandenen und verborgenen) Träume vorzustellen. Dabei kommt es in der Handlung nur zu wenigen Höhen und Tiefen, und einige entscheidende Wendungen bekommt man als Leser gar nicht so direkt mit, weil man zeitgleich das Leben einer anderen Person verfolgt. Statt also den Leser mit großen Dramen zu fesseln, unterhält einen die Autorin vor allem mit kleinen, fast alltäglichen Szenen, die immer mal wieder liebevolle oder amüsante Momente präsentieren, aber noch viel häufiger die Kleinlichkeit, die Engstirnigkeit oder Dummheit der Personen entlarven.

Das alles führte dazu, dass ich mich zwar beim Lesen sehr über diese zwar häufig überzogenen, aber treffsicheren Beschreibungen amüsiert habe, mir die Personen aber nicht ans Herz gewachsen sind. Viola ist nett, aber ein dummes Gänschen, Madge ist auf ihre Art ebenso konservativ wie ihr Vater und nur ihre Sehnsucht nach einem Hund sorgt dafür, dass man hinter der harten Frau hier und da das einsame kleine Mädchen sehen kann, Mrs. Withers hat kein Rückgrat, auch wenn sie manchmal für ihre Töchter einsteht, Mrs. Spring ist fantasielos und ohne Einfühlungsvermögen, aber immerhin meint sie es gut, und so könnte ich immer weiter machen.

Am Ende muss ich zugeben, dass mir dieser Roman dank dieser wunderbar treffend beschriebenen kleinen Szenen zwar sehr unterhaltsame Stunden bereitet hat, dass aber zwei Wochen später nicht mehr so viel davon zurückgeblieben ist – eigentlich nur dieser vage Eindruck von „da waren eine Menge seltsamer Leute mit seltsamen Problemen, und am Schluss ist doch irgendwie (fast) alles gut geworden“.

5 Kommentare

  1. Während ich so Deine Besprechung las – die ländliche Situation, das Beschreiben der "kleineren" Dramen -, musste ich unwillkürlich an Jane Austen denken. Grundsätzlich klingt das Buch auch interessant. Hm, denkst Du, die Autorin hätte sich besser auf ein paar Charaktere weniger beschränken sollen?

  2. Lustigerweise hat eine Rezensentin bei Amazon das Buch mit Jane Austen und "Downton Abbey" in Verbindung gebracht – letzteres schiebe ich auf die Tochter-des-Hauses-und-Chauffeur-Verbindung. Ich glaube nicht, dass es an der Anzahl der Personen liegt, sondern an der Zeit (sehr schön dargestellt, aber die Standes"dramen" sind dank der ganzen Umwälzungen eigentlich kaum noch welche) und daran, dass sich die Autorin zum Teil in Kleinigkeiten verliert. Das hat sich sehr gut lesen lassen, ich habe mich durchgehend gut amüsiert und immer noch einen Absatz gelesen, weil ich wissen wollte wie es weitergeht, aber das bleibt nicht so in der Erinnerung haften. Ich kann das Buch ja mal für dich zur Seite legen, damit du reingucken kannst. 😉

  3. Ich habe es bei Skoobe gesehen und auf meine Merkliste gesetzt, sodass ich dort mal hineinlesen kann. Aber danke für Dein Angebot! 🙂

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