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Alex Grecian: The Yard (Scotland Yard’s Murder Squad Series 1)

Vor einem Jahr habe ich mit „The Harvest Man“ einen Wühltischfund gelesen, der mir so gut gefallen hatte, dass ich auch die weiteren Bände der „Scotland Yard’s Murder Squad Series“ lesen wollte. Da „The Yard“ der erste Teil der Reihe ist, fiel es mir dieses Mal deutlich leichter, die verschiedenen Figuren zuzuordnen und mich auf die Geschichte einzulassen, obwohl die Handlung selbst sich unter anderem um die Entführung und die Misshandlung von Kindern dreht, was nicht gerade mein bevorzugtes Krimithema ist. Doch zu Beginn der Geschichte wird erst einmal der Leichnam eines ermordeten Polizisten gefunden. Inspector Little war Teil der – nach den Ereignissen rund um Jack the Ripper – neu eingerichteten „Murder Squad“ und wurde mit einem spitzen Gegenstand erstochen. Besonders erschreckend für seine Kollegen ist die Tatsache, dass der Mörder die Augen und den Mund des Getöteten zugenäht hat.

Mit den Ermittlungen wird Detective Inspector Walter Day beauftragt. Er ist das neuste Mitglied der „Murder Squad“ und gerade erst mit seiner Frau Claire nach London gezogen, und so bekommt man als Leser einiges über ihn und sein Privatleben mit. Neben seiner Perspektive kann man auch noch die von Constable Nevil Hammersmith und die des Mörders verfolgen, wobei es auch immer wieder kleine Szenen gibt, in denen man die Tätigkeiten anderer Personen mitbekommt. So entsteht für den Leser ein Gesamtbild, das den ermittelnden Polizisten fehlt, was die Spannung aber nicht mildert. Denn es geht in den Romanen von Alex Grecian weniger darum herauszufinden, wer etwas getan hat, als darum warum etwas getan wurde und wie der Verbrecher doch noch gefunden und überführt werden kann.

Alex Grecian beweist bei „The Yard“ ein Händchen für die verschiedenen Charaktere und ich mochte es sehr, wie er glaubwürdige – und zum Großteil sympathische – Figuren erschafft. Gerade unter den Polizisten gibt es viele verschiedene Typen, die alle ihre eigene Art haben, um mit ihrer endlosen und frustrierenden Arbeit fertig zu werden. In meiner Rezension zu „The Harvest Man“ hatte ich angemerkt, dass mich der Roman ein wenig an Anne Perry erinnerte, aber eigentlich finde ich die Geschichten von Alex Grecian deutlich besser. Der Autor erschafft ein deutlich vielfältigeres Bild von London im Jahr 1889, als es Anne Perry in den von mir gelesenen Büchern getan hat, und führt den Leser nicht nur durch die diversen gesellschaftlichen Schichten (wobei man es eher wenig mit den vermögenderen Teilen der Londoner Bevölkerung zu tun bekommt), sondern vermittelt mir das Gefühl, dass seine Figuren den angemessenen Wissensstand für diese Zeit haben und auch dementsprechend denken und handeln.

So viel Spaß mir das Lesen von „The Yard“ gemacht hat, so gibt es eine Sache, die mir bei den Romanen von Alex Grecian wirklich fehlt, und das ist ein Nachwort, in dem der Autor etwas über seine Recherche schreibt. Ich würde gern wissen, wieso er bestimmte Ermittlungsmethoden erwähnt hat (wenn auch nur als spinnerte Idee des „Polizeiarztes“ Dr. Kinsley) oder welche Quellen er herangezogen hat, um über bestimmte Aspekte des Lebens in London im Jahr 1889 zu recherchieren. Und ich würde wirklich gern wissen, ob die Monate nach den Jack-the-Ripper-Morden für die Polizei so schwierig waren wie in dieser Geschichte beschrieben. Ich mag es einfach, wenn mir ein Autor am Ende eines guten historischen Romans erzählt, wo er sich vielleicht Freiheiten genommen hat und was ich als historisch korrekte Darstellung ansehen darf. Gerade wenn es um die Weiterentwicklung der Polizeiarbeit geht, gibt es doch eine Menge Dinge, die für uns heute selbstverständlich sind, die aber vor gut hundert Jahren noch absolutes Neuland waren und nicht ernst genommen wurden. Außerdem sind solche informativen Anhänge für mich auch immer wieder eine gute Quelle, um interessante Sachbücher für die Merkliste zu finden. So musste ich mich erst einmal damit begnügen, den zweiten Teil der Reihe auf die Liste zu setzen, weil ich auf jeden Fall wissen will, wie es mit Inspector Day und seinen Kollegen weitergeht.

Alex Grecian: The Harvest Man (Scotland Yard’s Murder Squad Series 4)

Da ich gerade definitiv ein Händchen bei der Auswahl neuer „Testromane“ habe, habe ich auch bei der „Scotland Yard’s Murder Squad“-Serie von Alex Grecian den vierten Band erwischt. Das Buch war ein Wühltischfund und da mich der Klappentext sehr neugierig gemacht hatte, bin ich das Risiko eingegangen, auch wenn ich die vorhergehenden drei Teile nicht kenne. Die Geschichte spielt im Frühling 1890 und die Handlung wird rund um die Ermittlungen gegen einen Serienmörder gesponnen. „The Harvest Man“ – benannt nach der englischen Bezeichnung für Weberknecht – schleicht sich tagsüber in die Häuser seiner Opfer und versteckt sich auf dem Dachboden, bis sie abends eingeschlafen sind. Dann betäubt er sie mit Äther, verstümmelt und tötet sie. Dabei fällt auf, dass seine Opfer immer Ehepaare sind, und obwohl er auch alle weiteren Bewohner des jeweiligen Haushaltes tötet, scheinen ihm diese anderen Toten nicht wichtig zu sein.

Ich mochte die Erzählweise von Alex Grecian und die Art und Weise, wie das Leben um 1890 in London beschrieben wurde (auch wenn ich mich stellenweise fragte, ob zum Beispiel die Größe der Häuser wirklich realistisch ist), aber ich muss zugeben, dass ich bei diesem Roman große Anfangsschwierigkeiten hatte. Es gibt häufige Änderungen in der Perspektive und eine Menge „Personal“, das ich nicht richtig einordnen konnte, weil ich die ersten drei Bände nicht kannte. Zwar erklärt der Autor viel zu den jeweiligen Figuren (und ich fürchte, dass ich einige Aspekte der vorhergehenden Bücher deshalb vielleicht nicht genießen können werde, weil ich schon gespoilert wurde), aber das reicht natürlich nicht, um ein wirkliches Gefühl für komplexere zwischenmenschliche Verhältnisse zu bekommen.

Trotzdem sind mir die Charaktere im Laufe der Zeit ans Herz gewachsen. Inspektor Walter Day und sein ehemaliger Kollege Nevil Hammersmith haben in der Vergangenheit einiges durchgemacht und sind nun körperlich und seelisch versehrt. Trotzdem versuchen sie beide, weiter Polizeiarbeit zu leisten, unabhängig davon, ob ihnen das körperlich oder rechtlich überhaupt noch möglich ist. Inspektor Day konzentriert sich dabei auf seine „Beratertätigkeit“ bei der Suche nach dem Harvest Man, während Hammersmith mit „unredlicher“ Unterstützung nach Jack the Ripper fahndet, der für den schlechten Zustand der beiden Polizisten verantwortlich ist. Ich muss gestehen, dass ich es inzwischen etwas ermüdend finde, wenn ein Autor schon wieder Jack the Ripper aufgreift. Aber da Alex Grecian das Jack-the-Ripper-Motiv zwar als roten Faden benutzt, aber sich die Ermittlungen in diesem Band auf den neuen Serienmörder konzentrieren, konnte ich hier damit ganz gut leben.

Je sympathischer ich die Figuren fand, je besser mein Gefühl für ihre jeweiligen Persönlichkeiten wurde, desto mehr Luft hatte ich auch, mich auf die verschiedenen Ermittlungen und Erzählebenen zu konzentrieren. So wurde die Geschichte nach dem (für mich) etwas anstrengenden Anfang wirklich spannend und mitreißend. Außerdem macht mich der Cliffhanger am Ende des Romans ganz kirre, weil ich nun entscheiden muss, ob ich die Serie irgendwann von vorn anfange und mich dann bis zu diesem Punkt lese oder ob ich einfach mit Band 5 weitermache, um herauszufinden, wie es mit Inspektor Day und all den anderen Personen weitergeht. Denn dass ich die Serie weiterlese, steht für mich fest. Ich habe mich nach langer Zeit endlich mal wieder mit einem historischen Kriminalroman richtig gut unterhalten gefühlt und freue mich deshalb sehr über meine Zufallsentdeckung.

Noch eine Anmerkung: Ein bisschen erinnert mich die Serie an die „Charlotte und Thomas Pitt“-Bücher von Anne Perry. Aber die Reihe hatte ich nach ein paar Jahren abgebrochen, weil ich das Gefühl hatte, die Autorin würde immer die gleiche Geschichte schreiben, ihre Morde immer in der gleichen Gesellschaft verankern und das Ganze zu steril angehen. Bei „The Harvest Man“ gibt es eine gute Mischung aus „gehobener Gesellschaft“ und „weniger ehrbaren Bürgern“, und ich mochte die stellenweise schon fast an Dickens erinnernde Atmosphäre in den weniger schönen Ecken Londons ebenso wie die Heimeligkeit eines gepflegten Hauses oder die aufkommende Bürokratie bei Scotland Yard.