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Anke Dörrzapf und Claudia Lieb: Marco Polos wunderbare Reisen

Nachdem ich gerade nicht so glücklich mit einem Roman war, der zum Teil in Tibet und China spielte und auch Bezug auf Marco Polo nahm, habe ich mir gedacht, ich sollte mich mal auf angenehme Weise mit dieser Region beschäftigen. Da passte es doch ganz gut, dass ich auch noch ein Buch für meine Sachbuch-Challenge lesen musste und dass „Marco Polos wunderbare Reisen“ nicht ganz so umfangreich ist und somit stressfrei bis zum Jahresende bewältigt werden konnte. Geschrieben wurden die Texte von Anke Dörrzapf und die Illustrationen stammen aus der Feder von Claudia Lieb. Das Ganze ist ein Sachbuch für Kinder, was sich auch in der verwendeten Sprache niederschlägt. Trotzdem ist das Buch auch gut für Erwachsene zu lesen. Man merkt, dass es als „Familien(vorlese)buch“ geschrieben wurde.

Zu Beginn begegnet man Marco Polo im Gefängnis von Genua, wo er nach einer verlorenen Schlacht zwischen Venedig und Genua gelandet ist. Dort trifft er auf den Autor Rustichello, der schon seit 16 Jahren in diesem Gefängnis eingesperrt ist und der Marco Polo nach seinen Abenteuern fragt. So kommt es, dass der Reisende dem Mitgefangenen seine Geschichte erzählt – beginnend bei seiner Kindheit und der Tatsache, dass er seinen Vater erst kennenlernte, als er schon 15 Jahre alt war. Denn dieser war in den vergangenen Jahren gemeinsam mit Marcos Onkel durch den Osten gereist und hatte nicht nur viele Länder entdeckt, die nur von wenigen venezianischen Händler bereist wurden, sondern hatte auch die Bekanntschaft des Kublai Khan gemacht.

Natürlich bekommt man als Leser Marco Polos Reise nach China nur in ausgewählten Szenen erzählt, aber ich fand den Text stimmungsvoll und faszinierend. Mal wird von den seekranken Reisenden bei der Abreise aus Venedig erzählt, mal von den Gefahren in der Wüste oder den ganzen fremdartigen Eindrücken, die der venezianische Teenager (Marco Polo war zu Beginn der Reise, die er mit seinem Vater und seinem Onkel unternahm, gerade mal 17 Jahre alt) aufnimmt. Und wie es sich für reisende Händler gehört, dreht sich auch ein Teil der Texte um die Bemühungen des Vaters und des Onkels, sich einen Überblick über die jeweiligen örtlichen Preise zu verschaffen oder günstig an Kostbarkeiten zu gelangen, die sich in die Kleidung einnähen lassen. Auch von Räubern und Politik ist die Rede, denn beide Elementen haben natürlich einen großen Einfluss auf den Verlauf der Reise.

Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit der Zeit, die Marco Polo für Kublai Khan gearbeitet hat, in dessen Auftrag er dann ganz China bereiste. Abschließend wird noch erklärt, aus welchen Gründen wohl das Gerücht aufkam, dass Marco Polo diese lange Zeit im Osten gar nicht erlebt habe. So gibt es in seinen Reisebeschreibungen keine Erwähnung der Chinesischen Mauer oder anderer Elemente, die andere (touristische) Reisende als bemerkenswert erwähnt haben. Die Autorin hingegen betont, dass Marco Polos Bericht wie ein Ratgeber für Kaufleute geschrieben wurde. So zählt er auf, in welchen Ländern welche Produkte verkauft werden und wie man vor Ort Handel betreibt. Außerdem wird betont, dass Marco Polos Originalschrift schon lange verschollen ist und dass jeder, der das Buch übersetzt oder kopiert hat, Passagen auslassen oder ausschmücken konnte.

Ergänzt werden die Passagen um Marco Polos Reise durch kleine informative Einschübe, die im Text verwendete Begriffe oder andere Details näher erklären. Das alles ist kindgerecht gehalten, unterhaltsam und stört den Lesefluss nicht, wenn man sich erst einmal nur auf die Erlebnisse des Reisenden konzentrieren möchte. Außerdem ist jede Seite reichlich bebildert – viele Darstellungen nehmen die Hälfte des vorhandenen Platzes ein – und mir haben die Illustrationen gut gefallen. Dezente Farben, reduzierte, stellenweise recht grafische Formen und sehr atmosphärische Darstellungen zeigen Szenen, Landschaften und Orte, wie sie Marco Polo auf seinen Reisen gesehen haben könnte. Besonders stimmungsvoll fand ich zum Beispiel eine Doppelseite, bei der die obere Hälfte nur einen Gebirgszug in verschiedenen Blau- und Violetttönen zeigte, was einfach toll aussah.

Ich fand es wirklich angenehm, in den letzten Tagen abends das Buch zur Hand zu nehmen, die Bilder zu betrachten und ein paar Passagen über Marco Polos Reisen zu lesen. Das Buch ist zu dünn, um wirklich ausführlich auf die Reisen des Venezianers einzugehen, aber ich hatte das Gefühl, ich bekäme einen guten Überblick und interessante Informationen vermittelt. Zudem hat mich der Text immer wieder dazu veranlasst, innezuhalten und mir zu überlegen, wie es wohl für diesen Mann gewesen sein muss, von Jugend an immer auf Reisen zu sein, ständig neue Eindrücke zu gewinnen und – trotz der langen Zeit im Dienst des Khans – kein Zuhause zu haben.