Schlagwort: China

Katie & Kevin Tsang: Dragon Mountain (Dragon Realm 1)

Über „Dragon Mountain“, den ersten Band der Dragon-Realm-Reihe von Katie und Kevin Tsang, bin ich im vergangenen Jahr zufällig gestolpert und fand, dass sich der Klappentext nett anhört. Die Geschichte wird aus der Sicht des zwölfjährigen Billy Chan erzählt, der eigentlich davon geträumt hatte, den Sommer gemeinsam mit seinen Freunden surfend am Strand von Kalifornien zu verbringen. Stattdessen findet er sich in einem Sommercamp inmitten unwegsamer Berge in China wieder, weil seine Eltern meinten, dass dies eine einzigartige Chance sei, damit Billy seine Mandarin-Kenntnisse verbessern kann. Sehr begeistert ist er also nicht von der Aussicht, seinen Sommer im „Camp Dragon“ zu verbringen, aber immerhin lernt er schon während der Anreise andere Kinder kennen, mit denen er sich gut versteht. Als Billy dann noch während einer Gruppenaufgabe gemeinsam mit Dylan, Ling-Fei und Charlotte über eine verborgene Kammer in den Bergen stolpert, in der sie Drachen finden, beginnt für die vier Kinder ein fantastisches Abenteuer.

Zusammen mit den Drachen müssen sie gegen ein unvorstellbar böses Wesen kämpfen, das sowohl die Welt der Drachen als auch die Welt der Menschen bedroht. Dabei ist der Zusammenhalt zwischen den neu gefundenen Freunden ebenso wichtig wie die magischen Fähigkeiten, die ihnen ihre Verbindung mit den Drachen verleiht. Viel mehr kann ich eigentlich zum Inhalt von „Dragon Mountain“ nicht verraten, wenn ich nicht zu viel der Handlung spoilern will. Katie und Kevin Tsang erzählen diese Geschichte recht geradlinig, es gibt nur wenige Wendungen (und die, die es gibt, fand ich recht vorhersehbar) und es fühlt sich an, als ob Billy und seine Freunde die ganze Zeit nur von einem Punkt zum nächsten geschickt werden, bis es am Ende zu einer größeren Auseinandersetzung mit ihrem Gegner kommt. Und während ich sonst sagen würde, dass das Alter der Protagonisten auch grob dem Alter der anvisierten Zielgruppe entspricht, scheint mir diese Geschichte auch für ein deutlich jüngeres Publikum (ab 8 Jahren) geeignet zu sein.

Was ich an dem Roman sehr mochte und was dafür gesorgt hat, dass ich ihn innerhalb von zwei Tagen gelesen habe, waren die Charaktere. Billy, Dylan, Ling-Fei und Charlotte haben alle vier ihre Stärken und Schwächen. Und während zum Beispiel Dylan in all seiner Ängstlichkeit schnell lächerlich oder Charlotte mit ihrer bestimmenden Art schnell unsympathisch wirken könnte, gelingt es Katie und Kevin Tsang, sie so darzustellen, dass sie trotz (oder gerade wegen) dieser Eigenheiten liebenswert wirken. Auch gefiel mir die Haltung, mit der alle vier Kinder sich durch die gesamte Geschichte bewegen. So ist Billy wirklich nicht begeistert von der Aussicht, seinen Sommer in diesem Camp zu verbringen, aber nachdem er schon mal da ist und seinen ersten Unmut überwunden hat, versucht er, das Beste aus der ganzen Situation zu machen. Dylan hingegen hat die ganze Zeit Angst und verhehlt nicht, dass er diese ganzen Herausforderungen lieber aussitzen und stattdessen gemütlich in seinem Bett zuhause rumgammeln würde. Aber ihm ist auch bewusst, wie wichtig der Kampf gegen ihren Gegner ist und dass es nicht hilfreich wäre, wenn er nichts tun würde, also gibt er sein Bestes und unterstützt seine Freunde und die Drachen, so gut er kann.

Es ist selten der Fall, dass ich bei einem fantastischen Kinderbuch die Charaktere lieber mag als die Grundidee oder die eigentlich Handlung mit all ihren ungewöhnlichen Elementen, aber bei „Dragon Mountain“ war das definitiv so. Die Geschichte selbst war nett, aber nicht so packend oder ungewöhnlich, dass ich dafür hätte weiterlesen müssen. Billy, Dylan, Charlotte und Ling-Fei hingegen hatte ich schnell ins Herz geschlossen und mochte es sehr, wie sie dargestellt wurden und wie sie sich gemeinsam all den Herausforderungen stellten, die auf sie warteten. Trotzdem hätte ich bis wenige Seiten vor Ende des Buches gesagt, dass ich keine Fortsetzung der Reihe lesen werde, weil die Handlung für mich persönlich doch ein wenig zu einfach und geradlinig erzählt wird ( – wäre „Dragon Mountain“ ein Videospiel, würde ich sagen, dass mir die Side-Quests fehlen 😉 ). Aber dann gab es kurz vor Schluss noch einen Cliffhanger, der dafür sorgt, dass ich mich nun frage, was wohl aus einer der Figuren wird und wie sich ihre Geschichte wohl im nächsten Band entwickelt. Ich bin also noch etwas unentschlossen, ob ich der Reihe eine weitere Chance geben soll oder nicht.

Erika Fatland: Hoch oben – Eine Reise durch den Himalaya

Mein erstes Sachbuch des Jahres war „Hoch oben – Eine Reise durch den Himalaya“ von Erika Fatland. Was ich an der Autorin wirklich mag, ist, dass sie nicht nur unterhaltsam und gut verständlich schreibt und dabei unglaublich viele Informationen in ihre Texte packt, sondern sie reist auch in Gebiete, deren Geschichte ich in der Regel nicht sehr gut kenne. Wobei ich zugeben muss, dass ich zum Beispiel über Indien und Pakistan – dank diverser britischer und indischer Romane, die ich vor einigen Jahren gelesen habe – deutlich mehr wusste als über die -stan-Länder aus „Sowjetistan“ oder die meisten Grenzländer Russlands. So konnte ich beim Lesen viele kleine Wissensinseln (neu) miteinander verknüpfen und habe eine Menge neuer Informationen erfahren und einen relativ aktuellen Eindruck von der Situation in den Orten, die die Autorin bereist hat, bekommen. Daneben gibt es so viele kleine Szenen mit Einheimischen oder anderen Reisenden, die (oft genug) ohne zu werten erzählt werden, was es einem ermöglicht, sich seine eigenen Gedanken zu den wiedergegebenen Dialogen und Meinungen zu machen.

In „Hoch oben“ bereist Erika Fatland den Himalaya – so gut das eben bei einem Gebirge geht, bei dem weder Anfang noch Ende genau definiert sind, und das sich durch einige Länder zieht, bei denen die Einreise für Ausländer ein schwieriges Unterfangen ist. So beginnt die Autorin ihre Reise auch in Pakistan statt in Indien, da die indischen Behörden den Visumprozess so hingezogen hatten, dass daran die gesamte mehrmonatige erste Etappe hätte scheitern können. Insgesamt besuchte Erika Fatland von Juli bis Dezember 2018 (von China ausgehend) Pakistan, verschiedene Gebiete in Indien (inklusive Jammu und Kashmir) und Bhutan, und von April bis Juli 2019 bereiste sie Nepal und China (genauer gesagt Tibet und Yunnan). Ich muss gestehen, dass ich besonders den Anfang und das Ende ihrer Reise sehr bedrückend fand, denn gerade in den Grenzgebieten Chinas wird sehr anschaulich, wie sehr die chinesische Regierung mit all ihren Regeln, Gesetzen und Kontrollsystemen die Menschen unterdrückt.

Dabei finde ich – als relativ unbeteiligte Leserin – die Veränderungen, die die Autorin beobachtet, häufig besonders faszinierend. So weiß ich natürlich von der Situation der Uiguren in China, aber es ist einfach ein Unterschied, davon zu hören, dass die Uiguren verfolgt werden (und zu beobachten, dass die Zahl uigurischer Restaurants in Deutschland in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist), oder zu lesen, dass Erika Fatland 2015 in Xinjiang sah, dass Frauen mit Kopftüchern, Männer mit langen Bärten und der Ruf des Muezzins zum Alltagsbild gehörten, während gerade mal drei Jahre später in Kaschgar (trotz einer berühmten Moschee und einem immer noch sehr großem uigurischen Bevölkerungsanteil) keine einzige Person zu sehen war, die sichtbar dem islamischen Glauben angehörte. Oder wenn die Auswirkungen des Klimawandels bei einem Gespräch deutlich werden, da ihr ein Bergführer erzählt, dass dort, wo jetzt ein kleiner See zu sehen ist, während seiner Kindheit ein Eisgletscher war und dass er vor drei Jahren noch die Touristen auf diesen Gletscher führen konnte. Ich habe bislang nie darüber nachgedacht, wie unfassbar viel Wasser die Gletscher im Karakorum, Himalaya und Hindukusch beinhalteten und wie schnell sie in den letzten Jahren geschmolzen sind. Denn auch wenn mir natürlich klar ist, welche Veränderungen durch den Klimawandel mit den Gletschern vor sich gehen, ist diese katastrophale Entwicklung doch viel besser zu begreifen, wenn mir dabei vor Augen geführt wird, wie viele Millionen Menschen und welche Großstädte von diesem Gletscherwasser abhängig sind.

So erschreckend solche Beobachtungen und Informationen sind, so spannend finde ich es, sie zu lesen, und einzig die Dichte an Daten und Erlebnissen sorgte dafür, dass ich nicht versucht war, das gesamte Buch meinem Mann vorzulesen, obwohl ich ihm sonst gern erzähle, was ich gerade wieder Neues gelernt habe. Da gibt es all die kleinen Länder und Königreiche, die inzwischen zu einem großen Land gehören und doch weiterhin versuchen, eine eigene Identität aufrechtzuerhalten. So sehr ich sonst gespannt all die Informationen über das Leben der gewöhnlichen Menschen verfolge, so glaube ich doch, dass ich von „Hoch oben“ vor allem die Personen in Erinnerung behalten werde, die eine besondere Stellung einnehmen oder einnahmen. Erika Fatland ist meinem Gefühl nach erstaunlich vielen (ehemaligen) Prinzen, Prinzessinnen und Königen begegnet und bei den meisten bekam ich den Eindruck, dass sie ganz froh waren, dass sie diese Last nicht zu heutigen Zeiten tragen müssen, während andere – obwohl es keine offizielle Verpflichtung dazu gab – alles versuchen, um das Leben ihrer Nachbarn zu verbessern. Ich fand es spannend, von den Frauen zu lesen, die in Kindheitstagen als Göttinnen verehrt wurden, nur um dann als Teenager vollkommen unvorbereitet zurück in ein „normales“ Leben gehen zu müssen, und natürlich von all den Mönchen, Schamanen und ähnlichen religiösen Personen und von ihrem Einfluss auf das Leben der Menschen in ihrer Gegend.

Wie immer nach dem Lesen eines der Bücher von Erika Fatland bin ich auch Tag später immer noch erfüllt von all den aufgenommenden Informationen und Eindrücken und würde hier am liebsten ganz viel erzählen. Es gibt so viel Amüsantes, so viel Spannendes und Bedrückendes in „Hoch oben“ zu entdecken, und der Autorin gelingt es, all das Erlebte und Gesehene so zu erzählen, dass es sich – trotz all der ergänzenden Informationen zu Politik und Geschichte einer Region – wirklich flüssig lesen lässt. Wenn ihr also gern einmal mehr Informationen zu den Ländern, durch die sich der Himalaya zieht, haben möchtet, wenn ihr wissen wollte, wie es im Basiscamp des Mount Everest ausschaut, oder wenn ihr einen Blick auf das Leben in Bhutan werfen und euch trotz diverser erschütternder Elemente gut unterhalten fühlen möchtet, kann ich euch „Hoch oben“ nur sehr empfehlen. Erika Fatland hat mich mit „Hoch oben“ genauso überzeugen können wie mit ihren vorhergehenden beiden Bücher – und ich bin sehr gespannt, wohin es sie als Nächstes verschlagen wird.

Cindy Pon: Serpentine

„Serpentine“ von Cindy Pon liegt schon ein paar Jahre auf meinem SuB, nachdem ich den Roman damals nach einem kurzen Anlesen erst einmal zur Seite gelegt hatte, weil ich nicht in der richtigen Stimmung dafür war. Da ich in den letzten Tagen große Lust auf ein asiatisches Setting hatte (vermutlich ist mein Mann mit seiner „Rebellen vom Liang Shan Po“-BluRay Schuld daran), habe ich endlich „Serpentine“ aus dem Regal gezupft und fast in einem Rutsch durchgelesen. Die Geschichte wird erzählt aus der Sicht der sechzehnjährigen Skybright, die, solange sie denken kann, als Kammerzofe für die gleichaltrige Zhen Ni arbeitet. Genau genommen sind Zhen Ni und Skybright zusammen aufgewachsen, nachdem eine Dienerin kurz vor Zhen Nis Geburt ein neugeborenes ausgesetztes Mädchen fand. Doch so sehr Zhen Ni immer betont, dass sie in ihrer Dienerin eine Schwester sieht, so sehr ist Skybright doch bewusst, dass ihre Stellung deutlich niedriger ist und dass sie ihr Leben lang abhängig von Zhen Ni sein wird.

Beide Mädchen gehen davon aus, dass sie wissen, was die Zukunft für sie bereithalten wird. Zhen Ni wird – wenn sie denn endlich ihre Periode bekommt – an einen reichen und einflussreichen Mann verheiratet, während Skybright Zhen Ni nach der Hochzeit in den neuen Haushalt folgen und weiterhin ihren Pflichten als Zofe und getreue Freundin nachgehen wird. Keine von beiden kann sich vorstellen, dass ihre Beziehung einmal weniger eng sein könnte als in all den Jahren des Heranwachsens, und doch gibt es in dem Sommer, in dem der Roman spielt, Ereignisse, die dafür sorgen, dass die Mädchen Geheimnisse voreinander haben. Vor allem Skybright ist sich sicher, dass sie die Tatsache, dass sie sich auf einmal in der Nacht zur Hälfte in eine Schlange verwandelt, niemals jemandem preisgeben darf, wenn sie nicht von den Menschen, die ihr nahestehen, als Dämon gejagt werden will. Und auch ihre Gefühle für den im benachbarten Kloster aufgewachsenen siebzehnjährigen Kai Sen verbirgt Skybright lieber vor ihrer Herrin.

Mir haben an „Serpentine“ wirklich sehr viele Aspekte gefallen, angefangen von der Darstellung dieses fantastischen historischen Chinas über die fantastischen (und stellenweise sehr beängstigenden) Wesen und die Charaktere, die sich beim Lesen realistisch und stimmig anfühlten, bis hin zu den Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren. Ich mochte Skybright als Erzählerin sehr, gerade weil sie so pragmatisch mit ihrer Situation umgeht. Ihr ist bewusst, dass es recht wenig zählt, wenn ihre Herrin sie als Schwester bezeichnet, da doch ihr ganzes Leben auf dem Wohlwollen von Zhen Nis Familie aufgebaut wurde und sich jederzeit ihre Situation ändern könnte, wenn Zhen Nis Eltern das so entscheiden sollten. Trotz dieser ungleichen Ausgangssituation hegt Skybright für Zhen Ni ehrliche freundschaftlich-schwesterliche Gefühle (und reagiert eifersüchtig, als ein anderes Mädchen im Leben ihrer Herrin eine wichtige Position einnimmt). Auch mit ihrer nächtlichen Verwandlung versucht das Mädchen pragmatisch umzugehen und testet nach der ersten Panik systematisch die Möglichkeiten, die ihre neue Gestalt ihr bietet, während sie gleichzeitig versucht, in den Legenden mehr über „Schlangenwesen“ herauszufinden.

Natürlich ist Sykbrights Verwandlung nicht das einzige fantastische Element in der Geschichte, sie ist nur für den Leser ein erstes Anzeichen dafür, dass das Tor zur Unterwelt sich geöffnet hat und Geister und Dämonen die Welt der Menschen betreten haben. Im Laufe der Geschichte wird Skybright durch ihre neuen Fähigkeiten, ihre Freundschaft zu Kai Sen und ihr Bedürfnis, den jungen Mann vor den Ungeheuern zu beschützen, die er als Teil der Klostergemeinschaft bekämpfen muss, in einen uralten Kampf zwischen Menschen und Dämonen hineingezogen. Viele dieser Elemente wurden von Cindy Pon nur relativ kurz angerissen, denn es geht in der Geschichte weniger um diese Auseinandersetzung mit den Dämonen als um Skybrights Suche nach ihrer eigenen Identität und um ihre Beziehungen zu Zhen Ni und Kai Sen. Da am Ende von „Serpentine“ noch einige Fragen offen sind und ich Skybrights Welt nur ungern verlassen habe, werde ich auf jeden Fall auch noch zu „Sacrifice“, dem zweiten Serpentine-Band, greifen.

Xinran: Wolkentöchter

„Wolkentöchter“ von Xinran liegt schon sehr, sehr lange auf dem SuB, weil das ein Buch ist, für das ich die richtige Stimmung benötige. Genauer gesagt lag dieses Buch immer wieder auf dem SuB, da es aus einzelnen Geschichten besteht, die davon erzählen, wie in China mit den ungewollten Mädchen umgegangen wurde und wie es den Müttern erging, die ihre Töchter nicht behalten durften. So habe ich das Buch in sehr kleinen Häppchen gelesen und immer wieder aus der Hand gelegt, wenn mir das Thema zu viel wurde. obwohl die Geschichten in einem sachlichen Ton geschrieben wurde, der einen gewissen Abstand zum Beschriebenen erzeugt. Trotzdem empfand ich das Lesen als sehr belastend, weil ich mir bei jeder Geschichte, bei jedem Erlebnis, von dem Xinran erzählte, vorstellte, wie viele Frauen und Säuglinge von den gleichen Bedingungen betroffen waren und wie viel Leid und Tod die Ein-Kind-Politik der chinesischen Regierung (und das seit Jahrhunderten bestehende traditionelle Denken und Wirtschaften im ländlichen China) verursacht hat.

Die Autorin Xinran ist in China geboren und hat in den 80er und 90er Jahren in Nanjing als Radiomoderatorin gearbeitet. Während dieser Tätigkeit hat sie versucht, den Frauen eine Stimme zu geben, die keine Mütter sein durften, weil sie nur eine Tochter zur Welt gebracht haben, oder den Mädchen, die aufgrund ihres Geschlechts eine Schande für die Familie waren. Dieses Unterfangen war aufgrund der Parteipolitik nicht ganz einfach und so bekommt man auch in „Wolkentöchter“ immer wieder Momente mit, in denen Xinran nicht weiter nachfragen durfte, weil sie damit entweder gegen politische Vorgaben oder gegen die „Gebräuche“ der verschiedenen chinesischen Regionen verstoßen hätte. Seit 1997 lebt Xinran mit ihrer Familie in Großbritannien und schreibt über das Leben chinesischer Frauen während und nach der Kulturrevolution. Wobei ich den Eindruck habe, dass sie sich in „Wolkentöchter“ vor allem auf die beiden Jahrzehnte vor der Jahrtausendwende beschränkt, in denen sie als Reporterin in China unterwegs war. Aktuellere Entwicklungen werden erst in den letzten Kapiteln erwähnt bzw. in den Anhängen, in denen es zum Beispiel um die Gesetzeslage rund um Familienplanung und Adoption im Jahr 2002 geht.

Jedes Kapitel enthält ein Erlebnis, das Xinran entweder selbst hatte oder das ihr von der betroffenen Person erzählt wurde. Dabei wird deutlich, dass die Autorin selbst anfangs sehr unwissend und naiv an viele Themen herangegangen ist, weil sie als Städterin nun einmal ganz andere Lebenserfahrungen gemacht hatte als eine Frau, die in großer Armut auf dem Land lebte. So schien es in der Stadt nicht so schlimm gewesen zu sein, wenn man eine Tochter auf die Welt brachte, während dieses Schicksal für eine Frau auf dem Land nicht nur bewies, dass sie wertlos war, sondern auch bedeutete, dass die Familie hungern musste. Oder man musste eben eine andere Lösung finden, um mit dem ungewollten weiblichen Säugling umzugehen, wie Xinran bei einer Reise zu ihrem großen Entsetzen feststellen musste. Es ist schon schlimm, wenn man während des Lesens von „Wolkentöchtern“ über jeden Bericht froh ist, in dem die Eltern sich des ungewollten Mädchens nicht „entledigen“, sondern den Säugling aussetzen oder anonym zur Adoption freigeben. Dabei ist natürlich ungewiss, welches Schicksal auf die ausgesetzten Mädchen wartet und ob sie überhaupt jemanden finden würden, der sich ihrer annehmen und sie vor dem Tod bewahren würde. Aber so gab es für die Kinder wenigstens noch die Hoffnung auf ein Leben.

Dabei kann man die Eltern in einem gewissen Grad sogar verstehen, wenn sie alles taten, damit ihr „einziges“ Kind ein Sohn wird. Denn nur für einen Sohn bekamen sie Land und Getreiderationen zugeteilt, während ein Mädchen keine zusätzliche Versorgung von Regierungsseite bedeutete – und trotzdem Bedarf an Nahrung und Kleidung hatte. Doch natürlich war es für die Eltern – und hier konzentriert sich Xinran vor allem auf die Mütter – nicht leicht, ihre Kinder zu verstoßen oder gar zu töten. Egal, wie sehr das Regime versucht hat, die Menschen in China zu emotionslosen funktionierenden Wesen zu machen, so sind viele von ihnen doch auch Eltern, die Gefühle für ihre Kinder haben und denen einen Kindstötung nicht leicht fällt, selbst wenn die Dorfgemeinschaft und die Familie Druck ausüben und man weiß, dass man ein Mädchen nicht ernähren kann, ohne den Rest der Familie damit zum Hungern zu verurteilen.

So ist es beim Lesen auch immer wieder die Vorstellung von so einem unmenschlichen Regime, die mich fast mehr erschüttert als die einzelnen Schicksale. Wobei ich betonen muss, dass die Unmenschlichkeit sich nicht auf die vergangenen Jahrzehnte beschränkt, sondern – gerade gegenüber der ländlichen Bevölkerung – schon seit Jahrtausenden üblich ist. Eine Regierung, die so strikte Regeln erlässt, dass Menschen gezwungen werden, ihre Neugeborenen zu töten oder auszusetzen, die diejenigen, die versuchen ihre Kinder zu behalten, dazu zwingt, jahrelang auf der Flucht zu sein, immer in Angst zu leben und am Ende vielleicht doch dafür inhaftiert zu werden, dass man einfach nur ein Kind bekommen hat, ist für mich kaum begreiflich. Wobei ich mich frage, warum ich es einfacher zu verstehen finde, dass eine Regierung ihre Bürger in Angst und Schrecken versetzt, finanziell ausbluten lässt und für die eigenen Interessen in den Krieg führt – wie es ja weltweit tagtäglich passiert -, während mich die traditionelle Landvergabe und die Ein-Kind-Politik (und die damit einhergehenden Folgen für die Menschen) so sehr erschüttern. Aber vielleicht liegt das daran, dass ich hier an einem konkreten Beispiel die Folgen eines solchen Systems so greifbar vor Augen habe, während ein allgemein gehaltener Bericht z. B. über Landenteignungen zugunsten von Olympischen Spielen zwar auch erschreckend ist, aber mir nicht im Detail erzählt, welche Folgen das für die früheren Landbesitzer haben wird.

Anke Dörrzapf und Claudia Lieb: Marco Polos wunderbare Reisen

Nachdem ich gerade nicht so glücklich mit einem Roman war, der zum Teil in Tibet und China spielte und auch Bezug auf Marco Polo nahm, habe ich mir gedacht, ich sollte mich mal auf angenehme Weise mit dieser Region beschäftigen. Da passte es doch ganz gut, dass ich auch noch ein Buch für meine Sachbuch-Challenge lesen musste und dass „Marco Polos wunderbare Reisen“ nicht ganz so umfangreich ist und somit stressfrei bis zum Jahresende bewältigt werden konnte. Geschrieben wurden die Texte von Anke Dörrzapf und die Illustrationen stammen aus der Feder von Claudia Lieb. Das Ganze ist ein Sachbuch für Kinder, was sich auch in der verwendeten Sprache niederschlägt. Trotzdem ist das Buch auch gut für Erwachsene zu lesen. Man merkt, dass es als „Familien(vorlese)buch“ geschrieben wurde.

Zu Beginn begegnet man Marco Polo im Gefängnis von Genua, wo er nach einer verlorenen Schlacht zwischen Venedig und Genua gelandet ist. Dort trifft er auf den Autor Rustichello, der schon seit 16 Jahren in diesem Gefängnis eingesperrt ist und der Marco Polo nach seinen Abenteuern fragt. So kommt es, dass der Reisende dem Mitgefangenen seine Geschichte erzählt – beginnend bei seiner Kindheit und der Tatsache, dass er seinen Vater erst kennenlernte, als er schon 15 Jahre alt war. Denn dieser war in den vergangenen Jahren gemeinsam mit Marcos Onkel durch den Osten gereist und hatte nicht nur viele Länder entdeckt, die nur von wenigen venezianischen Händler bereist wurden, sondern hatte auch die Bekanntschaft des Kublai Khan gemacht.

Natürlich bekommt man als Leser Marco Polos Reise nach China nur in ausgewählten Szenen erzählt, aber ich fand den Text stimmungsvoll und faszinierend. Mal wird von den seekranken Reisenden bei der Abreise aus Venedig erzählt, mal von den Gefahren in der Wüste oder den ganzen fremdartigen Eindrücken, die der venezianische Teenager (Marco Polo war zu Beginn der Reise, die er mit seinem Vater und seinem Onkel unternahm, gerade mal 17 Jahre alt) aufnimmt. Und wie es sich für reisende Händler gehört, dreht sich auch ein Teil der Texte um die Bemühungen des Vaters und des Onkels, sich einen Überblick über die jeweiligen örtlichen Preise zu verschaffen oder günstig an Kostbarkeiten zu gelangen, die sich in die Kleidung einnähen lassen. Auch von Räubern und Politik ist die Rede, denn beide Elementen haben natürlich einen großen Einfluss auf den Verlauf der Reise.

Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit der Zeit, die Marco Polo für Kublai Khan gearbeitet hat, in dessen Auftrag er dann ganz China bereiste. Abschließend wird noch erklärt, aus welchen Gründen wohl das Gerücht aufkam, dass Marco Polo diese lange Zeit im Osten gar nicht erlebt habe. So gibt es in seinen Reisebeschreibungen keine Erwähnung der Chinesischen Mauer oder anderer Elemente, die andere (touristische) Reisende als bemerkenswert erwähnt haben. Die Autorin hingegen betont, dass Marco Polos Bericht wie ein Ratgeber für Kaufleute geschrieben wurde. So zählt er auf, in welchen Ländern welche Produkte verkauft werden und wie man vor Ort Handel betreibt. Außerdem wird betont, dass Marco Polos Originalschrift schon lange verschollen ist und dass jeder, der das Buch übersetzt oder kopiert hat, Passagen auslassen oder ausschmücken konnte.

Ergänzt werden die Passagen um Marco Polos Reise durch kleine informative Einschübe, die im Text verwendete Begriffe oder andere Details näher erklären. Das alles ist kindgerecht gehalten, unterhaltsam und stört den Lesefluss nicht, wenn man sich erst einmal nur auf die Erlebnisse des Reisenden konzentrieren möchte. Außerdem ist jede Seite reichlich bebildert – viele Darstellungen nehmen die Hälfte des vorhandenen Platzes ein – und mir haben die Illustrationen gut gefallen. Dezente Farben, reduzierte, stellenweise recht grafische Formen und sehr atmosphärische Darstellungen zeigen Szenen, Landschaften und Orte, wie sie Marco Polo auf seinen Reisen gesehen haben könnte. Besonders stimmungsvoll fand ich zum Beispiel eine Doppelseite, bei der die obere Hälfte nur einen Gebirgszug in verschiedenen Blau- und Violetttönen zeigte, was einfach toll aussah.

Ich fand es wirklich angenehm, in den letzten Tagen abends das Buch zur Hand zu nehmen, die Bilder zu betrachten und ein paar Passagen über Marco Polos Reisen zu lesen. Das Buch ist zu dünn, um wirklich ausführlich auf die Reisen des Venezianers einzugehen, aber ich hatte das Gefühl, ich bekäme einen guten Überblick und interessante Informationen vermittelt. Zudem hat mich der Text immer wieder dazu veranlasst, innezuhalten und mir zu überlegen, wie es wohl für diesen Mann gewesen sein muss, von Jugend an immer auf Reisen zu sein, ständig neue Eindrücke zu gewinnen und – trotz der langen Zeit im Dienst des Khans – kein Zuhause zu haben.

Dorothy Gilman: Mrs. Pollifax and the Hong Kong Buddha (Hörbuch)

In Mrs. Pollifax Leben gab es in den letzten Geschichten einige Entwicklungen, die zu Beginn von „Mrs. Pollifax and the Hong Kong Buddha“ dazu führen, dass sich Emily Pollifax mit Handwerkern herumschlagen darf, die ihr neues Haus umbauen sollen. Da passt es eigentlich überhaupt nicht, dass Mr. Carstairs Assistent Bishop plötzlich auftaucht und sie bittet für die CIA nach Hong Kong zu reisen. Aber Mrs. Pollifax hat ja schon früher ihre Spontanität bewiesen und so befindet sie sich kurz darauf in Hong Kong, um ein Treffen mit dem jungen Chinesen Shang Ti zu arrangieren.

Den jungen Mann hatte Emily kennengelernt, als sie vor wenigen Monaten mit einer Reisegruppe in China unterwegs war. Auch aufgrund ihrer Hilfe hat Shang Ti es inzwischen nach Hong Kong geschafft und dort eine Anstellung bei einem Diamentenhändler gefunden. Genau genommen bei einem Diamantenhändler und Informanten der CIA in Hong Kong. Doch seit einiger Zeit kommen nur noch sehr seltsame Berichte bei Mr. Carstairs an und so soll Mrs. Pollifax – mit Shang Tis Hilfe herausfinden, was in Hong Kong los ist. Doch nicht nur Shang Ti trifft die rüstige Spionin in Hong Kong wieder, es kommt auch zu einem Wiedersehen mit dem ehemaligen Juwelendieb Robin, der ebenfalls beruflich in der Region unterwegs ist.

Ich muss zugeben, dass diese Geschichte relativ wenige Spuren in meiner Erinnerung hinterlassen hatte (wobei ich mich inzwischen frage, ob ich den Titel wirklich habe oder ob ich ihn früher nur aus der Bibliothek geliehen hatte) und so fühlte sich das Hören des Hörbuches beinah so an, als ob ich Mrs. Pollifax Abenteuer in Hong Kong zum erste Mal miterleben würde. Die Handlung verläuft lange Zeit sehr ruhig, während Mrs. Pollifax darauf wartet, dass sie Kontakt zu Shang Ti aufnehmen kann. Währenddessen lernt sie einen Mann kennen, der in Hong Kong mit seinen übernatürlichen Fähigkeiten einen verschwundenen Polizisten finden solle und frischt ihre Bekanntschaft mit Robin wiederauf.

Das Ganze fühlt sich ein bisschen schwammig an, weil weder Emily noch der Hörer lange Zeit überhaupt eine Ahnung haben, was überhaupt vor Ort los ist und worum sich die gesamte Angelegenheit dreht – als allerdings dann klar wird, welche Gefahr für die Stadt hinter den seltsamen Vorgängen steckt, wird es auch sehr dramatisch für Mrs. Pollifax. So ist die Geschichte nicht ganz so amüsant wie die anderen Folgen, die ich in den letzten Monaten gehört habe, und man braucht hier ein bisschen Geduld mit der Handlung. Trotzdem habe ich es genossen Mrs. Pollifax immer größer werdende Professionalität als Spionin zu verfolgen und mehr über Robin und Shang Ti herauszufinden.

Zu Barbara Rosenblat muss ich vermutlich nicht mehr viel sagen, obwohl ich doch anmerken möchte, dass ihre „Chinesen“, „Araber“ und „Osteuropäer“ immer mal wieder über ähnliche „Akzente“ verfügen, was mir bei den Asiaten dann doch nicht ganz so stimmig vorkommt. 😉

Dorothy Gilman: Mrs. Pollifax on the China Station (Hörbuch)

In diesem Monat habe ich mir meine Mrs. Pollifax für besonders unangenehme Arbeiten aufgehoben und die nicht ganz so schlimmen Tätigkeiten entweder ohne Ablenkung oder mit Stephen Kings „Der Anschlag“ auf den Ohren verbracht. Trotz der längeren Pausen und der nicht so schönen Beschäftigung nebenbei, habe ich „Mrs. Pollifax on the China Station“ von Dorothy Gilman wieder sehr genossen. Dieses Mal wird die rüstige Rentnerin von ihrem Auftraggeber Mr. Carstairs nach China geschickt, wobei von Anfang an feststeht, dass ihre Aufgabe nicht ganz ungefährlich ist und dass sie – unter anderem – mit dem Job beauftragt wurde, weil sie spontan handeln kann, auf andere Menschen vertrauenserweckend wirkt und bewiesen hat, dass sie bei Folter (!) nicht so schnell einbricht.

Obwohl Mrs. Pollifax auch auf dieser Reise mit einer geführten Reisegruppe unterwegs ist, so wie schon in „Mrs. Pollifax on Safari“, erwarten sie deutlich größere Herausforderungen. Erst einmal soll sie mit einem anderen – ihr unbekannten – CIA-Mitarbeiter zusammenarbeiten, dann reisen sie nach China, wo sie als westliche Touristen ständig unter Beobachtung stehen, und zuletzt besteht ihr Auftrag darin, dass sie einen chinesischen Ingenieur aus einem Arbeitslager befreien sollen, wo er seit Jahren gefangen gehalten wurde. All die Unwägbarkeiten machen Emily Pollifax verhältnismäßig unsicher, doch trotzdem versucht sie die Reise nach China zu genießen und so viel Kultur wie möglich zu sehen.

Eigentlich beginnt die Geschichte für den Hörer ganz harmlos. Gemeinsam mit Mrs. Pollifax kann man darüber grübeln, welcher mitreisende Person wohl ebenfalls von der CIA ist, während man die unterschiedlichen Figuren immer besser kennenlernt. Und Emiliys erste Begegnung mit Einheimischen, die nicht tagtäglich mit Ausländern zu tun haben, sind auch ganz wunderbar beschrieben, ebenso ihre Begeisterung für die Geschichte und Kultur. Doch dann wird die Frage immer drängender, wie wohl der zu befreiende Ingenieur aus dem Arbeitslager rausgeholt werden kann – und wer wohl das Gepäck von Mrs. Pollifax durchsucht hat …

„Mrs. Pollifax on the China Station“ ist trotz vieler amüsanter und liebenswerter Momente nicht ganz so leicht geschrieben wie die vorhergehenden „Mrs. Pollifax“-Geschichten. Emily vermisst den Mann, den sie bei ihrem Abenteuer in Afrika kennengelernt hat und muss feststellen, dass es für sie nicht mehr so einfach ist ihr Leben zu riskieren, wenn es doch einen so wichtigen Menschen in ihrem Leben gibt. Auch fühlt sie sich lange Zeit allein auf ihrer Reise, da die Identität ihres Kollegen erst spät gelüftet wird. Was das Lokalkolorit angeht, so gibt es viele atmosphärische Szenen, doch vor allem konzentriert sich die Autorin dabei auf die lange Historie des Landes und weniger auf aktuelle Ereignisse – vielleicht, weil um 1980 zwar viel in China passierte, aber sich nur wenig davon gut in einem Roman darstellen lässt.

Aber auch so mag ich die Geschichten rund um Mrs. Pollifax und freue mich weiterhin darüber, dass ich noch einige Hörbücher mit ihr vor mir habe. Über die Sprecherin Barbara Rosenblat muss ich inzwischen ja wohl nichts mehr sagen – ich mag ihre Stimme und ich mag ihre Art die verschiedenen Figuren darzustellen.

[DVD] Red Cliff

So gern mein Mann und ich asiatische Filme mögen, so wenig haben wir uns in den letzten paar Jahren darüber auf dem Laufenden gehalten. Umso neugieriger waren wir auf „Red Cliff“, als der Film vor ein paar Tagen im Fernsehen lief. Allerdings waren wir auch ziemlich skeptisch, da wir wussten, dass die europäische Fassung deutlich gekürzt wurde. In China kam „Red Cliff“ ursprünglich als Zweiteiler in die Kinos, wobei jeder einzelne Film über zwei Stunden dauerte, während die deutsche Fernsehausstrahlung insgesamt nur gut zwei Stunden dauerte.

Nachdem uns die ersten Szenen gut gefallen hatten, während die deutsche Synchronisation nicht ganz unseren Vorstellungen entsprach, haben wir kurzentschlossen die britische Special-Edition bestellt, die zu dem Zeitpunkt bei Amazon knapp sechs Euro kostete und die nur wenige Minuten kürzer ist als die chinesische Originalfassung. So haben wir am vergangenen Wochenende die Nachmittage genutzt, um die beiden Filme zu gucken – und uns großartig damit unterhalten gefühlt. Ach ja, der Ton auf der DVD ist in Chinesisch und die Untertitel sind in einem stimmigen und gut verständlichen Englisch gehalten.

In „Red Cliff“ erzählt Regisseur John Woo eine bekannte chinesische Geschichte, die zur Zeit der drei Reiche spielt. Dabei hält sich der Film (wie auch die Romanvorlage aus dem 14. Jahrhundert) nur grob an die historischen Ereignisse, gibt aber einen guten Eindruck von der politischen Situation in dieser Epoche. Da sich die Handlung nicht so einfach zusammenfassen lässt, gibt es von mir nur eine ganz kleine Übersicht – wer mehr Details erfahren will, der kann sich zum Beispiel bei wikipedia genauer informieren.

Cao Cao, Premierminister des nördlichen Reichs, bringt seinen Kaiser (der nicht mehr als eine Marionette des machtgierigen Mannes ist) dazu, den südlichen Reichen Wu und Shu den Krieg zu erklären. Mit einer überwältigenden Streitmacht zieht der Premierminister los, um die „Rebellen“ im Süden zu vernichten und ihre Länder dem Kaiserreich einzuverleiben. Dieser drohende Angriff führt zu einer zerbrechlichen Allianz zwischen Liu Bei (König von Shu) und Sun Quan (König von Wu), wobei vor allem die beiden Strategen Zhuge Liang und Zhou Yu für Erfolg oder Scheitern in diesem Krieg verantwortlich sind.

Ich muss gestehen, dass all die vielen chinesischen Namen etwas verwirrend sein könnten, aber während des Guckens hatte ich nie das Gefühl, ich wüsste nicht, von wem gerade die Rede ist. Auf jeder Seite – vor allem auf der der südlichen Reiche – kommen viele verschiedene Figuren zum Tragen, so dass man im Laufe des Film diverse Schicksale verfolgen kann. Dabei empfand ich die Mischung aus ruhigen Szenen, die die sich langsam entwickelnde Freundschaft von Zhuge Liang und Zhou Yu oder Zhou Yus Verhältnis zu seiner schönen Frau Xiao Qiao zeigten, dem Planen von Strategien und den Kriegsszenen sehr reizvoll und überraschend ausgewogen.

John Woo gelingt es, viele unterschiedliche Charaktere mit all ihren Stärken und Schwächen liebevoll darzustellen, ohne dass es mir zu viele Figuren gewesen wären oder der Film überfrachtet gewirkt hätte. Die Schauspieler waren fantastisch, vor allem, wenn es um die kleinen Facetten eines Charakters ging. Oft sagte eine kleine Geste, ein Blick oder ein Schweigen so viel mehr, als man es mit einem Dialog hätte hinbekommen können – wirklich hinreißend! Auch hat es mich beeindruckt, dass der Krieg erbarmungslos schmutzig dargestellt wurde. Am Ende eines jeden Films kommt eine große Schlacht, und so mitreißend es im ersten Moment ist, wenn man sieht, dass die Strategie des Südens funktionieren könnte, so bitter fühlt man sich, wenn man mitansieht, wie erbarmungslos die Gegner aus relativ sicherer Position abgeschlachtet werden. Ebenso furchtbar sind die Szenen, bei denen man mitverfolgen kann, wie eine Seuche, die in dem einen Lager ausbricht, als Waffe gegen die Gegner eingesetzt wird.

Vielleicht kommen da wieder meine Vorurteile gegen amerikanische Filme zum Vorschein, aber ich habe das Gefühl, dass in amerikanischen Kriegsfilmen selten die Verluste auf der „eigenen“ Seite in solcher Klarheit gezeigt werden. Bei „Red Cliff“ bleibt einem nichts anderes übrig, als fassungslos auf all die Gefallenen auf beiden Seiten zu sehen – in dem Bewusstsein, dass selbst ein Sieg eine Niederlage sein wird, weil er so viele Menschenleben gekostet hat. Zum Ausgleich gibt es allerdings auch einige amüsante Szenen, so dass ich versprechen kann, dass man nicht zwei Stunden am Stück nur Drama geboten bekommt.

Ich habe an diesem Wochenende während des Filmguckens herzhaft gelacht, war gerührt, habe geschmunzelt oder mich aufgeregt und immer wieder musste ich mir Tränen aus dem Gesicht wischen, weil ich so bewegt oder geschockt war. Wenn ihr also Lust auf einen mitreißenden historischen Film und tolle Schauspieler habt und euch auf eine erstaunlich ruhige, aber umso intensivere Erzählweise einlassen könnt, dann würde ich euch die Special-Edition (und zwar wirklich nur die! 😉 ) von „Red Cliff“ wirklich ans Herz legen.

Guy Delisle: Shenzhen

Von Guy Delisle hatte ich schon im letzten November den Band „Pjöngjang“ angeschaut und ich fand es sehr spannend von den Erlebnissen des Autors während seiner Zeit in Nordkorea zu lesen. So landeten auch der vorhergehende Band „Shenzhen“ und die folgenden „Aufzeichnungen aus Birma“ auf meinem Wunschzettel. Und obwohl „Shenzhen“ schon zu Weihnachten bei mir einzog, habe ich jetzt erst Zeit dafür gefunden, und leider hat es meine Erwartungen nicht ganz erfüllt. Ich hatte gehofft, dass dieser Comic über die Erlebnisse des Zeichners bei einer Trickfilm-Produktion in China genauso spannend, interessant und lustig zu lesen sein würde wie seine Erfahrungen in Nordkorea.

Aber erst einmal hatte Guy Delisle in „Shenzhen“ deutlich weniger Möglichkeiten zu seltsamen – politisch bedingten – Erlebnissen gehabt und dann habe ich das Gefühl, dass man diesem Band anmerkt, dass es die erste Veröffentlichung des Autors in dieser Art ist. Auch in China war Guy Delisle dafür zuständig, dass die chinesischen Studios sich an die Vorgaben des europäischen (französischen) Studios für eine Zeichentrickproduktion (Papyrus – vielleicht sagt dem einen oder anderen das ja was) halten. Herausforderung dabei ist auf der einen Seite die Sprachbarriere – die Übersetzerin hat anscheinend auch nicht so viel Ahnung von den Fachbegriffen beim Zeichnen – und auf der anderen Seite die Arbeitsmoral der Angestellten (Schlafen am Arbeitsplatz ist recht weit verbreitet).

Neben der Arbeit verbringt der Autor einen Großteil seines dreimonatigen Aufenthalts in seinem Hotelzimmer, so dass natürlich so einige seltsame Hotelerlebnisse zu berichten sind, ansonsten erzählt er von seinen Erfahrungen bei Restaurantbesuchen, Einladungen bei chinesischen Zeichnern und Ausflügen in andere Städte und zu ein paar Sehenswürdigkeiten. Obwohl es zu so einigen Seltsamkeiten kommt und man einen eigenwilligen und sehr persönlichen Blick auf das Leben in China werfen kann, hat mir in diesem Band der leicht bissige Humor gefehlt, der „Pjöngjang“ ausgezeichnet hat.

Ich gebe zu, dass das Leben in einem Hotel in der nordkoreanischen Hauptstadt vermutlich mehr Berichtenswertes mit sich bringt als das Leben in einem Hotel in einer chinesischen Stadt, die anscheinend nicht gerade zu den interessantesten Orten in China gehört. Und hätte ich „Shenzhen“ vor „Pjöngjang“ gelesen, dann wäre ich wohl sehr zufrieden mit dem Humor, dem leisen kritischen Unterton und den skurrilen Erlebnissen des Zeichners in China gewesen – so allerdings hatte ich das Gefühl, dass die Geschichte etwas sehr vor sich hindümpelt und dass der Autor mehr daraus hätte machen können, wenn er mit offeneren Augen durch das Land gegangen wäre. Nun bin ich sehr gespannt, was mir die „Aufzeichnungen aus Birma“ für Leseerlebnisse bringen werden. Aber da das der dritte Band um die Reiseerlebnisse von Guy Delisle ist, hoffe ich darauf, dass er mindestens so unterhaltsam sein wird wie „Pjöngjang“.

Achja, noch ein kurzer Satz zum Zeichenstil: Nach „Pjöngjang“ wusste ich ja schon, was mich bei Guy Delisle erwartet – das Cover gibt einen guten Eindruck von seinem Zeichenstil. Allerdings wirken die Zeichnungen in „Shenzhen“ weniger klar als in „Pjöngjang“, der Autor setzt weichere Linien und schraffiert mehr, was die Seiten eher ausgewaschen wirken lassen. So sind seine Charaktere und Darstellungen ebenso wie die einzelnen Episoden „weniger auf den Punkt“ gebracht als in dem ersten Comic. Trotzdem kann ich die Bände von Guy Delisle jedem empfehlen, der einen unterhaltsamen Einblick von China (oder Nordkorea) bekommen und sich über den Alltag eines Zeichners im Ausland amüsieren will. Aber fangt mit „Shenzhen“ an und lest dann erst „Pjöngjang“. 😉

Emily Wu: Feder im Sturm

„Feder im Sturm – Meine Kindheit in China“ (oder wie es im englischen noch etwas gelungener untertitelt wird: „A Childhood lost in Chaos“) ist ein biografischer Roman von Yimao (Emily) Wu, die während Maos Kulturrevolution aufgewachsen ist. Ich lese sehr gern so persönliche Berichte über geschichtliche Ereignisse, denn das lässt sie für mich greifbarer und erlebbarer werden. Und da die Kulturrevolution vor meiner Geburt stattfand, hatte (und habe) ich in diesem Bereich doch eine erschreckende Wissenslücke. Natürlich bin ich grob darüber informiert, was Mao damit bezweckte und welche Folgen diese für China hatte, aber die genaueren Zusammenhänge und Daten für eine detaillierter zeitliche Zuordnung haben mir lange Zeit gefehlt.

Durch Yimaos Augen erlebt der Leser von „Feder im Sturm“ die vorhergehenden Hungerwinter in China mit und wie ihr Vater Jahre in einem Straflager verbrachte, weil er in Amerika studiert hatte. Als er endlich wieder als Professor an einer Universität arbeiten darf, ist er schnell beliebt bei seinen Studenten, denen er die englische Literatur näher bringt. Doch kurz darauf verwandeln sich diese netten Studenten in einen unberechenbaren Mob, der verwüstend und mordend durch die Straßen zieht. Genauso wie für die junge Yimao gibt es für den Leser so viele Geschehnisse, die mit dem Verstand nicht nachvollziehbar sind. Die Gewalt, die von diesen gebildeten Menschen ausgeht, die Ächtung von Kultur, Literatur und den Traditionen, sind ohne das Wissen um die vorhergehende Propaganda kaum zu verstehen.

Die Familie Wu wird später auf’s Land verbannt, wo sie weiterhin der Willkür andere Menschen ausgesetzt ist. Für Yimao bedeuten diese politischen Wendungen der Verlust der Kindheit – und dabei hatte es ein Mädchen in dieser Zeit in China eh schon nicht einfach. Ich weiß gar nicht, was mich mehr entsetzt hat: Die politischen Vorgänge oder die privaten Umstände für die Frauen. Was die Politik angeht und die Morde und Misshandlungen, die im Namen des Regimes verübt wurden, so möchte man doch immer glauben, dass soetwas nie wieder irgendwo auf der Welt möglich sein kann (was leider durch die Geschichtsschreibung widerlegt wird). Aber dass selbst in einem so intellektuellen und aufgeklärten Haushalt wie der Familie Wu so ein großer Unterschied zwischen den Söhnen und der Tochter gemacht wird, ist für mich fast genauso unbegreiflich.

„Feder im Sturm“ ist auf jeden Fall ein faszinierender, informativer und mitreißender Roman über eine Kindheit in China während der Kulturrevolution – und es wird bestimmt nicht das letzte Buch gewesen sein, dass ich zu diesem Thema lesen werde.