Guy Delisle: Shenzhen

Von Guy Delisle hatte ich schon im letzten November den Band „Pjöngjang“ angeschaut und ich fand es sehr spannend von den Erlebnissen des Autors während seiner Zeit in Nordkorea zu lesen. So landeten auch der vorhergehende Band „Shenzhen“ und die folgenden „Aufzeichnungen aus Birma“ auf meinem Wunschzettel. Und obwohl „Shenzhen“ schon zu Weihnachten bei mir einzog, habe ich jetzt erst Zeit dafür gefunden, und leider hat es meine Erwartungen nicht ganz erfüllt. Ich hatte gehofft, dass dieser Comic über die Erlebnisse des Zeichners bei einer Trickfilm-Produktion in China genauso spannend, interessant und lustig zu lesen sein würde wie seine Erfahrungen in Nordkorea.

Aber erst einmal hatte Guy Delisle in „Shenzhen“ deutlich weniger Möglichkeiten zu seltsamen – politisch bedingten – Erlebnissen gehabt und dann habe ich das Gefühl, dass man diesem Band anmerkt, dass es die erste Veröffentlichung des Autors in dieser Art ist. Auch in China war Guy Delisle dafür zuständig, dass die chinesischen Studios sich an die Vorgaben des europäischen (französischen) Studios für eine Zeichentrickproduktion (Papyrus – vielleicht sagt dem einen oder anderen das ja was) halten. Herausforderung dabei ist auf der einen Seite die Sprachbarriere – die Übersetzerin hat anscheinend auch nicht so viel Ahnung von den Fachbegriffen beim Zeichnen – und auf der anderen Seite die Arbeitsmoral der Angestellten (Schlafen am Arbeitsplatz ist recht weit verbreitet).

Neben der Arbeit verbringt der Autor einen Großteil seines dreimonatigen Aufenthalts in seinem Hotelzimmer, so dass natürlich so einige seltsame Hotelerlebnisse zu berichten sind, ansonsten erzählt er von seinen Erfahrungen bei Restaurantbesuchen, Einladungen bei chinesischen Zeichnern und Ausflügen in andere Städte und zu ein paar Sehenswürdigkeiten. Obwohl es zu so einigen Seltsamkeiten kommt und man einen eigenwilligen und sehr persönlichen Blick auf das Leben in China werfen kann, hat mir in diesem Band der leicht bissige Humor gefehlt, der „Pjöngjang“ ausgezeichnet hat.

Ich gebe zu, dass das Leben in einem Hotel in der nordkoreanischen Hauptstadt vermutlich mehr Berichtenswertes mit sich bringt als das Leben in einem Hotel in einer chinesischen Stadt, die anscheinend nicht gerade zu den interessantesten Orten in China gehört. Und hätte ich „Shenzhen“ vor „Pjöngjang“ gelesen, dann wäre ich wohl sehr zufrieden mit dem Humor, dem leisen kritischen Unterton und den skurrilen Erlebnissen des Zeichners in China gewesen – so allerdings hatte ich das Gefühl, dass die Geschichte etwas sehr vor sich hindümpelt und dass der Autor mehr daraus hätte machen können, wenn er mit offeneren Augen durch das Land gegangen wäre. Nun bin ich sehr gespannt, was mir die „Aufzeichnungen aus Birma“ für Leseerlebnisse bringen werden. Aber da das der dritte Band um die Reiseerlebnisse von Guy Delisle ist, hoffe ich darauf, dass er mindestens so unterhaltsam sein wird wie „Pjöngjang“.

Achja, noch ein kurzer Satz zum Zeichenstil: Nach „Pjöngjang“ wusste ich ja schon, was mich bei Guy Delisle erwartet – das Cover gibt einen guten Eindruck von seinem Zeichenstil. Allerdings wirken die Zeichnungen in „Shenzhen“ weniger klar als in „Pjöngjang“, der Autor setzt weichere Linien und schraffiert mehr, was die Seiten eher ausgewaschen wirken lassen. So sind seine Charaktere und Darstellungen ebenso wie die einzelnen Episoden „weniger auf den Punkt“ gebracht als in dem ersten Comic. Trotzdem kann ich die Bände von Guy Delisle jedem empfehlen, der einen unterhaltsamen Einblick von China (oder Nordkorea) bekommen und sich über den Alltag eines Zeichners im Ausland amüsieren will. Aber fangt mit „Shenzhen“ an und lest dann erst „Pjöngjang“. 😉

4 Kommentare

  1. Ah, das Buch pack ich doch gleich mal auf meinen Merkzettel. Nicht für mich, sondern für meinen GöGa, der beruflich in China war und mir von seinen Erlebnissen (auch im Hotel) begeistert erzählt hat.

    Aly mit den 3 Kuhkatzen

  2. @Aly: Für China-Kenner soll es – laut einer Amazon-Rezension – deutlich amüsanter zu lesen sein, weil man viele Situationen einfach selbst so erlebt hat. 🙂 Und wenn deinem Mann das Buch gefällt, dann würde ich ihm "Pjöngjang" auch noch ans Herz legen. 😉

  3. Das klingt in der Tat danach, als hätte sich die die Wahrnehmungs- und die Umsetzungsfähigkeit des Autors und Zeichners weiterentwickelt von "Shenzhen" zu "Pjöngjang" – was hoffen lässt, dass der dritte Band mindestens so gut ist wie "Pjöngjang". Auf der anderen Seite ist es natürlich schwierig zu beurteilen, ob nicht in China der "Klassenfeind" restriktiver beobachtet wurde als in Nordkorea.

  4. Natira, ich glaube, er war da einfach noch nicht auf die Idee gekommen, sich "richtig" umzugucken. Und in dem Ort hatte er wohl auch weniger Möglichkeiten als in der nordkoreanischen Hauptstadt – und schlecht ist der Comic auf keinen Fall! 🙂 Ich glaube, ich werde mir den dritten Teil mal oben auf den SuB legen … 😀

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert