„Serpentine“ von Cindy Pon liegt schon ein paar Jahre auf meinem SuB, nachdem ich den Roman damals nach einem kurzen Anlesen erst einmal zur Seite gelegt hatte, weil ich nicht in der richtigen Stimmung dafür war. Da ich in den letzten Tagen große Lust auf ein asiatisches Setting hatte (vermutlich ist mein Mann mit seiner „Rebellen vom Liang Shan Po“-BluRay Schuld daran), habe ich endlich „Serpentine“ aus dem Regal gezupft und fast in einem Rutsch durchgelesen. Die Geschichte wird erzählt aus der Sicht der sechzehnjährigen Skybright, die, solange sie denken kann, als Kammerzofe für die gleichaltrige Zhen Ni arbeitet. Genau genommen sind Zhen Ni und Skybright zusammen aufgewachsen, nachdem eine Dienerin kurz vor Zhen Nis Geburt ein neugeborenes ausgesetztes Mädchen fand. Doch so sehr Zhen Ni immer betont, dass sie in ihrer Dienerin eine Schwester sieht, so sehr ist Skybright doch bewusst, dass ihre Stellung deutlich niedriger ist und dass sie ihr Leben lang abhängig von Zhen Ni sein wird.
Beide Mädchen gehen davon aus, dass sie wissen, was die Zukunft für sie bereithalten wird. Zhen Ni wird – wenn sie denn endlich ihre Periode bekommt – an einen reichen und einflussreichen Mann verheiratet, während Skybright Zhen Ni nach der Hochzeit in den neuen Haushalt folgen und weiterhin ihren Pflichten als Zofe und getreue Freundin nachgehen wird. Keine von beiden kann sich vorstellen, dass ihre Beziehung einmal weniger eng sein könnte als in all den Jahren des Heranwachsens, und doch gibt es in dem Sommer, in dem der Roman spielt, Ereignisse, die dafür sorgen, dass die Mädchen Geheimnisse voreinander haben. Vor allem Skybright ist sich sicher, dass sie die Tatsache, dass sie sich auf einmal in der Nacht zur Hälfte in eine Schlange verwandelt, niemals jemandem preisgeben darf, wenn sie nicht von den Menschen, die ihr nahestehen, als Dämon gejagt werden will. Und auch ihre Gefühle für den im benachbarten Kloster aufgewachsenen siebzehnjährigen Kai Sen verbirgt Skybright lieber vor ihrer Herrin.
Mir haben an „Serpentine“ wirklich sehr viele Aspekte gefallen, angefangen von der Darstellung dieses fantastischen historischen Chinas über die fantastischen (und stellenweise sehr beängstigenden) Wesen und die Charaktere, die sich beim Lesen realistisch und stimmig anfühlten, bis hin zu den Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren. Ich mochte Skybright als Erzählerin sehr, gerade weil sie so pragmatisch mit ihrer Situation umgeht. Ihr ist bewusst, dass es recht wenig zählt, wenn ihre Herrin sie als Schwester bezeichnet, da doch ihr ganzes Leben auf dem Wohlwollen von Zhen Nis Familie aufgebaut wurde und sich jederzeit ihre Situation ändern könnte, wenn Zhen Nis Eltern das so entscheiden sollten. Trotz dieser ungleichen Ausgangssituation hegt Skybright für Zhen Ni ehrliche freundschaftlich-schwesterliche Gefühle (und reagiert eifersüchtig, als ein anderes Mädchen im Leben ihrer Herrin eine wichtige Position einnimmt). Auch mit ihrer nächtlichen Verwandlung versucht das Mädchen pragmatisch umzugehen und testet nach der ersten Panik systematisch die Möglichkeiten, die ihre neue Gestalt ihr bietet, während sie gleichzeitig versucht, in den Legenden mehr über „Schlangenwesen“ herauszufinden.
Natürlich ist Sykbrights Verwandlung nicht das einzige fantastische Element in der Geschichte, sie ist nur für den Leser ein erstes Anzeichen dafür, dass das Tor zur Unterwelt sich geöffnet hat und Geister und Dämonen die Welt der Menschen betreten haben. Im Laufe der Geschichte wird Skybright durch ihre neuen Fähigkeiten, ihre Freundschaft zu Kai Sen und ihr Bedürfnis, den jungen Mann vor den Ungeheuern zu beschützen, die er als Teil der Klostergemeinschaft bekämpfen muss, in einen uralten Kampf zwischen Menschen und Dämonen hineingezogen. Viele dieser Elemente wurden von Cindy Pon nur relativ kurz angerissen, denn es geht in der Geschichte weniger um diese Auseinandersetzung mit den Dämonen als um Skybrights Suche nach ihrer eigenen Identität und um ihre Beziehungen zu Zhen Ni und Kai Sen. Da am Ende von „Serpentine“ noch einige Fragen offen sind und ich Skybrights Welt nur ungern verlassen habe, werde ich auf jeden Fall auch noch zu „Sacrifice“, dem zweiten Serpentine-Band, greifen.