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Banana Yoshimoto: Tsugumi

Banana Yoshimoto gehört für mich zu den Autorinnen, auf die ich ab und an Lust habe, die mir aber nicht so sehr am Herzen liegen, dass ich ihre Bücher besitzen muss. In diesem Monat war es wieder soweit, dass ich mich weiter durch ihr Werk lesen wollte, und so habe ich mir „Tsugumi“ in der Onleihe vorgemerkt. Gewusst habe ich über die Geschichte vorher nichts, ich hatte nur im Hinterkopf, dass ich einen ihrer früheren Romane lesen wollte und da „Kitchen“ nicht zur Verfügung stand, wurde es eben „Tsugumi“. Ich bin übrigens immer wieder überrascht, wie viele Titel von japanischen Autoren gar nicht erst übersetzt werden, selbst wenn diese Schriftsteller relativ erfolgreich sind. Da würde ich wirklich gern einmal genau wissen, nach welchen Kriterien das läuft (auch wenn ich mir schon verschiedene Gründe dafür vorstellen kann).

Die Handlung in „Tsugumi“ wird in der Rückschau aus der Sicht von Maria erzählt, die die Cousine der titelgebenden Tsugumi ist. Ihr gesamtes bisheriges Leben hat Maria mit ihrer Mutter in der Pension verbracht, die der Familie der Schwester ihrer Mutter gehört, und darauf gewartet, dass ihr Vater sich endlich von seiner Frau scheiden lassen und ihre Mutter heiraten kann. Obwohl die Situation für ihrer Eltern bestimmt nicht einfach war, war sich Maria immer der Tatsache bewusst, dass ihre Eltern sie und einander liebten. So hätte sich Marias Familienleben ungemein harmonisch angefühlt, wenn nicht Tsugumi gewesen wäre. Tsugumi ist Marias jüngere Cousine und von klein auf steht fest, dass das Mädchen nicht sehr lange zu leben hat. So muss die gesamte Familie damit fertig werden, dass Tsugumi jederzeit sterben kann und aufgrund ihrer schwachen Gesundheit ständig krank ist.

Tsugumi selbst erscheint auf den ersten Blick einfach nur wie ein herzloses und rundum verwöhntes Wesen. Ihre liebste Beschäftigung besteht darin, anderen Leuten boshafte Streiche zu spielen und sie mit ihren Bemerkungen zu verletzen. Erst als sie bei einem ihrer Streiche zu weit geht und Maria sich ihr gegenüber ausnahmsweise einmal nicht zurückhält, kann so etwas wie eine Freundschaft zwischen den beiden ungleichen Cousinen entstehen. Doch auch nachdem die beiden Mädchen sich etwas näher gekommen sind, gibt es nur selten Momente, in denen Tsugumi sich Maria gegenüber öffnet und auch einmal ihre verletzliche Seite zeigt. So wird nach und nach deutlich, was für einen freiheitsliebenden und wilden Charakter Tsugumi besitzt und wie sehr sie durch ihren schwächlichen Körper in ihren Plänen und Träumen ausgebremst wird. Ihre einzige Möglichkeit, „stark“ zu erscheinen, besteht anscheindend darin, die Menschen in ihrer Umgebung mit ihrer boshaften Zunge und ihrem unberechenbaren Verhalten aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Ich muss zugeben, dass mich „Tsugumi“ nicht so sehr berührt hat wie andere Veröffentlichungen von Banana Yoshimoto. Es war eine schöne Geschichte, um zwischendurch immer mal wieder ein Kapitel zu lesen, und ich mochte sehr viele Aspekte der Handlung, aber die Figuren sind mir doch überraschend fremd geblieben. Ich fand diese beständige Zuneigung in Marias Familie, die trotz widriger Umstände und der Tatsache, dass ihr Vater nur an den Wochenenden zu seiner Geliebten und seiner Tochter reisen kann, unerschütterlich zu sein scheint, sehr schön. Ein bisschen erinnerte mich diese Gewissheit von Maria, dass sie von ihren Eltern geliebt wird, an Yotchan aus „Moshi Moshi“ (bevor diese sich mit den Geheimnissen ihres überraschend verstorbenen Vaters auseinandersetzen musste). So gibt es vor allem zwischen Maria und ihrem Vater, aber auch zwischen ihr und den anderen Familienmitgliedern immer wieder sehr schöne Szenen, die deutlich machen, wie sehr sie zueinander gehören und wie viele verbindende Elemente es zwischen ihnen gibt.

Dann gab es da noch all diese Passagen rund um die kleine Stadt am Meer, in der die Pension liegt, wo ein Großteil der Geschichte spielt. Ohne diesen Hintergrund hätten viele Szenen in diesem Roman gar nicht funktioniert, so aber gibt es all diese Momente am Meer, die von der Luft, dem Sand zwischen den Zehen und dem Geräusch der Brandung leben. Für mich war stellenweise die Atmosphäre, die durch die Landschaftsbeschreibungen entstand, so viel eindringlicher als die Dialoge  oder die Handlung selbst. Ich mochte diese Mischung aus Beständigkeit und ständiger Veränderung, aus trubeligem Touristentreiben im Sommer und der Ruhe im Winter oder in der Nacht, die den Hintergrund für die Handlung bildete. Und da Maria unter anderem für ihr Studium die Hafenstadt verlässt, fand ich es auch stimmig, dass sie all diese Elemente bewusster wahrnahm, als man es erwarten könnte, wenn all dies weiterhin Normalität für sie geblieben wäre.

So sind es am Ende die Orts- und Landschaftsbeschreibungen, die in mir nachklingen und Sehnsucht nach dem Meer in mir wecken. Diesen Teil der Geschichte habe ich wirklich genossen und ich bin mir sicher, dass das Meer bei diesem Roman das Element ist, das mir in Erinnerung bleiben wird. Dazu kam dann noch Banana Yoshimotos unaufgeregte Erzählweise, die die Melancholie dieses letzten Sommers in der Hafenstadt, des Abschieds vom vertrauten Leben und vielleicht sogar von Tsugumi weiter unterstrichen hat. Ich mochte Marias Sicht auf die verschiedenen Personen und Ereignisse und dieses Gefühl, dass sie alles umso intensiver wahrnimmt, weil sie diesen Sommer am Meer nicht enden lassen will.

Banana Yoshimoto: Moshi Moshi

Nach dem Lesen von „Moshi Moshi“ von Banana Yoshimoto habe ich mich gefragt, ob es eigentlich auch Bücher der Autorin gibt, die sich nicht mit dem Thema Trauer beschäftigen. Ich muss gestehen, dass ich bislang nur welche erwischt habe, in denen es um dieses Thema ging. So muss Yoshie (Yotchan), die Protagonistin in „Moshi Moshi“ mit dem Tod ihres Vater fertig werden, der – laut Angaben der Polizei – gemeinsam mit seiner Geliebten in einem Wald Selbstmord begangen hat. Weder Yoshie noch ihre Mutter wussten, dass der Vater überhaupt eine Geliebte hatte – auch wenn sie im Scherz darüber sprachen, dass er eine haben müsste, da er in letzter Zeit häufig nach seinen Konzerten über Nacht fernblieb – und beide sind der Meinung, dass Selbstmord auch nicht zu einem Menschen wie ihm passen würde. So müssen beide Frauen nicht nur mit dem Verlust des Verstorbenen fertig werden, sondern auch damit, dass es Seiten an diesem Mann gab, die sie nicht kannten.

Während Yotchans Mutter bei ihr Schutz sucht und sich in ihrer Trauer treiben lässt, flüchtet die junge Frau in ihre Arbeit. Sie ist in einem kleinen Restaurant in Shimokitazawa angestellt, das sich auf wohltuendes Essen (wie Yotchan es beschreiben würde) spezialisiert hat. Für Yotchan und ihre Mutter war das Restaurant während der ersten Trauerphase, als beide kaum etwas zu sich nehmen konnten, ihre Rettung, nun möchte Yoshie dafür sorgen, dass auch andere Kunden dort ein solch erholsames Essen genießen können. Sie beobachtet ihre Kunden beim Essen und versucht ihre Bedürfnisse zu erahnen, bevor diese sie aussprechen können. Und während ihrer Pausen oder nach Feierabend streift sie durch Shimokitazawa und genießt den – für Tokyo unglaublich entspannten – Rhythmus des Viertels. Sowohl für sie als auch für ihre Mutter fühlt sich der Wechsel von ihrer alten Wohnung in Meguro nach Shimokitazawa wie Urlaub an. Sie leben, als ob es keine Verpflichtungen gäbe (natürlich abgesehen von Yoshies Arbeit) und versuchen jeden Tag so zu genießen wie er kommt.

Doch natürlich reicht das nicht aus, um mit dem Tod des Vaters fertig zu werden und so gibt es immer wieder Momente, in denen Yotchan sich mit damit auseinandersetzen muss. Manchmal geschieht dies, weil Freunde oder Bekannte ihres Vaters auf sie zukommen, manchmal sucht sie selber aktiv nach Informationen. Doch immer geht es nur in kleinen Schritten vorwärts, weil es für die junge Frau zu belastend ist, dass ihr Vater auf diese Weise aus ihrem Leben gegangen ist. So ist es auch kein Wunder, dass sie immer wieder von ihm (und seiner Geliebten) träumt, während sie auf der anderen Seite in ihrem Alltag häufig Probleme hat eine Entscheidung zu treffen, die über ihre Arbeitsplatz hinausgeht.

Auch wenn sich das jetzt vielleicht deprimierend anhört, so ist „Moshi Moshi“ doch ein sehr ermutigendes Buch, das dem Leser immer wieder sagt, dass alles seine Zeit braucht, dass man nicht hetzen muss und dass man seinen eigenen Rhythmus finden muss – egal, ob es um die Verarbeitung von Trauer, das Essen oder das Leben im allgemeinen geht. Außerdem ist die Geschichte eine wunderbare Liebeserklärung an das Künstler- und Szeneviertel Shimokitazawa mit seiner gewachsenen Struktur, seinem entspannten Lebensgefühl und all den liebenswerten und individuellen Bewohnern. Ich mochte es sehr, wie die Autorin die Eigenheiten dieses Viertels beschrieb, wie sie die Mutter abends von ihrem Tag und all den Menschen, denen sie begegnet ist, erzählen lässt und wie Yotchan über die Passanten redet, die sie auf der Straße beobachtet.

Und natürlich ist „Moshi Moshi“ auch eine Geschichte vom Erwachsenwerden, denn mit dem Tod des Vaters wird Yoshie bewusst, dass sie sich nicht ewig auf ihre Eltern stützen kann, dass jetzt schon eine wichtige Konstante aus ihrem Leben verschwunden ist und dass eines Tages auch der Moment kommen wird, in dem ihre Mutter nicht mehr für sie da sein kann. Umso wichtiger ist es, dass Yotchan lernt, ihren eigenen Weg zu gehen, herauszufinden, was ihr Leben lebenswert macht, und sich nicht immer wieder mit dem zu begnügen, was gerade gut ist, sondern sich auch mal konkrete Ziele zu setzen und herauszufinden, wie sie diese Ziele erreichen kann. Dabei erzählt Banana Yoshimoto von all diesen Veränderungen in Yoshies Leben in gewohnt unaufgeregter Weise.

Doch so sehr die Handlung vor sich hinzuplätschern scheint, so sehr packen mich auch immer wieder die Gedanken und Gefühle der Protagonisten dieser Autorin. Bei einem Yoshimoto-Roman bleibt die Geschichte eine Weile bei mir und lässt mich über die Figuren, die Ereignisse und auch mein eigenes Leben nachdenken, während es mich auf der anderen Seite immer wieder zum Buch treibt, um nur noch ein paar Seiten zu lesen, um nur eben herauszufinden, welche Auswirkungen dieser eine neue Denkansatz, diese eine Begegnung oder diese ganz bestimmte Erkenntnis auf die Figuren haben mag. Spannend finde ich es auch, dass ich mich langfristig immer kaum an die Handlung erinnern kann (und grundsätzlich recherchieren muss, wie die gelesenen Bücher überhaupt hießen und um welche Charaktere sie sich überhaupt drehten), aber dafür Bilder im Kopf habe, die ich mit den jeweiligen Titeln verbinde – selbst wenn sie so gar nicht im Roman vorkamen.