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[Figurenkabinett] Prinzessin Cimorene von Linderwall

Ich weiß nicht, ob einer von euch „Die gewöhnliche Prinzessin“ von M. M. Kaye kennt, aber beim ersten Lesen des Buches „Die Drachenprinzessin“ von Patricia C. Wrede kam mir diese Geschichte in den Sinn. Das bringt mich gerade darauf, dass ich diese gewöhnliche Prinzessin wohl auch noch eines Tages hier im Figurenkabinett vorstellen muss … Aber erst einmal zu Cimorene, der jüngsten Tochter des Königs von Linderwall! Während ihre sechs älteren Schwestern perfekte Prinzessinnen sind, von denen eine schöner als die andere ist, und deren sanftes und liebliches Wesen perfekt zu ihren langen blonden Locken passt, sticht Cimorene deutlich aus der Art – und dies nicht nur aufgrund ihrer lackschwarzen, glatten Haare.

Vor allem unterscheidet sich Cimorene von dem Rest ihrer Familie, weil der übliche Alltag am Königshof sie entsetzlich langweilt. Obwohl ihrer Eltern alles dafür tun, damit ihre jüngste Tochter – trotz ihres wenig prinzessinnenhaften Benehmens – die richtige Erziehung bekommt, um einen Prinzen bezaubern zu können, langweilt sich Cimorene bei ihrem Tanz-, Stick-, Mal- und Etikette-Unterricht unendlich. So sucht sie regelmäßig Zuflucht in der Rüstkammer, wo sie den Waffenmeister dazu bringt, ihr Fechtstunden zu geben. Doch als ihr Vater dahinterkommt, ist es mit diesen Unterrichtsstunden vorbei. Ebenso ergeht es ihr mit den Zauberstunden durch den Hofmagier, dem Lateinunterricht durch den Hofphilosophen und den Ökonomiestunden durch den Schatzmeister. All die Dinge, die Cimorene interessieren, sind in den Augen ihrer Eltern absolut ungehörig für eine Prinzessin – auch wenn sie Cimorene keinen genauen Grund sagen können, warum dies so ist!

Mit sechzehn Jahren ist sie so verzweifelt, dass sie ihre Feen-Patentante herbeibeschwört (obwohl dies nur in Zeiten höchster Not gestattet ist), aber auch diese ist nicht bereit, ihr zu helfen, und empfiehlt dem Mädchen stattdessen nachdrücklich, sich doch mehr an den Wünschen seiner Eltern zu orientieren. Doch als Cimorene herausfindet, dass sie mit dem schrecklich langweiligen Prinzen Therandil von Sathem-by-the-Mountains verheiratet werden soll, reicht es ihr! Sie beschließt, eine Drachenprinzessin zu werden – was für eine Prinzessin theoretisch vollkommen akzeptabel ist, auch wenn man dafür eigentlich von einem Drachen entführt werden müsste – und so Zeit zu gewinnen. Denn bevor sie nicht von einem Prinzen vor „ihrem Drachen“ gerettet würde, hat sich das mit der Hochzeit erst einmal erledigt.

An Cimorene mag ich vor allem ihre „no nonsense“-Art. Sie sagt ohne Umschweife, was sie denkt, sie weiß genau, was ihr Spaß macht und was nicht – und sie hat absolut kein Verständnis für unsinnige Traditionen und Dummheit. Manchmal ist die Prinzessin etwas ungeduldig, wenn sie das Gefühl hat, dass sich andere Personen ungeschickter anstellen als nötig. Aber auf der anderen Seite ist sie hilfsbereit und erkennt auch, wenn jemand sein Bestes gibt (und einfach nicht mehr möglich ist). Eine Freundin wie Cimorene kann bestimmt manchmal anstrengend sein. Sie ist kein Mensch, der die Hände in den Schoß legt – und außerdem sagt sie denjenigen in ihrer Umgebung zu gern, wo es langgeht (und hat damit auch häufig auch noch recht). Auf der anderen Seite ist sie loyal, einfallsreich und hat keine Hemmungen zuzugeben, wenn sie etwas nicht weiß oder bei einer Sache Hilfe benötigt.

Auch ihren Freundeskreis, der vor allem aus der Drachin Kazul und der Hexe Morwen besteht, mag ich sehr gern. Die beiden Damen sind auf ihre Art (und für ihre Art) ebenso ungewöhnlich wie es Cimorene für eine Prinzessin ist. Und mit dem Zauberwald und den angrenzenden Märchenkönigreichen hat Patricia C. Wrede die perfekte Welt für Cimorene und die anderen geschaffen. In diese Welt gibt es wunderbar amüsante und widersinnige Details, wie man sie sonst in märchenhaften Geschichten kaum zu lesen bekommt. Sei es, dass die Autorin die Frage klärt, was aus all den Babies wird, die vom Rumpelstilzchen den Königinnen abgeluchst werden, oder welche Gesetzmäßigkeiten in einem verzauberten Wald zu beachten sind. Und wer hätte je gedacht, dass das Leben eines Riesen so anstrengend sein kann, dass er von all dem Brandschatzen und Rauben jeden Abend ganz erschöpft zu seiner Frau nach Hause kommt?

Wer von euch Lust hat, Cimorene einmal kennenzulernen, der sollte die Romane rund um den Zauberwald (The Enchanted Forest) auf jeden Fall in der richtigen Reihenfolge lesen. Die ersten beiden Bände gibt es auch auf deutsch, die letzten beiden nur im amerikanischen Original. Aber die von Patricia C. Wrede verwendete Erzählweise ist so gut zu lesen, dass auch Leute, die nicht so viel Übung im Englischen haben, damit zurechtkommen sollten. Cimorene steht vor allem in den ersten beiden Büchern im Mittelpunkt, während in „Calling on Dragons“ ihre Freundin Morwen eine wichtige Rolle einnimmt und „Talking to Dragons“ schon aus der Sicht der nächsten Generation erzählt wird.

Oh, und wer von Cimorene und den anderen nach diesen vier Bänden nicht genug hat, der kann sich die Anthologie „Book of Entchantments“ noch holen, in der am Ende noch eine amüsante Geschichte mit Cimorene und ihrer Familie zu lesen ist. Die restlichen Kurzgeschichten spielen alle in der gleichen magischen Welt, haben aber sehr unterschiedliche Ansätze, was sie spannend macht, aber für mich nicht gleichbleibend interessant sein lässt.

„The Enchanted Forest“-Chronicles von Patricia C. Wrede:

1. Dealing with Dragons (Die Drachenprinzessin)
2. Searching for Dragons (Die Drachenprinzessin rettet den Zauberwald)
3. Calling on Dragons
4. Talking to Dragons

Book of Entchantments